Vortrag am 12. Juni 1997 zum 10-jährigen Bestehen des ÖkoBüro Hanau von horst gunkel

Die Krise als Chance

"Die Krise als Chance" ist das Thema dieser Ausführung. Welche Krise?, könnte man versucht sein zu fragen. Meist kommt der Ausdruck "Krise" mit einer näheren Spezifizierung einher: Krise des Arbeitsmarktes, Standortkrise, Sozialkrise, Rentenkrise, Finanzkrise, Ökokrise oder was auch immer. Ich möchte hier nicht im einzelnen untersuchen, welche Teilkrisen anstehen. Tatsache ist, daß in einem Land, das von Rekordarbeitslosigkeit, sinkenden Realeinkommen der arbeitenden Menschen und einer Regierung die nur noch "Krisenmanagement" in bezug auf immer neue Finanzlücken zu betreiben versucht, eine tiefgreifende Krise besteht.

Ich werde versuchen aufzuzeigen, inwiefern eine Krise nicht nur Risiko sondern immer auch Chance ist, wo die besonderen Chancen dieser Krise liegen, und wie wir diese Chancen nutzen können. Mit "wir" meine ich dabei sowohl uns als einzelne als auch das ÖkoBüro Hanau.

Eine Krise, so definiert Gabler's Wirtschaftslexikon ist ein "dramatischer Wendepunkt am Ende einer Aufschwungphase". Wir hatten in Westdeutschland von 1948 an eine enorme Aufschwungphase, die bis in die 70er Jahre Vollbeschäftigung sicherte und eine beispiellose Steigerung des Bruttsozial- produktes herbeiführte. Seit etwa 1970 wurden die Grenzen des Wachstums immer mehr Menschen sichtbar. Die erste Club-of-Rome-Studie war noch etwas Exotisches, aber in den nächsten beiden Jahrzehnten wurde immer deutlicher, daß ein exponentielles Wachstum in eine Sackgasse führt.

Das neue Zauberwort, das seit Rio die Diskussion verantwortungsbewußter Menschen bestimmt ist "Nachhaltigkeit". Der Übergang von der Bruttosozialproduktswachstumsgesellschaft - das Wort klingt fast so furchtbar , wie es gemeint ist - zur Gesellschaft der Nachhaltigkeit ist notwendigerweise ein Wendepunkt. Und wie jeder Wendepunkt führt auch dieser zu Problemen, die je stärker die Wende ist, als um so dramatischer empfunden wird. Werimmer also den Übergang zu einer Gesellschaft der Nachhaltigkeit möchte, muß sich darüber klar sein, daß dieser Wendepunkt alle Kriterien einer Krise erfüllt, daß er ein "dramatischer Wendepunkt am Ende einer Aufschwungphase" ist. Übersspitzt formuliert könnte man sagen: die Krise, die wir alle erhofft haben, ist da.
Eine Krise ist immer ein Punkt des Wandels, nichts Statisches. Entwicklung, jede Entwicklung, erwünschte wie unerwünschte, setzt Wandel voraus. Ohne Wandel gibt es keine Entwicklung, dies gilt für alle Arten des Wandels, von der Evolution bis zu sozialen Reformwerken. Entscheidend ist, wie wir den Wandel gestalten, bzw. wen wir in wessen Interesse den Wandel gestalten lassen. Hierin liegen die Chancen aber auch die Risiken einer Krise.

Lange genug waren wir gafangen in der Ideologie des Wachstumswahns, manche kürzer manche länger, manche noch heute. Aber auch als wir das Problem der Grenzen des Wachstums bereits intellektuell begriffen hatten, wurden wir noch immer besessen von der unterschwelligen Wachstumsphantasie in uns. Wir redeten vom Ende des Wachstums und vertrauten auf steigende Reallöhne. Um uns diesem Widerspruch nicht stellen zu müssen ezählten wir etwas von "Umverteilung" und meinten doch immer nur Umverteilung zu unseren Gunsten. Wir schielten auf die wenigen, die (ungerechterweise) mehr hatten als wir und forderten Umverteilung zu unseren Gunsten.

