Am 23. Januar dieses Jahres, dem Vorabend des chinesischen Frühlingsfestes, übergossen sich mehrere Anhänger der Falun-Gong-Bewegung in Beijing auf dem Platz des Himmlischen Friedens mit Benzin und zündeten sich selbst an. Eines der Brandopfer war sofort tot und ein weiteres, ein erst zwölfjähriges Mädchen, erlag einige Wochen später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Dieses Ereignis nahm die chinesische Regierung zum Anlass, eine beispiellose Kampagne gegen diese Bewegung zu starten, die in Stil und Umfang an die Massenkampagnen der Kulturrevolution zur Kritik an Konfuzius und Beethoven erinnerte. Wochenlang bombardierte das Staatsfernsehen das chinesische Publikum mit langen Sondersendungen über die tödlichen Gefahren des „Falun-Kultes“, Familien der Brandopfer klagten den in Amerika lebenden Kultgründer an: „Li Hongzhi! Gib uns unsere Kinder zurück!“ Regionale Sender warteten mit Berichten von weiteren Familien auf, deren Kinder und Angehörige in die „Klauen der Falun-Sekte“ geraten waren. Schwerstkranke hatten im Vertrauen auf die Kraft des Meisters und der Lehre jede medizinische Behandlung und die Aufnahme von Medikamenten verweigert und waren qualvoll gestorben. In Schulen und Arbeitseinheiten wurden Massenversammlungen abgehalten. Tränenrührige Reuebekenntnisse von ehemaligen Anhängern aus „Umerziehungsla-gern“ rundeten das Bild ab: Die Regierung als Retter der Volksgesundheit und Schutzmacht vor dem Walten „gefährli-cher Scharlatane im religiösen Gewand.“
Spirituelles Vakuum
Der Wirtschaftsboom erzeugt ein kulturelles und spirituelles Vakuum. Immer mehr Menschen spüren den Kältestrom der neuen Lebensweise. Wo früher in den Familien die Mythen und Weisheiten aus der langen chinesischen Geschichte, die Ethiklehren des Konfuzius und die Verehrung der Bodhisattvas gepflegt und weitergegeben wurde, da sitzt heute die Familie bloß noch vor dem Fernseher und die gemeinsame Sorge gilt Arbeitsplatz und Einkommen sowie der Ausbildung der Kinder. In diesen Leerraum stößt nun Li Hongzhis Falun-Gong mit seinem Versprechen, den Lebenssinn anstelle des Strebens nach Reichtum und Wohlstand durch die Kultivierung und Vervollkommnung des eigenen Selbst gemäß der Falun-Gong-Lehre im Höheren zu finden. Bei den Arbeitslosen über 50 und den vom hohlen Prunk der Turbo-Moderni-sierung abgestoßenen jungen Menschen fand er so auch das Gros seiner Anhänger.
„Unattraktivität“ des Buddhismus?
Seit dem Ende der Kulturrevolution hat sich der chinesische Buddhismus vom äußeren Anschein her recht ansehnlich entwickelt: Restaurierte Tempelanlagen im ganzen Land, gelbgekleidete Mönche und Nonnen im Stadtbild, eine Klosteruniversität in Xiamen. Millionen von Menschen, die an buddhistischen Feiertagen in die Tempel strömen. Dicke Weihrauchschwaden und gefüllte Opferstöcke. Dennoch scheint etwas zu fehlen! Vor allem für junge Menschen ist Buddhismus oft mit dem Geruch des Altmodischen und Antiquierten behaftet. Schwerverständliche, kryptische Texte, monotone Liturgien und wenig Lebenspraktisches - so lauten immer wieder vorgebrachte Kommentare. Was noch am ehesten anspricht, sind die magischen und glückverheißenden Riten und Gebräuche. Wer auch sonst nicht viel mit Buddha und Dharma am Hut hat, beim Tempelbesuch das Schafgarbenstängel-Orakel befragen und die Guanyin-Bodhisattva um Beistand bei einer Prüfung oder bei der Wahl eines Ehepartners zu bitten - solch buddhistisches "Engagement" ist allemal noch vorhanden. Leider verstehen viele Chinesen Dharma und Sangha als bloße spirituelle Dienstleister, die den profanen Dingen des Lebens die höheren geistigen Weihen beizubringen und sie mit dem Flair des Weißmagischen und Glücksverheißendem zu umhüllen haben.
