,,Mein Burma", sagt die engagierte Buddhistin Inge Sterk. Und: ,,Meine Kinder." Burma ist ihr Schicksal. Und die Menschen dort. Mitte Oktober wird die 44-jährige Krankenschwester und Hebamme wieder für ein halbes Jahr nach Südostasien fliegen, um burmesischen Flüchtlingen zu helfen.
von Ralf Trautwein bearbeitet von Bert
Brauns
Tausende politisch Verfolgter suchen ihr Heil in der Flucht; doch auch in den bergigen Grenzregionen des Landes, der Heimat ethnischer Minderheiten, sind sie vor ihren Verfolgern nicht sicher. Marodierende Militärs töten, rauben, vergewaltigen und foltern, sie legen ganze Dörfer in Schutt und Asche. Selbst vor Klöstern machen die Banditen in Uniform nicht Halt. Das Leid, das sie anrichten, ist unvorstellbar groß. So reißt der Flüchtlingsstrom ins angrenzende Thailand seit über 15 Jahren nicht mehr ab.
Hier treffen sie ein: geschunden, geprügelt, verstört und häufig - krank. Unter primitiven hygienischen Verhältnissen, ohne das Nötigste an Medikamenten, sind viele der Vertriebenen dem Tode näher als dem Leben. Vor allem Kinder. Anlass genug für die Ärztin Dr. Cynthia Maung (40), das Leid der Landsleute zu lindern. 1988 hat sie, als Angehörige des Volks der Karen selber vor den Truppen Ranguns fliehen müssen. Daraufhin begann sie, unterstützt von ausländischen Spendern und Freiwil-ligen in Mae Sots, einer Ortschaft nur sieben Kilometer hinter der Grenze zu Burma, eine Klinik aufzubauen.
Inge Sterk hat Cynthia Maung dabei von Anfang an unterstützt. Neun Mal hat die deutsche Krankenschwester monatelang an der Seite der Karen-Ärztin gearbeitet, und jedes Mal hat sie mehrere Tausend Mark mitgebracht: Geld, das ihr Spender aus Deutschland anvertraut haben; Geld, mit dem wahrscheinlich Tausende Leben gerettet werden konnten. Malaria und Tuberkulose treten am häufigsten auf, aber auch Aids und Abtreibungskomplikationen kommen unter den Patienten häufig vor. Im letzten Jahr wurden in der Cynthia-Klinik über 20 000 Kranke behandelt.
Nirgends, weiß Inge Sterk, braucht man sie mehr als hier. Deshalb kommt die Villingerin immer wieder in das Land, mit dem sie ein intensives erstes Kennenlernen wohl für immer verbindet. Studiert hat sie in jüngeren Jahren, ,,ein bisschen Indologie, ein bisschen Sanskrit". Eine Idealistin muss sie schon immer gewesen sein, frustriert allerdings, als nacheinander drei Einsätze als Entwicklungshelferin in Indien floppten. Monatelang lebte die junge Frau im Buddhisten-Kloster, um über ihren weiteren Lebensweg zu sinnieren. Er sollte sie Jahre später nach Burma führen: Ein Sponsor ermöglichte 30 Ausländern einen Studienaufenthalt an einem Meditationszentrum in der Metropole Rangun. Diese Zeit hat Inge Sterk geprägt -Myamar hat sie seitdem nicht mehr losgelassen.
Als sie später in der Zeitung von Dr. Cynthia Maung las, stand ihre Entscheidung fest: ,,Mein Burma - ich muss helfen!" Sie kündigte ihren Job am Schwenninger Klinikum und flog nach Mae Sot. Erst als ihre Ersparnisse aufgebraucht waren, kehrte sie nach Deutschland zurück und nahm ihren alten Job wieder an. Als sie wieder zu etwas Geld gekommen war, ging sie erneut. Und Winter für Winter wieder. Mittlerweile hat Inge Sterk eine 50-Prozent-Stelle. Ihr Arbeitgeber zeigt sich sehr kulant: Ein halbes Jahr lang arbeitet sie in Schwenningen in Vollzeit, die restlichen Monate verbringt sie in Burma.
,,Mit ein paar Medikamenten kann man hier ungeheuer viel ausrichten", sagt sie. Apotheken gibt es an der thailändischen Grenzen keine, Pillen allerdings rezeptfrei und billig im Supermarkt: Eine Kapsel eines Antibiotikums kostet fünf Pfennig. In Deutschland muss man eine Mark dafür bezahlen. Deshalb nimmt die engagierte Frau lieber Bares mit als Medikamente. Doch nicht allein die Spendengelder, die sie mitbringt, braucht man in Mae Sot, sondern ebenso sehr ihr Wissen. Wertvoll war die Hilfe der Deutschen beim Aufbau eines ,,Schattengesundheitswesens“, das seinesgleichen sucht: Von der Cynthia-Klinik aus schwärmen zig ,,Paramedics" ins nahe burmesi-sche Bergland aus, um die Menschen dort, die ohne eigene Ärzte auskommen müssen, zu behandeln. Diese Leute, selbst Burma-Flüchtlinge, bildet Inge Sterk mit Dr. Cynthia zusammen aus. Ausgestattet mit dem nötigen Grundwissen, wann welches Präparat zu verabreichen ist, ziehen sie danach los, vollbepackt bis obenhin. Jeder nimmt in einem Tragegestell auf dem Rücken so viele Medikamente mit, wie er tragen kann. „Backpack-Medics“ werden sie deshalb auch genannt, ,,Rucksack-Ärzte“. Ihre Einsätze sind nicht ungefährlich. Die beste Lebensversicherung ist es, den burmesischen Soldaten aus dem Weg zu gehen.
Inge Sterk, die sie respektvoll ,,Sayama" (Lehrerin) nennen, war selbst schon viele Male mit den Medics unterwegs. Gefahr ist für sie daher kein Fremdwort. Situationen auf Leben und Tod entstehen täglich in Burma. So mussten Dorfbewohner die Krankenschwester schon einmal drei Tage lang in einer Bambushütte vor der Armee verstecken. Auf die Hilfe offizieller Stellen kann sich die mutige Deutsche nicht verlassen, denn im Grunde genommen ist das, was sie macht, illegal: Nur mit einem Touristenvisum ausgestattet kommt sie ins Land, und natürlich mit ein paar Stangen Marlboro. Denn die Glimmstängel lösen einfach jedes ,,Behörden-Problem".