neue hanauer zeitung Sonderausgabe: Atomzentum Hanau (November 1986)


Schwere Anklage gegen ALKEM

Anklage gegen 2 ALKEM-Manager und 3 Ministerial- beamte

Am 20.10.86 hat die Hanauer Staatsanwaltschaft die wesentlichen Punkte der Anklage gegen die Nuklearmanager der ALKEM vorgestellt. Obgleich 37 Punkte wesentlicher Änderungen vorliegen, hat sich der Vertreter der Anklage auf 6 Einzelpunkte konzentriert.

Offensichtlich hat sich die Staatsanwaltschaft auf jene Änderungen konzentriert, die auch eine Verringerung des Sicherheitsstandards bedeutet haben. Damit wäre auch die These der Genehmigungsbehörde hinfällig, alle "Zustimmungen seien auf dem Hintergrund einer größeren Sicherheit geschehen.

Wie wollen die Betreiber begründen, daß die Sicherheit der Nuklearfabrik erhöht wird, wenn mehr Plutonium in Umlauf gebracht wird? Es ist klar, daß eine höhere Gefährdung entsteht, wenn statt 2,6 kg plötzlich bis zu 3,5 kg Plutonium pro Transport im Werk herumgereicht werden dürfen.

Die Anklagen gegen drei führende Mitarbeiter im Wirtschaftsministerium - Hermann Frank, Ulrich Thurmann und Angelika Hecker - sind damit begründet, daß die Beamten vorsätzlich die Öffentlichkeitsbeteiligung, die durch den § 7 des Atomgesetzes vorgesehen ist, umgehen wollten.

Die eigens von den Ministerialbeamten gebastelten " Vorabgenehmigungen" sind ohnehin durch kein Gesetz abgedeckt.

Da die ALKEM-Manager offensichtlich befürchteten, daß die Öffentlichkeit unangenehme Fragen stellen könnte, muß sich zwischen Behörde und Firma ein Absprachesystem entwickelt haben, das der Staatsanwaltschaft verdächtig erschien.

Die Erhebung der Anklage gegen die drei Beamten führte endlich dazu, daß die drei von ihren Tätigkeiten suspendiert wurden. Die Atomkraftgegner hatten dies in den letzten Erörterungsterminen für RBU und HOBEG 1985 stets verlangt, der zuständige Minister aber hatte das Mitarbeiter-Trio immer in Schutz genommen.

Erstaunlich ist, daß die Staatsanwaltschaft keinerlei Hinweise für eine Verantwortung des zuständigen Ministers, Wirtschaftsminister Steger, gefunden hat. Obgleich Steger erst seit 2 Jahren im Amt ist, hat er doch stets die Aktivitäten seiner Genehmigungsbehörde gedeckt und damit auch politisch verantwortet. Wenn diese Beamten sich nun von anderen, höheren Stellen geschützt fühlen, so wird sich zeigen, wer im Wirtschaftsministerium oder im Bundesinnenministerium all die illegalen Vorgänge noch mitzuverantworten hat.

Insgesamt 2.000 Aktenordner hat die Ermittlungsbehörde während ihrer zweijährigen Recherche unter die Lupe genommen. Die Staatsanwälte sind überzeugt, daß ihnen nichts entgangen ist, da sich sonst in dem Aktenberg Hinweise auf fehlendes Material gefunden hätte.

Bezüglich der Firmen Nukem und RBU hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

Wie selbstsicher der angeklagte Dr. Warrikoff ist, zeigte sich allein in der Tatsache, daß er nur wenige Minuten, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Anklage der stark vertretenen Presse vorgestellt hatte, selbst auf einer Pressekonferenz die Vorwürfe der staatlichen Ermittler schroff zurückwies. Er wusch seine Hände in Unschuld und konnte überhaupt nicht verstehen, daß die Vorabgenehmigungen in irgendeiner Weise anrüchig sein könnten.

Warrikoff griff dabei die Staatsanwälte an und warf ihnen vor, sie betrieben mit den Mitteln der Justiz das Geschäft von SPD und GRÜNEN!

