Dalai Lama: Das sind sehr wichtige Punkte, ein ungeheuer wichtiges Thema. Ich glaube, es gibt da zwei Wege, die genannten Probleme anzugehen, eines im Wesentlichen auf der Grundlage der buddhistischen Lehre und dann auf internationaler Ebene. Jedes Land hat seine eigenen Traditionen und seine eigene Art zu leben und so gibt es auch entsprechend den jeweiligen Umständen eine Herangehensweise an diese Probleme auf der Basis der buddhistischen Lehren. Dann gibt es diese andere Ebene, eher international. Mit international meine ich die ganze Menschheit betreffend, auf dieser Ebene denke ich teilen wir einen Wert: Menschlichkeit. Auf dieser Ebene besteht dann kein Grund, sich auf spezielle buddhistische Lehren oder buddhistische Philosophie zu beziehen. ... Nehmen Sie Thailand, das ein buddhistisches Land ist, dort kann man sich als Buddhist in einer buddhistischen Gesellschaft auf Traditionen beziehen, man kann auf die Idee von Karma verweisen, oder auf Wiedergeburt und Moksha.. Auf der zweiten Ebene, der internationalen, können wir diese Philsosophien und Konzepte nicht benutzen um das tägliche Leben in ein höheres Konzept zu stellen oder den Menschen eine Richtschnur zu geben. Ich glaube aber, wir können auch hier etwas tun oder zumindest einen Beitrag leisten, aber wie? Mein Wissen ist sehr beschränkt, aber ich denke, wir brauchen eine gründliche Diskussion oder ein Seminar mit Teilnehmern, die ein tiefgehendes Interesse an dem Thema haben und gleichzeitig eine optimistische Grundeinstellung. Dann werden wir Mittel und Wege finden.
Ein sehr guter Vorschlag. Darf ich Eure Heiligkeit ein wenig über den Thai-Buddhismus informieren? Ich weiß, sie waren kürzlich in unserem Land. Der Thai-Buddhismus hat sich seit mindestens 900 bis 1000 Jahren entwickelt. Auf der dörflichen Ebene funktionierte das sehr gut - ganz ähnlich wie in Tibet. Buddhismus und Thai-Kultur sind ein - und dasselbe. Auch der Königshof und der Feudalismus werden sehr ähnlich sein wie in Tibet. Die Lehren des Buddha beeinflussten den jeweiligen König ein guter König zu sein und diejenigen die übel waren, waren nicht allzu übel, der buddhistische Einfluss wirkte Wunder. Obwohl wir vom Westen nicht kolonisiert wurden, kamen die Briten 1855 wie ihren Kanonenbooten, genau wie die Amerikaner in Japan. Und ebenso wie andere asiatische Staaten haben wir den Briten unser Land geöffnet, was faktisch einer Unterwerfung gleichkam: sie nahmen sich spezielle Privilegien heraus. Wir verloren unsere Autonomie, obwohl wir unsere Innenpolitik noch selbst bestimmten. Sie waren uns technologisch und wissenschaftlich überlegen, also passten wir unser Land dem Westen an. Unglücklicherweise ging diese Anpassung zu weit, so dass der Buddhismus heute mehr äußere Form ist als inhaltliche Substanz. Am schlimmsten ist meiner Meinung nach, dass wir den Buddhismus der westlichen Wissenschaft anpassten, so dass wir den Glauben an Boddhisattvas, Devas und Mara aufgaben, selbst den an frühere und spätere Leben. Dies gilt für die Mehrheit der sog. gebildeten Schicht., das sehe ich als großes Übel an. Noch schlimmer sieht es mit unserer Sangha und den Mönchen aus, die ehedem als Führungselite auf allen Gebieten galten. In den letzten 100 Jahren wurden nur noch Arme ordiniert, die Reichen wurden zum Studium ins Ausland geschickt, so wie auch ich. Erst später habe ich begriffen, dass wir unserer Kultur entfremdet wurden und auf die Armen herabsahen.
Ganz ähnlich in Tibet.
Ja, und ich glaube, hier liegt das Dilemma: die Mönche glauben nur noch an intellektuelles Wissen. Noch schlimmer: die meisten von uns glauben an die neue Religion, den Konsumismus; wir verehren das Geld, wir verehren den technischen Fortschritt, ich glaube das ist sehr gefährlich. In meinem Land ist die Wirtschaft in den letzten beiden Jahren zusammengebrochen, und mein Land wurde zwar nicht 1855 kolonialisiert, aber jetzt: vom IWF (Internationaler Währungsfond), dieser hat die Kontrolle über alles übernommen. Nach unserer Wirtschaft brachen auch diejenigen von Korea und Indonesien zusammen. Kürzlich traf ich den Präsidenten der Weltbank, Herrn Wolfenssohn (das BNI berichtete darüber in Heft 7) und er fragte mich, was ich angesichts des ökonomischen Zusammenbruchs fühlte. Als Buddhist antwortete ich ihm, dass ich diesen Zusammenbruch für ein Geschenk des Himmels hielt, aber meine Regierung ist nicht buddhistisch und sie fragten den IWF und baten um finanzielle Hilfe. Wir Buddhisten lehren, dass unser Religionsstifter in die Hauslosigkeit zog um die Wahrheit zu suchen, als er einen Alten, einen Kranken, eine Leiche und einen Mönch sah, und so gelangte er zur Erleuchtung. Wenn auch wir unserem Meister folgen wollen, so müssen wir achtsam sein.
