neue hanauer zeitung Nr. 41, Februar 1988


Das idyllische Atomdorf, 
die Unschuld vom Lande und die böse Welt

Hanau überdenkt sein Verhältnis zum Atom. Nach dem Bekanntwerden des Proliferationsverdachts gegen Nukem treibt es am 16. Januar etliche ältere Hanauer zum erstenmal zu einer Anti-Atom- Demo. Die Regionalgrößen der SPD unterschreiben eine Erklärung: "Der Ausstieg ... ist jetzt fällig." DGB-Funktionäre erwärmen sich für die Umwandlung der Atombefriebe in ein Entwicklungszentrum für alternative Energien. Landrat Eyerkaufer läßt am Tor des "Atomdorfs" die Lkw-Ladungen polizeilich beäugen und darf in einer TV-Talkshow als Anti-Atom-Landrat seine Verwaltungskennt- nisse zum Besten geben.

Die Degussa, die vor 28 Jahren die Nukem in die Welt gesetzt hat, bleibt cool: Unter ihrer Obhut soll die vorerst stillgelegte Nukem "unter geordneten Verhältnissen unverzüglich die Genehmigung zur Weiterarbeit" erhalten. Und es sieht nicht so aus, als ob die Degussa noch lange warten muß.

Auch das seit langem in der Schublade schmorende, künftige "Bundesamt für Reaktorsicherheit" wird für Ordnung sorgen, die Atom-Entscheidungen zentralisieren und mäkelnde Landesregierungen zur Raison bringen. Beispiel: Die Inbetriebnahme des Schnellen Brüters, die von der SPD-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen in jüngster Zeit hinausgezögert wurde. Derart widerspenstigen Landesregierungen - wer weiß schon, welche nach den nächsten Wahlen da-zukommen - soll rnit dem neuen Bundesamt die Genehmigungskompetenz entzogen werden.
Da stören solche kleinen Ungereimtheiten, daß die Degussa die Selbstanzeige der Transnuklear über den Landtagswahltermin 1987 hinausg'ezögert hat, nur noch am Rande. (Immerhin wären andernfalls all die teuren Zeitungsanzeigen, in denen die Hanauer Atombetriebsräte gegen "rot-grün" Stimmung machten, für die Katz gewesen.)

Ist Eyerkaufer an allem schuld ?

Wo die stärkeren Bataillone zu finden sind, weiß auch der Freigerichter Dorfpolitiker (UWG) und Nukem-Abhängige Reinhold Trageser. Er fordert den Rücktritt von Eyerkaufer. Der nämlich habe nicht Wiedergutzumachendes angerichtet, mit seinen Überprüfungen von Arbeitnehmern und Firmen.
Trageser steht ganz bestimmt nicht allein im Hanauer Atomdorf, wie die Leserbriefspalten der Lokalzeitungen und das Fernseh-Stadtgespräch in Wolfgang zeigen. Die Medien sind schuld, die Politiker... . Die betriebliche Volksgemeinschaft steht wie eh und je hinter ihren Chefs, nur ein bißchen kleinlauter als früher.

Die von ihrer Arbeit überzeugte Atomgemeinde, die in Hanau-Wolfgang schlicht mit gehobenen Arbeitsplätzen, überdurchschmttlichem Lohn und flotten Nuklearweisheiten zusammengebastelt worden ist, und die durch Überwachung sauber gehalten wird, hält zusammen. Diejenigen, die inzwischen auch schon mal auspacken, haben zumeist die nukleare Burg längst verlassen und entdeckt, daß sie auch ohne Atom leben können. (1)
Zur gleichen Zeit, als sich die Atomdorf-Bewohner von feindlichen Eyerkaufers und Pressefritzen umringt sehen -wir schreiben den 15. Januar 1988 -, fordert die Wochenzeitung Achbar Aljom in Kairo einen "Schutzangrift" auf Libyen, um "Ghaddafis Atombombe"  zuvorzukommen. Und in ganz Libyen herrscht Luftalarm.