Ganz im Gegensatz zur Einschätzung mancher Interpreten betonte Warrikoff, daß ohne die zur Anklage stehenden wesentlichen Änderungen die ALKEM lahmgelegt werde. Warrikoff: "Ohne Abfallbehandlungsanlage ginge der Betrieb nicht." Staatsanwalt Hübner hatte demgegenüber unterstrichen: "Wir haben keine Anklage wegen illegalen Betriebs der Gesamtanlage erhoben."

Warrikoff, der bereits vor der Anklageerhebung die Staatsanwaltschaft zu äußerster Objektivität "ermahnt" hatte, meinte zu dem Vorwurf des unzulässigen Zusammenwirkens von Antragsteller und Genehmigungsbehörde: Daßsich"Firma, Beamte und die politischen Führungen der Ministerien darum bemüht haben, rechtlich einwandfreie Grundlagen für den vom Gesetzgeber gewollten Weiterbetrieb der ALKEM festzulegen ",sei keinesfalls unerlaubt, "sondern war und ist ihre gesetzliche Verpflichtung". Der Atommanager: "Alle Änderungen waren notwendig - sie waren auch sicherheitstechnisch verantwortbar". Und: "Ich würde das auch heute wieder so machen." Wer wollte daran zweifeln?

Warrikoft und Stoll bald auf der Anklagebank

Wenig Glück schienen bisher die Vertreter der Initiativgruppe Umweltschutz Hanau mit den Klagen beim Verwaltungsgericht in Frankfurt und der nächsthöheren Instanz, dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel, zu haben. Um so erfolgreicher erscheint jedoch eine Aktion, die keine Kosten verursacht hat: Strafanzeigen gegen die Firmen NUKEM und ALKEM, RBU und HOBEG wegen illegalen Betreibens einer kerntechnischen Anlage, gemäß Paragraph 327 StGB.

Am 7. Oktober 1984 beschloß die Landesversammlung der GRÜNEN, daß die Tolerierung mit der SPD aufzukündigen sei, wenn die erste Teilerrichtungsgenehmigung für das neue Gebäude NUKEM 2 vom Hessischen Minister für Wirtschaft und Technik erteilt werde. Gleichzeitig stellten die GRÜNEN fest, daß die Firma ALKEM illegal arbeitete. Insbesondere war von der Hanauer Bürgerinitiative (IUH) darauf verwiesen worden, daß die Firma ALKEM durch den Bau und den Betrieb des Plutoniumbunkers eine wesentliche Änderung durchgeführt habe, die zum damaligen Zeitpunkt nicht einer Öffentlichkeitsbeteiligung unterzogen wurde.

Strafanzeige gegen ALKEM

Im Laufe des Monats Oktober 1984 sickerte durch, daß die Firma ALKEM in einem Zeitraum von 8 Jahren 37 wesentliche Änderungen an ihrer Anlage vollzogen habe. Dies veranlaßte ein Mitglied der Hanauer BI, durch den Hanauer Rechtsanwalt Matthias Seipel am 31.10.1984 Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Hanau gegen die Geschäftsführer der Firma ALKEM GmbH zu erstatten, um damit ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Betreibens einer Anlage gemäß Paragraph 327 Strafgesetzbuch (StGB) einzuleiten. Weiterhin wurde beantragt, gegen die verantwortlichen Sachbearbeiter im hessischen Wirtschaftministerium, Thurmann und Frank, ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Betreiben einer unerlaubten Anlage gem. Paragraph 327 StGB einzuleiten. In der Begründung weist der Hanauer Rechtsanwalt nach, daß die Firma ALKEM offensichtlich ihren Genehmigungsantrag vom 12.12.1975 gem. Paragraph 7 Atomgesetz (AtG) mehrfach zurückgenommen habe. So schrieb die Firma unter anderem am 10.9.1984 an den Hessischen Minister für Wirtschaft und Technik: ,Wir bitten Sie, unser Schreiben vom 9.12.1983 als gegenstandslos zu betrachten." Darüber hinaus verfolge die ALKEM nicht die Fortsetzung des bisherigen Betriebes. Vielmehr plane sie eine völlig neue Anlage, die mit der Altanlage überhaupt nicht mehr identisch ist.

