Wolfgang Ehmke (1995):

Nadelöhr Atommüllentsorgung

I.
Als 1962 der erste (Versuchs-) Reaktor in Kahl (6 km vom ÖkoBüro Hanau, DM) mit 15 MW Leistung ans Netz ging, war die nukleare Entsorgung ein wenig diskutiertes Problem. Wie Joachim Radkau in seiner historischen Analyse mit dem Titel „Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft dokumentiert, bildeten jedoch Verdrängung und Verharmlosung von Anbeginn eine verhängnisvolle Symbiose, sobald Atomlobbyisten sich zu dieser Thematik äußerten. So hieß es 1961 in einem Bericht des zuständigen ministeriellen Arbeitskreises, zu berücksichtigen sei „nicht zuletzt die Tatsache, daß mit einem einmal angelegten Lager eine säkuläre Anhäufung radioaktiven Materials geschaffen" werde; dies alles gebe der Entscheidung über die Art der Endlagerung „eine gewisse Endgültigkeit" und daher solle sie „nicht unter Zeitdruck getroffen und wohl erwogen werden" (Radkau, S.302) Robert Gerwin, einer der führenden Propagandisten der Atomenergie, rühmte 1963 den Vorschlag eines sowjetischen Atomphysikers, den Atommüll mit Raketen in den Weltraum zu befördern, als den „zweifellos zuverlässigsten Weg“. In die Schlagzeilen gerieten vornehmlich Pläne, den Atommüll auf dem Meeresgrund zu versenken. Das Fachblatt „atomwirtschaft" hingegen glaubte 1961 in einem redaktionellen Beitrag die Atommüllfrage bereits als eine inzwischen erledigte Frage der Vergangenheit abtun zu können (Radkau, S.353).

Das „Versuchsatomkraffverk" Kahl (VAK) ist nach 25 Betriebsjahren stillgelegt worden. Gegen den Widerstand von Bürgerinitiativen soll es nun abgerissen werden. Die Sicherheitsprobleme hören mit der Stillegung eines Reaktors nicht auf. 1992 flossen Reinigungsmittel mit darin gelösten radioaktiven Stoffen aus einer Rohrleitung. Störfallanalysen begleiten die Stillegungsphasen, aber eine dezidierte Stillegungsforschung gibt es in der BRD nicht Stäube werden die Arbeiter; aber auch die Menschen und die Natur in der Umgebung eines AKW belasten, wenn die Abrißbirne kommt Was würde passieren, wenn es auf dieser „Bau"stelle brennt? Mindestens 400 Kubikmeter Atommüll sind beim Schnellabriß zu erwarten. Wohin damit? Sie kommen zur Zwischenlagerung ins Kemforschungszentrum Karlsruhe. Wohin aber am Ende mit dem Atommüll? Diese einfache Frage läßt sich auch 33 Jahre nach der Inbetriebnahme des Kahler Atommeilers nicht einfach beantworten.

Das hat sachliche Gründe.

Zwar entledigte sich die Atomindustrie ihrer Abfälle zwischenzeitlich, d.h. in den Jahren 1967 bis 1978, durch die versuchsweise nicht rückholbare Endlagerung- dieser Zynismus ist Betreiberjargon! - von 125.000 Fässern in dem ehemaligen Kalibergwerk Asse bei Wolfenbüttel. Daß das Abkippen („Versturztechnik") radioaktiver Abfälle oder die späteren „insitu-Versuche" auch nach der offiziellen Stillegung der Asse (hier wurden radioaktive Abfälle mit Zement und mit tritiumhaltigen Abwässern angemischt und per Rohrleitung in unterirdische Kavernen der Asse geleitet) keine Beiträge zur Lösung des Atommüllproblems sein können, wird klar, wenn wir diesen sorglosen Umgang mit radioaktiven Abfallstoffen mit den hehren Zielvorstellungen der „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" vom Mai 1977 kontrastieren:
„Ziel einer sicheren Endlagerung radioaktiver Abfallstoffe muß es sein, die von ihnen ausgehende schädigende Strahlung vollkommen von der Biosphäre abzuschirmen. Je nach Zusammensetzung der Abfallstoffe beträgt die notwendige Isolierungszeit wenige Jahrzehnte bis einige 100.000 Jahre.'

