neue hanauer zeitung Nr. 54, 1989/90


NUKEM GOES ÖKO

Mit Abfallvermeidung und Recycling auf Hanauer Art spart die Neue Nukem mindestens 280 Millionen DM

Die in nächster Zeit anstehende Stillegung der Nukem-Alt-Anlagen in Hanau-Wolfgang geht nur, wenn die Gebäude und der Boden um die Anlagen herum entseucht werden. Das wiederum bedeutet 20 000 Tonnen Erdaushub müssen dekontaminiert werden. Eine Entseuchung der Anlagen selbst ist - wenn überhaupt - nur möglich durch Abriß und Aufbereitung der dabei anfallenden 10 000 Tonnen Bauschutt.

Wir müssen umdenken! Alte Feindbilder abbauen. Uns eventuell entschuldigen. Denn die Neue Nukem kommt uns jetzt ganz grün. Nicht nur, daß sie auf dem Solarsektor vorangeht. Sie betreibt Umwelt-Engineering und überbietet dabei offensichtlich die sehnlichsten Wünsche der grün-alternativen Anti-AKW-Szene nach Stillegung der Betriebe in Hanau-Wolfgang: Sie reißt einen Betrieb sogar völlig ab. Und bei den Abrißarbeiten wird Abfall vermieden! Nukem recycelt Bauschutt und Erdaushub.

Doch damit nicht genug, der recycelte Erdaushub wird ökologisch sinnvoll genutzt, um die Abfallhalden der privaten Firma "Gewerkschaft Brunhilde GmbH" im rheinland-pfälzischen Ellweiler "gas- und abstrahlungssicher" abzudecken. Dr. Hamma' Chef des Nukem-Recycling-Partners Brunhilde GmbH in Ellweiler, versichert, der Erdaushub aus Hanau sei an sich schon "ein absolut harmloses Material". Nach dem von seiner Firma betriebenen naß-chemischen Verfahren zur Rückgewinnung von Uran aus dem Nukem-Bauschutt sei das Material "am Ende so etwas wie Speis, den die Maurer benutzen".  (Dr. Hamma in einem Interview des Hessischen Rundfunks).

"Hier kann die Industrie ihr Problem selber lösen."

Der Abriß der Altanlagen der Nukem in Hanau-Wolfgang ergibt 20.000 Tonnen radioaktiv kontaminierten Bauschutt. Die gilt es unschädlich zu machen. Ein Problem. Nukem als führendes Engineering-Unternehmen hat eine Lösung:

In Ellweiler liegen tausende Tonnen von Reststoffen aus der Uranerzaufarbeitung auf Halde. Die müssen nach Auflagen der Genehmigungsbehörden abgdeckt werden. Vor einer völligen Sanierung darf die Uranerzaufbereitungsanlage Ellweiler der Gewerkschaft Brunhilde GmbH (Sitz Braunschweig) nicht weiterarbeiten. Ein zweites Problem.

Nukem hat die Lösung: Doppelsanierungsplan

Nukem hat die Lösung, sie ist denkbar einfach:

Nukem hat sich mit dem Brunhilde-Geschäftsführer Dr. Hamma zusammengetan. Beide präsentieren stolz den Nukem-Hamma.Doppelsanierungsplan: Der kontaminierte Hanauer Erdaushub und fahren in Eliweiler vom Uran befreit und zur Abdeckung der Halden in Ellweiler benutzt. Das aus dem Bauschutt recycelte Uran verkauft Dr. Hamma für 50 Millionen an die Nukem. Die gibt es bei geeigneter Anreicherung direkt in die Brenneleipenteproduktion  oder,  was wahrscheinlicher ist, legt das Uran bei sich oder sonstwo auf Halde. Nach dem 50-Millionen-Akt soll die Anlage in Ellweiler endgültig stillgelegt werden. Eine saubere Lösung.

Lauter Menschenfreunde im Werk...

Mit Bauschutt 50 Millionen DM verdienen - ein lukratives Geschäft?

Dr. Hamma dazu im Hessischen Rundfunk: Nein, "wenn das Null zu Null aufgeht, sind alle Beteiligten heilfroh". Und ohne diese Nukem-Hamma-Methode müsse der Steuerzahler für einige Millionen in die Tasche greifen. Man nüsse nicht immer gleich nach dem Staat rufen. "Hier kann die Industrie ihr Prolem selber lösen!" Wir verstehen die Velt nicht mehr. In Hanau-Wolfgang wie in Ellweiler sind offenbar lauter Menschenfreunde am Werk.

