Projekt Umweltverbund - hier: Zufußgehen


3 . Förderung des Zufußgehens

3.1 Gestaltung der Gehwege

Zufußgehen findet in unseren Städten und Dörfern zumeist auf den Gehwegen statt. Die Alternative - das Zufußgehen in verkehrsberuhigten Zonen mit gleichberechtigter Teilnahme aller Verkehrsteilnehmer - ist leider nur gering verbreitet. Daher ist der Gestaltung der Gehwege besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

FußgängerInnen brauchen Platz. Der Gehweg sollte also nicht der verbleibende Rest des Straßenquerschnittes sein, sondern ausreichend dimensioniert werden. Die landläufige Meinung, daß 150 Zentimeter Breite genügen, ist nicht vertretbar. Die Gehwegbreite muß mindestens für die Begegnung von drei Personen ausreichen, ohne daß sie einander ausweichen müssen. Der Berliner Arbeitskreis Verkehr und Umwelt hat in seiner Broschüre "Gehwege in Städten" für diesen Fall eine absolute Mindestbreite des Gehweges von rund vier Metern ermittelt (vgl. Abbildung).

An besonderen Punkten mit hohem FußgängerInnenaufkommen sind darüberhinaus wesentlich größere Gehwegbreiten erforderlich. Dies gilt zum Beispiel für Kreuzungsbereiche mit Warteflächen bei Lichtsignalanlagen, vor Schulen, Kaufhäusern, Versammlungsstätten, Theatern, Fabriken, Rathäusern und Ämtern und im Bereich von Haltestellen des öffentlichen Verkehrs.

Neben der Breite ist auch der Belag von Gehwegen fußgängerfreundlich zu gestalten. Das gilt nicht nur bei der erstmaligen Anlage des Gehweges, sondern vor allem für die spätere Wartung. Allzuoft werden Gehwege nach Rohr- oder Kabelverlegungen nur unzureichend wieder hergerichtet. Es entstehen Stolperkanten, der Boden senkt sich und es kommt zu Pfützen, das Material des Belages wechselt, es bleiben Löcher zurück, besonders die Unsitte des Gehwegparkens führt beständig zu Schäden und Gefahrenstellen. Dem Belag des Gehweges ist zumindest die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen wie der Fahrbahn. Im übrigen lädt ein optisch gut gestalteter Gehweg auch zum Zufußgehen ein.

Dieser einladende Charakter sollte durch Bereiche verstärkt werden, in denen FußgängerInnen verweilen und ausruhen können. Dazu sollte man in nicht zu großen Abständen kleine Grünbereiche schaffen, in denen sich vor allem ältere BürgerInnen auf Bänken niederlassen können. Dabei sollte auch an Regenschutz gedacht werden. Blumenbeete, ein kleiner Brunnen und Ab-schirmung durch Büsche gegen Lärm und Abgase würden zusätzliches Wohlbehagen verschaffen.

Die Gehwegfläche wird als Reservefläche für alle möglichen Einrichtungen angesehen, von denen viele nur dem Autoverkehr dienen. Daher sollte alles, was die Gehwegbreite einengt, beseitigt werden. Das reicht von den Verkehrsschildern  über die Poller zur Verhinderung von Gehwegparken - beide Einrichtungen stehen mindestens 50 Zentimeter von der Straßenkante auf dem Gehweg - bis zu Fahrradständern vor Geschäften, Telefonverteilerschränken und Abfallcontainern.

FußgängerInnen sollten auch nicht durch Zwangsführungen an Straßenkreuzungen und beim Zu-gang zu öffentlichen Verkehrsmittel behindert werden. Trampelpfade zeigen dann den tatsächlichen Weg der FußgängerInnen auf und einige kann man, sofern sie es noch schaffen, beim Überklettern der Hindernisse beobachten.

Für RollstuhlfahrerInnen, Eltern mit Kinderwagen oder Personen, die einen Einkaufswagen mit-führen, müssen an allen Kreuzungen und Querungsstellen die Gehwegkanten auf Null abgesenkt werden, eine kostspielige Alternative, die jedoch die Sicherheit erhöht ist die Aufpflasterung der Kreuzungsbereiche. Besonders für die oben genannten VerkehrsteilnehmerInnen, aber auch für alle anderen FußgängerInnen sollten außerdem Unter- und Überführungen vermieden werden, die nur über Stufen oder zu steile Rampen begangen werden können. Bei Unterführungen kommt noch hinzu, daß sie auch aus Gründen der Sicherheit vermieden werden sollten.

