neue hanauer zeitung Sonderausgabe: Atomzentum Hanau (November 1986)


Hanau und Wackersdorf

"Das kennen wir schon zu Genüge. - Erst liegt Harrisburgh in Hanau, dann Wyhl, dann Brockdorf und Tschernobyl liegt nicht etwa im Ostblock bei den Sowjets in der Ukraine sondern ist ein Vorort von Hanau. Sie biegen sich das immer gerade so zurecht, wie Sie es brauchen. Wenn Sie Hanau Chaos veranstalten wollen, holen Sie sich etwas Stimmung aus Wackersdorf und sonstwo. Sie müssen doch Ihre Sympatisanten erst nach Hanau locken. Sie müssen übertreiben und Panik machen. Hier gibt es keinen Bauzaun, hier wird noch nicht einmal Wald gerodet. Sie haben Ihre Lektion Massenpsychologie gut gelernt: Sie machen Ihr Geschäft mit der Angst, mit der Angst der Uninformierten!"

Das sitzt für's erste!

Der so spricht, ein feinfühlig, leise und bedächtig argumentierender leicht graumelierter End-Dreißiger, erntet nachdenkliches Nicken und offene Zustimmung bei einem Groß. teil des Hanauer Normalpublikums. Die Szene spielt in der Fußgängerzone "Hammerstraße" wenige Wochen vor der Anti-AKW-Demonstration am 8.11. Daß der feine Herr als Ingenieur der Kraftwerksunion - KWU - enttarnt wird, kann die Wirkung seiner Sätze zunächst kaum erschüttern. Die Thesen der wenigen mitdiskutierenden AKW-Gegner stehen für die Mehrheit erst mal da, als klotzige Zweckpropaganda und Agitationsphra. sen, wie sie der KWUler mit wegwerfender Handbewegung auch bezeichnet hat:

- "Die BRD.Atommafia will sich - unterstützt und gefördert durch maßgebliche politi. sche Kräfte - die Möglichkeit einer eigenen Atomwaffentierstellung offenhalten. Dreh- und Angelpunkte einer eigenständigen Bundesdeutschen Atom-Aufrüstung sind Hanau und Wackersdorf."
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Einige von der örtlichen Presse in show-down-Stimmung gebrachte Atom-Bürger fangen an zu johlen. - Erst als sie gegen Fakten und Detailkenntuisse auch mit zunehmender Lautstärke nicht mehr ankommen, räumen die Nuklear-Fans das Feld.

Und die Fakten sind klar:

Mit dem Aufbau einer eigenständigen Plutoniumwirtschaft mit Plutonium(Pu)-Brennelementherstellung und Pu-Lagerung bei ALKEM in Hanau, dem SCHNELLEN BRÜTER in Kalkar und der Wiederaufbereitungsanlage (WAA) Wackersdorf werden die besten Voraussetzungen für eine BRD-eigene Atomwaffenschmiede großen Stils geschaffen. Verträge mit ausländischen WAA's - wie La Hague in Frankreich - sehen die Rücknahme des dort aus den abgebrannten Brennelementen herausgelösten Plutoniums zur Lagerung und/oder Verarbeitung bei ALKEM in Hanau vor.

Da die ALKEM bereits seit Jahren hunderte Kilogramm des Bombenstoffs Plutonium und die NUKEM beträchtliche Mengen des waffentauglichen hochangereicherten Urans lagert und mit der Urananreicherungsanlage in Gronau der Nachschub an atomwaffenfähigem Material gegeben ist, könnte schon heute - unter Einbeziehung der Plutonium-Lieferverträge mit Frankreich - mit der Atomwaffenherstellung begonnen werden. Erhalten dann die Hanauer Firmen noch die beantragten Erweiterungsgenehmigungen für Lagerung und Verarbeitung von insgesamt ca. 13 Tonnen bombenfähigen Materials, so würde das ausreichen für einige hundert Atombomben. Dies alles auch ohne die WAA Wackersdorf.

Aber das reicht den Herren nicht. Das in Hanau bereits eingebunkerte Plutonium sichert zum Auslauf-Zeitpunkt des Atomwaffensperrvertrages 1995 einen gewaltigen Einstieg in das dann legale Bombengeschäft und mit der bis 1995 in Wackersdorf geplanten Produktionsaufnahme wäre eine nationale Bombenrohstoffbasis gesichert. Für längerfristige, umfangreichere und vor allem auslandsunabhängige Waffenpläne sind also beide Anlagen, die WAA Wak-kersdorf und die ALKEM in Hanau, unverzichtbar.

Wie sagte doch der Friedensforscher und ehemalige CSU-Mann Alfred Mechtersheimer: "Es gibt in der Bundesrepublik eine politische Logik, die in Richtung einer Option für eine deutsche oder westeuropäische Nuklearrüstung unter Einschluß der BRD hindeutet." (TAZ-Interview 10.10.86)
Die Plutoniumtechnologie in der BRD wurde im wesentlichen durch NUKEM und ALKEM entwickelt. Dies schlägt sich nun auch in ganz direkten Dienstleistungen und Produktionsarbeiten für die WAA-Wackersdorf nieder:

Ein wichtiger Zusammenhang besteht speziell zwischen der Firma ALKEM und der WAA: Der Genehmigungsantrag enthält auch einen Fertigungsbereich für Pu-haltige Brennelemente. D.h. es handelt sich nicht "nur" um eine WAA sondern auch um eine Fabrik für Plutonium-Brennelemente! Für die ALKEM würde das be-deuten, daß sie ihre Produktion gegebenenfalls ganz oder teilweise nach Wackersdorf verlagern könnte.

