neue hanauer zeitung Nr. 78, Juli/August 1993


Trotz wachsender Kritik wird das Mobilfunknetz weiter ausgebaut

Im Mai 1992 wandte sich der ehemalige Siemenstechniker Dr. Ing. Volkrodt an den Bundesminister für Post und Telekommunikation mit der Feststellung, die ahl der Krankenhausfälle habe sich von 1965 bis 1985 trotz medizinischer Fortschritte von 7,35 auf 12,16 Mio pro Jahr erhöht. Ursache dafür sei die elektromagnetische Strahlung, insbesondere durch Mikrowellen-Funkanlagen, die negativen Auswirkungen auf das Zentralnervensystem habe.

Vor allem sei ein starker Anstieg von Erkrankungen der Psyche, der Nerven, des Kreislaufs sowie Krebs zu verzeichnen. ,,Laut Forschungsarbeiten des Walter-Reed-Institutes (USA) wirken Funkwellen vornehmlich aufs Zentralnervensystem und verursachen Fehifunktionen." Er fordert die umgehende Einrichtung einer Technikfolgen-Kommission.1
,,Wirklich bewiesen ist eine schädliche Wirkung in keinem Fall. Nicht >eine einzige glaubhafte Darstellung< konstatiert der Medizinprofessor Eduard David von der Universität Witten-Herdecke liege der Stromhysterie zugrunde."2

Zwischen diesen Extremen bewegen sich die Aussagen zu elektromagnetischen Feldern. Fakt ist: die Risiken und Wirkungen von elektromagnetischen Wellen sind in die öffentliche Diskussion geraten. Ihr Vorhandensein ist seit dem Beginn dieses Jahrhunderts drastisch angestiegen und übersteigt den natürlichen Strahlungshintergrund um ein Vielfaches. Der Mensch ist in der Lage elektromagnetische Wellen in unterschiedlichen Längen und Frequenzen zu erzeugen und einzusetzen, und er belastet die Umwelt derzeit mit einem nie vorhanden gewesenen Wellensalat.

Natürliche Quellen für elektromagnetische Strahlung sind z. B. das Erdmagnetfeld und die Sonneneinstrahlun~. Künstlich erzeugte elektrische und magnetische Felder entstehen immer dann, wenn Strom fließt oder Spannung vorhanden ist. Sie umgeben mehr als 30.000 km Hochspannungsleitungen, mehr als 12.000 km Oberleitungen der Bundesbahn, gehen von über 3000 Mobil-funkanlagen, ca. 12.000 Richtfunksendern und unzähligen Haushaltsgeräten und elektronischen Geräten aus.

Und ständig kommen neue Sender und Frequenzen hinzu. Mit dem Aufbau des Mobilfunknetzes und der flächendeckenden ,,Versorgung" der Bevölkerung mit Mobiltelefonen wird eine neue Dimension erreicht. Doch während jeder einzelne die Entscheidung darüber treffen kann, sich ein Mobilfunktelefon zuzulegen, ist die ,,Versorgung" mit elektromagnetischen Wellen gratis und gnadenlos, keiner kann sich entziehen.

Der Ausbau des Mobilfunknetzes war der Auslöser für die derzeitige Diskussion. Immer mehr Menschen stehen dem hemmungslosen Ausbau der Sendenetze kritisch gegenüber. Gegen die Errichtung der Sendemasten bildeten sich ca. 200 Bürgerinitiativen, und von einigen Verwaltungsgerichten (z. B. Lüneburg), wurden Baustopps verfügt.3

Erklärungsversuche für die auftretenden Gesundheitsschäden gehen von der Tatsache aus, daß vitale Funktionen im menschlichen Körper durch elektrische Signale gesteuert werden. Diese Funktionen könnten durch elektromagnetische Strahlung gestört werden. Bei Versuchen ergab z. B. die Bestrahlung von Hefezellen mit elektromagnetischen Feldern, daß das Zellwachstum gefördert wurde. Bei der Bestrahlung von Hühnereiern traten bei den Küken Mutationen auf, und die Durchlässigkeit der Zellwände wurde verändert. Elektromagnetische Felder erzeugen darüber hinaus Wärme, eingesetzt wird dies bei der Behandlung von Patienten im Rahmen der Diathermie.

