Alle Buddhisten akzeptieren fünf Vorsätze (Panca Sila) als grundlegende ethische Ausrichtung. Diese als Orientierung nutzend, wissen wir, woran wir uns in den vielen Gegebenheiten des Alltags halten wollen.
Dieser Grundsatz gilt für alle Kreaturen, ungeachtet ihrer Größe. Wir opfern keine Lebewesen für religiöse Handlungen, für die Bequemlichkeit oder für Nahrung. Stattdessen versuchen wir, unsere eigennützigen Motive aufzugeben. Mahayana Buddhisten sagen sogar: Sei bereit zu Taten, die dir selbst schaden, wenn sie wahrhaft anderen Wesen helfen. Die vietnamesischen Mönche z.B., die sich selbst verbrannten (Anfang der sechziger Jahre), waren der Auffassung, dass ihr Handeln dazu betragen könne, den Vietnamkrieg zu beenden. Gemäß der Tradition des Theravada-Buddhismus ist Reinheit Voraussetzung für Weisheit und Mitgefühl, und ernsthafte Theravadins missbilligen jegliches Töten. Für Theravada Mönche ist sogar das Fällen von Bäumen oder 'Kultivieren' von Land Töten. Jedoch die meisten von uns müssen Kompromisse eingehen. Alan Watts sagte einmal, dass er sich entschlossen habe, Vegetarier zu sein, weil Kühe lauter schreien als Salat. Mahayana Mönche können im allgemeinen Vegetarier sein, weil es ihnen erlaubt ist, ihr Land selbst zu bestellen. Theravada Mönche dagegen sind völlig abhängig von ihren Nahrungsspendern, und müssen somit essen, was immer sie angeboten bekommen, inklusive Fleisch. Doch gewinnen sie den Eindruck, dass ein Tier speziell für sie getötet wurde, können sie es nicht essen.
Tiere zu töten und Fleisch zu essen kann für eine einfache Agrargesellschaft oder für dörfliches Leben angemessen sein, doch existiert einmal ein kompliziertes Markt-System muss der erste buddhistische Grundsatz erneut sorgfältig geprüft werden. In Industriegesellschaften wird Fleisch behandelt wie jedes andere Produkt. Kennt die Massenproduktion von Fleisch irgendwelchen Respekt gegenüber dem Leben der Tiere? Wenn die Menschen in fleischessenden Ländern Abstand nehmen könnten von der Tierzucht für den Konsum, würde dies nicht nur Mitgefühl gegenüber den Tieren bezeugen, sondern ebenso gegenüber den in Armut lebenden Menschen, welche das Korn brauchen um zu überleben.
Buddhisten müssen sich auch dessen bewusst sein, dass es genug Lebensmittel in der Welt gibt, um uns alle angemessen zu ernähren. Hunger wird allein verursacht durch ungleiche Wirtschafts- und Machtstrukturen, die es den Lebensmitteln nicht erlauben, dorthin zu gelangen, wo sie gebraucht werden, selbst dann nicht, wenn jene, die die Lebensmittel benötigen, auch ihre Produzenten sind. Wir müssen unser Augenmerk ebenso auf den Waffenhandel richten und die Strukturen hinterfragen, die für das Morden verantwortlich sind. Das Töten durchdringt unsere ganze moderne Lebensweise - Kriege, Rassenkonflikte, Tierzucht im Interesse des Marktes, Verwendung schädlicher Insektengifte. Wie können wir dem widerstehen und dazu beitragen, eine gewaltfreie Gesellschaft zu schaffen? Wie kann der erste Grundsatz und seine heilsame Wirkung genutzt werden, um eine politisch gerechte und dankbare Welt zu gestalten? Ich mache hier nicht den Versuch, diese Fragen zu beantworten. Ich möchte sie nur wecken, damit wir darüber nachdenken und meditieren.