Daß Gehwege bei Dunkelheit ausreichend , d.h. vor allem gesondert beleuchtet werden, ist eine weitere Forderung, die der Sicherheit dient. Aus den gleichen Gründen sollten unübersichtliche Ecken, sogenannte Angsträume, vermieden werden. Ein ansprechend gestalteter Gehweg mit ausreichendem Platz und frei von Behinderungen ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß das Zufußgehen wieder zu einer normalen Fortbewegung wird.
 

3.2. Planerische Gestaltung von Gehwegnetzen

In Städten und Dörfern gibt es eine ganze Reihe von Einrichtungen, die häufig aufgesucht werden. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Verbindungen, die wegen der kurzen Entfernungen zu Fuß erreicht werden können. Da ist zum Beispiel der Weg zum Einkaufszentrum, zur Stadthalle oder dem Theater, zum Sportplatz, zum Krankenhaus, zum Friedhof, zur Kirche oder zur örtlichen Sehenswürdigkeit. Für diese Ziele sollte ein zusammenhängendes Gehwegnetz geschaffen wer-den. Die FußgängerInnen werden dabei möglichst abseits vom Autoverkehr auf gesonderten Gehwegen aus ihren Wohngebieten zu diesen Zielen und zurück geführt. Auch für das Gehwegnetz gilt, daß der Erlebniswert durch Grünanlagen und Ruheplätze gesteigert werden sollte. Man kann Arkaden, Passarellen und Passagen schaffen, die auch Schutz bei Regen gewähren.

Zur Orientierung soll das Gehwegnetz mit großen Wegweisern mit Entfernungsangaben zu den erreichbaren Zielen, insbesondere zu öffentlichen Verkehrsmitteln, ausgestattet werden. In den Stadtplänen ist das Gehwegnetz gesondert darzustellen.

Die zum Teil schon bestehenden Schulwegpläne sind zu Lasten des Autoverkehrs zu verbessern. Die Schulwege sollten durch Wegweiser oder Markierungen auf dem Gehweg besonders kenntlich gemacht werden.
 

3.3 Autofreie bzw. autoreduzierte Bereiche

Das beste Mittel, dem umweltverträglichen Zufußgehen zu seinem verdienten Recht zu verhelfen, ist die Verdrängung des Autos. Erst der reine FugängerInnenbereich beseitigt die Gefährdungen, Belästigungen und Behinderungen durch das Auto. Da-her sollten FußgängerInnenzonen nicht nur in den Innenstädten, sondern auch in den Stadtteilzentren und an anderen geeigneten Orten wie zum Beispiel bei einem Schulzentrum oder im Umfeld von Freizeitanlagen eingerichtet werden. In den Wohnquartieren sollten flächendeckend verkehrsberuhigte Bereiche mit gleichberechtigter Teilnahme aller Verkehrsteilnehmer und Schritt-Tempo für die Autos angelegt werden. Auch in den durch die Ortschaft führenden Hauptverkehrsstraßen sollte Tempo 30 eingeführt werden.

Daß ein solches Konzept durchführbar ist, zeigt sich in der zunehmenden Zahl von autofreien oder autoreduzierten Kur- und Fremdenverkehrsorten. Warum sollen nur dort die FußgängerInnen die Vorteile der autofreien Umwelt genießen? Außerdem werden bereits Wohnviertel geplant, bei denen die Bewohner bewußt auf den Besitz und die Nutzung eines Autos verzichten. Solches "Wohnen ohne Auto" ist eine lohnende Aufgabe für jede Stadt.

Man sollte auch nicht davor zurückschrecken, einzelne Straßenzüge oder ganze Stadtteile zeit-weilig für den Autoverkehr zu sperren, um zum Beispiel ein Straßenfest zu feiern oder eine Ufer-zone am Wochenende für Freizeitaktivitäten bereitzustellen.

