Reinhold: Das mit Sicherheit nicht. Es ist vielmehr so, daß es wohl kein Staatsgebilde und keine Administration gibt, die in Selbstbestimmung die Gewaltenbildung dem Volk überläßt.
Die Gewaltdiskussion in breiten Teilen der Bevölkerung, der Öffentlichkeit dreht sich immer nur um Demonstranten. Die Gewalt, die vom Staat, wenn er Emanzipation niederprügelt, oder von Unternehmen gegen Menschen und Natur ausgeht (Aussperrung/ Vergiftung), scheint in den Köpfen tabu zu sein. Warum ist das so?
Weil Macht immer noch auf Gewalt beruht. Solange die Menschen kein Verhältnis zueinander gefunden haben, nicht über ein Bewußtsein verfügen, daß jeder seine Freiheit sucht, ohne die Freiheit des anderen zu verletzen, solange werden diejenigen, die ihre Interessen am deutlichsten manifestieren können, zusehen, daß sie sich ein Gewaltmonopol sichern. Klar, die Gewalt-ausübung kann nicht einfach jedem Einzelnen überlassen werden, weil sonst - unter den heutigen Lebens- und Bewußtseinsbedingungen der Menschen - alle aufeinander einschlagen würden. Insofern kann die staatliche Verwaltung von Gewalt noch als durchaus sinnvoll begriffen werden.
Gedanken von Otto Schily zur Gewaltdiskussion?
Das gilt ja auch für die Anti-AKW-Bewegung. Im Trägerkreis, der den gemeinsamen Aufruf für die Hanauer Demo entworfen hat, störte das sogenannte gewaltfreie Spektrum vor allem der Satz "Seit den Bauplatzbesetzungen von Whyl und Brockdorf hat sich die Vielfältigkeit, Radikalität und Unberechenbarkeit unseres Widerstandes als wesentliche Stärke der Anti-AKW-Bewegung erwiesen". Der Satz sollte gestrichen werden. Was hälst Du davon?
Ich halte das für äußerst hirnrissig, weil man nicht einfach hergehen kann und Menschen, die ihre Ängste und Nöte nicht mehr anders zu lösen wissen als durch Aktionen am Bauzaun oder ähnliches, aus-grenzen kann. Wir haben eine sehr hohe Krebsrate in der BRD. Diese massive Bedrohung unserer menschlichen Existenz ruft natürlich ein Recht auf Notwehr hervor. Damit will ich nicht sagen, daß jetzt Konzepte erarbeitet werden müssen, wie noch militanter und gezielter vorgegangen werden kann. Nur, wer glaubt, sich anpassen zu müssen, indem er sich von gewissen Gewalttätern distanziert, wer glaubt damit für seinen Kampf bessere Voraussetzungen zu schaffen, der läßt völlig außer acht, daß es heute schon so weit ist, daß jeder, der überhaupt nur infragestellt und sagt "ich mache da nicht mehr mit", als Gewalttäter denunziert wird. Wenn wir uns schon bei dieser groß angelegten Offensive in der Gewaltfrage auseinanderdividieren lassen, wie soll es dann in Zukunft möglich sein, irgendwelche Kritik zu entwickeln? Ich halte in dieser Republik für besonders schlimm, daß die Berichterstattung nur dann funktioniert, wenn es Knatsch gibt. Dann sind die Medien voll. Wenn aber jemand brav sein Pappschildchen durch die Gegend trägt, dann heißt es: "Der nimmt halt sein demokratisches Recht wahr" und das war's dann schon. Ich will hier nicht jede Gewaltform gutheißen, aber sich darauf zu versteifen, daß unter uns ausgesiebt wird, wer gut und wer schlecht ist, da mach' ich nicht mit.
Die sogenannten Gewaltfreien argumentieren immei; die Bewegung müsse sich verbreitern, die Lohnabhängigen, die einfachen Leute müßten gewonnen werden. Deshalb müsse bei Demos alles ruhig verlaufen. Ist das der richtige Weg, die Menschen von unseren Inhalten zu überzeugen und sie zum Handeln zu bewegen?
