Doch der Reihe nach: die Geschichte ist unendlich und beginnt im Grunde
schon 1956. Bereits damals konnte an der Universität Hamburg nachgewiesen
werden, daß bei der Verbrennung von Chlorbenzol chlo-rierte Dioxine1
entstehen. Ein nüchternes Zitat aus einem 1974 erschienenen Bericht2:
»Kurze Zeit danach wurdejener Chemotechniker, der mit den experimentellen
Arbeiten befaßt war, von einer starken Hauterkrankung (Furunkel,
Pusteln, Taigretentionszysten) befallen, ohne daß zunächst die
Ursache erkannt wurde. Der Kranke wurde in der Universitäts-Hautklinik
Hamburg-Eppendorf behandelt. Der Zufall wollte es, daß dort mehrere
Arbeiter eines Herbizid-Betriebes3 mit einer ähnlichen Dermatitis
behandelt wurden, ohne daß man zunächst die Ursache dieser Berufskrankheit
erkannt hatte.«
Ein Sprung aus dem Jahre 1956 in das Jahr 1983: sieben Jahre nach der
Seveso-Katastrophe5 veröffentlicht das Umweltbundesamt UBA) seinen
Bericht: »Sachstand Dioxine - im UBA bis April 1983 verfügbares
Wissen«. Spätestens seither gilt es als gesichertes Wissen,
daß aus chlorierten Benzolen und allen anderen chlorierten organischen
Stoffen bei thermischer Behand-lung die verschiedensten chlorierten Dioxine
entstehen. Dies weiß die Gewerbeaufsicht, dies weiß die Genehmigungsbehörde.
Niemand -vor allem niemand aus der Chlorchemie - kann sich rausreden, gemaß
dem Motto: Verschont uns, denn wir wissen nicht, was wir tun!
Sie wissen es ganz genau.
Anmerkungen:
1 Früher (?) in Holzschutzmittel, Unkraut-Ex, »Rasendünger
mit Anti-Moos« enthalten.
2 Als Enttaubungsmittel von der US-Army in Vietnam
eingesetzt (Agent Orange), früher (?) auch zur Unkrautbekämpfung
auf deutschen Schienen und Straßen benutzt.
Die Ruhe im Blätterwald trat wieder ein, nachdem Hans Martin bekanntgeben ließ, daß bei sechs möglichen Emittenten in Hanau erstmal gemessen werden müßte, und dann sei auszuwerten, und schließlich umzurechnen, bevor überhaupt eine Aussage über Verursacher oder sonst etwas möglich sei.
Der nhz liegen jetzt aufgrund einer gezielten Indiskretion die Meßstellen vor. Und nicht nur die Meßstellen, auch die Ergebnisse sind im Kern bekannt.
Ein Zitat aus dem mir in dieser Sache zugegangenen Fax:
»In Ergänzung meiner fernündlichen Ausführungen
möchte ich noch die Firmen nennen, bei denen vertiefende Dioxin-Messungen
von der HLfU und dem GAA durchgefllhrt wurden:
Verursacher Nummer 1: das Krematorium. Hier schließt sich der Kreis zu den eingangs erwähnten Meßreihen 1956 in Hamburg - der Grund sei die Beigabe eines sogenannten Sargstreumittels, das angeblich aus hygienischen Gründen gleich beutelwei-se in die Särge gepackt wird: Paradichlorbenzol. Das Gift wird durch Chlorierung von Benzol hergestellt und wurde in der Vergangenheit als »Pinkelsteine« ins Urinal oder die Kloschüssel gegeben, bis Umweltschützer und Kläranlagenbetreiber protestierten. Seither ging der Umsatz rapide zurück, ein Grund für die Chlorchemie, über weitere Verwendun~smö~lichkeiten nachzudenken, da produzierte Lagerbestände ja irgendwie entsorgt werden müssen. Die Verwendung als Sargstreumittel führt zu Dioxinbildung in Krematorien und zur Verseuchung des Bodens auf dem Friedhof.
Rainer Grieshammer, Wissenschaftler am Öko-Institut und Sachverständiger
der Chemie-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, zu diesem Thema
am 28.04.1992 in der Frankfurter Rundschau (Seite 6): »Produkte sind
die größte Emission der Industrie, seien es Windeln oder das
der stillen Giftmüllentsorgung dienende Sargstreumittel Paradichlorbenzol.
Wie gesagt: seit 1956 ist nachgewiesen, daß die Verbrennung von
Chlorbenzolen massive Freisetzung von chlorierten Dioxinen hervorruft.
Dem Vernehmen nach denkt die Stadt Hanau 1992 an den Einbau eines Dioxin-Filters
ins Krematorium. Mein Informant hierzu mit Bitterkeit: »Früher
hat man Zwiebeln in die Särge getan!« Was im Klartext heißt,
kein Sargstreumittel zu verwenden.
Wie auch immer, es wird Zeit, daß die Dioxin-Emittenten zusammen mit den Meßergebnissen der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Die Stadt steht in der Verantwortung. Die Meßreihen sind lange abgeschlossen, die Auswertung liegt vor, es werden in der Verwaltung bereits Maßnahmen diskutiert, wie etwa der Einbau von Filtern ins Krematorium. Doch damit ist es nicht getan, weil dann wieder Monate, wenn nicht Jahre ins Land gehen, bis die Filter eingebaut und neue Meßreihen erstellt werden. Doch das Dioxin wartet nicht. Es konzentriert sich über Jahre hinweg im Fettgewebe der Tiere und Menschen. Die Dioxin-Werte in der Muttermilch steigen. Dioxin hat keimschädigende Wirkung. Dioxin führt zu Hauterkrankungen. Dioxin schwächt das Immunsystem. Es bewirkt Unfruchtbarkeit über eine Atrophie samenleitender Kanäle im Hoden. Es gibt degenerative Veränderungen an der Leber, bis hin zu Leberkrebs. Es wirkt toxisch, vor allem auf Embryonen. Es verursacht Mißbildungen. Diese Aufzählung ist unvollständig.
Danach ist die Verwendung von Pinkelsteinen als Sargstreumittel mit nachfolgender Verbrennung gesetzlich untersagt.
Das Umweltbundesamt zieht bereits 1983 folgendes Fazit:
»Das bestehende rechtliche Instrumentarium, insbesondere die vielfältigen Regelungsmöglichkeiten durch Rechtsverordnung(en) nach § 17 ChemG, sollte für einen weitgehend flächendeckenden Schutz vor den Gefahren der PCDD ausreichend sein.«
Die Leserin und der Leser können ihre eigenen Schlüsse ziehen;
mir wird schlecht, wahrend ich dies schreibe.
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