Die Errichtung einer gerechten internationalen ökonomischen Ordnung ist ein notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil, um eine friedvolle Welt zu errichten. Gewalt in all ihren Formen - imperialistische, gesellschaftliche und zwischenmenschliche - wird untermauert durch den kollektiven Drang nach wirtschaftlichem Reichtum und politischer Macht. Es gibt eine Geschichte aus den frühen Schriften, die dies illustriert. Fünf Jahre nachdem Buddha die Erleuchtung erlangt hatte, kehrte er in seine Heimatstadt zurück und fand den Stamm seiner Mutter, die Koliyans im Krieg mit dem Stamm seines Vaters, den Sakyans. Der Konflikt war ausgebrochen, weil die Sakyan und Koliyanbauern sich nicht darüber einigen konnten, wer von ihnen den Rohini-Fluss in ihre Reisfelder lenken dürfe. Beide bestanden darauf, dass ihre Ernte reifen würde durch eine einmalige volle Wässerung, danach könne die andere Seite den Fluss umleiten. Die Bauern begannen sich gegenseitig zu beschuldigen bis, durch die Beschimpfungen schließlich in Wut geraten, die Stammeskrieger aufeinander losstürmten, um ihre Ehre zu retten. An diesem Punkt griff Buddha ein. Die Krieger senkten verlegen ihre Waffen als ihr erleuchteter Verwandter sie nach der Ursache ihres Streits befragte. Als er entdeckte, dass der Grund das Wasser war, fragte er sie, ob das Wasser so wertvoll sei, wie ein einziges menschliches Wesen. Sie antworteten, dass das Leben eines menschlichen Wesens unbezahlbar sei, worauf Buddha entgegnete: "Dann ist es offensichtlich nicht angemessen, dass wegen eines bisschen Wassers Krieger getötet werden, die unbezahlbar sind."
Die Menschen sollten ermutigt werden, die (heute vom Westen propagierte) "Neue Weltordnung" von einer buddhistischen Perspektive aus zu studieren und sich dazu zu äußern, sie daraufhin zu überprüfen, ob sie angemessene oder unangemessene Entwicklungsmodelle anbietet (richtige oder falsche Weisen zu Konsumieren, gerechte oder ungerechte Marktsysteme, vernünftigen Gebrauch oder Missbrauch natürlicher Ressourcen) und welchen grundsätzlichen Weg es gibt, die Übel der Welt zu beseitigen. Wo stehen Buddhisten, wenn es um eine neue ökonomische Ethik auf nationaler und internationaler Ebene geht? Viele christliche Gruppen haben Studien erstellt über multinationale Unternehmen und internationale Banken. Wir sollten von ihnen lernen und ihre Ergebnisse nutzen.
Buddhistische Praxis verweist in Richtung auf die Entwicklung erfüllter und ausgeglichener menschlicher Wesen, frei von sozial erlernten 'maskulinen' und 'femininen' Mustern des Denkens, Sprechens und Verhaltens, in Berührung mit beiden Aspekten ihrer selbst.
Die Würde des Menschen sollte den Vorrang haben vor der Steigerung des Konsums bis zu dem Punkt, dass die Leute mehr haben wollen, als sie wirklich brauchen. Indem wir Wahrhaftigkeit als Leitlinie benutzen, sollte Forschung auf universitärem Niveau betrieben werden, um der politischen Propaganda und kommerziellen Werbung entgegenzuwirken. Ohne den kostbaren Schatz der freien Rede und freien Presse zu übersehen, müssen wir uns doch dessen gewahr sein, dass wir nicht in der Lage sein werden, die umfassende Indoktrination zu überwinden, die im Namen nationaler Sicherheit und materiellen Wohlstands über uns ergeht, wenn wir nicht Alternativen zu der gegenwärtigen Übermittlung von Lügen und Verzerrungen finden.
Drogenmissbrauch und Verbrechen sind in jenen Kulturen weit verbreitet, die an der ungleichen Verteilung von Reichtum, an Arbeitslosigkeit und entfremdeter Arbeitstätigkeit leiden. Der Kampfeinsatz der US-Armee unter Reagan und Bush gegen den Drogenhandel ist am Ende genauso wirkungslos wie Gorbatschows abgebrochene Kampagne gegen Alkohol am Arbeitsplatz, und zwar aus demselben Grund: beide wenden sich gegen die Symptome nicht gegen die Ursachen. Der Buddhismus macht deutlich, dass die einzig effektive Lösung dieser Probleme nur geschehen kann im Rahmen einer vollständigen Erneuerung humaner Werte.
Die üblichen religiösen Predigten gegen die Gifte bringen uns nirgendwohin. Wir müssen nach innen schauen und wirklich damit beginnen, die Wurzeln von Drogenmissbrauch und Alkoholismus zu erkennen. Zugleich müssen wir die ganze Bier-, Wein-, Spirituosen- und Drogenindustrie untersuchen, um ihre Machtbasis zu identifizieren.
Diese (fünf) grundlegenden ethischen Lehren gelten sowohl für uns als Individuen wie auch als Mitglieder der Gesellschaft. Meine Gedanken über die fünf Grundsätze und wie wir sie auf die Verhältnisse in der heutigen Welt anwenden könnten sind nicht mehr als ein erster Schritt. Ich hoffe, dass die Diskussion über diese Fragen weitergeführt wird. Wir brauchen dringend eine moralische Grundlage für unser Verhalten und unsere Entscheidungsfindung.
Aus Sulak Sivaraksa: SEEDS OF PEACE, Berkeley, 1992, deutsch von Irene Eckert und Franz-Johannes Litsch.
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