Solche Schläge werden ja nach den Luftangriffen auf das irakische Atomzentrum in Tuwaitha (1980 und 1981) und auf die iranischen AKWs in Bushir (1985 und zweimal 1986) langsam üblich. Auch Ghaddafi drohte schon mehrfach öffentlich mit Luftangriffen auf die geheime israelische Atombomben-fabrik in Dimona (zuletzt 1986). (2)

Aber was jucken solche kriegerischen Aktionen schon die Atomarbeiter und -techniker in der Hanauer Atomburg ? Sie haben doch damit nichts zu tun, gehen friedlich ihrer Arbeit nach, streiken nicht, lassen sich ohne Murren überwachen, beweisen "fachliche Integrität", wie es der Hanauer OB kürzlich nannte. Kriminelle Manager abgesetzt, jetzt wollen wir weiterarbeiten

Unser Atom ist friedlich

Hanau hat mit dem absehbaren Einsatz von Atombomben zwischen Kriegsparteien im Nahen Osten oder in der "Dritten Welt" schließlich nichts zu tun. Und auch nicht mit den unabsehbaren Folgen. Unser Atom ist friedlich. Nur das der anderen nicht.

Als  die israelische Regierung am 7. Juni 1981 acht F-1 6-Bomber und acht

F-15-Begleitflugzeuge losschickt, um die beiden Reaktoren im irakischen Atomforschungszentrum bei Bagdad  zu zerstören, rechtfertigt sie dies öffentlich durch mehrere Indizien, die für den geplanten Bau einer irakischen Atombombe sprächen. Unter diesen Indizien wird von Israel auch der Anfang 1980 an die Nukem vergebene Auftrag genannt, 10 Tonnen Brennstäbe aus abgereicherten Uranmetall zu liefern. Die Stäbe seien so beschaffen, daß sie nur für den Osirak-Reaktor paßten, wo in ihnen durch Bestrahlung etwa 10 bis 12 Kil~ramm Plutonium hätte erzeugt werden können, wußte Israel.

Die Lieferung der Brennstäbe scheiterte, weil Nukems Uranlieferanten in den USA und Kanada keine Ausfuhrgenehmigung erhielten. Die 16 an einem arbeitsfreien Sonntag abgeworfenen 1000-Kilo-Bomben beschädigten die Osirak-Reaktoren bekanntlich ganz erheblich (Schaden: 300 Mio. Dollar), das Atombombenprogramm des Iraks wurde um drei bis vier Jahre zurückgeworfen. Der Goltkrieg hat bisher offensichtlich eine Wiederaufnahme der Bombenforschung verhlndert. (3)

Osirak ist nicht der einzige Fall: 1979 drangen israelische Agenten in die französische CNIM-Werff von La Seyne ein und sprengten atomare Anlagen, die für den Irak bestimmt waren.

Die Bombe im Keller

Die Israelis ihrerseits machen seit geraumer Zeit Politik mit der "Bombe im Keller". Ist das die Lehre aus dem Holocaust? Schon 1965 wurde in der NUMEC-Anlage in Apollo/Pennsylvania 53kg Uran-235 vermißt. Eine Untersuchung ergab, daß seit 1957 insgesamt 178 kg Uran verschwunden waren. CIA und Kongreß-Komitees vermuten, daß ein Teil des Urans nach Israel geschafft worden ist. Da die Untersuchungen auf höchster Regierungsebene behindert und schließlich gestoppt worden sind, wird angenommen, daß die einem Zionisten gehörende NUMEC-Anlage nur ein Deckmantel war, unter dem die USA die Entwicklung einer israelischen Atomstreitmacht unterstützt haben. Da die Bundesregierung ihre Freunde unterstützt, hatte auch sie etwas anzubieten: 1974 sorgte sich die Times, daß israelische Atomphysiker und Ingenieure gleich in Teams im Kernforschungszentrum Karlsruhe arbeiten. Im selben Jahr machte der israelische Präsident Katzir klar, daß seine Regierung selbst Atomwaffen herstellen könnte. Das war wohl schon länger der Fall.

