von Jonathan Watts (Think Sangha)
Im ersten Teil des dreiteiligen Artikels
stellte Jonathan Watts von der Think Sangha das System des Paticca Samupadda
allgemein dar, in diesem zweiten Teil wendet er das System auf den Konsumismus
an und im dritten Teil schließlich wird die Wirkung auf ein Produkt
(Nike-Schuhe) und einen speziellen Käufer (einen Ghetto-Jugendlichen)
untersucht werden. DM
Diese Grundwahrheit des Buddhismus ist
der Schlüssel zu unserer Konsumentenkultur, weil diese so sehr im
Materiellen verwurzelt ist. Die Fetischisierung des Materiellen kondi-tioniert
uns, das "Selbst" immer tiefer als eine konkrete Form zu objektivieren.
Dieses Postulieren eines konkreten "Selbst" schließt auch die Ignoranz
der Unbeständigkeit (anicca) mit ein. Der Konsumismus wurzelt in dem,
was dem Buddha als extremer Realismus (atthika-vada) und Ewigkeitsglaube
(sassatavada) erschien, in dem die Menschen Dinge und andere Lebewesen
als getrennt, real, fixiert und dauerhaft betrachten. Das konsumistische
Bestreben, Dinge - und Images - zu erwerben als Mittel, sein eigenes "Selbst"
zu definieren und zu erfüllen, ist ein Beispiel für diesen extremen
Realismus und Ewigkeitsglauben. Die jedem Artikel innewohnende Anfälligkeit,
kaputtzugehen (Vergänglichkeit) enthüllt die Unmöglichkeit,
bleibende Zufriedenheit zu schaffen (Dukkha) und den Trugschluß,
ein vergängliches "Selbst" mit vergänglichen Dingen anzufüllen
(Nicht-Selbst).
"Geistiges Brodeln/Verarbeiten" (mental
stewing)
Der nächste Schritt ist entscheidend in der Entstehung der Konsumenten-Mentalität: das Entstehen von Dualität, in der es einen Konsumenten (Subjekt) gibt, der durch Gefühl, Wahrnehmung, Gedanken und Erkennen zu konsumierender Formen (Objekt) Dinge kon-sumiert. Wenn sich diese Subjekt-Objekt-Konstruktion mit den Sinnen verbindet, entsteht Sinneserfahrung. Die Erfahrung des Sehens öffnet die Türen zu all den hellen Lichtern und strahlenden Bildern (Images) von Einkaufszentren, dem Entertainment in den Me-dien usw. Die Erfahrung des Hörens ermöglicht das Anhaften an Walkmans und Radios. Die Erfahrung des Schmeckens eröffnet uns die Welt von Coca Cola und McDonald's, Junk Food und exotischer Geschmäcker aus aller Welt. Die Erfahrung des Riechens öffnet die Türen zu der Welt von Parfüms, After Shaves, Gourmet-Feinkost usw. Die Erfahrung des Be-rührens eröffnet uns die Welt importierter Seidenstoffe, Kosmetik für Haut und Haar usw. Und am entscheidendsten eröffnet uns die von den Sinnen hergeleitete Geisteserfahrung die Welt von Konstruktionen der Konsumenten-identität wie "Berühmtheit" und "Stil".
Wenn wir fernsehen, stumpft die Hi-Tech-Bombardierung mit Bildern unseren Geist so ab, dass er nur noch auf das reagiert, was be-sonders angenehm oder besonders schmerzlich ist. Da mehr und mehr Bilder diesen überhöh-ten Erwartungen nicht mehr genügen, scheint es so, als gebe es überhaupt nichts Interessantes mehr anzuschauen. In den USA gibt es einen neuen Begriff namens "Channel Surfing". Darunter versteht man, mit der Fernbedienung in kurzer Zeit sämtliche Sender (bis zu 100) anzuklicken, nur um schließlich festzustellen: "Es läuft nichts." Wenn wir versuchen, unter der Masse an Programmen ein bestimmtes heraus-zusuchen, schwankt der Geist hin und her bei dem Bemühen, das zu finden, was wir sehen wollen. Es gibt Momente eines positiven Gefühls, wenn ein angenehmes Bild vorbeiflim-mert, und auch negativer Gefühle. Doch in der Geschwindigkeit des "Surfing"-Prozesses wer-den die allermeisten Bilder überhaupt nicht verarbeitet und lösen lediglich ein weder-angenehmes-noch-unangenehmes Gefühl aus, was zu einer noch stärkeren Abstumpfung des Geistes gegenüber allem führt, das nicht beson-ders positiv oder negativ hervorsticht. Dieser Prozess findet auch statt, wenn wir Kontakt mit Waren in einem Laden oder einem Einkaufszentrum aufnehmen. Unter den Myriaden von Geschäften und Markennamen das eine zu finden, was wir wollen, zwingt den Geist, einen großen Teil der Realität wegzudrücken, der nichts mit unserer Suche zu tun hat, aber dennoch nach unserer Aufmerksamkeit heischt.
Auf diese Weise verbringen Menschen in Konsumentengesellschaften eine Menge ihrer Zeit in einem tauben Zustand. Sie drücken mögliche negative Gefühle weg, während sie durch schwach positive waten auf ihrer Suche nach den ganz besonders positiven. Ein großer Teil der Realität wird gar nicht verarbeitet (z.B. läuft der Fernseher, aber niemand sieht hin oder in einem Laden spielt Musik, die aber nicht gehört wird). Was weder besonders anziehend noch bedrohlich ist, wird weggedrängt, und der Geist entwickelt eine Unfähigkeit, auf das auf-zupassen, was nicht besonders positiv oder negativ ist, sich darauf zu konzentrieren oder es zu fühlen. Die ständig wachsende Intensität an Konsumentenbildern (consumer images) ver-stärkt noch die dualistische Natur des Geistes. Indem der Geist nach immer stärkeren positiven Gefühlen sucht und im Gegenzug immer tiefere Wellentäler negativer Gefühle erlebt, nimmt die Fähigkeit, sich auf Feinheiten und Grauzonen zu konzentrieren, ab (...).
