Reinhard J. Voß, Generalsekretär von Pax Christi in Deutschland
Zerfleddern um der Macht und des Opportunismus willenWo bleibt die energische und glaubwürdige Förderung ziviler Konfliktbewältigung?
                  
Pazifismus könne militärische Gewalt als letztes Mittel der Politik
nicht
                  
leugnen, schrieb Ludger Volmer, Mitglied der Grünen und Staatsminister
                  
im Auswärtigen Amt, in der FR vom 7. Januar. Deutschland bleibe nichts
                  
anderes übrig, als den international erwarteten eigenen militärischen
                  
Beitrag zur Lösung regionaler und globaler Konflikte zu entrichten.
Diese
                  
Position hat Widerspruch provoziert: Wir dokumentieren Entgegnungen von
                  
Wolfgang Gehrcke, dem außenpolitischen Sprecher der
                  
PDS-Bundestagsfraktion, und von Reinhard J. Voß, Generalsekretär
der
                  
deutschen Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi.
Wann, wenn nicht jetzt, ist Pazifismus gefragt.
                  
In der Nachkriegszeit scheut er nicht den Kontakt zu den Militärs,
achtet aber
                  
darauf, sich nicht ideologisch, publizistisch, logistisch und praktisch
von diesen
                  
vereinnahmen und in deren Macht- und Militärlogik einbinden zu lassen.
Gerade um
                  
dieser Gefahr zu begegnen, braucht er den steten Halt und Einspruch des
                  
religiös-prophetischen Pazifismus, den Volmer als fundamentalistisch,
                  
"akstrakt-gesinnungsethisch" und "handlungsunfähig" abtut. Diese aus
rot-grünen
                  
Regierungskreisen versuchte völlige Aburteilung des prophetischen
und vollständige
                  
Vereinnahmung des politischen Pazifismus ist unannehmbar. Pazifismus ist
                  
grundsätzlicher christlich, religiös oder humanistisch verortet,
als dass er in der
                  
Volmer'schen macht-opportunistischen Art definitorisch zerfleddert oder
relativiert
                  
werden könnte. Mag er die von ihm vertretene Politik friedenssichernd
und -fördernd
                  
nennen, aber das Recht, sie pazifistisch zu taufen, muss ihm abgesprochen
                  
werden. Pazifismus und Antimilitarismus gehören heute zusammen.
                  
Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie unerklärte "gerecht(fertigt)e"
Kriege
                  
für die Menschenrechte geführt wurden, beschönigend "humanitäre
Interventionen"
                  
genannt. Der berechtigte Kampf gegen den "Terrorismus" - der noch allzu
vage
                  
definiert ist - darf künftig nicht weiter vermischt werden mit Kriegspolitik,
die
                  
ihrerseits wiederum machtpolitische Ziele hat. Daher ist dieser Kampf auch
nur und
                  
ausschließlich im Rahmen der UN legitimier- und führbar. Die
Nato oder gar ein
                  
oder mehrere hoch gerüstete Länder sind ungeeignet dazu und bauen
neue,
                  
weltweite Spannungen auf.
                  
Gerade weil Krieg heute anders aussieht als früher und es keine klaren
Fronten
                  
mehr gibt, wenn der Krieg zumindest auf der einen Seite quasi privatisiert
wird und
                  
er sich nicht mehr auf ein klar definiertes Schlachtfeld begrenzen lässt,
ist die
                  
pazifistische Forderung von der "Abschaffung des Krieges als Institution"
aktueller
                  
denn je. Traditionelle Muster der Kriegsführung, auf die jetzt die
Staaten wieder
                  
verfallen, sind nicht mehr sinnvoll, ja gefährden den Weltfrieden
mehr als alle
                  
Terroranschläge. Man greift Staaten an, statt Banden und internationale
Netzwerke
                  
zu verfolgen. Dazu müssen juristische, polizeiliche und diplomatische
neue Mittel
                  
auf Weltebene - im Rahmen einer reformierten UN - entwickelt und angewandt
                  
werden, die der Faktizität sich entwickelnder Weltinnenpolitik gerecht
werden und
                  
diese weiter befördern. Macht darf nicht länger Recht beugen,
sondern muss sich
                  
im Namen und Rahmen des Völkerrechts artikulieren, bewähren und
begrenzen
                  
lassen. "Nation-building" kann durch vorherige Bomben-Zerstörung ganzer
                  
Landstriche und Länder nicht gerechtfertigt, sondern muss von unten
aufgebaut
                  
werden. Ein politischer Pazifismus, der Terrorakte und Rechtsbrüche
mit
                  
rechtlichen und polizeilichen Mitteln zu ahnden vorschlägt, ist höchst
konstruktiv
                  
und realistisch - dazu sind im Rahmen der UN in den letzten zehn Jahren
enorme
                  
Fortschritte erzielt worden. Allen Staaten und besonders den USA stünde
es gut
                  
an, die vielen entwickelten Vorschläge jetzt zu ratifizieren und sich
vom
                  
Unilateralismus der Macht zu verabschieden: vom Klimaprotokoll über
die
                  
Biowaffenkontrolle bis zum Internationalen Strafgerichtshof.
                  