Bonn dementiert

Schon 1958 bauten die Israelis in der Negev-Wüste mit französischer Hilfe eine "Textilfabrik", die eine auffällige Ähnlichkeit mit einem Atomreaktor besaß. Mit der Zeit mauserte sich die Anlage zum heutigen geheimen Atomzentrum Dimona. Im Spätsommer 1967, mitten im Jubel über den Blitzsieg im Sechstagekrieg, ist offenbar die Entscheidung über den Bau einer Atombombe gefallen. Doch damit verschlossen sich die Türen der bisherigen Uranlieferanten, immerhin stand der Atomwaffensperrvertrag kurz vor dem Inkrafttreten. So kaufte der israelische Geheimdienst 1968 über eine Mailänder Deckadresse 200 Tonnen Natururan von einer Brüsseler Uranhandelsgesellschaft. Als Zwischenhändler trat die hessische Asmara-Chemie in Erscheinung, bei Nukem kein unbekannter Geschäftspartner. (4) Als die "Scheersburg A" mit den 200 Tonnen Uran in See sticht, beginnt die "Operation Plumbat". Kurz vor Zypern, auf hoher See, wird das Natururan am 29. November 1968 auf einen Tanker umgeladen. Besatzungen und beide Schiffe gehören zum israelischen Geheimdienst. 1977, als die Aktion bekannt wurde, dementierten Bundesregierung und Alt-kanzler Kiesinger, daß Bonn damals Israel bei dieser Uranbeschaffung gehol-fen habe. "Amtliche Stellen" seien daran nicht beteiligt gewesen, versicherte damals Regierungssprecher Bölling. Was für ein Dementi! Wie wirksam die Euratom-Kontrollen sind, zeigt die Begebenheit, daß die europäische Nuklearbehörde erst 7 Monate später das Verschwinden des als "Katalysator-Stoff" angemeldeten Urans bemerkt hat.

Am Rande eines Atomkriegs

1973, im nächsten israelisch-ägyptischen Krieg, soll Israel bereits über 13 Atombomben verfügt haben. Golda Meir soll angesichts einer drohenden Niederlage bedrängt worden sein, mit einer Kernwaffe über Ägypten ein  Zeichen zu setzen. Doch sie wartete ab und ihre Truppen konnten die Gegner noch rechtzeitig auf die altbewährte Weise niedermachen. Jürgen Stelipflug im "Greenpeace-Report 2" dazu: "Für Stunden jedoch stand die Welt 1973 am Rande eines Atomkriegs. Ohne daß die Welt davon irgendetwas ahnte." (5)

Wie so oft, wäre hinzuzufügen, denn schließlich haben allein die USA von 1947 bis 1979 19mal den Einsatz von Atomwaffen angedroht, um Niederlagen in regionalen Kriegen oder Konflikten abzuwenden. Davon 16 mal gegen Nichtatomwaffenstaaten. (6)

Seit den Enthüllungen von Mordechai Vanunu, der von 1977 bis 1986 in der Wiederaufarbeitungs- anlage im geheimen israelischen Atomzentrum Dimona gearbeitet hat und dort vor seiner Kündigung heimlich fotografieren konnte, wird das

Atomwaffenarsenal des zionistischen Staates auf 100 bis 200 hochentwickelte Sprengköpfe geschätzt. (Zuvor war man von ca. 20 eher primitiven Atombomben ausgegangen.) Israel soll inzwischen auch in der Lage sein, Wasserstoffbomben herzustellen. (7)

