Der Rüstungsexport boomt. Aufrüstung und ein bisschen Krieg -
das ist, was unter
Rot-Grün vom Pazifismus bleibt.
Statt geradeheraus zu sagen, der Pazifismus hat ausgedient, wertet Ludger
Volmer in der FR vom 7. Januar 2002 den Begriff um und schreibt: "Pazifismus
heute kann militärische Gewalt als Ultima Ratio, als letztes Mittel,
nicht leugnen . .
." Wenn Pazifismus zu einem bisschen Krieg wird, wenn Begriffe einen anderen
bis
entgegengesetzten Inhalt bekommen, dann sind Worte zum Notnagel einer Politik
geworden, die sich verloren hat.
Die Grünen haben ihre Grundwerte so gründlich ramponiert, dass
wenigstens die
Begriffe gerettet werden müssen, damit ihre Partei nicht unkenntlich
wird,
überflüssig. Deshalb konstruiert Ludger Volmer, aus Vergangenem
dialektisch
geschult, einen "neuen politischen Pazifismus", in dem es gelte, "Verantwortung
und Risiken mitzutragen". Der dürfe "nicht die Realitäten verdrängen".
Schon Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky oder Helene Stöcker mussten
sich
anhören, dass ihre Politik untauglich sei für die Realität,
als Idealisten wurden
Albert Schweitzer, Albert Einstein, Bertrand Russell, Martin Luther King,
Mahatma
Gandhi und die ungezählten Pazifistinnen und Pazifisten der vergangenen
100
Jahre abgestempelt. In dieser Hinsicht sagt Ludger Volmer nichts Neues.
Er kommt sogar der These von Heiner Geißler bedenklich nah, der auf
dem
Höhepunkt der Bewegung gegen den Nato-Doppelbeschluss behauptete,
der
Pazifismus habe Auschwitz erst möglich gemacht, weil er die
Verteidigungsbereitschaft der westlichen Demokratien gegenüber Hitler
geschwächt habe. Der CDU-Politiker Geißler wollte damals die
Friedensbewegung
insgesamt diffamieren; er erntete übrigens heftigsten Widerspruch.
Anders der Grünen-Politiker Volmer heute. Er will die Traditionen
der
Friedensbewegung für die Politik der Bundesregierung vereinnahmen.
In seiner
Argumentation wird der Jugoslawien-Krieg zur Konsequenz aus "Nie wieder
Auschwitz, nie wieder Krieg".
Dem "neuen politischen Pazifismus", dem Pazifismus mit ein bisschen Krieg,
entspricht der "humanitäre Krieg", auch so eine Erfindung der rot-grünen
Bundesregierung.
Im "humanitären Krieg" ist der Feind nicht ein anderes Volk, sondern
einzelne
Machthaber, Milosevic, die Taliban, bin Laden . . .
Im "humanitären Krieg" geht es angeblich nicht um Macht, Einflusssphären,
Reichtum oder Rohstoffe, sondern um - Menschlichkeit. Das war der Fall
in
Kosovo, als deutsche Soldaten für Auschwitz sühnten, das ist
so in Afghanistan,
wo sich, laut Bundesregierung, "Bündnistreue", "Bündnisfähigkeit"
und
"uneingeschränkte Solidarität" zu erweisen haben.
Seitens Rot-Grün erhält jede neuere deutsche Kriegsbeteiligung
die höhere Weihe
eines Handelns bar jeglichen Eigeninteresses, Militäreinsätze
sind altruistisch. So
hat die jetzige Bundesregierung Kriege wieder führbar gemacht. Die
Konservativen
hätten damit mehr Schwierigkeiten gehabt, ihnen mangelt es an Glaubwürdigkeit
auf dem Gebiet der Menschenrechte, und Kriege als Fortsetzung der
Friedensbewegung mit anderen Mitteln hätte den erklärten Gegnern
des
Pazifismus ohnehin keiner abgenommen.
Unter Rot-Grün hingegen wird deutsche Kriegsbeteiligung zu einer Sache
der
Moral, und über Interessen wird nicht mehr geredet. Das entmündigt
den Bürger,
das schadet der Demokratie. Sie wird zur "wehrhaften Demokratie", die dem
Bürger misstraut, die den Souverän zum verdächtigen Subjekt
macht.
