B. K.
Leserbrief zu einem leider nicht veröffentlichten Artikel.

Ich habe – bisher wenig kommentiert – vernommen, dass in Italien und Griechenland ein 10 – 20-faches an Menschen gegen den Krieg demonstrieren. Ich vermisse in den Medien Informationen und eine Reflexion über diesen Unterschied. So frage ich mich, ob den Italienern andere/mehr Informationen zur Verfügung stehen oder ob sie nur anders ausgewertet werden? Kann dort die Linke noch links sein, weil die Konservativen an der Macht sind?

Hier kann man eher beobachten, wie ein Diskurs über „Krieg oder Frieden“ verhindert wird, anstatt in einem Diskurs Krieg als vernünftig zu begründen. So werden Demonstranten als „pubertierende Altlinke“ diffamiert, anstatt zu fragen, was in Deutschland los ist, dass sich offenbar nur noch pubertierende Altlinke gegen den Krieg öffentlich äußern. Ein Diskurs innerhalb der grünen Partei wird als „ein mit sich selbst Beschäftigen“ etikettiert, während linientreue Entscheidungen mit dem Kanzler zur Machterhaltung landläufig als „Verantwortung für die Welt übernehmen“ genannt wird. Ethische Bedenken gegen Krieg werden strategisch widerlegt, strategischen Bedenken gegen Krieg wird moralisch entgegnet. Überhaupt scheint man sich an Verdrehungen gewöhnen zu müssen: Etwas, was ich als teuflisch mutig sehe, soll ich als feige bezeichnen; etwas, was ich als Ohnmacht und Lähmung erlebe, soll ich als Trauer verstehen; etwas, was ich als Abhängigkeit auffasse, soll ich als Freundschaft erleben; was ich als „von Sinnen“ wahrnehme, soll ich als besonnen beschreiben. Und neuerdings wird ein Kalter Krieg mit Bomben geführt? Streubomben haben nur strategische Ziele, und Massenflucht wird unter Kriegsführung mit möglichst geringer Schädigung der Zivilbevölkerung subsumiert.

Was ist los in Deutschland, dass man fast sagen kann: Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner sagt etwas dagegen. Der Terror lähmte uns und anstatt von Ohnmacht (nur die Grünen taten dies) und Angst zu sprechen und Reflexionen auch über Ursachen zuzulassen – also einen Diskurs trotz und in Unsicherheit zu wagen -  wurde Trauer verordnet und Solidarität und Entschlossenheit demonstriert. Im Wunsch nach einem starken Mann hat Deutschland Tradition, in der Unfähigkeit zu trauern auch, sonst müsste Trauer nicht staatlich organisiert werden und Kritikern der Mund verboten werden. Wer wirklich trauert, weiß, dass man bei aller Trauer und bei allem Mitgefühl noch seinen Verstand für Kritik gebrauchen kann. Nur die Karikatur einer Trauer lässt sich funktionalisieren. Bevor wir aus der Lähmung erwachen konnten, die aus einer Überflutung an Bildern und Informationen und einer Unterversorgung an notwendigen neuen Deutungsmustern entstanden ist, waren die Zeichen auf Krieg gesetzt. Wir haben unsere Lähmung nicht einmal beschreiben können, denn die Wiederherstellung der Unverwundbarkeit scheint alles zu dominieren. Die Entscheidung für die Beteiligung am Krieg ist gefallen, wir sind befreit von dem Gefühl der Ohnmacht. Jetzt werden nur noch Begründungen gesucht, die nicht einmal sehr einleuchtend sein müssen, da der Diskurs eh verbrämt wird. Politik und Medien scheinen einem Aktienmarkt zu gleichen, und der Kurs für Friedenspolitik ist stark gefallen. Es gibt kaum noch Käufer für diese Idee. Der Optionsschein ist eine Narrenkarte. Auch die Aktie „herrschaftsfreier Diskurs“ scheint kurz vor ihrer Auflösung. Dies findet sich in Schroeders Machtspielen wieder. Gespräche über einen möglichen Bundeswehreinsatz getrennt mit der rechten Opposition und der Koalitionspartei unter Ausschluss der PDS und der Öffentlichkeit ohnehin, sollen am öffentlichen Diskurs vorbei stattfinden. Vielleicht möchte sich die Öffentlichkeit auch nicht zu sehr damit befassen. Unsere Lähmung ist vielleicht in die Hoffnung übergegangen, der Krieg in Afghanistan möge für uns so schnell und glimpflich ausgehen wie der Golfkrieg.

Das Thema der Macht ist Krieg und USA-Gefolgschaft. Es hätte auch Schadensbegrenzung, Distanzierung und ein von Freundschaft und Mitgefühl geprägter kritischer und korrigierender Blick auf ein traumatisiertes und unter Schock stehendes Land sein können. Da ist eine andere Art von Freundschaft und Mut, oder soll ich sagen Zivilcourage, notwendig. Doch Macht ist das Brot und nun ist Krieg das Lied, das in der Politik gesungen wird. Nach dem Motto: „Wessen Lied ich sing, dessen Brot ich krieg.“ Das Durchspielen von Koalitionen scheint wichtiger zu sein als die vielbeschworene politische Verantwortung. Krieg erscheint wie ein zufälliger Kassenschlager, wie Schlaghosen plötzlich hipp und Jeans plötzlich out sein können. Der Kanzler ist der Gewinner. Die rechte Opposition wittert Macht und die Grünen können machen, was sie wollen: Sie sind die Verlierer in einem catch 22. Sie verlieren entweder die WählerInnen oder die Macht.
 

Es ist für mich schwer zu verstehen, warum in diesem hohen Tempo, was auch noch besonnen genannt wird, schwerwiegende und weitreichende Entscheidungen getroffen werden müssen, und warum diese wichtigen politischen Entscheidungen kaum einen Diskurs, kaum eine Ambivalenz oder Opposition zuzulassen scheinen. Bisher fand ich nur die Erklärung, dass das Tempomehr der eigenen Beruhigung als der effektiven Trockenlegung des Terrorismus gilt.
Ebenso scheint mir die Nulltoleranz für Zwiespältigkeiten, Bedachtsamkeit, präzises Kennenlernen des Feindes, Abwägen, Unbehagen, Distanzierungen, Reflexionen von Ursachen und eigenen Fehlern etc. eher ein Ausdruck dafür zu sein, dass die Wahrnehmung einer Identitätskrise vermieden wird. Das würde einen Trauerprozess nach sich ziehen, der eine Anerkennung der Verwundbarkeit der westlichen Welt benötigt, und für den das Gefühl der US-amerikanischen Bevölkerung, gedemütigt worden zu sein, zugelassen werden müsste. Das Tempo gilt dem Wunsch einer raschen Wiederherstellung von Unverwundbarkeit und Dominanz, bevor sich die schmerzliche Erkenntnis durchsetzt, dass das nicht mehr möglich sein wird. Vielleicht wird deswegen dieser Satz so oft verwendet, dass seit dem 11. September alles anders ist, weil er noch nicht verstanden wurde.

Die Information, dass in Italien und Griechenland ein vielfaches mehr Menschen demonstrieren als hier, war für mich hilfreich, um einmal anders über die „Unausweichlichkeit“ an der Beteiligung dieses Krieges nachzudenken.



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