Neuerdings wurde durch das Geulen-Gutachten bekannt, daß sämtliche Hanauer Betriebe, also nicht nur die ALKEM, bis zum heutigen Tage noch keine Anlagengenehmigung vorweisen können, das bedeutet, daß es sich hier wohl um die einzigen Nuklearanlagen in der Bundesrepublik handelt, bei denen zu keinem Zeitpunkt die Standortfrage geprüft wurde bzw. zu keinem Zeitpunkt die Errichtung der Anlagen einem Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung unterzogen wurde.

37 wesentlichen Änderungen großzügig "zugestimmt"

Wie großzügig offensichtlich die Genehmigungsbehörde in Zusammenarbeit mit der Antragstellerfirma ALKEM umgegangen ist, belegt die Tatsache, daß die Firma ca. 37 wesentliche Änderungen per  "Zustimmung" oder "Teilzustimmung" bekommen hat. Insbesondere ist dabei die Errichtung und der Betrieb eines Plutoniumbunkers zu erwähnen. Aufgrund der Genehmigung aus dem Jahre 1974 war es der Firma ALKEM erlaubt,mit einer Menge von 460 kg Plutonium umzugehen. Da das alte Spaltstofflager nicht mehr den Sicherheitsanforderungen entsprach, erging vom Minister eine Auflage gem. Paragraph 17 AtG, wonach das Spaltstofflager erdbebensicher auszulegen sei.
Das darauf errichtete und in Betrieb genommene Spaltstofflager (Plutoniumbunker) wurde dann jedoch für eine Kapazität bis zu 10 Tonnen ausgelegt. Insoweit ist dieser Bunker von der Dimension her nicht mehr mit den Erfordernissen des alten Spaltstofflagers identisch. Eine solche Erweiterung kann nach Ansicht von Anwalt Seipel nicht im Wege einer Auflage erfolgen, sondern bedürfe einer eigenen Genehmigung nach Paragraph 7 des Atomgesetzes. Diese Genehmigung jedoch liege bis heute nicht vor. Hier sei vielmehr im Vorgriff auf eine zu erwartende Genehmigung gehandelt worden. Der Hanauer Anwalt meint:
"Der Plutoniumbunker wurde auch nicht von der zuständigen Behörde genehmigt. Vielmehr erteilte die Stadt Hanau mit Bau-schein-Nr. 513/75 eine ungewöhnliche Baugenehmigung nach den baurechtlichen Vorschriften."

Desweiteren habe der Hessische Minister für Wirtschaft und Technik (HMWT) eine Änderung der Fertigungslinie für die Pulverherstellung gestattet. Bei der Änderung der Produktion handele es sich um eine wesentliche Änderung der Anlage.

Bedenkenswert sei auch, daß der HMWT am 6.9.1982 einer Erhöhung der innerbetrieblichen Spaltstoff-Transporteinheiten zugestimmt haben.

"Zustimmung" jedoch gibt es als atomrechtliche Erlaubnis nicht.

Noch eine Reihe von weiteren wesentlichen Änderungen werden in dieser Strafanzeige aufgeführt. So seien unter anderem Versuchsprogramme mit erhöhten Spaltstoffdichten erlaubt worden, eine Erhöhung der Spaltstoffmengen gestattet worden ("Zustimmungsbescheid") oder gar "eine erste Teilzustimmung" zur Verlegung der Chemie-Anlage in den Plutoniumbunker ergangen.

Erwähnt wird in dieser Strafanzeige auch die Errichtung und der Betrieb einer Abfallbeseitigungsanalge. Dabei handele es sich offenbar um einen völlig neuen Anlageteil, der also nicht gem. Paragraph 7 AtM genehmigt ist.

