Goswin Baumhögger
Gedanken zum Krieg der USA gegen den Terrorismus

Die Ereignisse vom 11. 09. 2001 sind von beispielloser Unmenschlichkeit geprägt.

Dennoch : die sofortige Ankündigung eines militärischen Gegenschlags erschien mir kopflos und wenig überlegt. Ich vermute, daß man die Täter und ihre Motive wohl noch gar nicht eindeutig ermittelt hat. Erst nach Abschluß der Ermittlungen kann man entscheiden, welche Maßnahmen "erforderlich" sind, wann und wo sie eingeleitet werden können.

Auch nach der Rede George W. Bushs vor dem US-Kongreß am 20. 09. 2001 hat sich an diesem Eindruck nichts geändert. Die Argumentation der Taliban, die Usâma ben Laden nur dann ausliefern wollen, wenn der Beweis erbracht wird, daß er für die Katastrophe in New York als Täter oder Anstifter verantwortlich ist, ist keineswegs abwegig. Sie entspricht vielmehr rechtsstaatlichen Prinzipien. Die USA, die sich als Vorkämpfer von Freiheit, Demokratie und Recht verstehen, sollten dagegen nicht verstoßen. Daß Usâma die Tötung von Amerikanern für verdienstvoll und von Allah gewollt hält, dürfte allerdings zutreffen. (Außenminister Powell sagt, es lägen ausreichend Beweise vor, um gegen Usâma Anklage zu erheben. Das läßt sich ohne genauere Informationen nicht beurteilen. Das FBI ist sich dagegen unsicher, ob es die Anschläge jemals komplett aufdecken kann.)

Man kann die Auslieferung Usâmas sicher auch aufgrund früherer Verbrechen verlangen. Das hat schon die Regierung Clinton - erfolglos -  versucht. Bei jedem Auslieferungsverlangen muß aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleiben. Ob Usâma und seine Mitarbeiter von der al-Qaida sich tatsächlich noch in Afghanistan aufhalten, ist eine weitere ungeklärte Frage. In der Bergregion bei Kandahar bieten sich gute Verstecke an.

Ich fürchte, daß ein schwacher US-Präsident genau das tut, was die Mehrheit seines Volkes aufgrund der traumatischen Ereignisse fordert (nämlich Rache bzw. Strafe), um sich als starker Mann zu profilieren. Den Beifall des Kongresses hat er gefunden. Das Ergebnis der Hamburger Bürgerschaftswahl vom 23. 09. 2001 hat gezeigt, daß bei der breiten Masse jetzt law and order wieder stärker gefragt sind als politischer Sachverstand..

Bush scheint die Auffassung zu vertreten, es müsse letzten Endes - auch - die Richtigen treffen, wenn man nur 10, 20 oder 30 Jahre lang den Terrorismus insgesamt bekämpft.

Seine Äußerungen,
*die USA seien die großartigste Nation der Erde, und :
*Gott könne in dieser Auseinandersetzung nicht unparteiisch sein,
zeugen weniger von grenzenloser Gerechtigkeit als von grenzenloser Überheblichkeit.

Wir haben eine Reihe schrecklicher Kriege erlebt, zuletzt den Golfkrieg und die Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Der politische Erfolg dieser Kriege darf bezweifelt werden. Sie haben nicht dazu beigetragen, Haß und Gewalt in unserer Welt abzubauen. Es bedarf keiner weiteren Vertiefung, daß Gewalt immer Gegengewalt hervorruft; diese Logik ist ein Erfahrungssatz der gesamten Weltgeschichte. Der Buddha hat dies betont, und der Dalai Lama hat erneut darauf hingewiesen. Auch die von den USA immer wieder betonte christliche Einstellung müßte, wenn sie wirklich ernst genommen würde, Zurückhaltung gebieten.

Die Frage ist für mich immer noch, gegen wen die USA überhaupt Krieg führen wollen. Terroristen gibt es überall. Ein Vielfrontenkrieg ist problematisch, auch für eine Weltmacht. Wenn sich der Krieg gegen alle Staaten richtet, in denen der islamische Fundamentalismus das Sagen hat (und das wären praktisch alle Staaten von Marokko bis Indien und Indonesien), wird er unvorstellbare Ausmaße erreichen. Ein Dritter Weltkrieg ist nicht auszuschließen. Falls die Regierung in Pakistan von den fanatischen Mullahs und den pakistanischen Taliban gestürzt wird, muß mit dem Einsatz von Atomwaffen gerechnet werden. Es wäre naiv zu glauben, daß gegen Afghanistan oder andere Länder im Nahen Osten eine "regional begrenzte militärische Auseinandersetzung" stattfinden wird, und daß allein schon die in Saudi-Arabien stationierten US-Streitkräfte dafür völlig ausreichen (so Nicolas Busse in der FAZ).

Der Terrorismus, dem der Krieg angesagt worden ist, besteht aus vielen, sehr unterschiedlichen Gruppen, die man erst einmal genau kennen und beobachten muß, bevor man zuschlägt. Es hat sich gezeigt, daß die vorliegenden Erkenntnisse nicht ausreichen, und daß die Fahndungsmethoden verbessert werden müssen. (Wenn das deutsche Strafgesetzbuch in diesem Zusammenhang um einen Paragraphen erweitert werden soll, darf man auf die konkrete Definition des Terrorismus-Tatbestandes gespannt sein.)

