Mitten aus der FAZ-Lektüre spricht ihn sein Nachbar mit Sorgenfalten in der Stimme auf die düsteren Wolken über dem Hanauer Atomdorf Wolfgang an. Wie kann die schon arg gebeutelte Nukemführung aus dem TN-Ermittlunngs-rummel herausgehalten werden? Wird Jelinek-Fink seinen TN-Geschäftsführer Vygen noch halten können? Der TN-Vertriebsleiter lächelt wissend: »Der Vygen, der wird das Damen-Opfer.« Er weiß über viele kleinere und größere Nuklear-Schachzüge zu berichten, das verkürzt die Flugzeit. Was er nicht weiß: sein Nachbar ist nhz-Redakteur.
»Damen-Opfer«? Wer Schach spielt, weiß, wann die zweithöchste Schachfigur bewußt fallengelassen wird: wenn die Könige vor dem sicheren Schach-Matt stehen. Daß mit der »Dame« auch einige »Bauern« und »Läufer« fallen würden, war noch während der staatsanwaltlichen Ermittlungen von anderen TN-Mitarbeitern zu erfahren.
Konkrete Personen wurden schon damals genannt: so der Sachbearbeiter im TN-Geschäftsbereich Abfall, Diplomingenieur Wilhelm Bretag, als »Bauer« an der Front im belgischen Mol, die Gruppenleiter und Diplomchemiker Dr.Bernhard Christ (Spitzname: Fliegen-Christ) und Hans Günther Knackstedt (Spitzname: Knacki) als »Läufer«. Und über der »Dame« Vygen schwebend die »Könige«, die Geschäftsführer der Nukem: Stephany (gleichzeitig JN-Auf-sichtsratsvorsitzender) Jelinek-Fink und Hackstein, stellvertretend für denhochangereicherten Nuklear-Adel aus RWE, Degussa, Siemens & Co.
Dem bis dahin Allein-Geschäftsführer der TN und Vertrauten von Stephany, dem Chemiker Dr. Horst K. wird 1979 ein technischer Geschäftsführer zur Seite gestellt: Jelinek-Fink entsendet aus seiner Nukem-Bau-Projektabteilung seinen »von preußischer Pflichterfüllung geprägten« Dr. Peter Vygen, dem dann ab 1980 der höchstprofitable TN-Bereich Abfall untersteht. Ganz normaler Vorgang, könnte man meinen. Tatsächlich ist es die Austragung eines Nukeminternen Diadochenkampfes zwischen Stephany und Jelinek-Fink um den Zugang zur TN und ihren Gewinnen: Hatte die Nukem 1980 einen Umsatz von 100 Millionen DM bei lediglich 1% Gewinn vor Steuern, waren es bei der TN 20 Millionen Umsatz bei satten 10% Gewinn. Über die konnte Jelinek-Fink mit seinem Vertrauten Dr. Vygen jetzt indirekt mitvervygen. Der wegen seiner Trinkgewohnheiten zeitweilig gehandikapte Stphany konnte dieses Manöver nicht verhindem, zumal schon vorher der Rodenbacher Rechtsanwalt Ulrich Timm als kaufmänni-scher Geschäftsführer speziell zur Entlastung des offenbar überforderten TN-Aufsichtsratsvorsitzenden Stephany eingestellt wurde.
Dem bisherigen Allein-Geschäftsführer, Dr. Horst K., der sich im Geschäft mit radioaktivem Abfall die Finger nicht schmutzig machen wollte, kam diese Regelung sehr gelegen. Gleichwohl hat er, der weltgewandte, acht Sprachen (u.a. flämisch) sprechende, äußerst integer wirkende Chemiker, entscheidende Grundsteine für das große TN-Abfallgeschäft gelegt. Er kannte sich bestens im belgischen Mol aus und hat als direkter Vorgesetzter den TN-Abteilungsleiter und rekordverdächtigen Atommüll-Akquisiteur Holtz gefördert: »Den muß man machen lassen, der Holtz hat ein goldenes Händchen.« Dr.Horst K. - sinngemäß -über Holtz)
Ein Indiz dafür, daß Dr. K. über die »Entsorgungspraxis« der TN Bescheid wußte, sind die Aussagen von TN-Mitarbeitern über Auseinandersetzungen zwischen Dr. K. und Dr. Peter Vygen im Jahr 1980, bevor im gleichen Jahr dann die Zuständigkeiten in der Geschäftsführung geteilt wurden: K. für Behälter, Vygen für Abfall.