All diese unerlaubten "Zustimmungen" und "Teilzustimmungen" erfüllen nach der rechtlichen Auffassung des Anwaltes den subjektiven Tatbestand des Paragraphen 327 StGB.
Da die zuständigen Sachbearbeiter im hessischen Wirtschaftsministerium seit langem mit derartigen Genehmigungsverfahren befaßt sind, müßte ihnen sehr wohl klar sein, daß der Begriff "Zustimmung" im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nicht existiert. Damit hätten sie bewußt das Betreiben der Anlage und die Durchführung der Änderungen ohne die erforderliche Grundgenehmigung ermöglicht. Dies rechtfertigte auch den Verdacht der Beihilfe, eventuell sogar der Rechtsbeugung.

Staatsanwalt durchsucht die ALKEM

Die Strafanzeige hatte zwar in der Presse ein breites Echo erreicht, die betroffene Firma ALKEM jedoch hüllte sich in Schweigen. Offensichtlich nahm man diese Anzeige in der Geschäftsführung nicht allzu ernst. Als jedoch die Staatsanwaltschaft am Dienstag, dem 11. Dezember 1984 plötzlich vor den Toren der ALKEM stand und eine Durchsuchungsanordnung vom 13. November 1984 dem überraschten Pförtner präsentierte, mußten auch die ALKEM-Geschäftsführer erkennen, daß die Staatanwaltschaft offensichtlich die Strafanzeige ernst nehmen würde. Dies sei "ein drastischer Schritt", meinte die Geschäftsführung von ALKEM, sie sicherte jedoch dem Chef der Hanauer Staatsanwaltschaft, Albert Farwick' "die volle Mitarbeit in dieser Angelegenheit" zu. Der Staatsanwalt bezeichnete denn auch das Verhalten der Firma als "kooperativ". Mehrere Schränke voller Akten wurden auf dem Firmengelände in Verwahrung genommen. Da selbst die Staatanwaltschaft sich nicht in der Lage sah, im Gebäude des Gerichts ge-nügend Raum für die Hunderte von Akten bereitzustellen, wurde ein Raum im ALKEM-Gebäude extra freigemacht, um dort die gesamten Akten zu lagern, die der Staatsanwalt für seine Ermittlungen benötigte. Ein neues Schloß an dieser Tür wurde eingebaut, die Staatsanwaltschaft gestattete jedoch der Fa. ALKEM, dennoch an die Akten, wenn nötig, heranzukommen.
 

300 Ordner im Ministerium beschlagnahmt

Nach Inangriffnahme der riesigen Aktenberge bei der Fa. ALKEM muß die Staatsanwaltschaft doch gemerkt haben, daß sich im Zusammenspiel zwischen ALKEM und dem Wirtschaftsministerium ein reger Briefwechsel entwickelt hat. Womöglich, um mehr Licht in diesen Wust zu bringen, tauchte die Hanauer Staatsanwaltschaft dann am 22.2.1985 auch im Wirtschaftsministerium auf. Wie der zuständige Staatsanwalt Hübner erkennen läßt, sei es keine förmliche Beschlagnahme der mehreren hundert Aktenordner gewesen, vielmehr habe das Ministerium die Akten zur Verfügung gestellt. Auch hier fand die Überprüfung in eigenen Besprechungszimmern statt, die den Ermittlungsbehörden überlassen worden seien. Hierbei jedoch war nach Pressemitteilungen nicht die Rede davon, daß die Türschlösser zu diesen Räumen ebenfalls ausgetauscht werden mußten. Das Ministerium habe sogar den Hanauer Fahndern ein Kopiergerät zur Verfügung gestellt. "Alles geschieht in sehr freundlicher Atmosphäre, so wie Beamte mit anderen Beamten umzugehen haben", meinten die staatlichen Durchsucher.

Im Februar 1985 hatte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) dem hessischen Wirtschaftsminister Ulrich Steger (SPD) geraten, der Hanauer Staatsanwaltschaft die Akten über die umstrittenen Genehmigungsverfahren nicht zur Verfügung zu stellen. Steger selbst jedoch wertete diesen Ratschlag als Versuch, "uns in eine schmutzige Geschichte hereinzuziehen". Dies wissend, befolgte Steger eine solche Empfehlung nicht. Seine Mitarbeiter der Atomabteilung erhielten eine Aussagegenehmigung gegenüber der Staatsanwaltschaft. Offentsichtlich hielt der Hessische Wirtschaftsminister nichts davon, daß "das Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes" gefährdet

sei, wie der Bundesminister (laut Paragraph 96 StPO) vorgab.
 