Einst war die "wehrhafte Demokratie" die konservative Alternative zu Willy
Brandts
"mehr Demokratie wagen". Bis der damalige Kanzler dem Zwischenrufer Rainer
Barzel in einer Bundestagsdebatte entgegnete: "Sie brauchen uns nicht zum
Jagen
zu tragen" - und die Berufsverbote initiierte. Heute hat die "wehrhafte
Demokratie"
erneut das Schicksal der freundlichen Übernahme durch Rot-Grün
ereilt, die
Konservativen sind dabei, die Plätze weiter rechts zu besetzen. Die
Mitte der
Gesellschaft gerät aus dem Lot. Auch das ist Folge deutscher Kriegsbeteiligung.
Unter realistischer Außenpolitik versteht Rot-Grün etwas, was
sich auf eigene
Machtambitionen gründet, Bündnisverpflichtungen berücksichtigt
oder
Koalitionszwängen unterliegt. Das greift aber viel zu kurz. Außenpolitik
muss vom
Zustand der Welt ausgehen. Darin liegt ihre Radikalität, Realität
ohnehin.
Die Büchse der Pandora ist weit offen nach Ende der Blockkonfrontation.
Der
Nord-Süd-Konflikt ist ungelöst, die Kluft zwischen Arm und Reich
tief.
Massenvernichtungswaffen bedrohen den Globus, Bürgerkriege, Zerfall
von Staaten
und Staatlichkeit, ökologische Zeitbomben, Seuchen, Hunger, Armut.
Interessenkonflikte entzünden sich an den Fragen, wer die endlichen
Naturressourcen nutzen kann, wer das Wasser, die weltweite Kommunikation,
wer
Zugang zum Welthandel hat. Der globale Terror ist hinzugekommen, seine
Netzwerke sind älter.
Diese Probleme hat der Neoliberalismus, der beansprucht, die moderne Antwort
auf den Sozialismus zu sein, nicht gelöst, sondern verschärft.
Interessanterweise
gab es in Europa in den 90er Jahren andere politische Antworten. Sie gingen
in
Richtung von mehr Sozialstaatlichkeit, eine mehr auf Ausgleich bedachte
Verteilung von Reichtung und Macht, Auflösung der Militärblöcke,
Abrüstung statt
Umrüstung.
Doch Europa ist dabei, seinen eigenen Weg zu verlassen, der den Frieden
sicherer
gemacht und die Welt stabilisiert hätten. Die Auseinandersetzung um
konkrete,
realistische Alternativen spart Ludger Volmer aus und vertritt stattdessen
mit
Joseph Fischer, moderne Außenpolitik sei Weltinnenpolitik.
Für eine Weltinnenpolitik scheint zu sprechen, dass in weiten Teilen
ein
Machtvakuum entsteht, weil die klassischen Ordnungsmächte, die Staaten,
zerfallen oder staatliche Macht erodiert. Das ist der Fall in Afrika, Asien,
Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten. Viele dieser Staaten waren
willkürliche Produkte der Kolonialmächte. Weitere Zonen hoher
Unsicherheit hat
der Zusammenbruch des Ostblocks hinterlassen, so auf dem Balkan, in der
kaukasisch-kaspischen Region, in Zentralsien. Die Auflösung von Staatlichkeit
bei
geringer Bindewirkung internationaler Kooperation setzt zusätzliche
Gefährungspotenziale frei.
Die fängt die vermeintliche Weltinnenpolitik nicht auf; im Gegenteil.
Sie spielt mit
der Souveränität von Staaten, täuscht weltweite gemeinsame
Rechts- und
Wertevorstellungen vor. Statt internationale Arbeitsteilung und Kooperation
zu
fördern, fördert sie den Anspruch auf weltweite Intervention
und verwischt dabei die
Grenzen zwischen Militäraktionen und Polizeieinsätzen.
Fischer und Volmer müssen sich fragen lassen, wo und wie sie eine
Weltregierung
ansiedeln und wer sie demokratisch legitimiert hat. Die Faktische Weltregierung
von heute sind nicht die UN, sondern die G 8, der durch nichts anderes
als durch
wirtschaftliche Macht legitimierte Zusammenschluß der großen
Industrienationen.
In dieser Champions-League der Welt will Deutschland als relativ kleine
Macht
ganz groß sein. Ist das das Ziel rot-grüner Weltinnenpolitik?
Sicherer könnte die
Welt werden durch Stärkung und Reform der Vereinten Nationen, durch
Internationalismus statt Interventionismus.
Faktoren der Stabilisierung könnten regionale Ordnungsmächte
und -pakte sein wie
die OSZE, EU, die Organisationen Amerikanischer und Afrikanischer Staaten,
der
Asean-Pakt.
