Bundespräsident Johannes Rau

                   I.

                   Nirgendwo wissen die Menschen besser als hier in Berlin, was
                   Amerika für Freiheit und Demokratie in Deutschland getan hat. Wir
                   könnten heute Abend nicht hier am Brandenburger Tor stehen ohne
                   den Beistand Amerikas in langen Jahren und in schwerer Zeit.

                   Darum sagen wir heute hier von Berlin aus allen Amerikanern:

                   Amerika steht nicht allein. Die ganze Welt steht in diesen Tagen an
                   der Seite der großen amerikanischen Nation. Das deutsche Volk
                   steht an der Seite des amerikanischen. Uns verbindet Freundschaft,
                   uns verbinden gleiche Werte, uns verbindet die Liebe zur Freiheit.

                   Hier in Berlin erinnern wir uns an die amerikanische Hilfe nach dem
                   Kriege, an die Verteidigung der Freiheit Berlins und an den großen
                   Beitrag Amerikas zur deutschen Einheit.

                   Besonders grüße ich alle Amerikaner, die bei uns in Berlin und
                   überall in Deutschland leben oder zu Besuch sind. Sie sind in diesen
                   Tagen mit ihren Gedanken zu Hause.

                   Auch wir Deutsche sind mit unseren Gedanken und mit unseren
                   Gefühlen in Amerika.

                   Wir alle haben noch immer die schrecklichen Bilder vor Augen. Sie
                   lassen uns nicht los. Wir sind gemeinsam Zeugen mörderischer
                   Gewalttaten geworden, wie sie die Welt - außerhalb eines Krieges -
                   noch nie erlebt hat.

                   Wir denken an Mütter und Väter, die ihre Kinder verloren haben.

                   Wir denken an Kinder, die ihre Eltern nie wiedersehen werden.

                   Wir denken an alle, die Freunde und Arbeitskollegen verloren haben.
 

                   Wir denken an das unermessliche Leid, das Hass und Terror über
                   viele tausend Familien im ganzen Land gebracht haben.

                   Wir denken an die vielen Menschen, die jetzt noch unter Einsatz
                   ihres Lebens zu helfen versuchen.



                   II.

                   Die Ziele der Mörder lagen in New York und in Washington. Getroffen
                   aber sind alle Menschen, weltweit.  Unter den Opfern sind Menschen
                   aus Asien, aus Australien und aus Europa, darunter auch viele
                   Deutsche, Menschen aus Afrika und Amerika. Der Angriff zielte auf
                   die ganze menschliche Gemeinschaft.

                   Wir stehen hier vereint in Solidarität. Wir stehen zusammen gegen
                   Hass und Gewalt.

                   John F. Kennedy ist gerade in Berlin unvergessen. In seiner ersten
                   Rede als amerikanischer Präsident hat er die Solidarität Amerikas
                   mit uns Europäern so beschrieben:

                   "Allen, die seit langem unsere Verbündeten sind und mit denen uns
                   kulturelle und geistige Wurzeln verbinden, sichern wir die Loyalität
                   eines treuen Freundes zu. Alles können wir erreichen, wenn wir fest
                   zusammenstehen. Nichts erreichen wir, wenn wir gespalten und
                   zerrissen sind. Auf uns allein gestellt schreckt uns die Übermacht
                   der Herausforderung."

                   Heute sage ich als deutscher Bundespräsident und heute sagen wir
                   alle: Auf diese Loyalität eines treuen Freundes kann auch Amerika
                   bauen.



                   III.

                   In diesen Tagen haben viele Menschen Angst. Das verstehe ich.

                   Diese Angst darf uns nicht lähmen. Die Wut, die viele verspüren, die
                   Ohnmacht, die so schwer zu ertragen ist, darf uns nicht kopflos
                   machen.

                   Die Mörder und ihre Anstifter sind schwer zu finden und noch
                   schwerer zu bekämpfen. Aber ganz gleich wer sie sind: sie sind
                   Mörder, nichts sonst - und deshalb müssen sie bestraft werden. Sie
                   stehen nicht für ein Volk, sie stehen nicht für eine Religion, sie
                   stehen nicht für eine Kultur. Fanatismus zerstört jede Kultur.
                   Fundamentalismus ist kein Zeugnis des Glaubens, sondern der
                   ärgste Feind des Glaubens, den es gibt.

                   Wir werden und wir dürfen uns von niemandem  dazu verleiten
                   lassen, ganze Religionen oder ganze Völker oder ganze Kulturen als
                   schuldig zu verdammen. Wer sich aber mit den Mördern gemein
                   macht - aus welchen Gründen auch immer - , wer ihnen Schutz und
                   Hilfe gewährt, der ist den Mördern gleich.

                   Wir werden auf die Herausforderung nicht mit Ohnmacht und nicht
                   mit Schwäche reagieren, sondern mit Stärke und Entschlossenheit.
                   Und mit Besonnenheit. Hass darf uns nicht zum Hass verführen.
                   Hass blendet. Nichts ist ja so schwer zu bauen und nichts ist ja so
                   leicht zu zerstören wie der Friede.



                   IV.

                   Wir müssen den Terrorismus bekämpfen und wir werden ihn
                   besiegen.

                   Dazu brauchen wir einen langen Atem. Wer den Terrorismus wirklich
                   besiegen will, der muss durch politisches Handeln dafür sorgen,
                   dass den Propheten der Gewalt der Boden entzogen wird.

                   Armut und Ausbeutung, Elend und Rechtlosigkeit lassen Menschen
                   verzweifeln. Die Missachtung religiöser Gefühle und kultureller
                   Traditionen nimmt Menschen Hoffnung und Würde.

                   Das verführt manche zu Gewalt und Terror. Das sät den Hass schon
                   in die Herzen von Kindern.

                   Alle Menschen haben das Recht auf Anerkennung und auf Würde.

                   Wer in seinem Leben Anerkennung erfährt und wer sein Leben liebt,
                   der wird es nicht wegwerfen wollen.

                   Wer in Würde und Zuversicht lebt, aus dem wird kaum ein
                   Selbstmordattentäter werden.

                   Entschlossenes Handeln ist das Gebot der Stunde. Weil wir das
                   wissen und zeigen, weil wir daran keinen Zweifel lassen, darum
                   sagen wir auch: Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist
                   eine gerechte internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit
                   wird der Friede sein.

                   Das ist mühsam. Das dauert lange, das kostet nicht nur Zeit. Aber
                   eine friedlichere, eine sichere Welt muss uns das wert sein. Für uns
                   und für die Kinder unserer Welt.



                   V.

                   Wir haben apokalyptische Bilder gesehen. Sie müssen uns
                   aufrütteln, damit der Friede neuen Raum gewinnt. Die Freiheit
                   braucht die starke Macht des Friedens und  zum Frieden gehört die
                   Freiheit.

                   Wir haben allen Anlass zu Wachsamkeit, aber keinen Grund zur
                   Panik. Vor allem anderen brauchen wir gut überlegtes Handeln.

                   Unser gemeinsames Ziel ist Friede und Sicherheit, Gerechtigkeit
                   und Freiheit für alle Menschen, wo immer sie leben.

                   John F. Kennedy sagte zu seiner Zeit: "Wir wollen nicht der Macht
                   zum Sieg, sondern dem Recht zu seinem Recht verhelfen".

                   Wenn die Nationen der Welt vereint zusammenstehen, dann wird der
                   Terror keine Macht über uns gewinnen. 



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