Eigentlich hätten die Hanauer Atomkraftgegner längst um ein großes Freudenfeuer auf dem Marktplatz tanzen müssen. Seit Jahren haben sie - und die nhz gehört zu ihnen - in der Wüste gepredigt, in Akten und Büchern gewühlt, Flugblätter verteilt, Broschüren erstellt, Pressekonferenzen veranstaltet, den Strafprozeß gegen die Alkem-Manager in Gang gesetzt, bundesweit Vorträge gehalten, Demos organisiert. Immer neue Niederlagen und Demütigungen brachte der scheinbar aussichtslose Kampf gegen die atomare Verseuchung vor dem Atonikrieg mit sich, bis nur noch die Unentwegten übrigblieben. Die Bürgerinitiative IUH schrumpfte auf eine Handvoll Leute, bei den Grünen engagierten sich immer weniger gegen die Nuklearbetriebe, die regionale Gewerkschaftergruppe gegen Atomanlagen zerfiel.
Und dann, vor Weihnachten, das:
Der Kaiser stand nackt vor den Fernsehkameras, die Hanauer Atomgewaltigen
waren plötzlich eine kriminelle Bande, der selbst Wallmann ein Bombengeschäft
mit den Feinden unserer Freunde zutraute, die sauberste aller Energieindustrien,
ein einziger Sumpf. Die Hanauer Schmiergeldlösung des weltweiten Entsorgungsproblems,
die wunderbare Faß-vermehrung zwischen den Jahren, der Bombenverdacht
gegen Nukem ließ für viele ein Weltbild wanken.
Plötzlich hing die Sicherheit in den sichersten Atomkraftwerken der Welt nicht mehr von der Perfektion des deutschen Ingenieurs ab, sondern vielleicht von einer kostenlosen Bordellnacht für die Sicherheitsverantwortlichen. Schlimmer noch, das friedliche Atom hatte seine Unschuld verloren und trieb sich als Spaltstoff für die islamische Bombe in der Welt herum.
Das war kein Fall mehr für eine Anzeigenkampagne der Betriebsräte in den Regionalzeitungen, hier mußte der Staat eingreifen. Und so versucht unsere unerschrockene Regierung, das libyisch-pakistanische Gespenst zu bannen wie so viele andere böse Geister zuvor. Zwar hatten die Deutschen jetzt das Wort "Proliferation" gelemt, doch nicht einmal einen Zipfel davon zu Gesicht bekommen.
Kaum war klar geworden, daß die undichten Stellen im Atomapparat doch nicht so groß sind wie anfangs befürchtet, da wurden ,die Medien auch schon von Regierungssprecher Ost zur Ordnung gerufen : "Mit den Spekulationen muß Schluß sein." Schließlich wuchs die Gefahr, daß im allgemeinen Taumel der Enthüllungssucht die Finger sich auch nach Bonn richten und auf die eigene Nähe zur Bombe deuten. Und scharfe Waffen zeigt man nicht dem Volk, auch wenn unser Kanzler im vergangenen Sommer die Pershings der Bundeswehr zu "Drittstaatensystemen" erhob und sich beinahe verplappert hätte.
Es ist doch schon längst nicht mehr wahr, daß die Nukem im Oktober 1960 weltweites Entsetzen auslöste, als ihr die Zentrifugen-Anreicherung von Uran glückte (BILD frohlockte damals "Die Atombombe des kleinen Mannes"). Es bringt auch nichts, wenn zuviele darüber nachdenken, daß sich die deutsche Atomindustrie gegen ihre Konkurrenten behaupten konnte, weil sie mit Vorliebe solche "friedliche" Atomtechnik exportierte, die auch militärisch nutzbar war.
Und die Atomgegner ? Sie werden vorerst das tun, was sie immer schon getan haben: informieren, demonstrieren, prozessieren... . Aber hoffentlich auch weiterhin mit größerer Sympathie bei der Bevölkerung - in Hanau und anderswo.
Die IUH versucht nun, eine Aktionsform zu finden, die den Ansatz der
Demo vom 16. Januar ausbauen könnte:
An jenem Samstag waren nämlich nicht nur die alten Anti-AKW-Kämpen
auf der Straße, sondern auch Eltern mit ihren Kindern und erstaunlich
viele ältere Hanauer, die zum erstenmal mitdemonstrierten. Für
die Atomstadt am Main ist ein solches Echo in der Bevölkerung ein
Novum. Inzwischen hat die Bundesorganisation der Mütter und
Väter gegen Atomkraft Interesse an einer Aktion mit Kindern in Hanau
gezeigt. Diese soll aber nicht mit einer Demo zusammenfallen, sondern unter
der Woche laufen.
Für die Groß-Demo ist zunächst die Bildung eines örtlichen Trägerkreises gedacht, der auch "vertrauensbildende Maßnahmen" gegenüber der Bevölkerung sicherstellen soll (bis die nhz erscheint, wird es bereits das erste Trägerkreistreffen gegeben haben). Der Termin für die Demonstration stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, allerdings wird von einigen der zweite Samstag nach Wiederinbetriebnahme der Nukem angepeilt.
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