Im Wirrwarr von Scheinfirmen, Scheingeschäften, Schwarzgeldwaschaktionen und Schrniermittelbeschäffung hat sich eine ganze Reihe von kleinen Lichtern aus der Nukem-Buchhaltung verfangen. Die TN hatte kein eigenes Rechnungswesen, alle Aktionen liefen über die Buchhaltung der Mutter Nukem. Und die hatte Anweisungen von oben. Wenn zum Beispiel für 500.000 Mark ein Schiff geschartert wurde für eine Kreuzfahrt mit allen AKW-Größen an Bord, mußte dafür der Chef vom Nukem-Einkauf herhalten wie für alle sonstigen "Werbegeschenke". Und die Nukem-Buchhaltung mußte das alles irgendwie unterbringen. »Alles auf Anweisung von Stephany«, ist aus dem Kreis der Betroffenen zu vernehmen, die pro Kopf zu 3.000 DM Geldstrafe verurteilt und dann von der Nukem geschaßt wurden. Als Geschäftsführer der Nukem und TN-Aufsichtsratsvorsitzender müßte er zumindest davon gewußt haben.
Daß die Nukem für die - angesichts des TN-Schlamassels notwendige - »Säuberung« ihrer Buchhaltung einige hunderttausend Mark hinblättert, stimmt nachdenklich. Könnten die für gerichtlich Abgeurteilte doch ziemlich hohen Abfindungen vielleicht so was wie Schweigegelder sein? Schließlich hatten die Stephany-Untergebenen im Nukem-Rechnungswesen nicht nur TN-Geschäfte buchhalterisch zu bewältigen, wenn die Hanauer Nuklear-»Könige« von ihren »Arbeitsessen« aus dem Sheraton-Hotel zurückkehrten.
Im Fall des Angeklagten TN-Gruppenleiters Christ scheint es bei Nukem so etwas wie eine Schweige-Position zu geben.
Christ, laut Anklage einer der Hauptbetrüger, wurde direkt nach der TN-Liquidation von der Nukem übernommen. »Der macht zusammen mit dem Anton (Strahlenschutzbeauftragter) die Demontage von Nukem-Alt«, hört man aus Wolfgänger Belegschaftskreisen. Der Bock als Gärtner. Christ zog als »Abfall-Zementierer« von Kern-raftwerk zu Kernkraftwerk, betonierte den Abfall in Fässer und ließ die hin- und herfahren. Endlostransport ist billiger als Endlagerung. Endlagerfahig waren die Fässer nie: die Strahlung aus dem Abfall zersetzt den Zement, das im Zement gebundene Wasser wird frei, Wasserdampf entsteht und die Fässer platzen. Die Nukem-Alt-Demontage wird noch spannend. Der richtige Mann auf dem richtigen Posten. Stephany macht's möglich. Und Dr. Bernhard Christ sitzt im Prozeß, schweigt und lächelt. Er wird seinen Grund haben.
Schweigen ist Gold.
Der TN-Abteilungsleiter Holtz, als glänzender Akquisiteur einer der entscheidenden Motoren für die TN-Abfallgeschäfte, war bekannt als redseliger Säufer.
Er hat als einziger bei den Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft
ausgepackt. Wesentliche Teile der Anklage stützen sich auch auf seine
Aussagen.
Wie er sich in der Untersuchungshaft erhängen konnte und, warum
er sich erhängt hat, ist nicht nur für den Autor rätselhaft.
Hanauer Richter fragen schon mal in Privat-gesprächen, wie es möglich
ist, daß eine Hauptfigur im millionenschweren TN-Verfahren nicht
ausreichend bewacht und durchsucht wurde. Jeder mittlere Dealer würde
obligatorisch gefilzt, jeder Schnürsenkel konfisziert.