Daß weltweit wir Westdeutschen - und zwar eindeutig auch die Arbeiter und Angestellten - zu den Gewinnern einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung gehörten, verdrängten wir vielfach.
Vielleicht stellten wir uns auch irgendwann der Dritte-Welt-Problematik. Begannen statt von "Dritter Welt" von "Einer Welt" zu reden, hatten aber gleichzeitig angst vor der Globalisierung. Vielleicht skandierten wir "Hoch die internationale Solidarität", wollten aber alles andere als die Verlagerung von Metallarbeitsplätzen von Deutschland nach Tschechien und Bildschirmarbeitsplätzen von Deutschland nach Indien, was tendenziell zu einer langfristigen Nivellierung der Einkommen führt.

Da plötzlich wandten wir uns gegen die Globalisierung, entdeckten daß sie bestimmt nur dem Kapital nutzen würde, und verdrängten dabei ganz stark, wie wir, die Besserverdienenden, aus Gründen der Besitzstandswahrung den Menschen in Tschechien und Indien doch lieber die Arbeitsplätze vorenthalten wollten, auf daß niemand unseren Reichtum antaste.

Hinter den Rufen "Hoch die internationale Solidarität", versteckte sich tief in uns ein kleiner Le Pen, ein kleiner Jörg Haider, ein kleiner REP, der sich dem Wandel zu internationaler Chancengelichheit entgegenstemmte, die Krise am möglichen Wendepunkt zur Nachhaltigkeit blockierte, den Wandel ablehnte, am bestehenden festhalten wollte, ein innerer Konservativer, schlimmer noch, ein Reaktionär.

Liebe Freundinnen und Freunde, vestehen Sie mich nicht falsch, dies soll keineswegs eine Publikumsbeschimpfung sein. Ich rede hier von dem, was ich bei genauer Selbstbetrachtung in mir selbst bemerkt habe. Darauf angesprochen hätte ich dem jedoch sicher vehement widersprochen. Vielleicht geht es dem einen oder der anderen von ihnen ja gelegentlich ähnlich.

Aber dieses Referat soll keineswegs in Selbstkritik stehenbleiben, es soll über Chancen Auskunft geben. Elmar Schlich hat ausgeführt, und ich zitiere ihn: "Die drängendsten Probleme der Dienstleistungsgesllschaft nehmen nämlich heute ... in den privaten  Haushalten ihren Ausgang. Vor zwanzig Jahren war es im wesentlichen die Industrie, welche die größten ökologischen Sünden begangen hat, zum Teil aus Nichtachtung, zum Teil aus Nichtwissen, zum größten Teil aber, weil es nichts kostete." Dies bedeutet nicht weniger, als daß wir alle - jede und jeder von uns - in seinen täglichen Konsumentscheidungen verantwortlich sind für die Folgen, die dies für den Planenten und seine Teilökosysteme hat. Und auch den Weg dahin hat Elmar Schlich aufgezeigt: wir müssen die Nichtachtung überwinden durch erhöhte Achtsamkeit auf die Folgen unserer Handlungen, wir müssen das Nichtwissen überwinden durch Entfaltung von Wissen und wir müssen aufhören primär monetäre Entscheidungsgründe gelten zu lassen. Dies ist eine Verpflichtung an jede und jeden einzelnen, hier sind wir aber auch als Öko-Gruppen gefragt. Ich möchte dies am Beispiel zweier Bereich deutlich machen, auf die auch Elmar Schlich schon hingewiesen hat, den Verkehrsbereich und die EnergieWende.

Der VCD z. B., der Verkehrsclub für Umweltbewußte, bemüht sich genau diesen Weg zu gehen und er nutzt die Vernetzung im ÖkoBüro Hanau dazu, aus der verstärkten Achtsamkeit und der Wissensentfaltung heraus zusammen mit anderen Gruppen und Personen an nachhaltigeren Verkehrslösungen zu arbeiten, so hat z.B. die AG Umweltverbund, also eine Vernetzung von VCD, ADFC, und BUND, ein integriertes Verkehrskonzept für die Bereiche Zufußgehen, Fahrradfahren und ÖPNV für die beiden südmainischen Hanauer Stadtteile entwickelt. Weiter hat der VCD am Aufbau von Car-Sharing mitgearbeitet, seit einem Jahr sitzt CSD, Car Sharing Deutschland, mit im ÖkoBüro Hanau. So wurde im vergangenen Jahr ein 140-seitiges Gutachten zum Nahverkehrsplan durch eine Arbeitsgruppe bestehend aus PRO BAHN und VCD im ÖkoBüro Hanau erstellt. So beginnt derzeit eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines Stadtbahnmodells nach Karlsruher Vorbild im ÖkoBüro Hanau ihre Arbeit. Am kommenden Montag werden die Verkehrsgruppen des ÖkoBüro Hanau auf der Sitzung des Kreisverkehrsbeirates erneut Aufklärungsarbeit leisten und so zum Überwinden von Nichtwissen beitragen.

