Dennoch liegen die Wurzeln dieser Probleme tief, und es wird nicht leicht möglich sein (wenn überhaupt), sie in kurzer Zeit zu lösen. Ich den-ke jedoch, es ist äußerst wichtig, dass wir unsere Aufgabe als Buddhisten wahrnehmen und weitere ernsthafte Anstrengungen unternehmen.
Wir haben jetzt Pläne, uns auf die Ergebnisse der Soto-Shu-Planungs-Kommission zu stützen, indem wir Zitate aus den buddhistischen Schriften und den Aufzeichnungen der Patriarchen zusammentragen, die uns im Hinblick auf Menschenrechte, Frieden und die Umwelt besonders wichtig erscheinen. Wir haben ebenfalls damit begonnen, diese Zitate in den laufenden Ausgaben von "Soto-Shuho", der japanischen Zeitschrift von Soto-Shu, zu veröffentlichen.
Wir hoffen, dass alle Soto-Priester unsere
Absichten verstehen und die Gelegenheit wahr-nehmen, wenn Sie mit Laien
zusammentreffen, um diese Probleme gemeinsam zu erörtern und nach
zu Lösungen suchen.
Mit sehr freundlichen Grüßen
Otake Myogen, Generaldirektion der Sotoshu,
Odawara Rijin, Chefdirektor der Missions-Abteilung
1. April 1993
Wir hoffen, dass es eine Hilfe für
alle Leser sein wird, diesen Zitaten zu begegnen und sie sorgfältig
zu lesen.
Denke an andere wie an dich selbst, und
töte weder noch gestatte zu töten.
"Alle lebenden Wesen fürchten Gewalttätigkeit.
Alle lebenden Wesen fürchten den Tod.
Du solltest an andere denken wie an
dich selbst, und töte niemals noch gestatte zu töten.
Alle Lebewesen fürchten Gewalttätigkeit,
das Leben ist allen Lebewesen teuer.
Du solltest an andere denken wie an
dich selbst, und töte weder noch gestatte zu töten."
So sagt das Dhammapada, ein früher Text des indischen Buddhismus. Das Wort, das hier mit "Gewalttätigkeit" übersetzt ist, meint auch genau diese. Körperliches Schlagen oder der Gebrauch von Waffen - deren Zeugen wir heute in der Welt sind -, die Kriege, der tragische Verlust menschlichen Lebens, die Verwundeten und Krüppel: alles dies sind Beispiele für Gewalttätigkeit.
Jeder hat Angst vor Gewalttätigkeit. Und wenn wir Gewalt sehen, geraten wir in Furcht. Wir haben ein tiefsitzendes Gefühl für die Worte des Buddha Sakyamuni, wenn er sagt, dass "alle lebenden Wesen die Gewalt fürchten".
Wenn du Angst hast, kannst du sicher sein, dass auch der andere Mensch Angst hat. Nicht nur Menschen, sondern alle Lebewesen sind in dieser Hinsicht gleich. Genau aus diesem Grund sagt Sakyamuni Buddha, dass wir in anderen (sowohl Menschen als auch andere Lebewesen) uns selbst sehen sollten und weder töten sollten noch gestatten sollten zu töten. Obwohl diese Feststellung sehr einfach ist, können wir sie als das Gelübde des Sakyamuni Buddha betrachten, nicht zu töten oder Krieg zu führen.
Auf gleiche Weise zeigt die Art, wie wir
es verstehen "in anderen uns selbst zu sehen", ganz klar die Beziehung
zwischen dem eigenen Selbst und anderen, so wie Sakyamuni Buddha sie lehrte.
Er sieht mich selbst und die anderen in der gleichen Position. Indem wir
andere verletzen oder töten, fügen wir uns auch selber Leiden
zu. Umgekehrt ist die Liebe zu anderen eng verbunden mit der Achtung meiner
selbst. Sakyamuni Buddha sagt uns, dass wir uns um solch eine Beziehung
zwischen uns selbst und anderen bemühen sollten.
So lautet ein anderer früher buddhistischer
Text in genau diesem Zusammenhang:
"Wer sich selbst schützt, schützt auch andere selbst. Du solltest also dich selbst schützen. Solch eine Person wird niemals verletzt werden und ist eine weise Person." (Zoshibu Kyoten, Anguttaranikaya).
