Martin H. Petrich:
Die 'Entwicklungs'-Mönche in Thailand

In den "Jatakas", den gesammelten Erzählungen aus den früheren Leben Buddhas, wird folgendes berichtet (Nr. 31): Der Bodhisattva erscheint als Prinz Magha in einem kleinen Dorf. Dort leitet er die Dorfbewohner an, sich an die buddhistischen Grundregeln, die Panca-Sila, zu halten und gute Taten zu verrichten. Zusammen mit ihnen legt er Straßen an, gräbt Wassertanks und bildet Hallen. Es heißt weiter in der Geschichte, daß die Bewohner mit Großherzigkeit zusammenleben und sich an die Vorschriften halten. Das Dorfoberhaupt, das gut an den Straftaten, die die Dorfbewohner früher begangen hatten, verdient hatte, klagt sie daraufhin beim König an und beschuldigt sie verschiedenster Straftaten. Dieser verurteilt sie zum Tode. Die Elephanten, die sie zertrampeln sollten, flohen jedoch vor den Bewohnern. Auf die Frage, mit welchem Zauberspruch Prinz Magha ausgestattet sei, antwortete dieser: "Es gibt keinen anderen Zauber als diesen, daß die Bewohner sich an die Panca-Sila halten, Güte und Großherzigkeit zeigen, Straßen bauen, Wassertanks anlegen und öffentliche Hallen errichten."

Diese Erzählung steht als Vorbild für eine Bewegung unter Mönchen in Thailand, die sich verstärkt um die Belange der ländlichen Bevölkerung kümmert. Wer Thailand etwas kennt, dem fällt der krasse Gegensatz zwischen den boomenden Metropolen wie Bangkok und den armen ländlichen Gebieten besonders im Nordosten Thailands auf. Die ursprüngliche Eigenständigkeit der Dörfer ist der Ab-hängigkeit von außen durch Fremdarbeit und Handel mit Waren gewichen. Die wirtschaftliche Situation ist trotz steigender Ernteerträge wegen des weltweiten Preisverfalls angespannter denn je (Seri Phongphit, Religion in a Changing Society. Buddhism, reform and the role of monks in community development in Thailand, Hongkong 1988, 35f.). Vor allem junge Menschen wandern aus den Dörfern in die Großstädte ab, angezogen von den dortigen Konsumangeboten, in der Hoffnung, am schillernden Leben teilhaben zu können.

Für das Leben der Landbevölkerung hat dies zur Folge, daß zum größten Teil nur noch ältere Menschen in den Dörfern leben und das dortige Leben stagniert. Für den Theravada-Buddhismus stellt sich die Frage, wie er mit seiner jahrtau-sende alten Lehre diesen Menschen eine Perspektive geben kann.

Eine kleine, aber aktive Gruppe von Mönchen versucht sich diesen Herausforderungen zu stellen. Im Sinne der Er-zählung aus den Jatakas versuchen sie die Lebenssituation der Dorfbewohner zu verbessern. Eine Gründerperson dieser Mönchsinitiative gibt es nicht, jedoch gilt der Mönch Phra Kruba Srivichai, der schon 1935 damit begann, eine Infra-struktur in seinem Dorf zu entwickeln, als einer der ersten.

Im Zentrum dieser Entwicklungs-Aktivitäten steht der Tempel (Wat genannt), der sich in fast jedem thailändischen Dorf befindet. Neben der Familie ist der Wat die wichtigste Institution. Er bildet das Zentrum, um das sich das so-ziale Leben der Dorfbewohner dreht. An-nähernd alle weltlichen und religiösen Aktivitäten spielen sich dort ab. Die Dorfbewohner kommen hier zu allen möglichen Gelegenheiten zusammen. Der Wat dient als Hospital, als religiöse und weltliche Schule, als Ort für die alten Menschen, als Spielplatz für Kinder und Treffpunkt für Jugendliche, kurz: der Wat ist der Brennpunkt der Dorfgemeinschaft und zwischen den dort lebenden Mönchen (die oft aus dem gleichen Dorf stammen) und den Dorfbewohnern besteht eine en-ge Beziehung, die geprägt ist von gegen-seitigem Respekt.

Seri Phongphit, der Direktor des "Thai Institute for Rural Development" in Bang-kok, hat in dem lesenswerten Buch "Religion in a Changing Society" verschiedene Beispiele von "Entwicklungs-Mönchen" gesammelt und ausgewertet. Davon soll eines kurz skizziert werden (Vgl. ebd. 101-110).

