Frage: In welcher Art versuchen Sie den Buddhismus als Werkzeug für soziale Veränderung zu benutzen?
Sulak Sivaraksa: Ich würde dafür nicht den Terminus „buddhistische Religion“ verwenden. Ich ziehe es vor, von den Lehren des Buddha oder von sozial engagiertem Buddhismus zu sprechen. So wie der Buddhismus heute in den meisten asiatischen Ländern praktiziert wird, dient er in erster Linie dazu Diktaturen und multinationale Konzerne zu legitimieren. Wenn wir Buddhisten uns darum bemühen, unsere Energien wieder auf Erleuchtung und universelle Liebe zu richten, sollten wir damit Anfangen „buddhismus“ mit einem kleinen „b“ zu schreiben. „buddhismus“ mit einem kleinen „b“ bedeutet, sich auf die Botschaft des Buddha zu konzentrieren und weniger Gewicht auf Mythen, Kultur und Zeremonien zu legen. Wir müssen aufhören unser Augenmerk auf die engstirnigen egoistischen Elemente unserer Tradition zu richten. Es ist kein buddhistisches Herangehen an die Realität, wenn man glaubt, die Erde sei ein besserer Platz, wenn jeder buddhistische Praktiken durchführen würde. Vielleicht werden unsere Bemühungen den Buddhismus oder eine buddhistische Gesellschaft zu bewahren scheitern, vielleicht werden sie erfolgreich sein. Das Ergebnis ist irrelevant. Unser Ziel ist es, Menschen mit innerer Stärke und Zivilcourage zu versehen, um damit zu beginnen, das kollektive Bewusstsein als Gesellschaft wieder zu errichten. Genau dies ist sozial engagierter Buddhismus: der frühere Buddhismus operierte in kleinen Gemeinschaften, in der Sangha, die Leute damals wussten nicht einmal von der Welt draußen. Heute müssen wir die buddhistischen Lehren und Handlungsempfehlungen dahingehend erweitern, mit der Welt in Beziehung zu treten. Im Einklang mit den Lehren des Buddha müssen wir bei allen unseren Handlungen die Saat des Friedens in uns tragen. Heute haben unsere Vorbilder und die Politiker, ja jeder von uns, die Saaten von Gier, Hass und Verblendung in uns, daher kann unser Handeln nicht in die richtige Richtung gehen. Wir müssen erst wieder lernen, uns selbst in der richtigen Art zu lieben, nicht auf egoistische Art. Dann werden wir den eigentlichen Feind überwunden haben. Denn der einzige Feind steht innen: Gier, Hass und Verblendung. Und diese Übel werden personifiziert durch den Konsumismus.
Es sieht so aus, als würden Sie im Konsumismus das Hauptübel sehen. Ist es realistisch zu glauben, dass man moderne Gesellschaften vom Konsumismus frei machen kann?
Die neue dämonische Religion heißt Kosumismus: Essen, Trinken und das Leben genießen. Wir leben nach dem Motto: „Ich kaufe, also bin ich.“ Wir werden doch dazu konditioniert zu glauben, dass man ohne Konsumartikel ein Nichts sei. Anders der Buddha, er sagte: „ich atme, also bin ich.“ Die Grundlage buddhistischer Überzeugung ist in der ersten Edlen Wahrheit enthalten: das ganze Leben enthält Leidvolles. Der Konsumismus tut so, als würde er das Leidvolle überwinden., der Buddhismus antwortet hierauf, dass dies ein Ignorieren der Realität ist. Vielleicht denken wir, ein Auto ist besser als die eigenen Füße, eine Villa ist besser als ein einfaches Leben. Auf diese Art wenden wir uns dem Konsumrausch zu. Das Ergebnis ist Ignoranz: die Reichen nehmen nicht wahr, dass ihr Lebensstil das Ergebnis der Ausbeutung der Armen ist. Wir sollten aber dem Leiden offen in die Augen sehen.
Glauben Sie wirklich, dass sich jemand dem Leiden zuwendet, selbst dann, wenn es dem Aufbau einer besseren Gesellschaft dient?