3.4 Bevorzugung des Zufußgehens an Kreuzungen und Querungen

Kreuzungen sind auf hohe Leistungsfähigkeit für den Autoverkehr angelegt. FußgängerInnen müssen dagegen an den Lichtsignalanlagen lange warten, meistens umständliche, mehrmals unterbrochene Wege gehen und werden außerdem durch abbiegende Autos gefährdet. Diese Situation an Kreuzungen muß durch eine Bevorzugung des Zufußgehens abgelöst werden.

Die Lichtsignalanlagen sind so zu schalten, daß FußgängerInnen Rundumgrün haben, so daß gleichzeitig alle Autos an der Kreuzung halten müssen. In dieser Zeit muß den FußgängerInnen auch das Diagonalqueren der Kreuzung möglich sein. Die Grünzeiten für FußgängerInnen müssen lang genug sein, damit auch ältere und behinderte Verkehrsteilnehmer in Ruhe die Straße über-queren können, ohne daß die Ampel schon wieder auf Rot umschaltet. Ein gleichzeitiges Grün für FußgängerInnen und abbiegende Autos darf es nicht geben. Daher darf auch der aus den neuen Bundesländern übernommene grüne Abbiegepfeil nicht eingesetzt werden.

Wenn für FußgängerInnen Bedarfsampeln eingerichtet sind, müssen diese auf Anforderung sofort auf Grün für FußgängerInnen umschalten und den Autoverkehr unterbrechen. An den FußgängerInnenfurten müssen ausreichende Aufstellflächen vorhanden sein. Die Kreuzungen sind übersichtlich zu  gestalten, so daß die FußgängerInnen den Autoverkehr beobachten können, selbst aber auch von den AutofahrerInnen gesehen werden. Ausrundungen an den Kreuzungen, die den Autoverkehr beschleunigen, sind zu beseitigen. Es sind im Gegenteil Gehwegnasen einzurichten, damit wartende FußgängerInnen besser gesehen werden.

In den Wohnquartieren sollte an allen Kreuzungen die Fahrbahn aufgepflastert werden, damit den FußgängerInnen ein zusam-menhängendes Wegenetz geschaffen wird, während der Autoverkehr unterbrochen ist. Auch in Tempo-30-Zonen sollten vor Schulen, Kindergärten, Altenheimen, Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) angelegt werden, wenn nicht gleich eine verkehrsberuhigte Zone eingerichtet wird.

3.5 Förderung des Zufußgehens zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs

In den Städten und Gemeinden muß das Zufußgehen wieder der Normalfall der Ortsveränderung werden. Damit einhergehen muß die Verringerung des Autoverkehrs und der Anzahl der Fahrzeuge. Eine wesentliche Voraussetzung für diesen Wandel bei der Verkehrsmittelwahl ist die allgemeine Einführung von Tempo 30 innerorts. Damit werden die Gefährdungen vermieden, die von schnell fahrenden Fahrzeugen ausgehen. Diese Wirkung kann durch ein allgemeines Überholverbot verstärkt werden, flankierend ist die Vorfahrtsregelung "rechts vor links" umzusetzen.

Um wieder Platz für den Menschen und nicht für die Autos zu schaffen, ist von reinen Autostraßen abgesehen das Parken im öffentlichen Straßenraum generell zu verbieten. Dieses Ziel kann stu-fenweise dadurch erreicht werden, daß zunächst das illegale Gehwegparken durch rigorose Überwachung abgestellt, danach das legale Gehwegparken beseitigt wird, um dann alle Park-plätze im öffentlichen Straßenraum einzuziehen. Die gewonnenen Flächen können für die Verbreiterung der  Gehwege genutzt oder in Grünanlagen und Kinderspielplätze umgestaltet werden.