Die Bundesrepublik, aber auch andere Industrieländer, tun stets so, als hätten ihre "friedlichen" Nuklearexporte mit dem Anwachsen der Zahl atomarer Schwellenmächte nichts zu tun. Doch nach amerikanischen Schätzungen reicht zu Beginn des nächsten Jahrzehnts in 17 Nationen allein der unvermeidbare Plutonium-Schwund von jährlich 1 bis 2 % aus, um Atomwaffen herzustellen. Auch in Anlagen der Industrieländer kommt es immer wieder zu Plutonium-Verlusten oder Fehlern in der Bilanz -wir kennen das ja von Alkem. Beispielsweise verschwanden in der WAA in Savannah River/USA, mit der die Hanauer Betriebe bekanntlich eng zusammenarbeiten, von 1955 bis 1976 rund 150 kg Plutonium. In der britischen WAA Windscale/Sellafield fehlten von 1970 bis 1977 insgesamt 98 kg Plutonium in der Bilanz. Die Liste ließe sich allein mit offiziellen Daten lange fortsetzen.

Schon 1978 warnte der Vorsitzende des zuständigen Unterkomitees des US-Senats, L. Weiss: "Nach einigen Schätzungen haben 18 Länder neben den Atomwaffenstaaten heute Zugang zur Wiederaufarbeitungstechnologie... Der Diebstahl aus dem Wiederaufarbeitungsprozeß in einer Höhe von 10 kg jährlich kann mit den angewandten Systemen nicht bemerkt werden..." Selbst dann, wenn ein IAEO-Inspektor den Verlust von Plutonium bemerken würde, hätte er keine wirklichen Befugnisse zum Einschreiten, er könnte dies nur melden.

H-Bomben als Wegbereiter der Wasserkraft

Daß Atomsprengsätze umgekehrt für "zivile" Zwecke benutzt werden können, ist nur eine weitere Perversion des Plutonium-Wahns. Darüber wird nicht nur bei den Atomwaffenmächten nachgedacht, sondern auch in der Bundesrepublik. Die Eigenheiten atomarer Sprengkörper scheinen also hlerzulande keine Unbekannte zu sein. Ein Beispiel dafür ist das berüchtigte Quattara-Projekt in Ägypten, das auf deutsche Initiative zurückging. Mit Nuklearspren-gungen sollte nach diesen Plänen in der ägyptischen Quattara-Senke ein Was-serkraftwerk gebaut werden, das den Niveau- Unterschied zwischen dem Mittelmeerspiegel und der Senke (60 Meter) nutzen sollte. Vorgesehen waren dafür 213 Wasserstoff-Bomben (!) von je 1 bis 1,5 Megatonnen Sprengkraft, die in Tiefen von 100 bis 500 Meter unter der Erdoberfläche gezündet werden und aneinandergereiht einen riesigen Graben ergeben sollten. Den Auftrag für die Durchführbarkeitsstudie, von Bonn mit über 11 Millionen Mark mitfinanziert, erhielt 1975 ein Konsortium unter der Führung der Lahmeyer International Frankfurt. Das größenwahnsinnige Projekt scheiterte am internationalen Widerstand. Nicht zuletzt wurde befürchtet, daß die Bundesrepublik bei dieser Gelegenheit eigene Nuklearsprengsätze habe testen wollen.