Daß elektromagnetischeFeldernichtohne Wirkung sind, wird inzwischen nicht mehr bestritten, gestritten wird jedoch um so heftiger, ab wann gesundheitsgefahrdende Wir-kungen auftreten. Zuständig für die fachlicheBewertung ist die Strahlenschutzkommission, die im April 1991 ein ,,Fachgespräch über mögliche gesundheitliche Auswirkungen durch die moderne Telekommunikation" durchführte. Hierbei überwogjedoch die eher euphoristische Bewertung der Möglichkeiten des Einsatzes durch Mobiltelefone (Prognose für 1995 mehr als 1.000.000 Mobilfunkgeräte im Einsatz) ,und nur einigeAspekte der möglichen Gefahren wurden angesprochen. Die Strahlenschutzkommission stellt fest, daß es zwangsläufig zu einer starken Zunahme der Hochfrequenzstrahlung kommen werde. Ihr sei auch klar, daß, sollten von den Mobilfunkgeräten gesundheitliche Risiken ausgehen, weite Bevölkerungskreise davon betroffen wären. Hinzu kämen mögliche Wirkungen durch die Funk-Feststationen.
Hauptaugenmerk wurde auf die thermische Wirkung von elektromagnetischer Strahlung gelegt. Hierbei wird lokal die Erhöhung derTemperaturum 1 0C als akzeptabel angesehen. Nur am Rande diskutiert wurden die nicht-thermischen Effekte, denn die Kommission stellt fest: ,,um bei intensiver Hochfrequenzbestrahlung biologische Wirkungen auszulösen (z. B. Wirkungen auf das zentrale Nervensystem, Verhaltensänderungen, Stoffwechselstörungen, grauer Star, unerwünschte Temperaturerhöhungen), müssen bestimmte Schwellenwerte der Energieabsorption überschritten werden." Weiter wird ausgeführt, daß über nichtthermische Wirkungen wenig bekannt sei und daß hier Forschungsbedarf bestehe, international sei man sich jedoch einig, daß ,,zum Schutz der Bevölkerung eine Begrenzung der Energieabsorption erforderlich ist.'~

Grenzwerte, die angeblich die Bevölkerung vor zu hohen Belastungen schützen sollen, wurden festgelegt - nach dem derzeitigen Kenntnisstand.5 Da teilweise die derzeitigen Geräte diese Werte nicht einhalten, gibt sich die Strahlenschutzkommission mit der Aufnahme von Hinweisen in die Gebrauchsanleitung zufrieden, die die Nutzerlnnen zum angeblich gefahrlosen Umgang an-leiten sollen. Unberücksichtigt bleiben bei den Überlegungen der Strahlenschutzkom-mission auch die bereits vorhandene Belastung durch elektromagnetische Wellen und synergistische Auswirkungen.

Die Grenzwertdiskussion ist hinlänglich bekannt. Längst hat sich erwiesen, daß die Grenzwertbetrachtungen weniger dem Schutz der Bevölkerung dienen als dem Erhalt und der Durchsetzung der jeweiligen Technologie. Immer wieder mußten Grenzwerte verändert werden, entweder, wenn sich herausstellte, daß die gesundheitlichen Schäden zu eindeutig (Röntgenbestrahlung) waren, oder wenn eine Belastung so flächendeckend auftrat, daß die Grenzwerte ständig überschritten wurden (Radioaktivität nach Tschernobyl, Dioxin).

Untersuchungen aus den 8Oer Jahren in den USA zeigten einen Zusammenhang zwischen der Leukämieerkrankung von Kindern und der Nähe zu Hochspannungsleitungen, Untersuchungen aus Schweden führten zu ähnlichen Ergebnissen. Bei Elektro- und Radartechnikern wurde häufiger Krebs festgestellt als bei anderen Personengruppen. Eine schwedische Pensionskasse hat 1992 erstmals anerkannt, daß durch elektrische Hochspannung aufgebaute Magnetfelder Krebs auslösen können6.