Uns paßt das nicht ins Weltbild. Wir leiben notorisch mißtrauisch.

Und weil wir die alten Feindbilder eben noch im Kopf haben, haben wir etwas nachgerechnet. Die folgenden Zahlen beruhen auf öffentlich zugänglichen Fakten und Indizien:

Mindestens 10 Tonnen Uran

1. In Ellweiler wird kein Material verarbeitet,  das unter 0,05 % Uran enthält, weil sich die Verarbeitung bei geringerem Gehalt betriebswirtschaftlich nicht rechnet (Dr. Hamma: "Wir können nicht immer mehr zahlen, als wir verdienen!"). Bei der Untergrenze von 0,05 % Uran im Hanauer Erdaushub ergeben sich bei 20.000 Tonnen Erde mindestens 10 Tonnen Uran.

Stellt sich die Frage: Warum liegt im Wolfgänger Erdreich so viel Uran? Liegt bei Hanau etwas eine Uranmine?

2. In Ellweiler kann und darf nur bis zu 5 % angereichertes Uran verarbeitet werden. Daür ist die Anlage ausgelegt. Nukem-alt hat aber über 30 Jahre nur mit 95 %ig angereichertem Uran gearbeitet. Der Erdaushub ist also mit 95 %ig angereichertem, d. h. mit hochangereichertem Uran (die gängige Abkürzung dafür ist sinnigerweise HU) verseucht. Solche Erde darf und kann in Ellweiler nicht naßchemisch behandelt werden, wegen der Gefahr kritischer Reaktionen.

Stellt sich die zweite Frage: Wie kann HU-verseuchter Boden aus HU-Wolfgang in Ellweiler als lediglich mit 5 % angereichertem Uran versecht ankommen?

Wahrscheinlich 54 kg Uran aus dem Fenster geblasen

Auf beide Fragen gibt es zwei mögliche Antworten:

1. Die 10.000 kg fast naturidentischen Urans (Anreicherung zwischen 0,7 und 5 %) stammen aus einer 30 Jahre andauernden Riesenschweinerei der Nukem. Sie muß seit ihrer Gründung stündlich 190 Gramm und mehr Uran aus den Fenstern geblasen haben, 8 Stunden täglich bei 220 Arbeitstagen und 30 Betriebsjahren (l9Ogr x 8 x 220 x 30 = 10.033 kg).

Was noch an Uranstaub übern Zaun geblasen wurde, bleibt unberücksichtigt. Da die Nukem aber weder Natururan noch niedrig-angereichertes Uran verarbeitet hat, bleibt die zweite Antwort:

2. Die Nukem hat in 30 Betriebsjahren "nur" ca. 54 kg hochangereichertes Uran (HU) aus den Fenstern geblasen, also stündlich 1,02 Gramm. Um die HU-verseuchte Erde in Ellweiler unterbringen zu können, muß sie mit abgereichertem Uran (0,2 % Anreicherungsgrad) gemischt, im Fachj argon "heruntergeblendet" werden .Dabei müssen den mit 54 kg HU verseuchten 20.000 Tonnen Erdaushub 9.946 kg abgereichertes Uran beigemischt werden, um eine rechnerische Durchschnitts-Kontaminierung mit "naturidentischem" Uran (0,7 % Anreicherung) zu erreichen. Diese Methode heißt "Blending" (to blend heißt auf deutsch mischen).

DIE NEUE NUKEM IST EIN BLENDWERK

Nukem-Mitarbeitern ist ein häufig benutzter Ausspruch des ehemaligen Nukem-Geschäftsführers Hackstein in guter Erinnerung. Wurde bei Produktionsprozessen ein zu hoher Anreicherungsgrad festgestellt, soll Hackstein immer gesagt haben: "Das blenden wir runter!" Mit dem "Blending" umgeht die Nukem aber zumindest den Sinn des § 9a des Atomgesetzes:

"Wer Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, ... stillegt oder beseitigt, ... hat dafür zu sorgen, daß radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute oder abgebaute radioaktive Anlagenteile 1. ... schadlos verwertet werden oder 2.... als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden." (aus § 9a AtomG)