Was aber, wenn unsere Wirtschaft so weit zurückgeht, dass unsere Leute hungern, was machen sie dann?
Genau das ist mein Punkt. In den letzten 30 Jahren, seitdem Sie erstmals unser Land besuchten, haben wir an Entwicklung geglaubt. Entwicklung bedeutete dabei natürlich Entwicklung im amerikanischen Stil, sie bedeutet Neo-Kolonialismus. Wir sind dieser Entwicklung gefolgt und die Reichen sind immer Reicher geworden und die Armen sehr arm. Vor 100 Jahren war der Abstand zwischen Arm und Reich nicht allzu groß, nicht einmal der König bildete da eine Ausnahme. Jetzt sind die Reichen so reich, dass sie einen westlichen Lebensstil wollen, die neueste Technologie, viele Autos, Hubschrauber, aber 85 % leben im Elend. Genau hier wird Buddhismus wichtig: diese Armen, die ihrem Land und ihrer Kultur entfremdet wurden, haben alles verkauft in der Hoffnung reich zu werden. Aber natürlich wurden sie nicht reich sondern Drogenabhängige und Spieler. Gleichzeitig haben sich einige unserer Meister durch Meditation geistig gestärkt. Sie haben begonnen, das Land ohne Traktoren und Chemikalien zu bearbeiten und kümmern sich um alternative Medizin. Das ist eine große Hoffnung. Ich habe Herrn Wolfenssohn gesagt, dass die Regierung, wenn sie schlau wäre, sich an den Armen orientieren würde, aber sie sieht sie als Feinde an, sie gibt Lippenbekenntnisse für die Armen, aber sie lernt nicht von ihnen. Im Buddhismus wenden wir uns dem Leiden zu und wir erkennen dessen Ursache: Gier, Hass und Verblendung. Gier wird heute verkörpert durch die Weltbank, den IWF und die transnationalen Konzerne, Hass durch die transnationalen Rüstungskonzerne. Die Armen in meinem Land sind inzwischen etwas gestärkt; wir haben eine halbe Million - nicht besonders viele - die sich die „Gesellschaft für die Armen“ nennen. Wir erziehen sie buddhistisch: nicht nur für´s Nirwana zu meditieren, sondern sich mit der Regierung auseinander zu setzen, in Dialog mit den Behörden zu treten. Inzwischen haben sie ihre eigene Schule und Landwirtschaft. Ich glaube, das ist genau der richtige Weg, etwas über den Thai-Buddhismus zu lernen. Viele Äbte sind inzwischen korrumpiert: sie interessieren sich für Geld. Von den insgesamt 300.000 Mönchen in Siam haben wir 300, mit denen wir für die Armen arbeiten.
Wie, 300 von 300.000?
Ja, und das ist sehr gut, small is beautiful, Heiligkeit. Daher habe ich Hoffnung für mein Land.
Mit dem plötzlichen ökonomischen Zusammenbruch muss diese neue buddhistische Bewegung sehr erhebend sein für die Armen. Wie steht denn die jüngere Generation zu dieser Situation? Bei uns in der tibetischen Gesellschaft zeigte die jüngere Generation in den 60er und 70er Jahren weniger Interesse und Respekt für den Buddhismus, obwohl er unserer Tradition entspricht. Später, in den 80er und 90er Jahren gab es da einen Wandel, und inzwischen erkennen sie - unabhängig davon, ob sie die buddhistischen Lehren und die buddhistische Philosophie kennen - den Wert des Buddhismus. Ist das in Thailand ähnlich?
Die Mittelschicht in meinem Land ist wohlhabend geworden und aufgrund ihres Wohlstandes sind sie selbstsüchtig geworden. Sie befürworten die ökonomische Unterwürfigkeit, wollen die Wohlstandleiter erklimmen, mehr Autos haben etc. Die Mutter dieses jungen Mannes hier, eine einfache Mittelschichtfrau, entdeckte vor etwa drei Jahren, dass eine Gaspipeline von Burma aus gebaut wurde (das BNI berichtete mehrfach). Verantwortlich dafür waren zwei transnationale Konzerne, die amerikanische Unocal und die französische Total. Sie überredeten die Regierungen von Burma und Thailand, sprachen von Entwicklung und Hilfsbereitschaft. Wir dachten darüber anders, denn das Gaspipeline-Projekt zerstörte einen unserer besten Wälder und half bei der Auslöschung der ethnischen Minderheiten in Burma. Seine Mutter widersetzte sich der Pipeline und auch ich war involviert, das war der Grund, warum ich im letzten Jahr erneut im Gefängnis landete. Ein großer Teil der Mittelschicht ist jetzt aufgewacht. Das sind zwei positive Entwicklungen: die Erstarkung der Armen und die wachsende Achtsamkeit der Mittelschicht. Im Buddhismus lehren wir, den Unterdrücker nicht zu hassen, vielmehr gilt es die gewaltsamen Strukturen zu zerschlagen.