Bombengeschäfte mit guten Bekannten

Die nukleare und waffentechnische Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit dem Rassistenregime in Südafrika ist ein weites Feld. So bezichtigen afrikanische Nationen seit langem die BRD, Südafrikas Atombombe mitentwickelt zu haben, die am 22. September 1979 über dem Südatlantik gezündet worden ist. Hier nur einige Schlaglichter auf die bundesdeutsche Nuklearpolitik im Apartheidstaat: 1948 wurde der Wahlsieg der burischen Nationalen Partei gegen die Briten maßgeblich mit deutschen Geldern finanziert. Hier konnten dann deutsche Forscher, die Hitlers Atombombe nicht mehr rechtzeitig zu Wege brachten, weiterarbeiten: Leute wie Dr. Verleger und Prof. Haul, aber auch andere Atomwissenschaftler, insgesamt rund 100 Personen. Deutsche Firmen - Siemens, Gutehoffnungshütte und Hochtief - bauten die  beiden Reaktoren Safari 1 und II. Unter den Zulieferern finden sich renommierte Namen wie Degussa und Hoechst, aber auch Heraeus-Vötsch und Vakuumschmelze Hanau. 1975 wurde die südafrikanische Urananreicherungsanlage in Valindaba in Betrieb genommen, sie wurde wesentlich von STEAG und der Fa. Linde entworfen. Unter den Zulieferern findet sich neben Großkonzernen wie Siemens und MBB auch Leybold-Heraeus. Dazu angestrengte staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Siemes, Leybold-Heraeus und Rheinmetall wurden jahrelang hinausgezögert. Kein Wunder: Alle Bundesregierungen haben bisher die nukleare Zusammenarbeit mit Südafrika gefördert. Die Nukem besitzt übrigens 17,5% an der südafrikanischen Transnuklear South Africa, die NTG Gelnhausen lieferte Nukleartechnik an das National Accelerator Center in Stellenbosch, Südafrika. Zumindest für die Jahre 1969 bis 1975 existieren Hinweise auf eine geheime Zusammenarbeit, an der Regierungsvertreter und hohe Militärs der Bundesrepublik beteiligt waren.

Im übrigen wird die "Zuverlässigkeit" der südafrikanischen Uranlieferungen von der Atomlobby öffentlich gelobt. Der Anteil von südafrikanischem Uran an der gesamten Importmenge wurde von 27% zu Anfang der 70er Jahre auf 43% im Jahre 82 gesteigert. Kurz: ohne das völkerrechtswidrig in Namibia abgebaute Uran würde die Hanauer RBU in große Schwierigkeiten kommen.

Großangelegte Bestechungen

Besonders pikant sind die nuklearen Beziehungen der Bundesrepublik zu Argentinien: 1944, als die Nazis Vorbereitungen für die Zeit nach der absehbaren Niederlage trafen, wendete die SS 500 Millionen Dollar aus eigenen Beständen auf um das erreichte know-how für die Bombe nach Argentinien, Brasilien und in andere Länder zu retten. So wurden allein 60 Millionen Dollar zur Bestechung der argentinischen Regierung investiert, um Staatsbürgerschaften für 7500 Nazis zu beschaffen. Woher das SS-Gold stammte, ist ja bekannt: Auschwitz produzierte täglich 12 kg Gold, die Degussa-Tochter Degesch lieferte von ihrem Kriegsstandort Hanau aus das nötige "Betriebsmittel" Zyklon B. Später wechselten aus Argentinien viele Wissenschaftler des Deutschen Uranvereins in das Atomprogramm der Adenauer-Regierung, die bis zum Abschluß des Atomwaffensperrvertrags ganz offiziell die Produktion eigener Atomwaffen verfolgt hat. Argentinien war das erste Land, in das die KWU einen Reaktor exportieren konnte. 1968 wurde der Vertrag über die Lieferung eines Schwerwasserreaktors (Atucha 1) unterzeichnet. Solche Reaktoren kommen mit Natururan aus und sind auch militärisch interessant. 1980 wurde der Bau eines zweiten Natur-Uranreaktors vereinbart, der voraussichtlich 1989 in Betrieb gehen wird. Seit 1983 verfügt Ar-gentinien auch über eine Urananreicherungsanlage; von 1969 bis 1972 arbeitete eine Pilot-Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), seit 1979 ist eine größere WAA in Bau. Argentinien, das sich erheblicher Natururanvorkommen erfreut, tritt mittlerweile selbst als Exporteur von Atomanlagen auf.