Wurde ihm aus Fahrlässigkeit die Möglichkeit zum Selbstmord gelassen oder mit Absicht? Oder hat ihm jemand die Möglichkeit (nach-)geliefert? Welcher Personen-kreis hat den selbst schwerbelasteten Kronzeugen in der U-Haft besucht?
Zig-Millionen Bestechungsgelder, um zu verheimlichen, daß eine offenkundig nicht geeignete Anlage nicht die atomrechtlich erforderlichen Leistungen erbrachte? Wohl kaum nur dafür.
Wer wissen wollte, welche Geschäfte wer im Hanauer Nuklear-Bermuda-Dreieck Wolfgang laufen hat, konnte es herauskriegen.
Alle Finanzaktionen der TN liefen über die Nukem-Hausbank, die Degussa-Bank (eine l00prozentige Tochter der Deutschen Bank und wurde eigens gegründet, um die UN-Sanktionen beim Goldgeschäft mit Südafrika zu unterlaufen). Und die deutschen Dienste Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst wollen nicht nur, sie müssen auch wissen, welche Finanzaktionen im Nuklearbereich getätigt werden.
Jede/r Mitarbeiter/in wird vom Verfassungsschutz obligatorisch gecheckt: Bankverbindungen, Geschäftsbeteiligungen, Funktionen, Lebenslauf etc.; alle werden mehrere Wochen observiert und routinemäßig wiederkehrend dem Verfassungs-TÜV unterzogen. Ganz besonders geprüft werden die höheren Funktionen: Geschäftsführer, Abteilungs- und Gruppenleiter. Bei einer Personengruppe ist eine Steigerung der Überwachungsintensität kaum noch möglich: alle Angestellten oder Beamten privater oder staatlicher Transportunternehmen, die Kenntnisse über die Transportwege radioaktiven Materials haben. Warum ein DKP-Mitglied nicht einmal Lokführer sein darf, diese Frage läßt sich damit beantworten. Ob Speditionen wie Schenker oder die Bundesbahn, ob die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) oder die Hanauer Transnuklear, hier entgeht nichts und niemand den Argusaugen des Staatsschutzes. Daß die Finanz-Abenteuer der vier wackeren Nukletiere im Dienste König Stephanys durch die Verfassungsschützer von Anfang an beobachtet wurden, daß dem Staatsschutz keine Geldbewegung auf normalen oder Geheim-konten im Zusammenhang mit derTN entgehen konnte, liegt auf der Hand. Die Überprüfung von Geheimkonten ist für die Dienste kein Problem: ihre Codes lassen sich mit jedem PC mittlerer Leistungsfähigkeit knacken. Die Dienste sind dazu auch verpflichtet.
Der letzte Versuch der US-Banken, wegen der Sicherheitsbedürfnisse ihrer Kunden die fünfstelligen Kontengeheimnummern durchzusetzen, ist vor ca. einem Jahr - wie der SPIEGEL berichtete - wiederum an einer CIA-Initiative gescheitert. Hintergrund der Initiative war: bei fünfstelligen Geheimnummern ist der Rechenaufwand so groß, daß eine lückenlose, schnelle Überwachung des Geldverkehrs unmöglich wird. Begründet wurde die Initiative mit der Überwachung des Geldverkehrs im Rauschgifthandel. Die vierstelligen Geheimnummern lassen sich dagegen mit jedem normalen PC knacken.
Warum die deutschen Dienste, die mit Sicherheit die TN-Finanztransaktionen überwacht und gekannt haben, nichts unternahmen, wirft wiederum einige Fragen auf.
Bestochene und Bestecher im Nuklearbereich sind, zumal es nicht nur deutsche Geheimdienste geben soll, jederzeit erpreßbar. Erpressungsgefahr besteht jedoch dann nicht, wenn sich die potentiellen Opfer von Erpressungsversuchen der Unterstützung, Duldung und Deckung durch die eigenen Geheimdienste sicher sein können. Wie die deutschen Dienste über die Proliferation deutscher Nuklearfirmen über Brasilien und Südafrika Bescheid wußten und nichts dag-gen unternommen haben, weil es politisch nicht (oder noch nicht) gewollt war, so kann es auch hier sein.