Also haben Sie etwas, worauf Sie stolz sein können, sehr gut.
Ja, Eure Heiligkeit. Es macht mich froh dies von meinem Land verkünden zu können. Ich glaube wir sollten eine Alternative zur gegenwärtigen misslichen Lage vorbereiten und Tibet ist eines meiner Anliegen, nicht nur um den Tibetern zu helfen, sondern auch, um aus unserem Leid zu lernen, das Mitgefühl zu entwickeln und so anderen leidenden Menschen helfen zu können. Genau so stellt es sich in Burma und in Ost-Timor da. Vor zwei Wochen war ich zu einer Friedensmission in Ost-Timor. Ich bin ein einfacher Mann und ich tue was ich kann, aber wenn ich ihre spirituelle Führung habe, dann wird dies viel helfen.
Wie wäre es, ein Seminar zu organisieren?
Ja, dafür erbitte ich Ihren Segen. Ich habe Pläne, die ich Ihrem Sekretariat zusenden werde. Würden Sie einer kurzen Darstellung von Chris (Walker) zuhören?
Ja.
Chris: Wir fühlen, dass sich die Welt in einer Krise befindet, auch politisch und ökonomisch, aber im Wesentlichen ist es eine Krise hier innen, eine Moralkrise. Durch die kulturelle Beliebigkeit glauben viele Menschen, Moral sei altmodisch und unnütz. Der Buddha lehrte, dass der Dharma weder rein intellektuell noch rein moralisch sei, sondern eine ausgeglichene Annäherung und genau diese ausgeglichene Annäherung dürfte hilfreich sein, sowohl die innere als auch die äußere Krise unserer Tage anzugehen. Wir suchen demütig Ihren Rat, insbesondere bezüglich der Wiedereinbringung der Moral in die Gesellschaft, ohne sich als Richter oder Prediger aufspielen zu wollen. ...
Eine sehr gute Idee. Um der Menschheit aus der buddhistischen Lehre heraus einen Dienst zu erweisen, müssen wir zunächst eine gründliche Diskussion untereinander führen. Eine Diskussion basierend auf unseren eigenen Erfahrungen und auf unseren buddhistischen Gesellschaften. Wo planen Sie die Konferenz abzuhalten?
Warum nicht bei uns in Thailand? Dieses Jahr wird der König 72, d. h. nach unserem Kalender hat er sechs Perioden gelebt. Wir dachten, wir würden die Planung zu Ehren des Königs angehen, denn er ist der letzte buddhistische König in der Welt, abgesehen von Bhutan und Kambodscha.
Wir werden einige Mönche und Lehrer der Gewaltlosigkeit senden.
Also haben wir Ihren Segen.
Aber sicher, wunderbar.
Sie haben mich so sehr inspiriert, Eure Heiligkeit, bei allem was ich getan habe. So viele Menschen wünschen Ihnen zu dienen und auch ich wünsche das. All diese Leute hier sind kleine Leute, aber sie werden alles in ihrer Macht stehende tun, Ihnen zu helfen.
Wie stehen Sie zur Entwicklung der Industrie mittels buddhistischer Ideen in ihrem Land?
Das ist eine sehr gute Idee. Wir stehen in Beziehung mit der IST, die von Schumacher gegründet wurde. Barbara Schumacher, seine Schwiegertochter, arbeitet mit uns zusammen. Wir bemühen uns um die Entwicklung angepasster Technologien. Obwohl wir uns auch bemühen, mit großen Firmen zusammenzuarbeiten, nennen wir es „Netzwerk sozialer Unternehmen“, denn die beteiligten Firmen lernen, sich nicht selbst auszubeuten, nicht die Arbeiter auszubeuten und nicht die Natur auszubeuten.
Was meinen Sie damit: sich nicht selbst auszubeuten?
Wenn du gierig bist, beutest du dich selbst aus, denn je mächtiger du bist, desto weniger kannst du das spirituelle Leben führen.
Das ist wahr.
Schließlich, Eure Heiligkeit, habe
ich Euer Sekretariat befragt, wann es für Sie möglich wäre,
Siam zu besuchen. Ich habe auch meine Regierung gefragt und sie hat mir
mitgeteilt, dass wir nach dem Besuch von Jiang Zemin grünes Licht
haben. Also, wann immer es Ihnen beliebt, würden wir uns auf Ihren
Besuch freuen.
Es freut mich zu kommen und ich würde
gern mit führenden Buddhisten und Mönchen auf einem Seminar diskutieren.
Teil dieses Programms kann es sein, wie wir einen buddhistischen Beitrag
zur Lösung sozialer Probleme leisten können.
Zurück zur Übersicht BuddhaNetz-Info