Strafanzeige auch gegen NUKEM

Im Zuge der Ermittlungen gegen ALKEM dehnte die Staatsanwaltschaft ihre Nachforschungen auch auf die Fa. RBU aus. Am 26.3.1985 erstattete ein Mitglied der Initiativgruppe Umweltschutz Hanau (IUH) ebenfalls Strafanzeige gegen die Fa. NUKEM. Begründet wurde diese Anzeige damit, daß sich aus dem gesamten Verfahren für die Fa. NUKEM ergebe, sie sei lediglich interessiert an einem Neubau und habe zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, ein Genehmigungsverfahren für die Altanlage zu betreiben, wie Rechtsanwalt Matthias Seipel ausführte. Inzwischen wurde der hessische Wirtschaftsminister Steger von der Initiativgruppe Umweltschutz aufgefordert, die beiden zuständigen Sachbearbeiter im Ministerium, Hermann Frank und Ulrich Thurman, "wegen Besorgnis der Befangenheit von der Mitwirkung an dem vorliegenden Verwaltungsverfahren auszuschließen". Da beide Sachbearbeiter alles getan hätten, um entgegen den Vorschriften die Öffentlichkeit von dem Verfahren femzuhalten.

Im Laufe von nunmehr fast 2 Jahren sichtete die Hanauer Staatsanwaltschaft Blatt um Blatt der zahlreichen Unterlagen für die Nuklearbetriebe in Hanau-Wolfgang. Gutachten und Expertisen wurden in Auftrag gegeben, die sowohl die rechtliche als auch tatsächliche (materielle) Situation der Firmen prüfen sollten. Die von Minister Steger verfügte Teilstillegung der Firma RBU Anfang Mai 1985 veranlaßte die zuständigen Staatsanwälte, den Raum 13 im Spaltstofflager der ALKEM mit in die Untersuchungen einzubeziehen.

Ein Gutachter wird unter Druck gesetzt

Am 10.4.1986 trat das Magazin STERN mit einer sensationellen Enthüllung an die Öffentlichkeit. Der von der Staatsanwaltschaft Hanau für ein Gutachten ausgesuchte Strahlenschutzexperte Dr. Bernhard Götz vom Technischen Überwachungsverein Hessen (TÜV) war mit seiner eigenen Behörde über Kreuz gekommen. TÜV-Fachmann Götz sollte sich im Auftrag der Staatsanwaltschaft zu der Frage äußern, ob die 3 Firmen ALKEM, NUKEM und RBU wegen unerlaubten Betreibens einer kerntechnischen Anlage zu belangen seien. Die Arbeit des Gutachters Götz jedoch hatte inzwischen unter anderen TÜV zu Verstimmungen geführt. Brisanterweise nämlich sitzt im Vorstand dieses Überprüfungsvereins auch der Geschäftsführer der Reaktor-Brennelement-Union Hanau,
Dr. Erich Zastrow.

Gutachter Götz hatte seine Arbeit indes völlig unvoreingenommen begonnen. Am 14.2.1985 wurde er von dem Geschäftsführer des TÜV Hessen, Prof. Dr. Manfred Wahlster, schriftlich aufgefordert, ihn über alle Einzelheiten seiner Ermittlungen zu unter-

richten. Wahlster ging sogar soweit, ihn "zur vertraulichen Behandlung der Unterlagen und zum Stillschweigen gegenüber Dritten" zu verpflichten. Da Götz sich jedoch nur dem Staatsanwalt verpflichtet wußte, weigerte er sich, seinem Chef irgendwelche Ergebnisse mitzuteilen.