Über eine Voraussetzung einer solchen Politik muss man sich völlig
im Klaren
sein: Sie braucht die Bereitschaft abzugeben, zu teilen, auf Machtzuwachs
zu
verzichten. Sie braucht eine Glaubwürdigkeit. Die fehlt Rot-Grün.
Ein Beispiel:
Deutschland traut seinem Nato-Partner Türkei so wenig, dass es nicht
bereit ist,
ihm voraussetzungslos Waffen zu verkaufen. Zu Recht. Gleichzeitig ist die
Regierung bereit, deutsche Soldaten der Schutztruppe für Afghanistan
unter
türkisches Kommando zu stellen. Ein anderes Beispiel: Warum muss Deutschland
gerade heute einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat beanspruchen,
wo doch
Europa deutlich über-, Afrika, Lateinamerika und Asien hingegen unterrepräsentiert
sind? Und mehr: Warum darf Russland nicht weiter wegen Tschetschenien kritisiert
werden, wie es Ludger Volmer meint? Wann wird endlich Abschied davon
genommen, dass ein Feind meines Feindes mein Verbündeter zu sein hat?
Alle
Gewächse des modernen Terrorismus waren Verbündete der USA. Die
Anti-Terror-Koalition hat für kurze Zeit Feuer und Wasser zusammengebracht.
Eine
tragfähige Perspektive für internationale Sicherheit ist sie
nicht.
Die Anti-Terror-Koalition ist kein Ausdruck für einen Multilateralismus
der USA. Die
Weltmacht Nummer eins entscheidet allein und entsprechend ihrer Interessen.
Die
uneingeschränkt solidarische Bundesregierung, noch nicht einmal die
Nato, hat
keinen Einfluss auf die Kriegsführung, Kriegsziele, auf die eingesetzten
Waffen. Ob
nach Afghanistan Somalia oder Irak dran sind, welche Rolle dort deutsche
Soldaten spielen werden - all das liegt allein in den Händen Washingtons.
Die UN werden dann und insofern billigend in Kauf genommen, wenn sie
beschließen, was man erwartet. Sie werden in die Rolle gebracht,
die Scherben
zusammenzufegen, die andere zerbrochen haben.
An diesen Wirkungen ist die neue deutsche Außenpolitik beteiligt.
Die Gründe
dafür nannte Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung
vom 11. Oktober
2001, als er ausdrücklich betonte, die Etappe deutscher Nachkriegsgeschichte,
als
man von Deutschland in Kriegen nur "sekundäre Hilfsleistungen" erwartete,
also
Geld und Infrastruktur, sei "unwiderruflich vorbei". Jetzt hätten
die Deutschen die
Pflicht, sich direkt an militärischen Aktionen zu beteiligen. Wer,
wie der Kanzler
oder Ludger Volmer, meint, um seiner Großmachtrolle willen auch Krieg
führen zu
müssen, kann dies derzeit nur an der Seite der USA. Dabei wird die
gemeinsame
europäische Außen- und Sicherheitspolitik gefährdet.
Wenn in Europa die Großen gleicher sein wollen als die Kleinen, hat
die
Gemeinschaft schon verloren. Dieser Drang, bei den Großen am Tisch
zu sitzen,
hat auch etwas Tragisches. Deutschland ist immer zu spät gekommen.
Wenigstens dieses Mal soll es von Anfang an die neue Weltordnung mitbauen.
Die
Angst vor dem Zuspätkommen verhindert, dass Deutschland eine andere
große
Rolle spielt: die des ehrlichen Maklers.
Als ehrlicher Makler könnte der Pazifismus wieder eigene Gestaltungsräume
füllen.
Darum bemühen wir Sozialisten uns.
Wir haben Strategien neu bestimmt. Wir wollen soziale Differenzen nicht
mehr
zuspitzen, sondern ausgleichen. Unser Ziel ist nicht mehr die Instabilität,
sondern
Stabilität für ökologische, ökonomische und soziale
Reformen. Dafür stellt nicht der
Staat ein Hindernis dar, Rechtsstaatlichkeit wird vielmehr zur Voraussetzung
für
internationale Kooperation, für regionale Sicherheit und Abrüstung.
Sozialisten
engagieren sich für Armutsbekämpfung, ökologischen Umbau,
ökonomische
Umverteilung, gewaltfreien Interessenausgleich, Stärkung des internationalen
Rechts. Krieg gehört für uns nicht zu den Mitteln der Politik.
Die Grüne Antwort ist anders. Sie heißt: Ein bisschen Krieg
- kein bisschen
Pazifismus.
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