Nach einer Informationsveranstaltung der IUH, an der auch der Atomangestellte S. teilgenommen hatte, meldete de V-Mann des Verfassungsschutzes u.a. an seine Dienststelle: "An der Veranstaltung der Initiativgruppe Umweltschutz Hanau (IUH) über die Gefahren der Niedrigstrahlung im Normbetrieb der Hanauer Nuklearanlagen hat der Nukem-Angestellte 5. teilgenommen . . " Der Dienststellenleiter legt den Hinweis zu den Akten "S." und ordnet intensivere Überwachung von S., seiner Familie und seiner Bekannten an.
Im Seehafen eines lateinamerikanischen Entwicklungsland entladen hagere , unter-bezahlte Schauerleute unter strengster militärischer Überwachung Teile für das neue Atomkraftwerk, das sie und ihre Familien gesund und satt machen soll. Die Behälter tragen die Versandstelle schwarz aufgespritzt: "Hanau".
Am anderen Ende der letzten Welt, in Namibia, denkt der Uranminen-Arbeiter K. über seine Verhältnisse nach: "Wir müssen draußen in der glühenden Hitze arbeiten und sind dem Uranstaub der Zerkleinerungsmühlen und dem ständigen Cyclonwind der Wüste ausgesetzt. . . Unsere Körper sind so mit Staub bedeckt, daß man sie kaum erkennen kann. Wir atmen Uranstaub in unsere Lungen ein, viele von uns leiden bereits an Auswirkungen. Wir erhalten keine Medikamente und es gibt kein Krankenhaus für unsere Behandlung. Unsere Körper werden rissig und sind wund. Das nächste Krankenhaus bei Swakopmund liegt 130 km hin und zurück entfernt und . . . es ist schwierig, die Erlaubnis für das Fehlen am Arbeitsplatz zur medizinischen Behandlung zu erhalten. Wir leben mit acht bis zehn Personen in einem Raum . . .,es gibt keinerlei Transportmöglichkeiten zum Krankenhaus. Hier existiert keine Klinik und keine Bade- oder sonstige Erholungsmöglichkeit. Es gibt keine Privatsphäre, und es ist verboten, über unsere Interessen zu reden. . ."
Auszüge aus billigen Groschenromanen? Nein! Realitäten eines teueren und gefährlichen Abenteuers Nuklearindustrie in dessen Kern auch die Bundesrepublik agiert, und dessen scheinheilige Vertreter uns das Märchen von der friedlichen Nutzung der Atomindustrie einschläferend vorsingen.
Wir aber sollten wissen, eine Trennung von friedlicher und militärischer Nutzung hat es nie gegeben: Die Nukleartechnik diente von Anfang an dem Griff nach der Bombe. Nicht nur deshalb müssen gerade wir Gewerkschafter an dieser Stelle unser Recht auf Widerstand erkennen und wahrnehmen und uns von der Vorstellung lösen, für uns gäbe es in dieser Strategie einen Nischenplatz zum Überleben.
All dies sind keine Einzelfälle: In Atomanlagen auf der ganzen Welt, so auch in Hanau, werden Menschen- und Arbeitnehmerrechte außer Kraft gesetzt, wird Arbeitsschutz abgebaut, werden Menschen in-und außerhalb der Nuklearbetriebe gefährdet, wird Natur zerstört, werden Kriegspläne geschmiedet für einen Krieg nach innen durch Polizeistaat und für einen Krieg nach außen durch Atombomben, werden Menschen in den ärmsten Regionen der Welt für diese Ziele mißbraucht.