TÜV-Chef Wahlster legte dann seinem widerspenstigen Mitarbeiter am 25.9.1985 nahe, doch zu kündigen. TÜV-Vorstandsmitglied Dr. Zastrow indes war längst über die für ihn unangenehmen Tätigkeiten des TÜV-Gutachters Götz informiert gewesen. Als offensichtliche Falle für den unbequemen Mitarbeiter benutzte Wahlster schließlich die Tatsache, daß Götz anstatt mit der Staatsanwaltschaft zwei Spesenabrechnungen zu begleichen, diese beiden Quittungen beim TÜV abgerechnet hatte. Am 2.10.1985 wurde Götz schließlich gekündigt. Wahlster gab sogar den zuständigen Staatsanwälten gegenüber zu, daß er die fristlose Kündigung allein mit dem RBU-Chef Zastrow abgesprochen habe.

Die Statsanwälte drohten nunmehr mit einem Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung, Begünstigung und Anstiftung, da sie nicht bereit waren, unter fadenscheinigen Begründungen die Arbeit der Ermittler blockieren zu lassen. Schließlich lenkte der TÜV-Hessen am 3.10.1985 ein und zog die fristlose Kündigung bis zum Abschluß des Gutachtens zurück.

Gutachter Götz war von Stund' an ein Außenseiter in seiner Behörde. Am 14.2.1986 forderte sogar Wahlster 2 Götz-Mitarbeiter schriftlich auf , "in zukunft jeden dienstlichen Kontakt mit Dr. Götz zu meiden". Am 10.3.1986 leiteten die Ermittlungsbehörden daher ein Verfahren gegen den TÜV-Chef Wahlster wegen des Verdachts der Begünstigung und Strafvereitelung ein. Auch die Landesregierung wurde hiervon informiert. Ende Juni 86 schließlich ließ TÜV-Geschäftsführer Wahlster erkennen, daß er sich mit der Staatsanwaltschaft geeinigt habe. Die gegen Götz erhobenen Anschuldigungen der Urkundenfälschung und des Spesen-betrugs  seien  "nicht aufrechterhalten" worden.

Welche Rolle der technische Geschäftsführer von RBU, Dr. Zastrow, tatsächlich in diesem Schmierenspiel gespielt hat, wird wohl nie ans Tageslicht kommen. Gutachter Götz konnte im Sommer 1986 dann endgültig seine lange Expertise über die Änderungen bei den Hanauer Nuklearbetrieben und deren möglichen sicherheitsrelevanten Auswirkungen zu Ende bringen.

Die Anklage steht

Inzwischen haben die Hanauer Strafverfolger über 800 Ordner aus den Ministerien und den Chefetagen der Atomindustrie durchgearbeitet. Wie selbst Experten im Bundesinnenministerium bereits vor 6 Jahren erkannten, wurde der Gesichtspunkt der betriebs-wirtschaftlichen Rentabilität bei den Hanauer Nuklearbetrieben allzu lange im Vordergrund gesehen. Dieser Verdacht dürfte sich auch für die Staatsanwaltschaft verdichtet haben. Es ist anzunehmen, daß die Staatsanwaltschaft Verdacht auf "unerlaubtes Betreiben einer kerntechnischen Anlage" teilt. In 18 Fällen sei die Anlage ALKEM, im Zusammenwirken zwischen der Behörde und der Firma, wesentlich verändert worden, ohne daß eine gültige Genehmigung bestanden hätte. Den Vorwand, die Atommanager hätten die Firma nur sicherer machen wollen, scheinen die staatlichen Ermittler nach Durchsicht aller Akten nicht zu glauben. Die Umbauten bei ALKEM erscheinen auch den Staatsanwälten suspekt, denn sie bedeuteten eine Verringerung des Sicherheitsniveaus. Sicherheitsgründe halten daher die Ermittler nur für vorgeschoben, da-mit der "Schein der Legalität" gegeben sei. Wirtschaftliche Gründe sowie der Wunsch nach Produktionsausweitung seien allein maßgeblich für die wesentlichen Änderungen gewesen.

Insgesamt besäßen die Anlagen in Hanau-Wolfgang nach nunmehr 12 Jahren immer noch keine endgültige Betriebserlaubnis. Ebenso vermissen die Staatsanwälte die

notwendigen Genehmigungen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Eine mangelhafte Auslegung gegen Störfälle sei ebenfalls festzustellen. Am 14. Mai 1982 bereits hatte der Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesinnenministerium das Problem ALKEM angesprochen: "Die Anlage genügt derzeit nicht den Anforderungen gegen Flugzeugabsturz."