In dieser Passage ist von "anderen selbst" in bezug auf "sich selbst" die Rede. Eine derartige Beziehung zwischen selbst und anderen ent-wickelte sich später zu der Idee von jiko ("sich selbst") und tako ("anderes selbst"), wie man sie in den Schriften von Dogen Zenji findet.
In anderen mich selbst zu sehen (die Beziehung zwischen jiko und tako) ist dasselbe wie doji ("Identifizierung" oder "identisches Handeln" - wir sind vollständig eins), wie es im 4. Kapitel des Shushogi heißt. Wir könnten sogar sagen, dass dies die Quelle des Mitgefühls ist. Mitge-fühl (japanisch: jihi) ist unser Ausgangspunkt, wenn moderne Buddhisten Probleme aufgrei-fen, die Menschenrechte, Frieden und die Um-welt betreffen. "Füge anderen nicht zu, was man dir nicht zufügen soll." Oder, in einem po-sitiveren Sinn: "Behandle andere so, wie du behandelt werden möchtest." Wir sollten uns bemühen, anderen solches anzutun, das uns glücklich macht, wenn es uns angetan wird.
Wenn auch die Sprache einfach ist, so finden wir in den beiden obigen Passagen doch die Grundlage, um den Buddhismus in die Praxis umzusetzen.
Gras, Bäume und der Wald sind vergänglich,
Folglich sind sie nichts anderes als Buddha-Natur
Seit kurzem hat die Umweltzerstörung
in einem weltweiten Rahmen ein sehr ernstes Ausmaß angenommen und
eine intensive Diskussion hervorgerufen. Zugleich mit dem kulturellen Fortschritt
wird die Umwelt des Erdballs in einem alarmierenden Tempo zerstört.
Es ist fast so, als ob sich die Entwicklung der Kultur pro-portional zur
Zerstörung der Umwelt verhält. Wissenschaftliche Daten haben
bereits deutlich gemacht, dass diese Situation eine Bedrohung der Existenz
der Menschen und aller Lebewesen darstellt.
Was könnten und sollten Buddhisten in dieser Situation aus den buddhistischen Schriften und den Aufzeichnungen der Patriarchen lernen? In dieser Ausgabe (von "Soto-Shuho") möchte ich Dogen Zenjis tiefe Sorge um die Natur anhand von bestimmten Passagen des Shobogenzo erläutern.
Das moderne Problem extremer Umweltzerstö-rung war zu Dogen Zenji's Zeit noch kein Thema. Ganz im Gegenteil erkannten die Men-schen ihre Verpflichtung gegenüber der natürli-chen Umwelt und lebten mit ihr in Harmonie. Der Buddhismus der Predigten von Dogen Zen-ji entsprach diesen Bedingungen. Wir können uns leicht vorstellen, dass Dogen Zenji enge Verwandtschaft mit und Neigung für die Berge und Flüsse seiner Umwelt empfand.
"Auch Das Gras, die Bäume und der Wald sind vergänglich. So sind sie nichts anderes als Buddha-Natur. Menschen und Dinge, Körper und Geist sind vergänglich. So sind sie Budd-ha-Natur. Das Land, Berge und Flüsse sind vergänglich. Deshalb sind sie Buddha-Natur."
Dogen behandelt hier die Frage der Buddha-Natur. Er entdeckt Buddha-Natur im Gras, in den Bäumen, Hainen und Wäldern ebenso wie im Land, in den Bergen und Flüssen. Er sagt, dass die Pflanzen, Berge und Flüsse unbestän-dig sind. Darüber hinaus stellt er fest, daß gerade diese Unbeständigkeit die Buddha-Natur ausmacht, und er erkennt ihren großen Wert. Vergänglichkeit (mujo) ist ein grundlegender Lehrbegriff des Buddhismus, ein wichtiges Thema, das in keiner Diskussion des Buddhis-mus außer Acht gelassen werden kann. Es ist der Ausgangspunkt des Buddhismus, und nie-mand kann rechtens ein Buddhist genannt wer-den, wenn er oder sie diesen Aspekt der Lehre nicht versteht. Dogen Zenji fährt fort:
"Diese Berge und Flüsse und dieses Land sind alle das Meer der Buddha-Natur ... Berge und Flüsse sehen, heißt die Buddha-Natur sehen." (Shobogenzo, Buddha-Natur, Bussho).