Auch in Brasilien sind die Lichter schon längst aus

Auch Brasilien konnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf die Kenntnisse namhafter deutscher Wissenschaftler zählen. Wenige Jahre nach dem Krieg wurden allerdings drei Ultrazentrifugen aus Göttingen auf dem Weg nach Brasilien von den USA beschlagnahmt, sie konnten erst 1956 ausgeliefert werden. 1969 wurden ein Abkommen über Zusammenarbeit bei Atom-, Weltraum- und Elektronik-technologie sowie 1975 der berüchtigte Atompakt mit der Bundesregierung geschlossen. Dieser beinhaltete die Lieferung des gesamten "Brennstoffkreislaufs": Acht AKWs, Reaktorfabrik, Brennelementefabrik, Uranaufbereitungsund -anreicherungsanlage, Wiederaufarbeitungsanlage. Das Geschäft konnten die Deutschen abschließen, weil sie ohne Bedingungen verkauften.

Im Land der Urwaldströme und mächtigen Wasserfälle hatte der damals regierende Diktator Geisel behauptet: "Ohne Atomstrom gehen in Brasilien schon 1985 die Lichter aus." Die nukleare Aufrüstung Brasiliens und das große Atomgeschäft für die bundesdeutschen Exporteure leidet jedoch sehr unter der katastrophalen Verschuldung Brasiliens, lediglich Anreicherung und Wiederaufar- beitung machen größere Fortschritte. Auf dem Gebiet des Schnellen Brüters, dem idealen Zwei-Zweck-Reaktor für Waffenplutonium, bahnt sich neuerdings eine argentinisch-brasilianische Zusammenarbeit an. Beide Staaten wollen außerdem zusammen atomgetriebene U-Boote entwickeln.

Uranboykott gegen BRD

Der 1975 auf Regierungsebene mit Brasilien geschlossene Atompakt sorgte international für erhebliche Aufregung. USA und UdSSR drängten Bonn, den Vertrag zu revidieren. Beide Weltmächte beanstandeten die Anlagen zur Anreicherung und Wiederaufarbeitung. Die sozial-liberale Bundesregierung stritt zunächst den Bruch des Atomwaffensperrvertrages ab. Als sich diese Argumentation nicht mehr halten ließ, fiel der Bundesregierung ein, daß eine langfristige Nichtverbreitungspolitik Länder wie Brasilien "in die internationale Zusammenarbeit . . . integrieren" müsse. Da Bonn sich so unein-sichtig zeigte, griff US-Präsident Carter damals zu einem wirksamen Mittel, zum Uranboykott. Trotz der damit bewirkten Rückzieher der Bundesregierung werden in Resende die brasilianische Anreicherungsanlage voraussichtlich 1988 fertiggestellt und eine Wiederaufarbeitungsanlage gebaut. Natürlich sind auch Hanauer Atomfirmen am Brasiliengeschäft beteiligt: Die RBU lieferte Brennelemente, die Nukem Forschungsreaktoren und eine Brennelementefabrik.

Leybold war dabei

Die nukleare Zusammenarbeit der BRD mit Pakistan, das am 13.6.83 seine erste Atombombe gezündet haben soll, ist in den vergangenen Wochen ausführlich in der Presse beleuchtet worden. Pakistan treibt seit der Niederlage im Krieg mit Indien 1971 den Bau von Atomwaffen zielstrebig voran. Die Bundesregierung hat die nuklearen Ambitionen Pakistans mit dem Austausch von Wissenschaftlern und der Ausbildung von pakistanischen Atomtechnikern im Kernforschungszentrum Karlsruhe unterstützt. Der "Vater der islamischen Bombe", Abdul Quadir Khan, berichtete bereits im vergangenen Jahr, daß europäische Firmen ihm die Teile für Nuklearanlagen geradezu aufgedrängt hätten. Wen wundert's ,bei den Gewinnspan-nen? Natürlich war auch wieder ein Hanauer Unternehmen dabei: Leybold-Heraeus lieferte bereits in den 70er Jahren für sechs Millionen Mark Spezialgeräte. (Leybold-Kollegen werden sich auch an die jüngsten Pakistan-Trips ihrer Chefs erinnern.)