Verurteilung und was dann?

Die jetzt erstellte, 680 Seiten umfassende Anklageschrift muß noch vom Hanauer Landgericht auf ihre Schlüssigkeit geprüft werden. Hiervon wird abhängen, ob das Hanauer Landgericht das Hauptverfahren eröffnet. Die Beschäftigung mit diesem umfangreichen Schriftstück wird einige Monate in Anspruch nehmen, so daß Geschäftsführer Dr. Warrikoff noch in Ruhe seinen Bundestagswahlkampf durchführen kann.

Sollte das Hanauer Landgericht zu einer Anklageerhebung kommen, so wäre dies in der Bundesrepublik der erste Fall einer Strafverfolgung gem. § 327 StGB wegen unerlaubten Betreibens einer kerntechnischen Anlage. Die "lex-Hanau'~, wie die Überleitungsbestimmung aus dem Jahre 1975 in Juristenkreisen schon genannt wird, könnte, wenn die Richter zu einer Verurteilung kommen, eine vom Gesetzgeber vielleicht nicht gewollte "poena-Hanau" hervorgerufen haben.
Falls das Landgericht Hanau in frühestens 3 Monaten die Eröffnung des Haupt-verfahrens betreiben wird und es zu einer Verurteilung kommen sollte (die Höchststrafe von 5 Jahren Gefängnis droht im schlimmsten Fall), so bleibt zu fragen, ob damit das Atomprogramm einen schweren Schlag erlitten hat. Männer wie Warrikoff oder Stoll sind austauschbar.

Wenngleich das strahlende Image der Betriebe - alles nach Recht und Gesetz getan zu haben - dahin ist, so werden andere "Verantwortliche" das Geschäft mit dem "schmutzigen Gold" weiter betreiben. Selbst wenn eine Firma geschlossen wird, so hat der Gesamtkonzern der Stromversorger und Energielieferanten sich längst einen Ausweg überlegt. Die Kraftwerk-Union, die bei ALKEM und RBU über einen Anteil von 60% verfügt, hat für die RBU z.B. schon den Ausweg in der Schublade, falls diese Firma bei der Genehmigung in Schwierigkeiten gerät. Sie will sich bei der amerikanischen Brennelementfabrik Exxon in Lingen einkaufen, um weiterhin im Geschäft zu bleiben. Die Atommafia hält sich so lange gute Ersatzlösungen parat, wie sie dies politisch durchsetzen kann.

Daher gilt es, nicht nur die Schließung von NUKEM, ALKEM, RBU und HG-BEG, sondern auch die Stillegung aller weiterer Atomanlagen durchzusetzen. Sollte der juristische Weg uns diesem Ziel einen kleinen Schritt näher bringen, so hat er seine Funktion erfüllt. Die Hauptarbeit aber muß auf der Straße und im politischen Kampf geleistet werden.

Elmar Diez
Dokumentation - Aus der Anklageschrift gegen Warrikoff, Stoll u.a.

Wegen des besonderen Interesses, das die Anklage gegen die Alkem-Geschäftsführer und die leitenden Beamten des Wirtschaftsministeriums gefunden hat, dokumentieren wir die Presseerklärung der Hanauer Staatsanwaltschaft in wesentlichen Auszügen im Wortlaut. (die Anklageschrift selbst umfaßt 680 Seiten):
"Am 16.10.1986 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau Anklage bei der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Hanau erhoben gegen die Geschäftsführer der Firma Alkem GmbH
a) Prof. Dr. Wolfgang Stoll
b) Dr. Alexander Warrikoff
wegen des unerlaubten Betreibens von kerntechnischen Anlagen (§ 327 StGB) sowie gegen die Beamten des Hessischen Ministers für Wirtschaft und Technik
a) Ministerialdirigent Hermann Frank
b) Leitender Ministerialrat Ulrich Thurmann
c) Ministerialrätin Dr. Angelika Hecker
wegen Beihilfe zum unerlaubten Betreiben von kerntechnischen Anlagen (§§ 327, 27 StGB).
Im einzelnen wird der Vorwurf erhoben, daß die beschuldigten Geschäftsführer zwischen 1975 und 1984 in mindestens sechs Fällen fortgesetzt handelnd wesentliche Veränderungen des Betriebes bzw. der Anlage der Firma Alkem vorgenommen haben, ohne im Besitz der hierfür nach dem Atomgesetz erforderlichen Genehmigung gewesen zu sein.
Den beschuldigten Beamten wird vorgeworfen, diesen atomgesetzwidrigen Zustand nicht nur geduldet, sondern den Geschäftsführern durch die Erteilung von atomgesetzwidrigen "Zustimmungserklärungen" bewußt bei der Durchführung der "wesentlichen Änderungen" Beihilfe geleistet zu haben.