Wir können verstehen, wie Dogen hier
klar herausstellt, dass Berge, Flüsse und die große Erde die
Buddha-Natur selbst sind. In dieser Passage spricht er von den vergänglichen
Bergen, Flüssen usw. und macht deutlich, dass die buddhistische Sicht
auf der Vergänglichkeit gründet. Dogen sieht Berge, Flüsse
und Land nicht als wesenhaft (mit fester Substanz) an. Auch äußert
er keinerlei animistische Sicht der Natur. Er sagt, dass die Natur selbst
- in ihrem Zustand des ständigen Wechsels - die letzte Wahrheit offenbart.
"Sakyamuni Buddha sagte: '
Soheit ist Form, Soheit ist die ganze
Natur'. Daher sind blühende Blumen und fallende Blätter genau
das, was Sakyamuni mit 'Soheit ist die ganze Natur' meinte. Unwissende
Menschen denken jedoch, dass es keine blühenden Blumen oder fallenden
Blätter in der Welt der Dharma-Natur gibt." (Shobogenzo,
Dharma-Natur, Hossho).
Hier spricht Dogen Zenji von Soheit als Form und Soheit als Natur, so wie es Sakyamuni ver-kündete. Das ist seine Darlegung (teisho) zu den Worten des Buddha. Hier sieht er die wah-re Form der Soheit in solch natürlichen Formen wie dem Blühen der Blumen und dem Fallen der Blätter. Die vergänglichen Gräser und Bäume verkörpern die Lehre des Sakyamuni. Hier können wir das Buddha-Dharma bestätigt sehen, so wie es Dogen Zenji verkündete.
Es muss nicht betont werden, dass die Grundlage des Buddhismus diese Sicht der Vergäng-lichkeit ist, eine Sicht, die Dogen Zenji in Bergen und Flüssen, in Blumen und Bäumen verkörpert sieht. Wir können sehr deutlich erkennen, dass der Buddhismus von Dogen Zenji seinen Ausgangspunkt in einer verwandtschaftlichen Beziehung zur natürlichen Umwelt hat. Wenn wir die Belehrungen von Dogen Zenji hören, sollten wir weiter um die natürliche Umwelt besorgt sein und wünschen sie zu beschützen. Indem wir die Situation um uns her-um heute wahrnehmen, müssen wir tief darüber nachdenken, wie wir Dogen Zenjis Lehren in die Praxis umsetzen können.
Die Sicht jedoch, dass alle unbeständigen Dinge die Form oder Ausprägung der Wahrheit sind, wirft schwierige Fragen auf, wenn wir diese Sicht in einem direkten Zusammenhang mit der modernen Gesellschaft untersuchen. Um diese Sicht von Dogen Zenji in der Welt von heute praktisch umzusetzen, müssen wir sie auf konkrete Situationen anwenden.
Jeder von uns erfährt das tragische Karma der Menschen: wir sind unfähig zu leben, ohne das Leben der Natur, von Pflanzen und Tieren, zu plündern, obwohl diese die Buddha-Natur selbst sind. Gerade aus diesem Grund müssen wir, wenn wir darüber nachdenken, wie der Buddhismus in unserem täglichen Leben ange-wendet werden kann, uns daran erinnern, dass Vergänglichkeit nichts anderes als Buddha-Natur ist. Das bedeutet, dass jeder von uns sich einer schmerzvollen Gewissensprüfung gegenübersieht.
