neue hanauer zeitung Sonderausgabe: Atomzentum Hanau (November 1986)
Ein Störfall jagt den anderen
Die hier beispielhaft zusammengestellte Liste von Vor-, Zwischen- und
Unfällen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Pressesprecher
von RBU und ALKEM, Dr. Jend, erklärte der Frankfurter Rundschau gegenüber:
"Wenn Sie über alle Leckagen berichten wollen, die in Hanauer Industriebetrieben
vorkommen, dann wäre Ihre Zeitungsausgabe so dick wie ein Telefonbuch".
Diese Tatsachenbehauptung rückt auch die bislang in die Öffentlichkeit
gelangten Vorfälle bei den Hanauer Nuklearbetrieben ins richtige Licht.
Aufgrund der gestiegenen Aufmerksamkeit sahen sich die Hanauer Nuklearbetriebe
zwar genötigt, in jüng-ster Zeit häufiger mit Vorkommnissen
an die Öffentlichkeit zu treten. Bedeutendere Vorfälle allerdings
hielten sie stets unter Verschluß. Erst durch sogenannte Indiskretionen
kamen einige dieser bedeutenderen Vorfälle ans Tageslicht.
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.... 1980: Werkstudenten aus dem RBU-Werk in Hanau entwenden mehrere Brennstofftabletten
(FR vom 8.10.1980).
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Undatiert: Vor etlichen Jahren werden bei Urinproben von Mitarbeitern einer
Nuklearfirma erhöhte Konzentrationen von Uran entdeckt. Die Firmen
deuten an, daß es sich um eine bewußte Kontamination von Mitarbeitern
gehandelt haben soll.
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8.2.1984: Beim Reinigen eines Transportbehälters für Uran-Hexa-Fluorid
(UF6) entweicht eine Wolke des giftigen Rohstoffs. Nach Darstellung von
Dr. Jend, Pressesprecher der Firmen ALKEM und RBU, seien es nur wenige
Milligramm UF6 gewesen. Zunächst wird von der Firma behauptet, die
Arbeiter im Raum hätten nichts abbekommen. Später jedoch wird
zugegeben, daß ein Arbeiter ärztlich überwacht werde.
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8.10.1984: Ein Leiharbeiter wird bei der Fa. ALKEM mit Plutonium verseucht.
Ein Riß am Handschuh sorgt für eine Kontamination des rechten
Armes. Bevor ihm die Maske aufgesetzt wird, atmet er während etwa
45 Sek. Plutoniumstaub ein. Die Blutuntersuchung ergibt, daß Plutonium
ins Blut geraten ist. Genauere Ergebnisse über eventuelle Schäden
liegen bis heute nicht vor
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25.3.1985: Ein Mitarbeiter einer Fremdfirma stürzt während der
Montage einer Abluftleitung bei der RBU aus 4 m Höhe in einen Behälter
mit Ammoniumnitratlösung. Die hervorgerufenen Verätzungen der
Augen-schleimhäute werden über Wochen im Stadtkrankenhaus Hanau
behandelt. Der Arbeiter ist für die Zeitdauer von mehreren Monaten
arbeitsunfähig. RBU überschreibt diesen Vorfall in einer Pressemitteilung
mit folgen-dem Satz: "Glück im Unglück".
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16.10.1985: 3 Mitarbeiter der Hessischen Landesanstalt für Umwelt
werden bei einer regelmäßigen Messung an den Abluftkaminen der
Fa. NUKEM äußerlich kontaminiert. Nach einer Körperreinigung
hätten die Messungen laut Pressesprecher Reinhard Raack vom Hessischen
Wirt-schaftsministerium keine Strahlung mehr ergeben.