Halten wir fest: Die Halbwertzeit

Die Atommüllentsorgung ist in der Tat eine „säkuläre Aufgabe", sie ist - weniger hochgestochen formuliert - schlichtweg unlösbar. In der Pyramide nuklearer Schrecken rangiert die ungelöste und unlösbare Atommüllentsorgung ganz oben. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Meister der Verdrängung und Verharmlosung. Leider sind wir mit dieser Feststellung nicht am Ende.


II.
Atommüll ist bereits produziert und wird weiter angehäuft. Und die Atomgemeinde behauptet, sie hätte gegenüber den 60er und 70er Jahren gewaltige Fortschritte in der Realisierung der Entsorgungspolitik gemacht Betrachten wir zunächst die s6genannten Fortschritte beim „Entsorgungsvorsorgenachweis" (bestimmt haben Werbefachleute intensiv und ausgiebig diskutiert, bis sie diesen Begriff kreierten, dessen Konnotation reale Ängste zerstreuen soll. Entsorgt + vorsorglich + nachweislich - die massive Akkumulation macht sich schon wieder verdächtig).
Das deutsche Atomgesetz verlangt erst seit 1976, daß radioaktive Abfälle entweder schadlos zu verwerten oder in einer Anlage des Bundes zur Endlagerung endzulagern sind. Die Entsorgungsgrdndsätze, die 1977 und 1980 von den Regierungschefs des Bundes und der Länder verabschiedet wurden - gegenüber 1977 bereits in stark modifizierter Form (!), denn zwischenzeitlich hatten wir im Wendland den Plan, in Gorleben ein „Nukleares Entsorgungszentrum" (NEZ) mit dem Herzstück Wiederaufarbeitungsanlage zu errichten, im Schnelldurchgang über den Haufen geworfen - sind im engeren und juristischen Sinne Ausführungsbestimmungen, um wenigstens auf dem Papier und möglichst gerichtsbeständig eine Lösung des unlösbaren Problems vorgaukeln zu können. Eine Kost-probe, was heißt „Entsorgungsvorsorgenachweis"? Aufgepaßt: es handelt sich um mehrfache üble Täuschung. Prof. Dr. Klaus Lange (Justus-Liebig-Universität Gießen) hatte in einer Expertise des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Gesundheit und Energie 1989 herausgearbeitet, daß dieser Entsorgungungsbeschluß keinerlei rechtliche Bindungswirkung hatte, es war eine bloße politische Verabredung (Stichwort: ,Atomkonsens"). Auffällig bereits 1980 die starke Betonung der Rolle der Zwischenlagerung. Wer aber im Atomgesetz blätterte, konnte nicht fündig werden, Atomanlagen wie externe Zwischenlager waren -wie im übrigen auch die Kompaktlager beim AKW - gar nicht vorgesehen, erst mit der Novelle des Atomgesetzes 1989 wurde vom Gesetzgeber diese Notlösung im nachhinein legalisiert Die „Entsorgungsvorsorge" wird in dem Politikerbeschluß zudem auf die Lagerung bzw. Behandlung der abgebrannten Brennelemente beschränkt Die Betriebsabfälle der Kategorie „schwach - und mittelaktiver/nicht wärmeentwickelnder Abfälle" fielen aus der Betrachtung des Problems heraus, sie machen vom Volumen aber mehr als 90% des Atommüllbergs aus.