3.6 Infrastruktur für das Zufußgehen

Zur Infrastruktur des Zufußgehens gehören zunächst die bereits unter Nr. 3.2 dargestellten Gehwegenetze. An ihnen, aber auch bei allen sonstigen Gehwegen an Straßen, sind zusätzliche Einrichtungen zu schaffen, die FußgängerInnen das Leben erleichtern. Hierzu zählen ausreichende Ruhemöglichkeiten an allen Wartestellen wie Haltestellen des ÖPNV oder an Bahnübergängen. Ruhemöglichkeiten müssen aber auch sonst in nicht zu großen Abständen vorhanden sein, damit sich vor allem ältere BürgerInnen von Zeit zu Zeit niederlassen können. Diese Maßnahmen würden außerdem dazu beitragen, daß die Vereinzelung vor allem älterer Menschen reduziert wird und sie lange selbständig bleiben können. Diese Ruheplätze sollten auch Schutz vor Regen bieten.

In der Nähe von Geschäftszentren sollten Schließfächer aufge-stellt werden, in denen kostenlos Gepäck oder der Einkaufswagen untergestellt werden kann.

Ein geeignetes Wegweisungssystem ist nötig. Wichtig sind die Kennzeichnung der Abfolge von Hausnummern bei Straßen an jeder Straßenecke, der Hinweis auf wichtige Einrichtungen und die Ausschilderung der ÖPNV-Möglichkeiten.

3.7 Siedlungspolitik für FußgängerInnen

Neuerdings werden ganze Wohnquartiere für BewohnerInnen ohne Automobil geplant. Neben dieser konsequentesten Wohnform für umweltbewußte VerkehrsteilnehmerInnen sind aber auch bei der allgemeinen Stadt- und Gemeindeentwicklung Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die das Zufußgehen erleichtern und fördern. Die Nähe muß als positives Element der Lebensqualität zu-rückgewonnen werden. Wohnen, Arbeiten, Ausbilden, Versorgen und Erholen sollte in fußläufigen Entfernungen möglich sein. Nicht der Supermarkt, das Schulzentrum und das Erlebnisbad auf der grünen Wiese mit riesigen Parkplätzen ist zu fördern, sondern der Laden um die Ecke, der Bauernmarkt in der Ortsmitte, die Schule und das Schwimmbad im Ort sollten beibehalten oder wieder geschaffen werden.

3.8 Einbindung des Zufußgehens in den Umweltverbund

Nicht alle Einrichtungen, die wir aufsuchen, können in fußläufiger Nähe bereitgestellt werden. Aber ehe auf das Auto zurückgegriffen wird, um das Kind zur Schule oder selbst zum Schwimmbad zu fahren, gibt es noch die umweltverträglicheren Verkehrsformen des Fahrradfahrens und der Be-nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Mit diesen beiden anderen Verkehrsmitteln muß das Zufuß-gehen im Umweltverbund verknüpft werden.

Beim Umstieg auf das oder vom Fahrrad erwarten FußgängerInnen sichere und geräumige Ab-stellanlagen. FußgängerInnenzonen sollten auch für das Fahrradfahren freigegeben werden. Wenn Gehweg- und Radwegenetze auf gemeinsamen Trassen geführt werden, müssen getrennte Fahrstreifen mit ausreichender Breite zur Verfügung stehen.

Beim Übergang auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erwarten FußgängerInnen einen bequemen, stufenfreien Zugang zu den Haltestellen. Auf keinen Fall sollen die FußgängerInnen lange zwangsgeführte Wege gehen müssen, ehe sie zu den Haltestellen gelangen. Hier wird meist der gefährliche kurze und ungesicherte Weg über die Autostraße genommen. Eine Sicherung des Zugangs zu den Haltestellen durch Fußgängerüberwege sollte selbstverständlich sein.

Zu den Haltestellen müssen Wegweiser hinführen und an den Haltestellen müssen Wegweiser zu wichtigen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Ämter aufgestellt werden. Bequemer vor allem stufenfreier Zugang muß aber auch zu den Fahrzeugen des ÖPNV möglich sein.

Angesichts der Umweltprobleme und der drohenden Klimaveränderungen sind wieder die Voraussetzungen zu schaffen, auch ohne Auto mobil zu bleiben. In der Vergangenheit wurden der Umweltverbund durch die einseitige Förderung des Autoverkehrs immer weiter zurückgedrängt. Die wichtigsten Verbindungen in der Mobilitätskette wurden zerschnitten. Es ist höchste Zeit, daß die umweltverträglichste Fortbewegung - das Zufußgehen - auch in der Planung wieder Priorität erhält.



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