Neuestes Beispiel ist die Klage eines Amerikaners, dessen Frau an einen Tumor hinter dem Auge starb, gerade an der Stelle, auf die die Abstrahlung der Antenne ihres Mobiltelefons bei Dauergesprächen ein-strahlte. Prompt reagierte die Bevölkerung und die Firma Motorola, dieMobilfunkgeräte herstellt, verzeichnete einen Kurssturz. Die Diskussion macht auch der Firma Mannesmann zu schaffen, die in Deutschland die Lizenzen für den Aufbau des D-Netzes als privater Anbieter neben der Telecom erhalten hat. Entnervt wird in einschlägigen Kreisen von einer Stromhysterie gesprochen.

Mögliche Gesundheitsgefahren werden als unwahrscheinlich angesehen, aber inzwischen nichtmehrkategorisch geleugnet, stattdessen wird Forschungsbedarf reklamiert. Grundhaltung ist ,,Wir wissen fast nichts, aber wir forschen." Bis zur Klärung wird jedoch an dem Ausbau der Sendenetze gearbeitet, werden häufig still und heimlich Sendemasten in die Landschaft gesetzt, wird mit riesigem Werbeaufwand vermittelt: ,,In ist, wer ein Telefon am Ohr hat". Der Eindruck wird erweckt, Kommunikation wäre nur möglich, wenn man immer und überall erreichbar sei. Die altbekannte Masche, Bedürfnisse anzukurbeln, läuft ungebrochen weiter. Für den zweifelhaften Nutzen, überall telefonieren zu können, werden der Bevölkerung angeblich unbekannte Risiken zugemutet.

Kein Wunder, daß sich viele wieder einmal als Versuchskaninchen für die Wissenschaft sehen. Ähnlich wie bei der Atomdiskussion werden diese Bedenken als diffuse Ängste, ,,Angst vor dem Unbekannten", Unwissenheit oder Technologiefeindlichkeit abgetan. Die Beschwichtigungsformel - alles in Ordnung, aber wir forschen weiter - hat ihre Wirkung noch nicht verloren, wird aber immer öfter als solche erkannt.

Weniger Forschungsbedarf, aber um so schnellere Handlungsmöglichkeiten bestehen offensichtlich, wenn elektromagnetische Felder nicht Menschen, sondern empfindliche Elektronik stören. Tornadoabstürze in derNähe von Sendemasten, Hubschrauberab-stürze, nicht funktionierende Antiblocklersysteme, trudelnde Flugzeuge infolge des Gebrauchs elektronischer Geräte an Bord, Fehlfunktionen bei Waschmaschinen bei gleichzeitigem Gebrauch des Mobiltelefons - das sind alles Phänomene, derer sich mehr oder weniger erfolgreich angenommen wurde.
In Flugzeugen dürfen keine Mobiltelefone benutzt werden, in Zeitschriften wird auf sich gegenseitig beeinflussende elektronische Geräte hingewiesen, in der Automobil-industrie werden die elektronischen Bestandteile sorgfältig aufeinanderabgestimmt, elektrische und elektronische Geräte werden abgeschirmt. Immer mehr Elektronik wird eingesetzt und immer aufwendiger werden die Verfahren, Elektronik vor Elektronik zu schützen.

Anders wiederum sieht es bei Forschungen zum Waldsterben aus. Untersuchungen von Wissenschaftlern im Hinblick aufmögliche Schädigungen des Waldes durch elektromagnetische Felder werden seit Jahren einfach ignoriert. Einige Wissenschaftler vertreten die Auffassung, die Bäume fungieren - wie Menschen auch - als Antennen und reagieren auf unterschiedliche Frequenzen. In Versuchen zeigte sich, daß sich streßgeschädigte Bäume wieder erholten, wennn sie ein Maschendrahtkäfig (Faradayscher Käfig) vor elektromagnetischen Wellen schützte. Das Auftreten gravierender Waldschäden in der Nähe von starken Sendeanlagen an der früheren Ost-West-Grenze untermauert diese Theorie.

