neue hanauer zeitung Nr. 41, Februar 1988


Unser Atom ist friedlich - 
Hanau denkt nach, warum nicht vor?

Eigentlich hätten die Hanauer Atomkraftgegner längst um ein großes Freudenfeuer auf dem Marktplatz tanzen müssen. Seit Jahren haben sie - und die nhz gehört zu ihnen - in der Wüste gepredigt,  in  Akten und Büchern gewühlt, Flugblätter verteilt, Broschüren erstellt, Pressekonferenzen veranstaltet, den Strafprozeß  gegen die Alkem-Manager in Gang gesetzt, bundesweit Vorträge gehalten, Demos organisiert. Immer neue Niederlagen und Demütigungen brachte der scheinbar aussichtslose Kampf gegen die atomare Verseuchung vor dem Atonikrieg mit sich, bis nur noch die Unentwegten übrigblieben. Die Bürgerinitiative IUH schrumpfte auf eine Handvoll Leute, bei den Grünen engagierten sich immer weniger gegen die Nuklearbetriebe, die regionale Gewerkschaftergruppe gegen Atomanlagen zerfiel.

Und dann, vor Weihnachten, das:
Der Kaiser stand nackt vor den Fernsehkameras, die Hanauer Atomgewaltigen waren plötzlich eine kriminelle Bande, der selbst Wallmann ein Bombengeschäft mit den Feinden unserer Freunde zutraute, die sauberste aller Energieindustrien, ein einziger Sumpf. Die Hanauer Schmiergeldlösung des weltweiten Entsorgungsproblems, die wunderbare Faß-vermehrung zwischen den Jahren, der Bombenverdacht gegen Nukem ließ für viele ein Weltbild wanken.

Plötzlich hing die Sicherheit in den sichersten Atomkraftwerken der Welt nicht mehr von der Perfektion des deutschen Ingenieurs ab, sondern vielleicht von einer kostenlosen Bordellnacht für die Sicherheitsverantwortlichen. Schlimmer noch, das friedliche Atom hatte seine Unschuld verloren und trieb sich als Spaltstoff für die islamische Bombe in der Welt herum.

Das war kein Fall mehr für eine Anzeigenkampagne der Betriebsräte in den Regionalzeitungen, hier mußte der Staat eingreifen. Und so versucht unsere unerschrockene Regierung, das libyisch-pakistanische  Gespenst zu bannen wie so viele andere böse Geister zuvor. Zwar hatten die Deutschen jetzt das Wort "Proliferation" gelemt, doch nicht einmal einen Zipfel davon zu Gesicht bekommen.

Kaum war klar geworden, daß die undichten Stellen im Atomapparat doch nicht so groß sind wie anfangs befürchtet, da wurden ,die Medien auch schon von Regierungssprecher Ost zur Ordnung gerufen : "Mit den Spekulationen muß Schluß sein." Schließlich wuchs die Gefahr, daß im allgemeinen Taumel der Enthüllungssucht die Finger sich auch nach Bonn richten und auf die eigene Nähe zur Bombe deuten. Und scharfe Waffen zeigt man nicht dem Volk, auch wenn unser Kanzler im vergangenen Sommer die Pershings der Bundeswehr zu "Drittstaatensystemen" erhob und sich beinahe verplappert hätte.

Atomwaffenstaat auf Abruf

Über die eigentlichen Triebkräfte des Atomprogramms kann nun weiter in kleinen Meckerzirkeln disputiert oder in unbedeutenden Flugblättern geschrieben werden. Die  Bundesregierung spielt sich fernsehgerecht als Hüter des Atomwaffensperrvertrags auf - ausgerechnet jene Unionspolitiker, die die Unterzeichnung dieses Vertrags jahrelang torpedierten und die Vereinbarungen mehrfach durchlöcherten. Wer denkt denn noch daran, daß F.J. Strauß nicht müde wurde, den Sperrvertrag als "Versailles von kosmischen Ausmaßen" zu geißeln? Was  sollen die Regierten denn schon anfangen mit Einsichten wie der, daß es für unsere Friedensrepublik recht komfortabel ist, international als Atomwaffenstaat auf Abruf zu gelten und diesen Ruf zu pflegen?

Es ist doch schon längst nicht mehr wahr, daß die Nukem im Oktober 1960 weltweites Entsetzen auslöste, als ihr die Zentrifugen-Anreicherung von Uran glückte (BILD frohlockte damals "Die Atombombe des kleinen Mannes"). Es bringt auch nichts, wenn zuviele darüber nachdenken, daß  sich die deutsche Atomindustrie gegen ihre Konkurrenten behaupten konnte, weil sie mit Vorliebe solche "friedliche" Atomtechnik exportierte, die auch militärisch nutzbar war.

Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz

Robert Jungk meinte in einer ersten Reaktion zum Nukem-Skandal, daß der Wirbel um Pakistan und Libyen auch dazu benutzt werden kann, von "der wirklichen Tatfährte" abzulenken. Wir erinnern uns an den Tumult im Bonner Parlament im Herbst `87, als die Grünen forderten, den Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz aufzunehmen. Jungk verwies auf Indizien wie das bei Kiel tätige Institut Stoh, das sich mit Fragen der Atomrüstung beschäftigt. Die Sache "Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz" ist noch nicht ausgestanden - eine Kampagne dazu wird vorbereitet.
Freude also will bei den Atomgegnem, auch den Hanauem, nicht so recht aufkommen. Vieles wurde in den Medien enthüllt, doch daß der Skandal System hat, ist nicht so leicht zu verstehen. Und die schleichende Proliferation via Maschinen(-teile) und know-how verstößt nur selten gegen Gesetz oder den durchlöcherten Atomwaffensperrvertrag.

Neuer Plutoniumbunker

Unberührt von der neuerlichen Bevölkerungsmehrheit für den Ausstieg werden in Hanau weitere Expansionspläne verfolgt. Alkem will einen neuen Plutoniumbunker bauen und hat dafür 40 Millionen in Bonn beantragt. Die neuen Aufpasser von der Nukem-Mutter Degussa scheint wenig zu berühren, daß einige Flecken auf ihrer weissen Weste gesichtet wurden. Vielleicht bringen sie es ja noch soweit, daß die Atommülltransporter künftig mit dem blauen Umweltengel auf der Plane durch die Lande donnern dürfen. Wie's drunter aussieht, geht schließlich keinen etwas an.

Und die Atomgegner ? Sie werden vorerst das tun, was sie immer schon getan haben: informieren, demonstrieren, prozessieren... . Aber hoffentlich auch weiterhin mit größerer Sympathie bei der Bevölkerung - in Hanau und anderswo.

Dezentrale Aktionen und Großdemo in Hanau

Daß die spontane Demonstration der 500 am 16. Januar durch Hanau nicht die einzige regionale Aktion nach dem Nukem/TN-Skandal gewesen sein kann, ist unstrittig. Allerdings gibt es verschiedene Vorstellungen über die weiteren Aktivitäten auf regionaler und auf Bundesebene. Die IUH hat eine regionale Demo in Hanau und eine bundesweite in Bonn vorgeschlagen, kam damit aber bei der Sonderbundeskonferenz der Anti-AKW-Bewegung am 24. Januar in Marburg nicht durch. Deren Beschluß sieht für die nächsten Monate dezentrale Aktionen mit zentraler Koordination vor.
Demnach sind Aktivitäten entlang der Strecke des  nächsten Brennelemente-Transports vom VAK Kahl nach Lübeck (16.117. Februar - Faschingsdienstag/Aschermittwoch) geplant. Am 29 Februar soll ein bundesweiter "Abschalttag" mit dezentralen Aktionen laufen, und am Samstag, 5. März, Demos an vier Atomstandorten: in Gorleben, in Essen (Hauptsitz der RWE), im Rhein-Main-Gebiet und in  Wackersdorf. Eine Großdemonstration in Hanau wurde von der Marburger Konferenz für den immer näher rückenden Fall angekündigt, daß Nukem wieder seine Betriebsgenehmigung erhält und zwar für den zweiten Samstag nach der Wiederinbetriebnahme. Damit zeigte sich die IUH angesichts der negativen Auswirkungen der 86er Großdemo auf ihre Arbeit nicht einverstanden. Weitere Entscheidugen stehen bei der nächsten Bundeskonferenz vom 5. bis 7. Februar an.

Die IUH versucht nun, eine Aktionsform zu finden, die den Ansatz der Demo vom 16. Januar ausbauen könnte:
An jenem Samstag waren nämlich nicht nur die alten Anti-AKW-Kämpen auf der Straße, sondern auch Eltern mit ihren Kindern und erstaunlich viele ältere Hanauer, die zum erstenmal mitdemonstrierten. Für die Atomstadt am Main ist ein solches Echo in der Bevölkerung ein Novum.  Inzwischen hat die Bundesorganisation der Mütter und Väter gegen Atomkraft Interesse an einer Aktion mit Kindern in Hanau gezeigt. Diese soll aber nicht mit einer Demo zusammenfallen, sondern unter der Woche laufen.

Für die Groß-Demo ist zunächst die Bildung eines örtlichen Trägerkreises gedacht, der auch "vertrauensbildende Maßnahmen" gegenüber der Bevölkerung sicherstellen soll (bis die nhz erscheint, wird es bereits das erste Trägerkreistreffen gegeben haben). Der Termin für die Demonstration stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, allerdings wird von einigen der zweite Samstag nach Wiederinbetriebnahme der Nukem angepeilt.

esti
Anmerkung:
(1) Helmut Kohl forderte im Juni 87 bekanntlich, die Pershing 1A der Bundeswehr, deren Atomsprengköpfe den USA unterstellt sind, aus den Verhandlungen über die doppelte Nullösung auszukiammern. Damit wurde die BRD auf eine Stufe mit den Atommächten Frankreich und Großbntanmen gestellt (die sog. "Drittstaaten"). Die UdSSR fragte damals nicht umsonst: "Wem gehören die Sprengköpfe?"


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