"Ich bin der Freund aller Menschen, der Ge-fährte aller Menschen. Ich fühle mit allen le-benden Wesen. Ich kultiviere einen mitfühlen-den Geist und erfreue mich daran, Lebewesen keinen Schaden zuzufügen." (Thera-Gatha, 648)
Das Thera-Gatha gehört zu den ältesten der originalen Buddha-Sutren. Ein Thera ist ein älte-rer Mönch, der lange Jahre praktiziert hat. Ein Gatha ist ein Gebet oder eine Hymne in poetischer Form. Thera-Gatha könnte also übersetzt werden als "Verse der Älteren". Es handelt sich um eine Sammlung von Werken der direkten Schüler von Shakyamuni Buddha. Darin wird nacherzählt, wie sie litten, praktizierten und zur Erleuchtung gelangten, und ihr gegenwärtiges Bewusstsein wird beschrieben. Wir kennen auch die Namen der älteren Mönche, die die Verse in der Sammlung schufen, die von einem Geist der ernsthaften Suche nach dem Weg und von reinherzigen Gefühlen erfüllt ist, vergleichbar den Aufzeichnungen der späteren Zen-Mönche.
Das oben zitierten Gedicht wurde verfasst von Revata, einem älteren Mönch in Magadha, von dem es heißt, dass er der jüngere Bruder des berühmten Sariputra war. Er war für seine strenge Praxis bekannt, erlangte danach Er-leuchtung, und es heißt, dass er frei geworden sein soll von den Ansprüchen anderer. Von Be-ginn seiner Praxis an hatte Revata einen tiefen Sinn von Mitgefühl für die Menschen und alle Lebewesen. Zur Einleitung des obigen Gedichts schrieb er:
"Beständiges und grenzenloses Mitgefühl praktizieren und kultivieren."
Die Worte "kultivieren" und "beständig" sagen uns, dass es nicht ausreicht, hin und wieder Mitgefühl zu praktizieren, wenn es uns in den Sinn kommt. Obgleich wir alle einen mitfühlenden Geist haben mögen, muss Mitgefühl (dauerhaft) praktiziert werden. Wir sollten Mitgefühl zu jeder Zeit in unserem Alltag empfin-den und darauf hinwirken, dass es zu einer An-gewohnheit wird.
Wir alle müssen "Freund und Gefährte aller Menschen" sein, um mit den heutigen Proble-men klarzukommen, seien es nun Probleme der Menschenrechte, des Friedens oder der Um-welt. Wenn ich ein treuer Freund und Gefährte bin, muss ich fähig sein, die Leiden, die Traurigkeit und Freude meiner Freunde als meine eigenen zu erfahren. Wenn Menschenrechte meiner Freunde verletzt werden, dann wird das meine eigene Sorge. Wenn das Leben meiner Gefährten bedroht wird, dann ist das eine Be-drohung meines eigenen Lebens. Ich mache jede mögliche Anstrengung, um mit meinen Freunden zu leiden und bin bestrebt zu helfen. Das bedeutet, Mitgefühl praktisch umzusetzen.
Es gibt natürlich nicht so etwas wie eine ideale Praxis des Mitgefühls. Statt dessen müssen wir immer, wenn wir in einer entsprechenden Situation sind, uns an das Mitgefühl erinnern und uns bemühen, angemessen zu handeln. Auf die-se Weise reift und wächst Mitgefühl. Der japa-nische Zen-Meister Shido Munan Zenji ver-gleicht es mit dem Lesenlernen:
"Dasselbe ist auch wahr für das Mitgefühl. Wenn wir Mitgefühl praktizieren, ist es mit dem Bewusstsein von diesem Mitgefühl verbunden. Wenn Mitgefühl reift, dann ist da kein Gedanke [mehr] an Mitgefühl. Wenn wir Mitgefühl prak-tizieren, ohne uns dessen bewusst zu sein, dann ist das Buddha." (Dharma-Gespräche von Shido Munan Zenji).
Ein sich ausdehnendes Mitgefühl für andere wird immer die andere Seite des Nachdenkens über unsere eigenen stolzen Wege sein. Denn ich kann nicht stolz bleiben und gleichzeitig ein treuer Freund werden. Mich selbst kleiner machen und dabei niemals den Standpunkt der anderen Person vergessen: solch ein tägliches Training ist die Grundlage, um den Buddhismus zu praktizieren, wie ihn die Patriarchen verkündeten. Indem ich diese Praxis fortführe, andere nicht zu verletzen, sondern treu der Freund aller Menschen zu sein, erlange ich die Freude des Lebens.
Quelle: ZEN Quarterly, Vol. 5, No 1, 1993 (Übersetzung von Dr. Klaus Kaczerowsky)