Hilfreich bei der Erforschung elektromagnetischer Felder wäre sicher ein Blick in die Unterlagen der Militärs. Zumindest in den USA und in der Sowjetunion wurde kräftig im Bereich Mikrowellenstrahlung, elektromagnetische Wellen geforscht. (In der Sowjetunion wurden daraufhin Grenzwerte festgelegt, die um den Faktor 1000 niedriger sind als z. B. in den USA und im Westen. Auch erfolgte eine Differenzierung zwischen Impulsstrahlung und Dauerstrich. Die Grenzwerte für Impulsstrahlung lagen dabei niedriger als bei Dauerstrich. Im Westen galt und gilt jeweils der gleiche Grenzwert. Nach dem Bundesamt für Strahlenschutz ist ,,für Wirkung gepulster Strahlung (...) die Datenlage noch zu unvollständig, um gut begründete Grenzwerte festzulegen."

Erst kürzlich gelangte ein Papier des ,,Army Training and Doctrine Command" an die Öffentlichkeit, das ein Arsenal an zukünftigen ,,nicht tödlichen" Waffen vorgestellt. Hierzu gehören Mikrowellengeschütze, Generatoren mit Niederfrequenzwellen, Schnarchlaser, deren speziell abgestimmte Strahlendosis den Gegener in Schlaf fallen läßt, oder EMP-Sprengköpfe (EMP=elektromagnetisches Puls-Phänomen), die den elektromagnetischen Knockout in einem lokal begrenzten Gebiet auslösen können, im Bereich der Schockwelle würden alle elektronischen und elektrischen Geräte versagen.7

Kennzeichnend für das Unvermögen, Sachverhalte abzuwägen, ist der hemmungslose Einsatz aller ,,Errungenschaften" der Wissenschaft. Die Fähigkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse in verkaufsfähige Produkte oder Militärtechnologie umzusetzen ist vorhanden, das Wissen darüber, welche möglicherweise schädlichen Auswirkungen Produkte haben, wird jedoch nur selten gemehrt. Es bleibt zu befürchten, daß die Freisetzung elektromagnetischer Wellen zu einem weiteren Menschenversuch ist - bis negative Auswirkungen nicht mehr zu leugnen sind. Die Zeit sollte jedoch endlich vorbei sein, in der Entwicklungen bejubelt werden, ohne die Auswirkungen einer genauen Prüfung unterzogen zu haben. Saurer Regen, das Ozonloch, radioaktive Verseuchung und Treibhauseffekt sind nur wenige Beispiele, welche globalen Folgen der ungebrochene Fortschrittsglaube hat.

Angelika Gunkel


1 Brief vom 3.05.92 an den Bundesrninister für Post und Telekommunikation v. Dr. Ing. Wolfgang Volkrodt
2 Qualvolle Welt, Spiegel 6/93
3 Qualvolle Welt, Spiegel 6/93
4 Die Strahlenschutzkommission empfiehlt einen Grenzwert für die Bevölkerung von 0,08 Watt/kg, gemittelt über
   6-Minuten-Intervalle und über den ganzen Körper, sowie einen Teilkörper-SAR-Wert von 2 Watt/kg, gernittelt
   über 6-Minuten-Intervalle und 10 g Gewebe (SAR = spezifische Absorptions-rate).
5 Gesundheitsrisiken durch moderne Mobilfunkkommunikation. Infoblatt Bundesamt für Strahlenschutz, Juni
   1991
6 Hocnspannungsleitungen alsKrebsverursacher, taz vom 12.11.92
7 Uhu gegen Panzer, Spiegel 6/93

Quellen:
Brodeur, P.: Mikrowellen, die verheimlichte Gefahr. Augustus, 1991
Brodeur, P.: Report Elektrosmog. Augustus, 1990
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Schutz vor elektromagnetischer Strahlung beim Mobilfunk. G. Fischer, 1992
Fischer/Schneider: Elektrobiologie. Schriftenreihe Gesundes Wohnen. Institut für Baubiologie und Ökologie,  1991
Wulf-Dietrich Rose: Elektrosmog, Elektrostreß. Kiepenheuer & Witsch, 1990
 


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