Phra Kru Visit Nandakan ist Abt vom Wat des Dorfes Suan Poh mit heute etwa 1000 Einwohnern, das in einer der ärms-ten und trockensten Regionen Thailands liegt. Während einer Trockenzeit vor etwa 30 Jahren wies er die Dorfbewohner an, einen Brunnen zu bohren und Gemüse anzupflanzen. Er stellte erworbenes Land, auf dem Reis angepflanzt werden sollte, zur allgemeinen Verfügung, was ihm prompt den Vorwurf, ein Kommunist zu sein, einbrachte. Er gründete eine Reis- und eine Büffelbank, an der alle Dorfbewohner gleichberechtigt teilhaben konnten. Jugend- und Frauengruppen gründeten sich auf seine Initiative hin und ein Traktor wurde zur gemeinsamen Nutzung angeschafft. Die Bewohner bauten ein Gesundheitszentrum auf, gründeten eine kleine Genossenschaftsbank und richteten einen Kooperativenladen ein. All diese Einrichtungen wurden auf die Initiative von Phra Kru Visit Nandakan hin gegründet, aber von den Dorfbewohnern eigenständig weitergetragen. Die Dorfbewohner sollten nach Meinung des Abtes alle Dinge selbständig und eigenverantwortlich tun. Seine Rolle sieht er nur darin, zu initieren und die Menschen des Dorfes zu selbständigem Handeln zu anzuleiten.

Aus den verschiedenen Beispielen leitet S. Phongphit folgende Charaktereigenschaften ab, die ein "EntwicklungsMönch" besitzen sollte (Vgl. ebd. 151-153).

(1) er muß als jemand, der das Wesen des Dhamma erfaßt hat, von den Bewohnern akzeptiert und in die Meditationspraxis eingeübt sein;
(2) er muß Entschlossenheit und Standhaftigkeit zeigen. Zudem sollte er auf der Seite der Bewohner stehen;
(3) er muß moralische Integrität besitzen und von daher das Vertrauen der Menschen;
(4) er muß Offenheit zeigen und die Bereitschaft zum Lernen;
(5) er muß Liebe zur Natur besitzen und dadurch für die ökologischen Belan-ge Sensibilität besitzen;
(6) schließlich sollte er Führungsqualitä-ten haben und fähig sein, die Ge-meinschaft anzuleiten.

All diese Charakteristika bilden die sog. "parami" dieser Mönche. Das sind die verschiedenen Vollkommenheitstufen, wie sie bei einem Bodhisattva ausgebildet sind.

"Entwicklung" im buddhistischen Sinne ist schließlich dann gegeben, wenn folgende Aspekte beachtet werden (Vgl. ebd. 173f).
(1) Autonomie: Es sind Basisstrukturen der Dörfer in den ländlichen Gebieten vorhanden.
(2) Parami: Es besteht kein Mangel sowohl an Mönchen wie auch an Laien, die Spirituelle Qualitäten (Parami) besitzen.
(3) Menschliche Entwicklung: Der Mensch ist letztes Ziel und Akteur der Entwicklung. Alle anderen Ziele müssen ihm untergeordnet sein.
(4) Ausgeglichenheit: In allen Verhältnissen (der einzelne zur Gemeinschaft oder der Mensch zur Natur) muß eine Ausbalanciertheit und Harmonie herrschen.
(5) Volksweisheit: Werte und Erfahrungen, die sich über Generationen hinweg bewährt haben, sollen berücksichtigt werden.
(6) Erziehung: Theorie und Praxis müssen gemeinsam einhergehen und dürfen nicht voneinander getrennt sein.
(7) Offenheit: Das Traditionelle darf nicht abgeschlossen sein, sondern muß offen sein für Modernisierung, dort wo es angebracht erscheint.
(8) Beteiligung: Die Entwicklung darf nicht über die Köpfe der Menschen hinweg geschehen, sondern muß die Menschen daran partizipieren lassen.
(9) Selbstbewußtsein: Ziel der Entwicklung ist es, soweit es geht "seine eigene Zuflucht" zu werden und auf allen Ebenen so weit wie möglich autonom zu werden, ohne jedoch in Selbstisolierung zu verfallen.
Diese Beispiele können aber nicht darüber hinweg täuschen, daß für gewöhnlich die thailändischen Mönche sich eher passiv gegenüber den rapiden Veränderungen verhalten und diesen zumeist nicht gewachsen sind. Die "Entwicklungs-Mönche" bilden nur eine kleine Gruppe, zeigen jedoch einen sehr hoffnungsvollen Ansatz dafür, wie auf die vielen Herausforderungen der Gegenwart reagiert werden kann.
 



Zurück zur Homepage des  ÖkoBüro Hanau

Zurück zur Übersicht  BuddhaNetz-Info