Der DGB-Beschluß wurde mit der staatlich verordneten Entwarnung zum bekannten gewerkschaftlichen Papiertiger. Das radioaktive Jod war noch nicht ganz zerfallen, da machten sich IG Chemie, ÖTV und IG Bergbau für die Inbetriebnahme von Brokdorf stark. Gut einen Monat später, Anfang August, nach einer DGB-Interpretationskonferenz zum Hamburger Beschluß, forderten ÖTV-Vertrauensleuteleitungen auch die Inbetriebnahme der Reaktoren Isar II, Neckarwestheim II und Emsland. Der DGB hatte inzwischen außer Brokdorf auch dem AKW Mühlheim-Kärlich seinen Segen gegeben. Alles durch Hamburg gedeckt.
Doch diese scheibchenweise Rücknahme des Ausstiegsbeschlusses überraschte nicht, da die Mehrheit der DGB-Spitze dem Papier ganz sicher keine praktischen Schritte folgen lassen wollte. Für die atomkritischen Gewerkschafter stellte sich allerdings die Frage, ob der Hamburger Papiertiger zu reiten sei. Dazu hätten allerdings konkreten Beschlüsse und Aktivitäten an der Basis folgen müssen, z.B. gegen die jeweiligen Atomanlagen vor Ort, gegen die arbeiter- und gewerkschaftsfeindliche Politik, die mit Atomanlagen getrieben wird, gegen die strategischen Interessen, die hinter dem Atomprogramm stehen, gegen die zivilmilitärische Doppelfunktion der "Kernenergie", gegen die Verharmlosung ihrer langfristigen Folgen . . . Atomkritische Gewerkschafter hätten auch ihre Verbundenheit mit der Anti-Atom-Bewegung beweisen können, indem sie zu den großen Demonstrationen des Frühsommers mobilisiert hätten.
Nehmen wir Hanau: Hier wurde nach einer Veranstaltung mit Jens Scheer am 2.6.86 ein Kreis "Main-Kinzig-Gewerkschafter gegen Atomanlagen" auf einer recht weitgehenden Plattform gegründet (siehe Kasten).
Solche Schwächen der atomkritischen Gewerkschafter bedeuten allerdings nicht, daß das Thema in den Einzelgewerkschaften vom Tisch wäre. Einige Beispiele: Die recht kritische und regelmäßige Berichterstattung der IG-Metall-Zeitung zum Thema Atomkraft und Alternativenergien, die Gewerkschaftstagsbeschlüsse von IG Bergbau (Vorrang für Kohle), der Gewerkschaft Nahrung- Genuß-Gaststätten (sofortiger Ausstieg), der IG Druck und Papier (vollständiger Ausstieg).
Doch der Mangel an eigenständiger Koordination über die Grenzen der Einzel-gewerkschaften hinweg kann zu einem entscheidenden Hindernis für die atomkritischen Gewerkschafter werden. Ihre Gegner beherrschen die offiziellen Strukturen und werden diese zur möglichst reibungslosen Integration/Aussortierung nutzen. Die Ausstiegsbeschlüsse, denen keine gewerkschaftliche Aktion folgt, können nur als verbalradikale Ablenkungsmanöver gewertet werden.
Die Entwicklung kritischer Positionen innerhalb der Belegschaften der Atomfirmen selber - in anderen Ländern durchaus keine Seltenheit - wird unter solchen Bedingungen von zwei Seiten behindert. Wer dort das Maul aufmacht, ist schnell das Objekt einer nicht gerade zimperlichen Überwachung. Gerade wegen dieser Einschränkung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten in Atombetrieben wird sich ohne massive Denkanstöße von außen kaum etwas am kapitalfixierten Bewußtsein der Atombelegschaften ändern. Solche Denk-nstöße müßten gerade von anderen Gewerkschaften ausgehen.
Daß sich kritische Positionen nicht innerhalb der Nuklearbelegschaften entwickeln, dafür bürgt jedoch auch die derzeitige Führung der IG Chemie. Deshalb wollen wir hier einige Sätze über diese besondere Art von Gewerkschaftern verlieren.