Traumatische Vergangenheit
Bis heute hat sich der chinesische Buddhismus
nicht von den grausamen Schlägen erholt, die der Sangha in der Kulturrevolution
beigebracht wurden. Noch immer lähmen die traumatischen Erfahrungen
jener Zeit, als fanatische junge Leute mit roten Armbinden die Tempel stürmten
und die Buddha-Figuren zertrümmerten, als die Sutren in den Tempelhöfen
brannten und Mönche und Nonnen zur „Umerziehung durch Arbeit“ in ländliche
Arbeitseinheiten gepresst wurden. Vor diesem Hintergrund kann man die heutigen,
unappetitlichen politischen Loyalitätsbekundungen führender Repräsentanten
des chinesischen Buddhismus gegenüber der Regierung und die Ausfälle
gegen den Dalai Lama zwar nicht billigen, angesichts des Terrors der Vergangenheit
und dem massiven Loyalitätsdruck und erzwungenem Harmonieideal der
herrschenden Gesellschaftsideologie jedoch nachvollziehen. Schon unmittelbar
nach dem Verbot der Falun-Gong-Bewegung im letzten Jahr hatten die Sprecher
der buddhistischen Gesellschaft Chinas mit zu den ersten gehört, die
den rabiaten Maßnahmen der Regierung gegen die
„Irrlehre“ Li Hongzhis wortreich im Namen
der chinesischen Sangha ihre Unterstützung versicherten. Der Buddhismus
in China ist regierungstreu und wird über ein komplexes Netz von Zuweisung
und Drangsalierung durch die Religionsämter des Staates sowie gelegentliche
Belohnungen auch staatskonform gehalten. In China gab es weder eine buddhistische
Modernisierungsbewegung wie in Sri Lanka noch eine Tradition des Widerstandes
gegen staatliche Willkür und brutale Militärmacht, wie sie beispielsweise
Teile der Sanghas in Vietnam und Burma so mutig entwickelt haben und vorleben.
„Der chinesische Falun-Gong“ ganze sechs Seiten zum Thema „Das Qigong der buddhistischen Schule und der Buddhismus“ auf denen eine recht eigenwillige Darstellung des Dharma geliefert wird. In den anderen Teilen des Werkes offenbart der Falun-Gründer dann die Quellen seiner eigenen Weisheit: Überweltliche Meister aus einem anderen Universum hätten ihn belehrt und mit ihnen sei er in ständiger Verbindung.
Das Aufkommen der Falun-Gong-Bewegung ist von den Schattenseiten der ökonomischen Brutkasten-Modernisie-rung eben so wenig zu trennen wie vom traditionell in China tief verwurzelten Glauben an Götter, Heilsbringer und die Macht magischer, glücksbringender Rituale. Die chinesische Sangha wird sich noch intensiver bemühen müssen, die Kerninhalte der Lehre in einer zeitgemäßen und die Menschen stärker ansprechenden Form zu vermitteln. Viele Menschen suchen heute nach Erlösung auf anderen Wegen.
Die Repression nimmt zu
Die Regierung geht derweil in die Offensive. Ein neues Gesetz zur Regelung der Einweisung von Menschen zur „Umerzie-hung durch Arbeit“ in den rund 300 Lagern des Landes ist derzeit in Vorbereitung. Danach soll die Einweisung in Zukunft ohne Gerichtsbeschluss erfolgen. Komitees bestehend aus Vertretern der Justiz, der Polizei und des Amtes für zivile Angelegenheiten sollen künftig autonom entscheiden, wer in die Umerziehungslager wandern soll, in denen derzeit nach offiziellen Angaben 3,5 Millionen Menschen einsitzen. Eine Denunziation, eine kurze Mitteilung der Arbeitseinheit reicht dann aus, um den Apparat zu mobilisieren, der in den „Gehirnwäsche-Gulag“ einweist. Zugleich sehen zahlreiche Anhänger, die nicht bereit sind abzuschwören, der Zwangs-Psychiatrisierung entgegen: Mit „delusion-like subcultural beliefs“ hat der Beijinger Psychiater (China Daily v. 5. Febr. 2001) vor kurzem eine „Diagnose“ geliefert, die nur erahnen lässt, was hier nach „sowjetischem Vorbild“ Menschen noch alles blühen kann.
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