Auch an der 1974 gezündeten indischen Bombe waren westdeutsche Firmen nicht ganz unbeteiligt. So lieferte etwa die Hoechst-Tochter Uhde 1973 eine Schwerwasseranlage für Natururanreaktoren. Daneben versorgte die NTG Gelnhausen das indische Energiedepartement mit Nuklearinformationen, und die RBU verkaufte Brennelemente. Seit über einem Jahrzehnt arbeitet die BRD mit Indien intensiv in der Raketenforschung zusammen.

Weitere nukleare Zusammenarbeit pflegt die Bundesrepublik mit Ägypten (Bau von AKWs), Indonesien (Brennelementefabrik und Forschungsreaktor von Nukem), Iran (Weiterbau der gestoppten AKWs), Mexiko (Versuchsreaktor von Nukem), Niger, Peru (Forschungsreaktor von Nukem), Südkorea (Urananreicherung, Brennelemente von Nukem), Taiwan, Türkei (Rahmenabkommen, hochangereichertes Uran von Nukem). In mehreren anderen Ländern sind bundesdeutsche Firmen an der Uransuche beteiligt.

Diese, hier noch oberflächlich gehaltene Liste deutscher Weltpolitik mit Hilfe des Atoms läßt sich buchweise fortsetzen. Das Tabu von der bundesdeutschen Option auf die Bombe hat die nhz schon in vielen Ausgaben - unter anderem in den Sondernummem "Atomenergie - Bombengeschäft" und "Tödliche Geschäfte" - behandelt und wird es auch weiterhin tun.

Zum Schluß unseres kurzen Ausfluges in die Atompolitik läßt sich folgendes festhalten:
 

Eberhard Stickler


Anmerkungen
(1) Wie zu vernehmen ist, soll die zahl der Kündigungen durch Mitarbeiter seit dem Nukem-Skandal erheblich angestiegen sein.
(2) In jenen Januartagen 1988 herrschte in den arabischen Nachbarländern Entsetzen über die Libyen-Connection-Vorwürfe gegen Nukem. Im Hafen von Tripolis - so berichteten Korrespondenten - sei wiederholt Plutonium und angereichertes Uran aus Antwerpen eingetroffen, allerdings mit anderslautenden belgischen Frachtbriefen.
(3) Israel zeigt sich entschlossen, die "BeginDoktrin" durchzusetzen. Sie lautet: "Wir werden keinem Feind jemals erlauben, Massenvernichtungswaffen gegen unser Volk einzusetzen." S.a. Feldman: Bombing of Osiraq; sowie den israel.  Regierungsbericht Iraqi Nudear Threat.
(4) Mit der Asmara-Chemie in Hettenhain hatte die Nukem z.B.  1969 den Atomwaffensperrvertrag beinahe umgangen. Im Proliferations-Hearing 1984 des Hess. Landtags gestand der Nukem-Manager Hackstein ein, daß die Firma 1969 232 kg "natürliches Uranoxid" an die Asmara verkauft hat, die es an Argentinien liefern wolite. Das Geschäft mit dem waffentauglichen Uran wurde auch bei der Euratom-Behörde angemeldet, allerdings erst Wochen nach dem Deal. Die Brüsseler Atomkontrolleure konnten gerade noch den Transport nach Argentinien verhindern. Die Asmara gab daraufhin das Uran an Nukem zurück.
(5) 5. Spiegel v. 9.5.77, dpa v. 23.5.77, stern v. 13.5.80
(6) 5. Coppik/Roth: Am Tor der HöHe, 1982
(7) Vanunu wurde bekanntlich kurz vor der Veröffentlichung in der "Sunday Times" im Oktober 1986 vom israelischen (Geheimdienst entführt und soll nun in einem Geheimverfahren verurteilt werden.)

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