Selbst dann, wenn wir uns für einen Augenblick auf die Buchstaben des Atomgesetzes oder die Politikererklärung einlassen, müssen wir feststellen, daß realiter weder das Gesetz noch dieser Ministerpräsidentenbeschluß je tatsächlich Orientierungsmaßstab gewesen ist, sondern, wie es Gerhard Schmidt vom Öko-lnstitut Darmstadt in einem Informationspapier darlegt, „eine eigenwillige, weitgehend tagespolitisch geprägte Interpretation dieser Papiere". In der Tat: nachdem das Ende für die WAA Wackersdorf beschlossene Sache war; gab es keinerlei Überarbei-tung des Ministerpräsidentenbeschlusses. Das Phantom „Entsorgung“ hatte keine wirklichen Konturen, also mußte es auch gar nicht Gestalt annehmen.

So wurde tatsächlich nie geprüft oder diskutiert, was unter „wirtschaftlicher Zumutbarkeit" im Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitung zu verstehen war/ist Der Kostenvorteil der Direkten Endlagerung wurde einfach ignoriert. Abgesehen von einem einzigen Behördengutachten (wieder im Auftrag der schleswig-holsteinischen Landesregierung siehe Küppers u. a.) wurde nie diskutiert oder geprüft, ob die Belastungen, die aus der Wiederaufarbeitung resultieren, das im Atomgesetz geforderte Kriterium der schadlosen Verwertung erfüllen. Und: Daß es sich mengen- und toxizitätsmäßig gar nicht um eine ,Merwertung' handelt, wenn allenfalls 1 % (Gewichtsprozent) des „Reststoffes", nämlich des Plutoniums, das beim Reaktorbetrieb entstanden ist, tatsächlich der Wiederverwertung zugeführt werden sollen, habe, so Schmidt, bisher auch nicht gestört



III.
Hauptverursacher der radioaktiven Abfälle sind in der BRD die Atomkraftwerke. Im bestimmungsgemäßen Betrieb erzeugt zum Beispiel ein 1.300-MW-Druckwasserreaktor pro Jahr ca. 30 t abgebrannter Brennelemente (das sind 15 Kubikmeter) und in ca. 350 Kubikmeter Betriebsabfälle. Es muß im Interesse der Atomlobbyisten liegen, daß, wenn über radioaktive Abfälle gesprochen wird, der Blick stets in Richtung Zwischenlagerung, Konditionierung, Wiederaufarbeitung und Endlagerung gerichtet ist.

Wir aber blicken kurz zurück: in allen Abfallbilanzen fehlen nämlich die riesigen radioaktiven Abraumhalden, die bei der Uranerzgewinnung anfallen. Um 30 t Kernbrennstoff zu gewinnen, müssen bei einem Urangehalt von ca. 0,1 % bereits 30.000 t Erz gefördert werden. Für die Beladung eines Reaktorkerns benötigt man rund 90-100 t Schwermetall (SM). Mit anderen Worten: Volumenmäßig wurden zuvor 100.000 t Erz bewegt Um an das Erz heranzukommen, wird beim Tagebau sogar bis zum l0-fachen der Erzmenge entfernt Dieser Abraum wird auf riesigen Halden gelagert und ist schwach radioaktiv (Radongas). Bei der Uranerzaufarbeitung wird aus dem uranhaltigen Gestein das Uran herausgelöst. Dazu wird das Erz erst gemahlen und dann meist mit Schwefelsäure gelaugt. Bei diesem Verarbeitu ngssch ritt wird nicht nur Uran herausgelöst, sondern auch Molybdän, Vanadium, Eisen, Blei, Arsen ... Von diesen Stoffen muß Uran in einer ganzen Reihe von Prozessen unter Zugabe von Chemikalien getrennt werden, um das Uran in Form von Yellow Cake (= U308) vorliegen zu haben. In den Rückständen (Schlämme) sind immer noch 85 % der ursprünglichen Radioaktivität enthalten, darunter langlebige Strahler wie Thorium 230 und Radium 226. Die belastete Fläche der Wismut AG in Sachsen und Thüringen ist annähernd so.groß wie das Saarland. Bisher wurden bei insgesamt 6500 Wismut-Bergleuten Strahlenkrebserkrankungen als Berufskrankheit anerkannt (FR, 6.5.95).