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13./14.11.1985: 240 Kubikmeter radioaktiv verseuchtes Abwasser aus der
RBU gelangen in das Kanalsystem der Stadt Hanau. Der für die Abgabe
von Abwässern angegebene Grenzwert von 3,7 Becquerel pro Mililiter
(BqIml) wird überschritten. RBU spricht zunächst von einem Wert
von 4,38 Bq/ml. Am 18.11.85 teilt sie der Stadt Hanau einen Wert von 5,1
BqIml mit. Die Aufsichtsbehörde des Hessischen Ministers für
Wirtschaft und Technik räumt am 7.1.86 einen Wert bis zu 6,0 BqIml
ein. RBU hatte der Aufsicht einen Wert von 7,8 BqIml gestanden. Ein weiterer
Wert von 12 Bq/ml wurde in den Schlauchproben gemessen. Der Grenzwert für
die radioaktive Belastung des Klärschlamms in der Hanauer Kläranlage
wird überschritten, ebenso der Frachtwert im Vorfluter (Main). Der
Vorfall wurde erst durch eine Veröffentlichung der Frankfurter Rundschau
vom 7.12.85 bekannt.
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4.12.1985: 3 Mitarbeiter der Landesanstalt für Umwelt werden an Händen,
Haaren und Kleidungsstücken "leicht" mit Alpha-Strahlen "kontaminiert".
Das Wirtschaftsministerium teilt mit, daß in der Abluft die erlaubten
Grenzwerte zu keinem Zeitpunkt überschritten worden seien.
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21.1.1986: Im Kanalsystem der Degussa-Niederlassung in Hanau-Wolfgang wird
radioaktiv verunreinigter Schlamm entdeckt. Die Kontamination des Schlamms
ist auf eine Reinigungsaktion in den NUKEM-Betriebsanlagen (NUKEM-alt),
die sich auf dem Degussawerksgelände befinde, zurückzuführen.
Die Stadt Hanau wird erst durch den FR-Bericht vom 22.2.1986 davon informiert.
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22.2.1986: Durch einen undichten Handschuh an einer Box wird bei der Fa.
ALKEM ein Mitarbeiter mit Plutonium kontaminiert. Wie die ALKEM selbst
Anfang März der Presse mitteilt, kam es zu einer Überschreitung
der nach Strahlenschutzverordnung jährlich zulässigen Aktivitätszufuhr
um etwa das 1,5fache. ALKEM-Sprecher Juhus Braun bestätigt, daß
die nach Strahlenschutzverordnung zulässige jährliche Aktivitätszufuhr
bei dem Arbeiter um rund 500/0 überschritten wurde. Nach Darstellung
der ALKEM ist dies der erste Fall dieser Art, der sich in dem Unternehmen
ereignete.
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12.6.1986: 1,5 kg Uran in Form von Tabletten und Bruchstücken werden
in einem Staubsaugerbeutel bei der Fa. RBU in Hanau gefunden. Angeb-lich
soll dieses Uran aus dem RBU-Werk 2 in Karlstein (Bayern) stammen. Die
Bildzeitung weiß am 14.6.86 zu berichten: "Atompillen im Müll
gefunden". RBU teilt diesen Vorfall der Staatsanwaltschaft, der Kriminalpolizei
und der Presse mit, "weil wir angesichts der hohen Sensibilisierung der
Bevölkerung in derartigen Fragen für offene Informationspolitik
sind".
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9.7.1986: Gegen 2.35 Uhr verursacht ein bei Neuenhaßlau von unbekannten
Tätern umgesägter Strommast einen Schaden von rund 250000 DM.
Durch die Berührung der Kabel mit dem Boden entsteht ein Kurzschluß
in der 110-KV-Leitung. In einem Bekennerschreiben, das zwei Zeitungen am
Tag darauf mit der Post zugestellt wird, wird erklärt, daß das
Ziel die Hanauer Nuklearfirmen gewesen seien. Wie die FR am 21.7.1986 mitteilt,
habe eine Gruppe mit Namen "Revolutionäre Heimwerker" mitgeteilt:
"Mit dieser Aktion machen wir deutlich, daß auch durch direkte Aktionen
Atomanlagen abgeschaltet werden können". Die betroffenen Firmen in
Hanau-Wolfgang teilen mit, daß die Notstromaggregate angesprungen
seien und, daß der kurzzeitige Stromausfall zu "keinen Sicherheits-
oder sicherungsrelevanten Beeinträchtigungen" geführt habe.