Eine Plutoniumfluß-Kontroll-Lücke, über die die nhz bereits ausführlich berichtete, ist der »Abfall« (nhz 43 »Nukem von innen«, nhz 51 »Atomkontrollen machen Plutonium-Schwarzmarkt möglich«). Spaltstoff-Bilanzungenauigkeiten. Spaltstoff-Differenzen werden in allen Nuklearanlagen seit Jahrzehnten in den einzigen nicht kontrollierten und schlecht kontrollierbaren Emissionsweg hineinbilanziert. Der Input von Uran und Plutonium wird gemessen, der Outnut über Abluft und Abwasser. sowie der Output in Form von Brennelementen. Nicht gemessen werden die Emissionen über den Abfall.
Das KFK-Verfahren wurde im belgischen Mol ausprobiert und mit EG-Mitteln finanziert. Dort gelang es, aus nur 4 Kubikmetern hannlos scheinendem Abfall 6 Kilogramm Plutonium zurückzugewinnen. Und bereits 8 Kilogramm Plutonium gelten offiziell als waffenfähige Menge. Wie hieß es doch in unserem Artikel zum Kontrollbericht der Internationalen Atomenergie B-hörde (IAEO): »Wenn in einem großen überwachten Plutoniumbetrieb innerhalb des Jahres 1987 bis zu 52,4 kg Plutonium... fehlen, dann merkt das keiner. Und dennoch gilt für diese Betriebe das Ziel der Uberwachung als erreicht! « (nhz 51).
Vier Kubikmeter Abfall sind 10 der üblichen 400-Liter-Fässer, die in Mol angeliefert wurden. Der Jahresdurchsatz in Mol lag aber bei 4.000 Fässern mit radioaktivem Abfall, mit Sicherheit genug Material, um daraus Spaltstoff für etliche Bomben zurückzugewinnen.
Dr. Horst K. war bis morgens früh um vier Uhr durch Düsseldorfs Edeletablissements getingelt. Mit von der Partie: der Düsseldorfer Warentermin- und »Rohstoff«-Händler Hempel, dem nachgesagt wird, daß er mit allem, auch mit scharfschießenden Endprodukten handelt. Am Ende des Marsches durch die einschlägigen Düsseldorfer Institutionen kamen der Doktor und der Händler zu einem genialen Vertragsabschluß: TN darf seinen Abfall nach China in die Wüste Gobi kippen. Genauere Konditionen sind hier nicht von Interesse, entscheidend ist, was folgte. Auf Druck der USA interveniert die Bundesregierung und besteht auf Annullierung des Vertrages. TN-Oberaufseher Stephany gerät in Rage, kanzelt Dr. K. wegen »Kompetenzüberschreitung« ab. Der rechtfertigt sich ziemlich verunsichert mit einem Satz, der das Atomdorf noch monatelang erheitert: er habe nachts um 4 Uhr Dr. Hackstein nicht mehr anrufen können.
Anschließend schmeißt ihn Stephany aus der TN-Geschäftsleitung.
Er wird zwecks anderweitiger Verwendung umgesetzt, will sagen, statt dem Abfall in die Wüste geschickt.
Ziemlich viel Lärm um das bißchen Abfall? Die US-Geheimdienste, die letztlich den Transunklear-Deal mit der VR China verhindert haben, wußten genau, was chinesische Atombastler aus dem westdeutschen Nuklear-Kelrrricht noch alles hätten herausholen können.
Daß im Transnuklearprozeß die entscheidende Komponente des Abfallgeschäfts, die Proliferation nicht Gegenstand der Anklage ist, laßt sich nur damit erklären, daß es seitens der Bundesrepublik kein politisches Interesse an der Aufklärung dieses Punktes gibt. Am Ermittlungswillen der Staatsanwälte liegt es wahrscheinlich nicht. So bleibt in diesem und durch diesen Prozeß die strukturelle und faktische Nähe des gesamten bundesdeutschen Nuklearkomplexes zum Bombenbau hinter dem Schau-Opfer einiger schwarzer Schafe verborgen.
Die Bauernopfer im Nuklearschach retten die Königswege der Proliferation und verschleiern den klaren Kurs des Staates und der Atomwirtschaft zur Nuklearmacht.
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