Verfolgen wir nun den anderen Strang. Was wird aus den 30 t SM, die jährlich in einem Leistungsreaktor ausgetauscht werden? Werden die abgebrannten Brennelemente nach einer Abklingzeit im Kühlbecken des AKW der Wiederaufarbeitung zugeführt, so erhöht sich das Abfallvolumen drastisch um den Faktor 7 bis 15! Aus den 30 t bzw. ca. 15 m3 bestrahltem Kernbrennstoff können bis zu 220 m3 radioaktiver Abfälle aller Arten werden, überschlägt Wolfgang Neumann von der Gruppe Ökologie Hannover auf der Basis der Cogéma-Angaben zu den Abfallspezifikationen. Diese schwanken allerdings jährlich, weil die Konditionierungsverfahren sozusagen ständig im Fluß sind, in diesem Falle wörtlich zu nehmen, weil über den Bach St. Hélène so einiges aus der Plutoniumfabrik La Hague in den Ärmelkanal fließt. Gerhard Schmidt vom Öko-lnstitut Darmstadt unterstellt die optimistischeren Abschätzungen der Cogéma für die Konditionierung der Abfälle in seinen Berechnungen.

Aus einer Entlademenge von 500 t abgebrannter Brennelemente aus den deutschen Reaktoren werden demnach vier Jahre später - ohne die zusätzlich notwendige Abschirmverpackung - folgende zu lagernde Mengen:

„Die hoch- bis mittelradioaktiven Abfälle der Positionen 4 bis 7 (also ohne Uran, Plutonium und verglaste hochaktive Abfälle) addieren sich zu einem Volumen von etwa 3000 Kubikmetern jährlich", resümiert Gerhard Schmidt (Zur derzeitigen undurchsichtigen Lage im Entsorgungsbereich in Deutschland, April 1995). Der angebliche Brennstoffkreislauf entpuppt sich als Atommüllspirale.

IV.
Angesichts dieser Abfallbilanzen ist und bleibt es skandalös, im Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitung von einem Entsorgungsschritt oder Entsorgungspfad zu sprechen. Das Atomgesetz paßt sich den Gege-benheiten an, wie zuletzt das ,Artikelgesetz' im April/Mai 1995, in dem die Direkte Endlagerung der Wiederaufarbeitung gleichgestellt wird, nachdem sich auch bei den Elektrizitätsversorgungsunternehmen herumgesprochen hat, daß sich die Wiederaufarbeitung nicht rechnet (Ingo Hensing/Walter Schulz, Vergleichende Studie über die Wirtschaftlichkeit des Wiederaufarbeitungspfades und der Direkten Endlagerung abgebrannter Brennelemente, Köln Novmeber 1994). Oder die Atomgemeinde hat schlichtweg Dusel, weil beim Niedergang der DDR der westdeutschen Atomwirtschaft ein umstrittener Rechtstitel (Betriebserlaubnis für das ERAM, Endlager Morsleben) zufiel.

Aktuelle, konkrete Zahlen, die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind, liefert das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in seiner jüngsten Erhebung (Abfallmengen-Erhebung 1993, vom 21. März1995): Demnach fallen bis zum Jahr 2010 rund 232.300 Kubikmeter nichtwärmeentwickelnde Abfälle an. Diese Zahlen sind eine Hochrechnung, dabei geht das BfS vom Weiterbetrieb aller Reaktoren aus, die Wiederaufarbeitung kontrahierter Mengen abgebrannter Brennelemente wird unterstellt etc.. Selbst Stillegungsabfälle sollen in dieser Abschätzung enthalten sein. Das BfS läßt jedoch in diesem Zusammenhang die Planungsdaten für die Stillegung von Atomanlagen offen. Umfassende Sanierungen maroder Rohrleitungssysteme haben in der offiziellen Pro-Atom-Politik des BfS keinen Platz. Die Abfälle aus dem Abriß des AKW Rheinsberg und des AKW-Komplexes in Greifswald tauchen in der Abfallbilanz gar nicht auf.