80 % der Asiaten leben sowieso in Armut. Wissen Sie, dass in Amerika, von dem die Leute glauben, es sei das Modell für den Rest der Welt, 60 % der Farbigen einen Lebensstandard haben, der schlechter ist als in Bangladesch? Ich zitiere die BBC, wenn ich hier erkläre, dass es für die Kinder in England heute schlechter aussieht als zu den Tagen von Charles Dickens. Es gibt so viele arme Menschen! Ich glaube es gibt keine größere Form von Gewalt als Armut. Auch wenn die Leute nicht der offenen Gewalt frönen, möchte ich doch die Aufmerksamkeit aller darauf richten, dass ihr Lebensstil eine Form von Diebstahl ist. Es ist strukturelle Gewalt durch die Reichen in verschwenderischem Luxus zu schwelgen, der die natürlichen Ressourcen zerstört und die Kluft zwischen Arm und Reich weiter öffnet.
Was meinen Sie mit struktureller Gewalt?
Viele Menschen verhungern langsam, während andere zu viel essen. Viele Menschen in Thailand folgen den buddhistischen Handlungsempfehlungen nur in einer sehr oberflächlichen Weise und bemerken nicht, dass sie Teil eines unethischen Systems geworden sind. Das erste Sila aus den Lehren des Buddha ist die Selbstverpflichtung, sich des Tötens zu enthalten. Basierend hierauf haben wir eine politisch gerechte und barmherzige Welt zu gestalten. Das zweite Sila ist die Selbstverpflichtung, sich des Stehlens zu enthalten. Diebstahl ist die Grundlage des ganzen kollektiven Strebens nach ökonomischem Reichtum und politischer Macht. Das dritte Sila ist die Selbstverpflichtung, sich des sexuellen Missbrauchs zu enthalten. Wir müssen die Diskriminierung der Frauen auf allen Ebenen überwinden, um dieses Sila zu erfüllen. Die Selbstverpflichtung sich falscher Rede zu enthalten gilt in ganz besonderem Maße für die Medien, die Werbung und die Politiker. Die Selbstverpflichtung sich der Suchtmittel zu enthalten, wirft die Frage auf, warum die Bauern in der 3. Welt Heroin, Kokain usw. anbauen.
Glauben Sie nicht, Ihr Idealismus lässt etwas den Realitätssinn vermissen?
Nein. Als Gandhi eine ganze Nation befreite, dachte jeder, dies sei unmöglich. Glaubte etwa irgendjemand an das plötzliche Verschwinden der Sowjetunion? In ähnlicher Weise glaube auch ich, dass wir diese Welt verändern können. Vielleicht gelingt es uns nicht den Konsumismus abzuschaffen, aber wir können eindeutige Alternativen zum Konsumismus entwickeln. Für mein Land bin ich da sehr zuversichtlich. Bei uns haben die Leute alles verloren, sogar ihre Töchter in die Prostitution verkauft. Jetzt wird diesen Menschen klar, dass sie vor dem Nichts stehen. Sie sind ganz wild darauf zu einem normalen glücklichen Leben zurückzukehren. Sie haben ein „Forum der Armen“ gegründet, mit einer halben Million Mitgliedern. Sie kommen zu uns, weil sie Führung suchen. Wir haben ihnen beigebracht, gegen die Ungerechtigkeiten der Regierung zu protestieren - gewaltfrei. Wir haben die „Bewegung Geist in der Erziehung“ (Spirit in Education Movement SEM) gegründet, in der wir uns um eine Verbindung zwischen Herz und Geist bemühen. Am Anfang bringen wir den Menschen bei, richtig zu atmen. Die Armen müssen Mut gemacht bekommen, während die Mittelschichtler, die nur an ihrem Komfort und dem ihrer Familie orientiert sind, erzogen werden müssen. Wir informieren sie über Giftstoffe in Lebensmitteln, die Art, wie Werbung funktioniert und welche Lügen sie erzählt und auch über den Wert traditioneller Medizin. Es besteht kein Grund, auf westliche Medikamente zu warten, unsere wirken genauso gut.
Viele spirituelle Menschen haben hier zusammengefunden und wir haben jetzt zwei neue Genossenschaften in unserem Land gegründet: eine Reisbank und eine Büffelbank. Aller überflüssige Reis wird zum Tempel gebracht und an die Armen verteilt um der Reisknappheit Herr zu werden. Der Tempel erhält auch die überzähligen Büffel und gibt deren Nachwuchs an diejenigen, die es sich nicht erlauben können, einen zu kaufen. Die einzige Bedingung ist, dass der Büffel freundlich behandelt wird und dass 50 % des Nachwuchses an den den Tempel zurückgegeben werden. Gleichzeitig mit dem eben genannten wird Meditation praktiziert, denn es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz.
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