neue hanauer zeitung Nr. 108/109, Frühjahr
2000
Wie lange wird die Atomgeschichte in Hanau noch dauern?
Der schwierige Abriß der Hanauer Plutoniumschmiede
Von Elmar Diez (IUH)
Während in Berlin sich Rot und Grün noch darüber streiten,
ob der Atomausstieg nach 30 oder nach 30 plus 3 Jahren Laufzeit von Atomkraftwerken
stattfinden soll, wird in Hanau die letzte Runde im Stillegungs- und Abrißrennen
für die Hanauer Nuklearbe-triebe eingeläutet. Am 14. März
2000 - während diese nhz im Druck ist - wurde mit dem Erörterungstermin
zum »Rückbau der Siemens-MOX-Anlage« (früher Alkem)
das letzte Kapitel in der Öffentlichkeitsbeteiligung geschrieben,
bevor der endgültige Ab-bau der Plutoniumschmiede im Jahr 2001 beginnen
soll.
Alle AtomkraftgegnerInnen können daher aufatmen oder die berühmten
drei Kreuze machen. Doch der Teufel steckt wie immer im Detail.
Abriß der Gebäude ohne Erdaushub?
Während bei den Uran-Brennelementfa-briken Nukem und Siemens-Uran
von Seiten der Firmen davon ausgegangen wurde, daß das Erdreich mit
radioaktiven Stoffen wie Uran verseucht ist, will die Siemens nun glauben
machen, daß der Boden unterhalb und um die alte Produktionsfirma
Alkem herum lupenrein sauber sei und daher nicht abgetragen werden müsse.
Begründet wird diese fast abenteuerliche Behauptung, die von Siemens-Manager
Rupar bei einer Pressekonferenz eine Woche vor Beginn des Erörterungstermins
wiederholt wurde, damit, daß im außerbetrieblichen Überwachungsbereich
nie mit offenen radioaktiven Stoffen umgegangen worden sei. Außerdem
habe es während der gesamten Betriebszeit der MOX-Anlage keine Störfälle
gegeben, die eine Kontamination auf dem Freigelände verursacht hätten.
Diese Sicherheitsbeteuerungen gipfeln in der Behauptung, daß während
der gesamten Betriebszeit keine Radioaktivität unkontrolliert in die
Umgebung freigesetzt worden sei. Von der »kontrolliert abgegebenen«
Radioaktivität ist allerdings keine Rede. Man wolle sich jedoch zur
Beweissicherung nochmals darauf einlassen, Stichproben zu nehmen, erklären
die Betreiber.
Die selbstsichere Siemens geht ebenfalls davon aus, daß während
der Produktionszeit (1971 bis 1994) bei der Herstellung von uran- und plutoniumhaltigen
Brennelemen-ten (= MOX-Brennele- mente) im Boden unterhalb des Kontrollbereichs
keine Kontaminationen entstanden seien. Daher sei nur der Abriß der
beiden Fertigungshallen 1 und 2 einschließlich der Bodenplatte erforderlich.
Wo früher Plutonium verarbeitet wurde, soll anscheinend hinterher
die berühmte Keksfabrik ohne größere Schwierigkeiten produzieren
können?
Großabbaustelle birgt Gefahren
So sehr die HanauerInnen sich auch darüber freuen können, daß
endlich die Atomgeschichte mit dem Abriß der Nuklearanlagen in Hanau-Wolfgang
zu Ende geht, so sehr muß es sie beunruhigen, daß womöglich
Nukem, Siemens-Uran (früher RBU) und Siemens-MOX (früher Alkem)
gleichzeitig dem Erdboden gleichgemacht werden. Weder das Hessische Umweltministerium
noch die Atomfirmen haben bisher ein Konzept vorgelegt, in welchen Zeitabläufen
Abbruch und Erdaushub bei Nukem und Siemens-Uran vorgenommen werden sollen.
Kommt nun noch der Abriß der maroden Plutoniumanlage dazu, so bestehen
drei Gefahrenquellen, an denen es auch bei noch so vorsichtiger Herangehensweise
zu Störfällen und Freisetzung von Radioaktivität kommen
kann. Kein Mensch kann voraussagen, auf welche »Uranschätze«
oder Kontaminationen man beim Abbau noch stoßen wird.
Daher müßte dringend eine Abstimmung erfolgen, die von den
Einwendern beim Erörterungstermin auch gefordert wurde.