Steht der Schacht Konrad weiterhin nicht zur Verfügung, wird gar das Endlager Morsleben im Jahr 2000 wieder dicht gemacht, bleibt das ZLN (Greifswald) für „Westabfälle tatsächlich tabu, dann ist bereits vor dem Jahr 2000 mit einem Engpaß für die Lagerung der nicht-wärme-entwickelnden Abfälle zu rechnen. Die Erweiterungspläne für Ahaus und das Faßlager Gorleben können mit Beginn der Rücklieferung von nichtwärmeentwickelnden WAA-Abfällen die Atommüllawine nicht auffangen.
Allerdings hat sich die Atomwirtschaft eine ganze Palette von Ausweichmöglichkeiten geschaffen. Hier von einem Nadelöhr zu sprechen, wäre deshalb verfehlt (siehe Schaubild Nr.1).

Allerdings spielt die Frage, ob der Schacht Konrad den Betrieb aufnimmt oder nicht eine herausragende Rolle. Und die Anti-AKW-Bewegung muß ihre Solidarität mit den Menschen im Raum Salzgitter; die sich dagegen wehren, weitaus stärker als bisher unter Beweis stellen.
Auf einem ganz anderen Blatt steht, daß keine dieser Möglichkeiten einer kritischen Betrachtung standhält: ein sicherer Einschluß gegenüber der Biosphäre müßte auch bei den nicht-wärmeentwickelnden Abfällen Genehmigungsvoraussetzung sein. Die Probleme der Langzeitsicherheit sind auch hier ungelöst. Aus dem Rahmen fällt die ehemalige DDR-Deponie in Morsleben. Die Atomlobby hat gegenwärtig jede Scham abgelegt und will in der Tropfsteinhöhle Morsleben auch mittelaktive Abfälle vergraben. Es ist sonnenklar; daß nach der Asse dort in Morsleben die nächste nukleare ,Alrlast entsteht Aus den Augen aus dem Sinn, solange die Genehmigung es hergibt, das scheint die Devise von Bundesumweltministerin Angela Merkel, ihres Bundesamtes (BfS) und der Betreibern DBE (Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern) zu sein. Wozu? Um Abfallbilanzen zu schönen. Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun! Behördenspitzen und Atommanager handeln vorsätzlich und umweltkriminell.

Präzise und nachvollziehbare Zahlen liegen für die Mengen abgebrannter Brennelemente vor. Allerdings sind die Daten nicht mehr „taufrisch", sie gehen auf die Abfall-Mengenerhebung des Bfs vom Jahr 1994 zurück Demnach waren bis zum 31.12.92 insgesamt 6.107 tSM in Brennelementen angefallen. 2.186 t befanden sind in kraftwerkseigenen Lagern, die restlichen 3.921 t waren zur Wiederaufarbeitung ins Ausland abtransportiert. Lediglich ein Drittel (!), nämlich 2.100 t von den zur Wiederaufarbeitung abgelieferten Brennelementen waren bis zu jenem Stichtag bearbeitet
Insgesamt sind mit der Cogéma (La Hague) exakt 4.652 t SM kontrahiert, mit der britischen Firma BNFL (Sellafield) 884 t SM (Angaben nach BfS, 21.3.95). In La Hague sind bislang 39,6 t Plutonium angefallen, insgesamt, würden die Altverträge ausgeführt, beliefe sich die Plutoniummenge auf 56 t Außerdem sind bislang rund 2.200 t WAU (Uran aus der Wiederaufarbeitung) angefallen, am Ende wären es 5.300 t Dieses Uran ist für die Brennelementfertigung so gut wie unbrauchbar, weil es in Spuren U 236 als Gammastrahler und U 233 als Neutronenfänger enthält Es weiß auch niemand, wo das WAU derzeit lagert.