Dies geschähe zum Schutz der "Interessen der USA" wie sie die Studie
"Global
                  
Future" für Präsident Carter (1980) unter eben dieser Überschrift
formulierte: "Der
                  
Zusammenhang zwischen der nationalen Sicherheit der USA und den globalen
                  
Problemen der Ressourcen, der Bevölkerung und der Umwelt betrifft
vor allem die
                  
politische Stabilität. Eine abwärts gerichtete Spirale von Armut
und
                  
Ressourcenverminderung und wachsende Unterschiede zwischen Reichen und
                  
Armen könnten das Potential an Enttäuschung und Zorn derer, die
bei der
                  
Aufteilung des Wohlstandes benachteiligt sind, vergrößern und
sie empfänglicher
                  
für Ausbeutung durch andere und für die Anwendung von Gewalt
machen."
                  
So ist denn unsere Regierung zu fragen: Wo bleibt die wirklich "energische"
                  
Förderung ziviler Konfliktbearbeitung und ziviler Friedensdienste,
wo die Umrüstung
                  
der Bundeswehr statt zu einer Interventionsarmee zu UN-Polizeikräften
und der
                  
Aufbau einer Blauhelmausbildung? Wo bleibt eine konsequente
                  
Menschenrechtspolitik beispielsweise in der Türkei (Kurdistankonferenz),
in der
                  
Demokratischen Republik Kongo oder in Kolumbien?
                  
Wo bleibt eine glaubwürdige und dringliche Initiative der EU für
ein Zusammenleben
                  
von Israel und Palästina? Wo bleibt der konsequente Rückbau der
                  
Rüstungsexporte und die Verdoppelung der Entwicklungshilfe auf 0,7
Prozent des
                  
Bruttosozialprodukts?
                  
1.das Leitbild des gewaltfreien Jesus, die Vision der "Pax Christi", des
                  
jesuanischen Friedensstiftens durch radikales Verstehen und manchmal auch
                  
Provozieren des "Gegners". Das derzeit oft abschätzig zitierte Hinhalten
der
                  
"anderen Wange" (Mt. 5,39) deuten wir neu: "Die Person, die die andere
Backe
                  
hinhält, sagt damit: Versuch es noch einmal! Dein erster Schlag hat
sein
                  
eigentliches Ziel verfehlt. Ich verweigere dir das Recht, mich zu demütigen."
(W.
                  
Wink) Solch gewaltfreier Widerstand ist nicht passiv, sondern eine sehr
aktive,
                  
erlernbare, und sogar taktisch und strategisch einsetzbare Haltung und
Handlung.
                  
Sie setzt aber eine spirituelle Vertiefung voraus, eine ständige innere
Wachheit.
                  
2.das Leitbild des "gerechten Friedens", das sich der grundsätzlichen
"vorrangigen
                  
Option für Gewaltfreiheit" der Ökumenischen Versammlungen der
Kirchen in der
                  
DDR (1987/88) verdankt, basierend auf der tiefen Einsicht, dass Gewalt
allzu leicht
                  
nur Gewalt gebiert und in Form einer Spirale sehr schnell politisch unkontrollierbar
                  
wird. Die christlichen Kirchen unseres Landes stützen jetzt dieses
Leitbild, ohne
                  
sich schon alle pazifistisch zu nennen. Sie lehnen erstmals seit Jahrhunderten
den
                  
"gerechten Krieg" in jeder Form ab und sehen auch die in allerschwersten
Fällen
                  
zugestandene Anwendung von Gewalt als "Ultima Ratio" nur noch als "Übel".
Alle
                  
Kriege der letzten Jahre für die Menschenrechte halten m. E. diesen
Kriterien des
                  
gerechten Friedens nicht stand.
                  
3.das Leitbild der zivilen Konfliktbearbeitung, des zivilen Friedensdienstes
und des
                  
"Schalomdiakonats". Pazifisten entwickelten dazu eine Vielfalt gewaltfreier
                  
Aktionsformen von der Sozialen Verteidigung und der Mediation bis zu
                  
internationalen Missionen in präventiver und auch konfliktvermittelnder
Absicht. Der
                  
amerikanische Ex-Präsident hat mit seinem "Carter-Institute" Vorbildliches
in
                  
dieser Hinsicht geleistet.
                  
In der Tat haben wir in diesem Bereich in den letzten Jahren politisch
relativ gut
                  
kooperiert beim Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes, der Alphabetisierung
in
                  
gewaltfreier Konfliktbearbeitung und besserer Vorbereitung zivilen Personals
von
                  
OSZE- und UN-Missionen.
                  
4.das Leitbild einer Kultur des Friedens und der Toleranz, ein dialogischpolitischer
                  
Ansatz der Anerkennung unterschiedlicher Interessen und Positionen jenseits
                  
eines simplen Gut-Böse-Schemas. Dieses Leitbild verweist auch auf
die eigenen
                  
negativen Anteile und wird dadurch konsens-, kompromiss- und versöhnungsfähig.
                  
2001 bis 2010 haben die Kirchen eine "Dekade zur Überwindung von Gewalt"
und
                  
die UN eine solche für eine "Kultur des Friedens" ausgerufen! Auch
Initiativen wie
                  
"Weltethos" und "Erdcharta" dienen diesem Ziel; interreligiöser und
interkultureller
                  
Dialog sind Wege dahin.
                  
5.das Leitbild des Völkerrechts im Sinne von Kants "Ewigem Frieden",
nämlich
                  
einen weltweit koordinierten und kodifizierten juristischen Weg der Gewaltkontrolle
                  
durch Entwicklung weiterer UN-Instrumente zur Bekämpfung und Bestrafung
                  
internationaler Gewalttäter. Der nächste Schritt dazu ist nun
die rasche
                  
Ratifizierung des in Rom 1998 beschlossenen Internationalen Strafgerichtshofes
-
                  
ein Begriff, den man in Volmers Beitrag übrigens vergeblich sucht. 
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