Erdbeben und Flugzeugabsturz werden als Gefahr nicht ernst genommen
Zu Zeiten der rot-grünen Koalition in Hessen in den 80er Jahren sprach
selbst Holger Börner von einer Art Bude mit Wellblechdach, in der
man mit Plutonium umgehe. Die Dachhaut der Fertigungshallen, in denen selbst
mit größtem Risiko der Leerfahrbetrieb der MOX-Produktion derzeit
noch erfolgt, liegt unter einem Millimeter Blechstärke, so daß
bereits ein mittlerer Ein-schlag das Dach zertrümmern und größte
Gefahren heraufbeschwören würde.
Dennoch behauptet Siemens im Kurzbericht, daß die alten Fertigungshallen
gegenüber Erdbeben standsicher ausgelegt seien. In früheren Erörterungsterminen
war davon nicht die Rede. Ferner wird die Gefahr eines Erdbebens nunmehr
heruntergerechnet, d.h. es wird von einem weniger schweren Erdbeben ausgegangen.
So einfach geht die Rechnung.
Die ständig zunehmenden Flugbewegungen zum Frankfurter
Flughafen 416.000 im Jahr 1998 gegenüber 390.000 im Jahr 1997, von
denen etwa zwei Drittel aus der Hanauer Richtung erfolgen, erhöhen
das Risiko eines Absturzes. Siemens jedoch meint, man habe alles im Griff,
da der Bunker gegen Flugzeugabsturz gesichert sei. Die maroden Fertigungshallen
seien zu vernachlässigen, da es eine äußerst geringe Absturzwahrscheinlichkeit
gebe. Hoffentlich!
Wie bereits bei früheren Erörterungen, so hat sich auch dieses
Mal die Firma Siemens mit geschätzten Plutoniummengen, die es noch
zu beseitigen gelte, hervorgetan. Die früheren Behauptungen, man könne
über jedes Gramm Rechenschaft ablegen, erweisen sich erneut als Schutzbehauptungen.
Vielsagend sollen beim Rückbau die »Kernmaterialrestmengen kontinuierlich
erfaßt, bilanziert und kontrolliert« werden. Wenn also früher
etwas abgezweigt wurde, kann dies überhaupt nicht festgestellt wer-den.
Das immer wieder angeführte Stichwort »safeguard« verkommt
zum Fremdwort.
Der Gesamtkomplex muß beim Abriß eingehaust werden!
Da Plutonium einer gefährlichsten Stoffe ist, fordern
die Einwender beim Erörterungstermin, daß der gesamte bauliche
Bereich vor dem Abriß mit einer Hülle eingehaust werden muß,
damit auch nicht ein Millionstel Gramm des Plutoniums, das sich in Wänden,
Geräten oder im Boden befindet, freigesetzt wird; denn bereits geringste
Mengen können Lungenkrebs verursachen. Bislang hat die Behörde
jedoch nicht signalisiert, daß sie diese Forderung auch zur Auflage
machen wird.
Kein Dauer-Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Hanau!
Die gesamten radioaktiven Abfälle aller drei Nuklearbetriebe sollen
in Hanau in ei-ner Abfallbehandlungsanlage konditioniert und endlagerfähig
gemacht werden. Da derzeit kein Endlager existiert, besteht die Gefahr,
daß auf Jahre hinaus Hanau zum Zwi-schenlager wird. Dies kann nicht
der Sinn eines Abrißverfahrens sein. Selbstverständlich müßten
die Hanauer nach dem Verursacherprinzip dafür haften, daß sie
jahrzehntelang die Atombetriebe gewollt und von ihnen Steuern erhalten
haben! Im Sinne einer geregelten Ausstiegspolitik der jetzigen Bundesregierung
kann ein atomares Zwischenlager bis ins Jahr 2030 in Hanau jedoch keine
Lösung sein. Doch wo ist der »Zauberlehrling« zur Lösung
des Problems?
Als ungeklärte Frage bleibt in den Un-terlagen, was mit dem Plutoniumbunker
insgesamt geschieht. Selbst wenn die dort noch lagernden 123 MOX-Brennelemente
für den nie in Betrieb gegangenen Schnellen Brüter endlich verschwinden
sollten, so verbleibt immer noch das Bundeslager im Bunker. Dieses Lager
ist - wie oft zitiert - nur durch einen Strich vom Bereich der Siemens
getrennt. Wird das Bundeslager als ewiges Denkmal der verruchten Geschichte
der Nuklearbetriebe stehenbleiben?
Antworten stehen auch hier offen. Eines scheint klar zu werden: Die
Nukleargeschichte Hanaus läßt sich nicht mit einem Federstrich
beenden.
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