Umgekehrt muß man davon ausgehen, daß die Aktionen vom 11. 09. 2001 sehr genau geplant waren und nur das erste Glied in eine Reihe von Aktionen sein werden. Die Mentalität der Aktivisten dürfte uns weitgehend  fremd sein. Ihre Intelligenz sollte nicht unterschätzt werden. Vielleicht war genau diese Reaktion der USA ein Teil des Konzepts der Gegenseite.

Ein Krieg gegen die mit Hilfe der USA an die Macht gelangten Taliban und damit gegen den Staat Afghanistan könnte für die USA ein neues Vietnam werden. Afghanistan ist eine kaum niederzuzwingende Bergfeste. Im übrigen ist der mittlere Osten ein Pulverfaß, so daß dieser Krieg unübersehbare Folgen haben kann. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß Indien und China versuchen werden, ihre nationalen Interessen bei dieser Gelegenheit durchzusetzen, und daß die weitere Existenz des Staates Pakistan ernsthaft gefährdet ist.

Die Völker Afghanistans haben unsäglich gelitten, unter dem westlichen Kolonialismus, unter einem mörderischen Bürgerkrieg, unter Dürre und Hungersnot und jetzt unter einer fundamentalistischen Regierung, die von den meisten nicht gewollt ist. Sie werden vor allem die Leidtragenden sein, nicht Usâma ben Laden und die al-Qaida, falls man ihrer überhaupt "habhaft" wird. Die Regeln des Kriegsvölkerrechts (das u. a. das Töten von Zivilisten verbietet) werden sich zweifellos nicht einhalten lassen.

Bush hat einen "monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse" angekündigt und ist sich sicher, daß er dabei die "Guten" repräsentiert. Umgekehrt betrachten die islamischen Fundamentalisten Bush als den Antichristen und den Vertreter des Bösen in dieser, von der westlichen Zivilisation beherrschten Welt, und auch diese Sicht ist nicht völlig unverständlich.

Der Sinn des Lebens kann aber nicht in einem Kampf des Guten gegen das Böse bestehen. Es gibt nicht das Gute schlechthin als etwas Absolutes. Dies wäre manichäische Schwarz-Weiß-Malerei mit Aufspaltung Gottes (oder der höheren Wirklichkeit) in einen nur guten Bereich (den Schöpfergott) und den bösen Gegenpol dazu, den Demiurgen oder den Teufel. Das Böse ist aber kein Faktor, der isoliert werden könnte. Auch scheinbar edelmütige Taten können Motive haben, die zumindest auch eigennützig sind. Gut und Böse sind miteinander in einem schwer durchschaubaren Gefüge von Bedingungen verbunden (dies ist der Kern der buddhistischen Lehre vom Bedingten Entstehen). Ein Kreuzzug gegen das Böse wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Denn die Existenz des Bösen ist eine Grundtatsache des Lebens und der Schöpfung. Wir müssen uns immer auch des Bösen in uns selbst, der Schatten bewußt bleiben, die für unser eigenes Verhalten mitbestimmend sind, und im Sinne einer Verantwortungsethik handeln. Der Maßstab dieses Handelns wird aber immer subjektiv sein. Meine Vorstellungen vom Guten kann ich nicht ungestraft auf andere übertragen (das wäre möglicherweise eine 'Zwangsbeglückung'). Wir können nur hoffen, die Tendenz zum Bösen in uns selbst, in anderen Menschen und Völkern eindämmen zu können.

Der (m. E. untaugliche) Versuch, Gewalt und Terror durch den Einsatz von Soldaten und modernsten Kriegswaffen zu vernichten, wird zu einer Eskalation des Unfriedens führen - soviel ist klar. Er läßt wenig Hoffnung für die nächste Generation der Menschheit, für die Erde und für unsere gesamte Mitwelt aufkommen.

Aktionen gegen den Terrorismus, mit vertretbaren (polizeilichen und geheimdienstlichen) Mitteln, haben etwas für sich. Die Staaten, die sich an derartigen Aktionen beteiligen, sollten aber auch die Ursachen für Haß, Rachsucht und Fanatisierung der anderen erkennen und dieser Erkenntnis gemäß verantwortlich handeln. Es wird eine wichtige Aufgabe der westlichen Länder, der USA und ihrer Hauptverbündeten, sein, nicht einseitig gegen islamische Völker Front zu machen und weiter etwas gegen die Ausbeutung der Dritten Welt, Armut, Hunger und Krankheit zu unternehmen und zu beginnen, die aus dem Gefälle zwischen arm und reich hervorgehende Ungerechtigkeit zu beseitigen. Dies ist nicht nur ein Ausfluß der ohnehin nicht ernst genommenen (religiös oder philosophisch begründeten) Ethik, sondern bittere Notwendigkeit. Es wäre nämlich heute ohne weiteres eine Weltrevolution der Habenichtse möglich, die gegenüber ihren relativ wohlhabenden Mitmenschen immerhin zahlenmäßig die Mehrheit repräsentieren. Diese Menschen könnten sich mit Gewalt holen wollen, was ihnen als natürlicher bzw. gerechter Anteil an den Ressourcen dieser Welt "zusteht".

Die Anschläge und ihre Auswirkungen haben auch die Zerbrechlichkeit unseres Wirtschaftssystems aufgezeigt, das maßgeblich von Aktienkursen bestimmt wird (also letztlich von der öffentlichen Meinung). Auch darüber wird man nachdenken müssen.

All dies können aber nur vorläufige Gedanken sein.

Goswin Baumhögger
25. 09. 2001



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