Sind solche Abfälle jedoch schadlos wirtschaftlich verwertbar, sind sie kein Abfall mehr, sondern ein "Wirtschaftsgut". Durch diese Masche im Atomgesetz geht die Nukem hart am Rand der Legalität: Mit dem Blendverfahren wird durch Beimischung von 9,9 Tonnen abgereichertem Uran die Menge von 20.000 Tonnen endlagerungspflichtigen radioaktiven Abfalls plötzlich ein angebliches "Wirtschaftsgut", das die Nukem gegen Zahlung von 50 Millionen DM in Ellweiler weiter verarbeiten kann. Das Ergebnis in Ellweiler sind 10.000 kg natur-(identisches) Uran, das an die Nukem zurückgeht.

Warum zahlt die Nukem freiwillig das 50fache?

Stellt sich die Frage: Warum zahlt die Nukem das über SOfache dessen, was sie auf dem eigenen Spotmarkt oder anderswo zahlen müßte? Da kosten die 10 Tonnen lediglich 560.000 bis 1 Million DM. (Nach Angaben aus dem Jahrbuch der Atomwirtschaft 89 kostete das englische Pfund Natururan 1988 zwischen 14 und 24 Dollar).

Wo bleibt da die "Wirtschaftlichkeit"? Das machte uns stutzig. Deshalb haben wir nachgerechnet:

Was kosten 50.000 Faß radioaktiver Abfall?

Würde die Nukem den Erdaushub nicht mit zusätzlichen 9.000 kg (kostenlosem) abgereichertem Uran vermischen und verseuchen, müßten die 20.000 Tonnen Erdaushub als radioaktiver Abfall im Sinne des § 9a Atomgesetz in 50.000 Fässer a 400 Liter verschweißt und endgelagert werden.

Vorsichtig geschätze Kosten:
 

Summe der Endlagerungskosten: 330 Millionen DM.

Rechnen wir die Endlagerungskosten 1 für 10.000 Tonnen radioaktiv verseuchten Nuken-Bauschutts dazu, würden die Kosten bei 440 Millionen DM liegen.

Da zahlt die Nukem - so meinen wir - doch lieber 50 Millionen für den Hammer von Ellweiler. Die "Wirtschaftlichkeit" dieser kostspieligen Uranrückgewinnung, die die Legalitätsgrundlage für die seltsame Verwandlung von radioaktivem Abfall in "Wirtschaftsgut" hergeben soll, liegt für die Nukem ausschließlich in der Vermeidung der Endlagerung. Soll einer sagen, die Vermeidung von 280 bis 390 Millionen DM Kosten sei nicht wirtschaftlich!

Wirtschaftlich könnte das Geschäft mit der Nukem auch für Dr. Hamma werden, mehr als üblich in der Branche: Kippt seine Firma die 20.000 bis 30.000 Tonnen Nukem-Schutt ohne Behandlung auf die Halden in Ellweiler, kauft auf dem freien Markt für 1 Million DM 10 Tonnen Natururan und liefert die als "rückgewonnenes Uran" für 50 Millionen DM an die Nukem zurück, da blieben satte 40 Millionen als Reingewinn. Das wäre zumindest eine verlockende Option.

Der Hammer von Ellweiler

Die Firma Nukem hat bis heute den Genehmigungsbehörden in Rheinland-Pfalz noch keine Inhaltsanalyse des Bauschutts vorgelegt. Was in Ellweiler aus dem Schutt geholt werden kann, ist lediglich das Uran. Plutonium bleibt drin (Es gab bei Nukem eine Plutoniumverseuchung, obwohl dort offiziell nicht mit Plutonium gearbeitet wurde). Es bleiben andere Isotope im Erdreich, weil niemand genau sagen kann, was der Erdaushub enthält. Es müßte erst jeder Krümel analysiert werden und das ist nicht finanzierbar.

Gesucht werden müßte nicht nur radioaktives Material: Auf dem Gelände produzierte die Preußische Pulvermühle mit dem Umweltschutzverständnis der Gründerjahre des vorigen Jahrhunderts, es produzierte mit der gleichen Umweltpraxis die Degussa mit der gesamten Chemiepalette der Edelmetallherstellung. Die Nukem wurde auf einer Chemie-Kloake gebaut. Das alles bleibt im Erdreich, das zur "Sanierung" der Grube Ellweiler benutzt werden soll. - Ab ins Grundwasser, ab in die Luft!