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22.7.1986: Beim Reinigen eines Transportbehälters in der Fa. RBU tritl
erneut das giftige Gas Hexafluorid aus. Aufgrund einer defekten Schlauchstelle
gelangen etwa 20 g dieses hochgiftigen Gases laut Angaben der Firma in
die Luft. 4 Arbeiter müssen sich in Sicherheit bringen. "Sicherheitshalber"
seien Urinproben von den Betroffenen genommen und zur Untersuchung in das
Kernforschungszentrum Karlsruhe geschickt worden.
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?4.8.1986: Um 5.13 Uhr löst der Feuermelder der Firma ALKEM bei der
Hanauer Feuerwehr Alarm aus. Ein Riß in der Kühlmittelleitung
der Kli-maanlage führt zum Verdampfen des Kühlmittels. ALKEM
dementiert, daß es zu einem Brand oder zum Heißlaufen eines
Kompressors gekom-men sei. "Zu keinem Zeitpunkt hatte das Ergebnis eine
sicherheitstechnische Bedeutung".
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4.9.1986: Der Hessische Minister für Wirtschaft und Technik ermahnt
in seiner "Stillegungsdrohung" die Fa. RBU' daß sie noch immer nicht
das Leck im Kühlsystem der Fa. RBU geschlossen habe. Es wird bekannt,
daß seit ca. 9 Monaten täglich 6000-7000 Liter radioaktiv kontaminiertes
Kühl-wasser ins Grundwasser gelangen. Steger macht der Firma zur Auflage,
daß das Kühlwasser nur eine Konzentration von 1 Becquerel pro
Liter (BqIl) enthalten dürfe. Bislang habe die Firma 3,7 BqIl abgegeben.
Hoch-rechnungen ergeben, daß bis jetzt etwa 1,5 Millionen Liter dieses
kontami-nierten Kühlwasser in das Grundwasser abgegeben wurden. Die
rechtliche Genehmigung für dieses Einleiten wird von den GRÜNEN
in Zweifel gezogen.
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15.9.1986: Der von der Aufsichtsbehörde zugestandene Grenzwert von
1 Becquerel pro Liter (Bqll) im unerlaubt abgegebenen Kühlwasser wird
erneut überschritten. Der Firmensprecher Dr. Jend gibt eine Aktivität
von 1,1-1,2 BqIl an. RBU gibt an, daß sie durch die Zufuhr von Frischwasser
den Wert senken werden. Dies ist nach Auffassung der GRÜNEN eine unerlaubte
Verdünnung.
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3.10.1986: Bei Untersuchungen des Grundwassers entdecken die Behörden,
daß die Konzentration bis zu 3,9 BqIl erreicht. Möglicherweise
sollen es sogar 5 oder 7 Bq radioaktive Belastung sein. Robotkameras im
Abwassersystem der RBU entdecken vermutlich Lecks. Diese Lecks werden abgedichtet.
Die Aufsichtsbehörde gibt jedoch zu erkennen, daß die Ursache
der Kontamination im Grundwasser noch nicht endgültig gefunden sei.
Anmerkung:
ca. 11.8.1986: Die Hanauer Staatsanwaltschaft fahndet nach einem "Leck"
im Informationssystem der Firma NUKEM. In einem Bericht des Magazins "STERN"
vom 7.8.1986 wird aus einem Protokoll der NUKEM-Geschäftsführung
vom 17.1.1983 zitiert. Hieraus geht hervor, daß die Geschäftsführung
zustimmt, "für den Wahlkampf von Herrn Warrikoff 15000 DM zu spenden".
Die Geschäftsführer der Brennelementefabrik NUKEM erstatten Anzeige
bei der Staatsanwaltschaft Hanau.
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