Hinter der WAA-Wackersdorf (DKW-Tochter), NUKEM/ALKEM und SCHNELLEM  BRÜTER steht dieselbe Muttergesellschaft: das RWE, Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerk AG, Essen. RWE ist mit 31% bei DKW, mit 69% bei der SCHNELLEBRÜTER  KERNKRAFT- GESELLSCHAFT und mit 45% bei der NUKEM, dem Kopf des Hanauer Atomzentrums, jeweils größter Gesellschafter.

RWE ist neben SIEMENS und VEBA einer der 3 wichtigsten Atomkonzerne in der BRD: Es gibt keine Atomanlage, an der nicht einer dieser 3 Konzerne direkt oder indirekt beteiligt ist. Das RWE hat jedoch 2 Vorteile gegenüber SIEMENS und VEBA:
- RWE ist auf allen Ebenen der Atomenergie aktiv. Dazu gehören:

- Eine BRD-eigene Atomwaffenherstellung ist am besten bzw. nur mit dem RWE umzusetzen:

Für den Atomwaffenbau muß auch eine entsprechende Infrastruktur vorhanden sein - von der Rohstoffgewinnung über die Fertigung der Einzelteile und die Zündelektronik bis hin zum verbunkerten Endmontagewerk. Überall da, wo diese Struktur bereits vorhanden ist oder geschaffen wird (WAA), ist das RWE (oder SIEMENS) beteiligt.

Diese beiden Gesichtspunkte - der entscheidende Einfluß sowohl auf allen Ebenen der Atomindustrie als auch im Bereich der Infrastruktur für Atomwaffenbau - machen das RWE, Muttergesellschaft von DKW und NUKEM - zum bedeutendsten Atomkonzern der BRD.

Der Besitz von hochangereichertem Uran und/oder Plutonium wie auch die nöL tige Infrastruktur sind 2 Voraussetzungen für eine BRD-Atomstreitmacht. Erhalten NUKEM und ALKEM die beantragten Genehmigungen auf Erweiterung der Anlagen, so können sie in Hanau genügend Rohstoffe für eine Atomstreitmacht lagern, die mit denen Frankreichs oder Chinas vergleichbar ist!

An der 3. Voraussetzung, der Entwicklung und Herstellung verschiedener atomar verwendbarer Trägerraketensysteme mit großen Reichweiten, arbeiten bereits seit Mitte der 70er Jahre die Firmen Messerschmidt-Bölkow-Blohm, Dornier und die DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchs- einrichtung für Luft- und Raumfahrt).

- Im übrigen wird die Bundeswehr schon seit 20 Jahren mit atomwaffentauglichen Trägerraketen ausgerüstet.
 
Die Voraussetzungen einer BRD-eigenen Atombewaffnung sind also zum größten Teil schon vorhanden, z.T. werden sie gerade geschaffen.

Die Option auf eine BRD-Atomstreitmacht - die ohne WAA und NUKEM/ALKEM nicht möglich wäre - kann auf verschiedene Weise genutzt werden: vom politischen Druck auf die USA, um eine größere Beteiligung an den NATO-Atomwaffen durchzusetzen, über eine gemeinsame europäische Atomstreitmacht mit der Waffenbrüderschaft Deutschland-Frankreich als Kern, bis hin zum Alleingang der BRD in den Kreis der Nuklearmächte.

Zur Beruhigung all derjenigen, die an die militärische Option des bundesdeutschen Atom-Programms nicht glauben (wollen): die WAA, die ALKEM, der SCHNELLE BRÜTER und alle mit Plutonium-Mischoxyd-Brennelementen betriebenen AKW's haben neben ihrer Bombenträchtigkeit noch eine weitere Gemeinsamkeit. Sie alle arbeiten mit größeren Mengen Plutonium, dem gefährlichsten aller bisher bekannten Gifte: im (un-)günstigsten Fall wirkt bereits ein millionstel Gramm tödlich.

Selbst die Atomwirtschaft geht bei der Pu-Verarbeitung von einem ca. einprozentigem Schwund aus, da Pu äußerst feinkörnig und ausgesprochen aggressiv ist. So kann es bspw. Dichtungen und Behälter zersetzen. Die Bevölkerung am Standort einer solchen Anlage kann sich also ausrechnen, wieviel Pu im Laufe der Zeit in den Atomanlagen hängenbleibt, in Abwässern und in der Luft verschwindet - und das schon im "Normalbetrieb", ohne jeden Unfall (was natürlich illusorisch ist). Wenn bestimmte Mengen Plutoniums zusammenkommen (ca. 4-6 kg) entsteht die Möglichkeit eines Kritikalitätsunfalls, d.h. "kleinerer" atomarer Explosionen.

Dr. Stoll, Geschäftsführer der ALKEM, hat aber für alle von diesen Anlagen Betrof-fenen ein paar tröstende Worte bereit:

"Kritikalitätsunfälle können trotz aller Vorkehrungen . . . nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Auch Warnsysteme kommen für die am Kritikalitäts-Unfallort befindlichen Personen meist zu spät."

Und: "Außerdem gibt es keine unmittelbaren Schadensfolgen - selbst im Falle der Inhalation absolut tödlicher Mengen lebt man noch 3 Wochen weiter."



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