Wenn das so ist, muß dann nicht verstärkt die Forderung diskutiert werden -vor allem in den Gewerkschaften -, solche Techniken dürfen nur eingeführt werden, wenn ihre Ungefährlichkeit bewiesen ist, also eine Umkehrung der Beweislast?
Das ist richtig. Da gibt es ein gutes Beispiel aus dem Druckbereich. Wir haber die UV-Trocknung abgelehnt, weil die Arbeitgeber nicht nachgewiesen haben, daß sie für uns Arbeiter unschädlich ist. Wir haben gesagt, der Kram bleibt draußen. Für irgendwelche idiotischen Pappschachteln Menschenleben zu gefährden, ist Blödsinn und aberwitzig. Wenn da jemand mit Humanität kommt ... Die Gewerkschaften sind aber auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Von daher muß man fordern, daß ein gewaltiger Diskussionsprozeß in den Gewerkschaften stattzufinden hat - zum Arbeits- und Produktivkraftbegriff, zu der Frage, ob Arbeiter wie in der Vergangenheit, nur ihren Körper zu Markte tragen. Sie dürfen nicht ihr ganzes Wesen, ihre ganze Selbstbestimmung immer mehr auflösen lassen, durch neue Techniken. In diesem Zusammenhang wird die Frage des Gewaltmonopols eine ganz große Rolle spielen.
Wie meinst Du das?
Reinhold: Das ist doch in der Arbeiterbewegung ein alter Hut. Wie setzen wir unsere Rechte durch und rulen dabei möglichst wenig Leid hervor. Die Diskussion hierüber muß verstärkt in den Gewerkschaften geführt werden, auch wenn sie in den letzten Jahren nicht die große treibende Kraft in den emanzipatorischen Bewegungen gespielt haben. Nur wenn diese Diskussion in den Gewerkschaften geführt wird, werden auch die neuen sozialen Bewegungen auf Dauer erfolgreich bleiben. Alleine schaffen es diese Bewegungen nicht. Die Frage, was Gewalt ist, muß dabei gerade auch im Produktionsprozeß, an der Produktion selbst diskutiert werden.
Deuten sich durch die neuen Techniken die Grenzen des traditionellen Streiks an?
Die Frage, ob künftig Arbeitskämpfe geführt werden, ist wichtig, muß aber sehr differenziert gesehen werden. Die Forderung nach Betriebsbesetzungen aus der Gewerkschaftsbasis heraus zeigt, daß sich etwas tut. Die Gewerkschaften müssen wissen, wenn sie für bestimmte Interessen eintreten, daß sie mit staatlicher Gewalt ganz massiv belegt werden. Sie müssen sich künftig wieder auf Widerstandskonzepte, wie sie in der Arbeiterbewegung Tradition haben, verlassen oder aber sie werden sich im "rappischen" Stil (nach Herrmann Rappe/Vorsitzender der IG Chemie/ d. Red.) von den Sachzwängen der Unternehmer unterbuttern lassen. Wenn die Kumpels im Betrieb nicht mehr sehen, wie sie sich gegen die neuen Technologien wehren und ihre Arbeitsplätze erhalten können, weil ihre Gewerkschaft sagt "hier sind uns Grenzen gesetzt", dann verlieren immer mehr Leute ihre gewerkschaftliche Identität. Das wird seinen Ausdruck in der Schwächung oder sogar der Auflösung der Kampfkraft der Gewerkschaften finden.
Werden die Kolleginnen und Kollegen neuen Formen des Streiks so einfach
folgen, nachdem sie jahrzehntelang auf soziale Partnerschaft getrimmt wurden.
Eine Betriebsbesetzung oder ein Streik mit flexiblen Aktionsformen erfordert
doch ein ganz anderes Bewußtsein?
Sind Betriebsbesetzungen Gewalt?