Im einzelnen handelte es sich um folgende wesentliche Veränderungen:
1. Erhöhung der innerbetrieblichen Spaltstofftransporteinheiten von 2,6 kg auf 3,5 kg Plutonium pro Transport (Zustimmungserklärung vom 4.9.82, Anm. d. Red.)
2. Lagerung von Brennstäben mit hoher Spaltstoffanreicherung im Spaltstoffbunker der Firma Alkem (ZE vom 20.12.82, Anm. d. Red.)
3. Änderung der Brennstablinie 1 in einem Arbeitsraum der Firma Alkem (ZE vom 20.12.82, Anm. d. Red.)
4. Einführung der Konversion nach dem A (U/Pu) C-Verfahren (ZE vom 31.1.83, Anm. d. Red.)
5. Erhöhung der Spaltstoffdichte in der Fertigungslinie II der Firma Alkem (ZE vom 29.4.83, Anm. d. Red.)
6. Errichtung einer Abfallbehandlungsanlage bei der Firma Alkem GmbH (ZE vom 9.4.84, Anm. d. Red.).
Den Ermittlungen liegt eine Strafanzeige eines Hanauer Bürgers vom Oktober 1984 zugrunde.
Im Zuge der Ermittlungen erfolgten zwei Durchsuchungen der Firma Alkem im Dezember 1984 und im Mai 1985 sowie die Einsichtnahme in die Genehmigungsunterlagen bei dem Hessischen Minister für Wirtschaft und Technik, beim Bundesminister des Innern und beim TÜV Bayern."

"Bezüglich des Dr. Helge Schier wurde gleichzeitig mit Erhebung der Anklage bei der Strafkammer die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Absatz 1 StPO beantragt. Herr Dr. Schier hat sich bei seiner staatsanwaltschaftlichen Ve-nehmung unwiderlegbar dahingehend eingelassen, daß er erst seit Spätsommer 1982 Genehmigungsreferent für die Firma Alkem gewesen sei. Nach einer internen Anweisung sei er in erster Linie für die Durchführung des eigentlichen Genehmigungsverfahrens nach § 7 Atomgesetz für die Gesamtanlage der Firma Alkem zuständig gewesen. Mit wesentlichen Veränderungen sei er nur noch am Rande befaßt gewesen.
Auch bezüglich des Geschäftsführers der Firma Alkem, Horst Roepenack, wurde die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Absatz 1 StPO beantragt. Nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung war Herr Roepenack nicht mit dem Genehmigungsverfahren nach § 7 Atomgesetz befaßt.
Bezüglich des Geschäftsführers der Firma Alkem Ernst Stöcker wurde das Verfahren gemäß § 154 Absatz 1 StPO eingestellt. Herr Stöcker war bei der Firma Alkem nach seiner eigenen Einlassung nur kaufmännischer Geschäftsführer und ebenfalls nicht mit dem Genehmigungsverfahren befaßt. Gegen ihn ist bei der Staatsanwaltschaft Hanau ein weiteres Ermittlungsverfahren anhängig, welches seine Geschäftsführertätigkeit bei der Firma RBU GmbH betrifft. Die Einstellung erfolgte im Hinblick auf dieses Verfahren. Im übrigen würde ein mögliches Verschulden von Herrn Stöcker hinsichtlich seiner Tätigkeit bei der Firma Alkem als gering anzusehen sein.



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