Oder nehmen wir das Beispiel des EnergieWende-Komitees Main-Kinzig. Unterstützt durch die Vorarbeiten des ÖkoInstitutes und hervorgegangen auf Initiative aus der Regionalgruppe Hanau von ROBIN WOOD wurden Energiekonzepte vorgelegt und teilweise auch umgesetzt. Trotz eines roll-backs im Main-Kinzig-Kreis seit Beginn der großen Koalition werden Elemente dieses Konzeptes inzwischen von anderen Trägern übernommen. Und auch der so wichtige Blick eines jeden auf sich selbst wurde vom EnergieWende-Komitee aufgegriffen, nämlich indem eine energy-watch-Gruppe initiiert wurde.

Wenn es also darum geht, bei der Entwicklung zu Nachhaltigkeit nicht auf die Politiker und die Wirtschaft zu warten, sondern auch und gerade auf Verbraucherebene zu beginnen, dann sind es Institutionen wie das ÖkoBüro Hanau, die hier vor-angehen können. Es gilt hier das gleiche wie in den 80er Jahren mit der Diskussion um einseitige Abrüstung: nur wer selbst vorangeht ist erstens glaubhaft und kann zweitens etwas verändern. Zauderer und Schwanzeinkneifer sind hier fehl am Platze, die können höchstens in den politischen Parteien Karriere machen.

Aber - so hört man oft - derzeit ist Öko out. 1986, direkt nach Tschernobyl, da kamen viele 100 Leute zu Veranstaltungen, heute herrscht hier - wie überall - äußerste Zurückhaltung. Sollte man nicht einfach warten, bis wieder ein Thema Menschenmengen herantreibt? Nein, sage ich, das wäre das falscheste überhaupt. Jetzt, in einem Zeitpunkt relativer Ruhe, ist die beste Möglichkeit Theorien und Konzepte zu entwickeln. In Zeiten in denen plötzlich extrem viele Menschen auftauchen, die zwar von diffusen Ängsten geplagt werden, deren Bewußtseinsentwicklung jedoch noch auf einem deutlich ausbaufähigen Stand ist (um vorsichtig zu formulieren), kann nur an der Oberfläche gearbeitet werden. Jetzt, genau jetzt, ist die Chance, konzeptionelle Kleinarbeit zu leisten, ist auch die Chance, sich über den Tellerrand der eigenen Gruppe hinauszubewegen und die Chancen der Vernetzung, z.B. im Rahmen des ÖkoBüro Hanau aber natürlich auch darüber hinaus, zu nutzen.

Eine Chance sehe ich auch in der gesamtgesellschaftlich sinkenden notwendigen Arbeitszeit. Wenn wir bereit sind, uns vom inneren Wachstumsfanatiker zu lösen, der uns galuben machen will, was wir alles noch brauchen, und bereit sind, mit weniger Arbeit und weniger Geld auszukommen, dann haben wir auch die Zeit und die Chance für das notwendige gesellschaftliche Engagement. Und so können wir vielleicht nicht gleich gesamtgesellschaftlich oder per Weltrevolution den Neuen Menschen schaffen, aber wenn jeder von uns einen solchen Neuen Menschen schafft, sich selbst, ein genügsamerer, einer der sich nicht in erster Linie über Lohnarbeit definiert, sondern über gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, dann entwickeln wir den Menschen wirklich weiter, zu dem zoon politicon, von dem seit 2000 Jahren die Rede ist und von dessen optimaler Ausgestaltung wir doch noch immer so weit entfernt sind. Dann gelingt es uns die Vernetzung selbstverantwortlicher Individuen aufzubauen, die - jede und jederr nach seinen oder ihren Fähigkeiten - in vernetzten Gruppen zusammenarbeiten an Konzepten für eine Gesellschaft in Nachhaltigkeit. So kann auch den Kräften, die derzeit nur daran interessiert sind, die Umverteilung von unten nach oben zu organisieren, En-gagement und Solidarität entgegengesetzt werden.

Ich plädiere dafür, die Chancen, die uns Institutionen wie das ÖkoBüro Hanau ermöglichen, auch wirklich zu nutzen, nämlich das Konzept "Global denken - lokal handeln" umzusetzen!


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