Von der herrschenden Rechtsauffassung her, gibt es sicherlich genug Argumente, dies zu behaupten. Aber, um es mal ganz grob zu sagen: Für den, der herrscht, ist jeder, der ihm widerspricht, ein Gewalttäter. Wir alle haben dafür zu kämpfen, daß in der Öffentlichkeit, in der Öffentlichkeit der Beherrschten, ein Kampf um die Köpfe entsteht. Die Leute müssen lernen, wenn sie sich vors Betriebstor stellen, sind sie noch lange keine Gewalttäter, auch wenn einige es ihnen immer wieder einreden wollen. Immer wenn Gewerkschaften Widerstand geleistet haben, waren sie den Herrschenden suspekt. Daß wir von dieser Seite als Gewaltäter bezeichnet werden, darüber müssen wir uns hinwegemanzipieren. Leider gibt es zu diesem Thema im DGB noch keinen Konsens.
Ist es nicht so, daß es immer mehr Bereiche geben wird, in denen es ein hohes Lohn-niveau und eine große Identität mit der Arbeit und dem Produkt gibt - der ganze High-Tech-Komplex - wo unweigerlich gelbe. Gewerkschaften entstehen. Wir haben in Hanau die Erfahrung gemacht, daß unter verschärften Sicherheitskriterien und unter den Bedingungen desAtomstaats, die einzelnen Kollegen derart kontrolliert arbeiten, daß kaum eine Chance für emanzipatorische, solidarische Gewerkschaftsarbeit besteht.
....... wem sagst Du das...
.... nur ich lasse mich nicht dazu benutzen, herzugehen und zu sagen: Widerstand ja, aber bis zu einem gewissen Punkt und dann geht die Gewaltdiskussion los. Di Diskussion über Gewalt und Widerstand ist ein Reflex auf die bestehende Gewalt. Wen ich mir die USA anschaue, ist das für mich das gewaltvollste Land auf der Erde. Die Kri minalität, die dort herrscht, ist nichts anderes als ein primitiver Klassenkampf. Ein Klassenkampf zwischen Privilegierten und Unterprivilegierten, der mit Blut und Terro ausgetragen wird. Soll ich mich jedesmal fragen, ob der Terror, der von oben ausgeht korrekt und der, der von unten kommt, unkorrekt ist? Das ist Blödsinn. Die Frage lautet doch: Was ist in einer Gesellschaft falsch wenn Menschen meinen, nur noch über Gewalt ihre Lebens- und Daseinsberechtigung unterstreichen zu können?
Es ist doch so, daß unsere Aktivitäte, immer aus der Defensive stattfinden, im Widerstand gegen die herrschende Gewalt Das bestimmt sehr stark unsere Kampiformen. Es gibt ja in unserem Spektrum bereits Leute, die sehen alles Heil des Widerstandes in einer Regierungskoalition. Gibt es Wege aus dieser Defensive?
Letzte Frage. Reinhold, du bist ein wortgewaltiger Mensch. Wallmann und Konsorten, die ihr als Gewerkschafter beim letzten DGB-Neujahrsempfang gebührend empfangen habt, sagen, Du seist auch ein gewalttätiger Mensch. Stimmt das?
Wenn man Gewalt als etwas begreift, was mit bewußtem Willen materielle
Veränderungen herbeiführen will, dann bin ich sicherlich ein
Gewalttäter. Ich bin auch ein Gewalttäter, wenn ich täglich
meine Arbeit mache, nämlich mit Arbeitskraft, Geist und Phantasie
bewußt eingreife in die Produktion, aus einem unbedruckten Bogen
Papier eine bedruckte Schachtel mache. Wenn man aber Gewalt so sieht, seine
Interessen nur mit der physischen Vernichtung seines Gegners wahrzunehmen,
dann bin ich allerdings kein Gewalttäter. Über Terror und ständige
Unterdrückung von Widersprüchen wird nur neue Gewalt geboren.
Es entsteht ein Kreislauf, der dem humanistischen Ziel von freien, emanzipierten
Menschen zuwiderläuft.
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