Dann hilft nur noch Bet(h)en

Der rheinland-pfälzische Umweltminister Beth hat berechtige Zweifel an der technischen Realisierbarkeit einer solchen "Halden-Sanierung". Beth, Nach-Nachfolger von Klaus Töpfer, weiß ungefähr, was die Halden in Ellweiler alles bergen: neben radioaktiven Reststoffen jede erdenkliche Menge von Chemieabfällen, Sondermüll, Teerdecken. Er weiß, daß die Halden weder nach unten abgesichert, noch nach oben absicherbar sind. Das aus den Halden austretende radioaktive Edelgas Radon zersetzt die bei der geplanten "Sanierung" vorgesehene Plastikabdeckung. Spätestens dann kann sich die Hanauer Chemie mit der Hamma-Halden-Chemie in Ellweiler verbinden. Ungeahnte chemische Reaktionen können entstehen. Die Lage der Anlieger direkt am Fuße der Halden wird noch ätzender als bisher. Grund- und Trinkwasser werden zu puren Gifttransportern.

Statt "Blauer Engel" - "Blauer Blitz"

Ungeahnte chemische Reaktionen nicht erst auf der Halde: Sollen Nukem und Dr. Hamma doch mal sagen, wie das Hanauer Chemie-Schlammelsurium im naß-chemischen Verfahren auf das Ammonium-Bad reagiert. Funkstille!

Sind die chemischen Risiken überhaupt nicht absehbar, läßt sich bei der von der Nukem angestrebten Billigentsorgung von radioaktiven Abfall eine Gefahr klar abschätzen: Unterläuft der Nukem bei der physikalischen Mischung in Wolfgang nur der kleinste Fehler, kann es in der Anlage in Ellweiler zu kritischen Reaktionen kommen. Geraten kleinste Mengen hochangereicherten Urans zu Beginn des naß-chemischen Verfahrens in Lösungsbrühe nebeneinander, bevor sie gelöst wurden, tritt eine "Leistungsexkursion" ein, der "blaue Blitz". Er hat die Wirkung einer kleinen Bombe. Zumindest die in der Anlage Beschäftigten werden das nicht überleben, eine plötzliche Bestrahlung mit 1000 rem wirkt tödlich. Solche "blauen Blitze" gab es in den 50er Jahren in Los Alamos, in Sellafield und in einer Anlage in der UdSSR.

Die "Neue Nukem", die mit Hilfe des pfiffigen ehemaligen taz-Werbers Schliner ihr skandalgebeuteltes Image gerade wieder aufpolieren will, müßte schon etliches an Bestechungsmitteln locker machen, um eine Genehmigungsbehörde für ein solches Verfahren zu gewinnen.

Gelingt es der Nukem im Verein mit Dr. Hamma, Sanierungspläne als umweltfreundlich zu verkaufen, hat Herr Töpfer zwei Probleme vom Hals. Das Bundesumweltministerium bräuchte sich nicht an der Endlagerfinanzierung von Nukem-alt beteiligen, denn Siemens will die 440 oder 330 Millionen dafür so oder so nicht zahlen. Ein zweiter, noch größerer Brocken würde nicht negativ im Töpfer-Budget zu Buche schlagen: Ganz sicher ist, daß Dr. Hamma's "Gewerkschaft Brunhilde GmbH" bei einer ordnungsgemäßen Sanierung der Halden in Ellweiler in den Konkurs ginge. Die dort lagernden 170 Millionen Tonnen radio-

Bonn hat Interesse an der Nukem-Hammer-Lösung

aktiv und chemisch verseuchter Rest-stoffe aus der Reststoffverwertung müßten wie der Nukem-Bauschutt als radioaktiver Abfall endgelagert werden. Und nach dem dann garantierten Brunhilde-Konkurs müßte Töpfer tief in den Topf greifen:

Dr. Hamma's Halden ins Endlager zu schaffen, kostet über 2 Milliarden Deutsche Mark. - Und die Endlagerkapazität ist auch nicht grenzenlos.

"Es geht darum, wer die Zeche bezahlt"(Dr. Hamma im Hess. Rundfunk). - Wie wahr!

Wir würden uns nicht wundern, wenn sich bei der Aussicht auf eine Gesamtersparnis von 2,3 bis 2,5 Milliarden DM nicht einiges an krimineller  Energie mobilisieren ließe.

Hartmut Barth-Engelbart
 

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