Daß dabei demokratische Rechte für die Kolleginnen und Kollegen (verschärfte Überwachung der Beschäftigten und ihrer Familien, Abbau von Mitbestimmungsrechten für den Betriebsrat), Arbeitsschutzgrundsätze der Gewerkschaften (Recht auf körperliche Unversehrtheit) und friedenspolitische Ziele (in Hanau lagert der Stoff, aus dem die Bomben sind) über den Deister gehen, stört weder Rappe noch seine stromlinienförmigen Funktionäre vor Ort.
Sie alle huldigen lieber der Theorie, alles für die ungehemmte Entfaltung der Produktivkräfte der Unternehmer zu tun, für die Mitglieder wird schon ein Stück vom Kuchen abfallen. Arbeitsplätze um jeden Preis und wenn es noch so viele Krebstote gibt! Wo bleibt da der gewerkschaftliche Anspruch nach Arbeitsschutz, nach Ausbau der Mitbestimmung (von Selbstbestimmung der Menschen ganz zu schweigen), nach Frieden und internationaler Solidantät? In den USA wurde empirisch von offizieller Seite belegt, daß Menschen, die in Atomanlagen arbeiten, häufiger an Krebs sterben, als andere. Wenn aber bekannt ist, daß nukleare Produktion nicht nur zu Toten führt, sondern auch zu Erbschäden, dann ist doch der, der diese Produktion deckt, mitverantwortlich.
Rappe und seine Lokalfunktionäre haben es auch verstanden, den Vorsitzenden des DGB Main-Kinzig, Sepp Sigulla, vor ihren Karren zu spannen. Obwohl bei der RBU täglich rund 6.000 Liter verseuchtes Wasser im Boden versickert und mehrere Tonnen Plutonium bei der Alkem bewegt werden, notfalls in einen Schuppen der BRD, stellt Sigulla nach einem Besuch bei ALKEM der Atommafia einen Persilsehein aus (Frankfurter Rundschau vom 18. 10. 86). Obwohl gegen die Geschäftsführer der RBU und der ALKEM Anklage wegen illegalen Betriebs kerntechnischer Anlagen erhoben wird und eine DGB-Studie ergeben hat, daß die Instrumente zum Messen der Strahlenbelastung der Arbeitnehmer nichts taugen und von wesentlich höheren als den gemessenen Dosen ausgegangen werden muß, hält Sigulla die Arbeitsplätze für erhaltenswert. Es gibt kaum einen größeren politischen und moralischen Verfall, als ein solches Verhalten.
Aber Rappe schießt nicht nur in Sachen Atomindustrie quer. Von Anfang an hat er den Kampf der IG Metall und der IG Druck und Papier für die 35-Stunden-Woche torpediert. Bei der Auseinandersetzung um Streikparagraphen 116 AfG hat er keine Gelegenheit ausgelassen, die Solidarität im DGB zu stören. Rappe verhindert eben alles, was den Unternehmern schadet.
Dies alles ist nicht erst seit der Diskussion nach Tschernobyl so. In der Vergangenheit wurden vage Versuche einer anderen Politik in der IG Chemie mit aller Härte niedergemacht. Opfer dieser Politik wurden nicht nur untere Funktionäre aus Hannoversch Münden, die für mehr Basisdemokratie in der Gewerkschaft stritten, sondern auch das Vorstandsmitglied Paul Plumeyer, der gewagt hatte, darüber nachzudenken, ob es nicht hesser sei, die Gewerkschaft wieder als sozialen Kampfverband und weniger als Sozialpartner zu begreifen. Er mußte seinen Vorstandshut nach einer miesen Kampagne gegen ihn nehmen.
Der DGB und die Einzelgewerkschaften müssen sich gerade in der Frage des Hanauer Nuklearzentrums entscheiden, ob sie sich zu Propagandisten der Kernkraftmafia machen oder sich mit anderen emanzipatorischen Kräften - wie der Anti-AKW-Bewegung - gemeinsam für eine menschenwürdige Produktion und Zukunft einsetzen.
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