Hier liegt strategisch unser Ansatz, wenn wir in Gorleben auch gegen die Einlagerung der Kokillen auf die Straße gehen, noch läßt sich durch die Kündigung der Altverträge und den Stopp der Wiederaufarbeitung die Atommüllawine zumindest eingrenzen.



V.
Mangels Endlager für die hochaktiven Abfälle ist zu erwarten, daß die Brennelementzwischenlager faktisch oberirdische Dauerlager werden. Entsorgungspolitisch fallen den Lagerstätten derzeit unterschiedliche Rollen zu.

Das Trockenlager Ahaus wird zunächst für die Entladung des stillgelegten Hochtemperaturreaktors Hamm-Uentrop benötigt, bislang wurden dort keine abgebrannten Brennelemente aus den Leistungsreaktoren eingelagert. Allerdings soll in Ahaus ein Großteil der hoch- und mittelaktiven Strukturteile und Hülsen, die bei der Wiederaufarbeitung anfallen, gelagert werden, vermutlich in einer zusätzlichen Halle mit meterdicken Betonwänden als Abschirmung.

Vorerst ist das Trocken lager in Greifswald für die abgebrannten Brennelemente aus Rheinsberg und Greifswald vorbehalten, Überkapazitäten sind jedoch einkalkuliert.

In Gorleben sollen insgesamt durch kompaktere Lagerung statt der 1.500 t SM in Zukunft 3.800 t SM auf den 420 Stellplätzen konzentriert gelagert werden. Die Erweiterung basiert auf einem geänderten Lagerbehälterkonzept (Castor-V-Konzept). Von den 420 Stellplätzen sind 160 für die Kokillen (pro Behälter 20 bzw 28 Kokillen) aus der Wiederau-arbeitung reserviert Bis zum Jahr 2003 sollen nach den Planungen der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) rund 100 Transporte aus La Hague in Gorleben eintreffen, vom Jahr 2000 erwartet die GNS rund 35 Lieferungen aus Sellafield für Gorleben (FR, 23.2.95). Die Genehmigung wurde seitens des BfS am Freitag vor Pfingsten still und heimlich erteilt.
Endlich! Ein Nadelöhr!
Dem Widerstand im Wend land fällt strategisch von daher eine doppelte Funktion zu. Die monatelange Auseinandersetzung um den ersten Castor-Transport aus dem AKW Philippsburg nach Gorleben hat den Entsorgungsmythos der Atomlobby schwer angekratzt. Die Auseinandersetzung um den ersten Transport hatte ein pragmatisches Ziel - nämlich die Einlagerung zu verhindern. Und sie hatte eine symbolische Bedeutung, das Entsorgungsdilemma ist eines der wichtigen Argumente, ein Treibsatz im Kampf gegen das Atomprogramm insgesamt. Nun, wir haben eine Niederlage zu verkraften, der erste Castor ist da. Aber die Entschlossenheit, den politischen und realen Preis bei jedem weiteren Einlagerungsversuch weiter in die Höhe zu treiben, ist gewachsen. Klar geworden ist, man kann zwar die abgebrannten Brennelemente von einer Ecke der Republik in die andere karren, aber ein Entsorgungsschritt ist das nicht. Gab es früher in der Anti-AKW-Bewegung symbolträchtige Orte, so formiert sich der Protest heute gegen einen Transport- und Lagerbehälter. Ein flächendecken-des Aktionsprogramm. Es vernetzt die Protestszene zwischen Biblis und Gorleben, Lingen und Ahaus.

Hinzu kommen nun die Abfälle aus der Wiederaufarbeitung. Die GNS beruft sich laut und stark auf die völkerrechtlichen Verträge, die die Rückführung des Atommülls vorsehen. Die Atomgemeinde wird versuchen, ihre verantwortungsvolle Rolle zu betonen, der Müll dürfe doch nicht in Frankreich oder Großbritannien lagern. Das ist richtig. Das sagen wir auch. Aber wir sagen auch, die Verantwortung beginnt nicht erst bei der Rückführung dieser Abfälle, sie beginnt bei/vor der Vertragsschließung. Solange die Altverträge mit der Cogéma nicht gekündigt werden, solange die Anlage in Sellafield noch beschickt wird, ist jede Blockade der Kokillen nicht nur gerechtfertigt, sondern zwingend notwendig.

Das ist die Verantwortung, die wir bereit sind zu übernehmen: Es muß Schluß sein mit der Plutoniumwirtschaft, die Atommüllawine muß gestoppt, die Entsorgungslüge „Wiederaufarbeitung“ permanent angeprangert werden.

Allerdings gibt es einige politische Fallstricke, die wir dabei bedenken müssen. Es ist absehbar; daß uns nationalborniertes Denken und Verhalten unterstellt wird. Also werden wir es vermeiden, daß irgendeine Blockade an Grenzbahnhöfen stattfindet Ja, wir sind für die Rückführung des MülIs, wir wollen keine Billiglösung auf Kosten von Menschen in Osteuropa. Denn wenn die Atomgemeinde von der Internationalisierung des Problems spricht, meint sie nichts anderes als derartige Schlupflöcher, um sich den politischen Ärger hier im Lande zu ersparen. Wir sind gegen den Müllexport und für die Rückführung der Abfälle, weil wir dieses Ärgernis hier im Lande austragen wollen.

Allerdings werden wir uns hüten, irgendeinen passablen Vorschlag für die Lagerung der Abfälle in diesem unserem Lande zu unterbreiten, weil wir sicher sein können, daß damit dem Weiterso in der Plutonium- und Atomwirtschaft der Weg bereitet wird. Wir bieten, um die Ernsthaftigkeit unseres Anliegens zu unterstreichen, den Standortinitiativen in Krümmel, Brunsbüttel, Grohnde und anderswo unsere Unterstützung an, wenn sie das Übel an der Wurzel bekämpfen wollen. Wenn sie den Abtransport der abgebrannten Brennelemente in Richtung La Hague oder Sellafield unterbinden wollen. Praktische Solidarität ist unsere spezifische Form eines „Entsorgungsvorsorgenachweises“, und diesen Nachweis müssen wir auch antreten. Blockaden dieser Transporte hat es in jüngerer Vergangenheit immer gegeben, sie sind nur publizistisch und politisch nicht so wahrgenommen worden wie unsere Querstellerei gegen den Castor.

Über den Bau des Endlagers in Gorleben habe ich nur am Rande etwas gesagt. Das ist natürlich grundfalsch. Im Schatten der Auseinandersetzung um Atomtransporte und die Brennelementdauerlager wird in Gorleben weiter abgeteuft. Auf der anderen Elbseite, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sollen nun hydrogeologische Untersuchungen beginnen, insgesamt sind mehr als 130 Bohrungen ausgeschrieben. Das BfS strengt ein Enteignungsverfahren gegen den Gorleben-Kläger Andreas Graf von Bernstorff an, um dessen Salzgerechtigkeiten auszuhebeln. Derzeit spricht vieles dafür; daß die Bundesumweltministerin Angela Merkel sich auf Gorleben festgelegt hat und daß anderslautende Meldungen, auch an anderen Standorten solle ein Erkundungsprogramm stattfinden, nur Nebelkerzenfünktion haben. Wir sollen glauben, mit dem Endlager Gorleben werde es am Ende nichts. Die Hausarbeit, die wir also zu erledigen haben, ist breiter gefächert. Unsere Arbeit darf sich nicht vereinseitigen, sich gar nur auf den nächsten Castor beschränken. Der Atommüllstandort Gorleben buchstabiert sich wie folgt: Bundesendlager. Ob es als oberirdisches oder unterirdisches Dauerlager Gestalt annimmt, spielt für den Widerstand nur eine untergeordnete Rolle. Das Nadelöhr ist Gorleben. Wir verstopfen es!



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