Der Geist wird damit an das Hin und Her negativer und positiver Vergleiche gewöhnt. Die Lebensrealität, in der keine "Action" statt-findet, wird nicht gezeigt und wenn man - oft unbewußt - Vergleiche zum eigenen Leben zieht, entsteht ein Gefühl des Mangels. Unser Leben erscheint uns langweilig, unser Alltag hat wenig Bedeutung im Vergleich zu der kon-stanten "Action" in diesen Programmen. Auf dieser Stufe wird unsere Identität verhärtet durch Abgrenzung und Differenz, d.h. was je-mand hat oder nicht hat im Vergleich zu ande-ren. Je mehr man fernsieht, desto mehr wird unser tatsächliches Leben zu einem einzigen großen weder-angenehmen-noch-unangenehmen Gefühl, weder besonders aufregend noch unglaublich tragisch, und umso größer wird unsere Begierde nach dem Leben, das wir im Fernsehen präsentiert bekommen. Durch die machtvollen Werbe- und sonstigen Bilder im Fernsehen wird der Geist seiner eigenen räumlichen und zeitlichen Existenz immer mehr entfremdet. Auf dieser Stufe wird die I-dentität fließend, aber nicht auf eine gesunde Art und Weise, indem wir die Illusion von Formen und eines "Selbst" durchschauen, uns dabei aber ein Gefühl für soziale Normen erhal-ten. Stattdessen ist es ein neurotischer Vorgang, indem die Illusion durch das Aufheben der Un-terscheidung zwischen Fantasie und Realität immer mehr vertieft wird.
Unsere Gier nach sinnlichen Objekten ver-stärkt sich auf dieser Stufe, indem das "Selbst" beginnt, sich direkter darauf zu beziehen. "Mit ihrem neuen Finanzierungsplan könnten wir uns dieses Jahr ein neues Auto anschaffen"; "Hawaii... Ich brauche wirklich Urlaub!", "Ich brauche unbedingt ein Shampoo, das meine Haare nicht ruiniert." (Anhaften an Sinnesobjekte)
Unsere Ansichten über diese Güter, deren tiefere Bedeutung und die Leben der TV-Figuren werden zu erhärteten Objekten, nach denen das "Selbst" greifen kann. "Diese neuen Heim-Videokameras sind wirklich beliebt geworden. Vielleicht sollten wir uns auch eine kaufen." "Warum haben die Filmpartnerinnen von Tom Cruise immer blonde Haare? Vielleicht sollte ich auch mal meine Haarfarbe ändern?" "Nach diesem Bericht über Angola werde ich bestimmt nie nach Afrika fahren. Was für ein rückständiges Land!" (Anhaften an Ansichten).
Aus solch erhärteten Ansichten entstehen erhärtete Methoden/Verhaltensweisen. "Jim sagt, wir können auch einen Finanzierungsplan für die Videokamera bekommen. Laß mal sehen, die Abzahlung für das Auto, Versicherung, Hypothek, Kreditkarten - ich glaube, wir könnten es schaffen." "Wenn wir die Kinder zu Hause lassen, können wir uns bestimmt zwei Wochen auf Bali leisten." "Diese Mädchen haben ihre Esprit-Kleider und ihre Bräune als Begleiterinnen für Geschäftsmänner bekommen. Klingt schrecklich, aber vielleicht..." "Das zeigt wieder einmal, dass unsere Marktwirtschaft einfach am besten ist." (Anhaften an Verhaltensformen)
Wenn wir an diese Ansichten und Verhaltensweisen anhaften, stellen wir uns keine Fragen wie: "Wieviele Leute haben sich durch ih-ren Konsum total verschuldet?", "Wieviele die-ser sonnengebräunten Mädchen kommen aus zerbrochenen Familien?" "Wieviele Amerika-ner leiden genauso wie Afrikaner unter Armut und Gewalt?" Statt dessen helfen wir dabei, die Grundlagen zu legen für die nationale Verschuldung, das Zerbrechen von Familien und das Opfern unserer persönlichen. (Anhaften an das "Selbst")
Aus einer solchen Langeweile kann Furcht entstehen. Papa hat Angst, dass eine Entlassungswelle und seine Schulden die Familie in eine plötzliche finanzielle Krise stürzen könn-ten. Mama fürchtet, dass sie wieder anfängt zu trinken, wenn sie nicht endlich eine Pause von all ihren Belastungen bekommt. Die Schwester hat Angst, dass ihr Körper sich nicht so entwickeln wird, wie sie es erhofft.
In der Unsicherheit ihrer Leben erfahren sie Nicht-Selbst als die Unfähigkeit, ein er-wünschtes "Selbst" zu schaffen und zu erhalten. Aus Langeweile und Furcht können Depressio-nen und Verzweiflung entstehen. Papa ist de-primiert wegen seiner fehlgeschlagenen Versu-che, den wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen, den er vor 15 Jahren vor Augen hatte. Mama fühlt sich leer in einem ermüdenden Leben oh-ne konkrete Belohnungen. Das wirklich De-primierende besteht hier darin, wie die Familie Jahr für Jahr vor dem Fernseher sitzt und von Dukkha durchtränkt wird angesichts all der Bilder, welches Leben sie führen sollten, an-statt die kreative Gestaltung ihres eigenen Lebens selbst in die Hand zu nehmen.
"Hör zu, Ananda, durch diese Bedingungen entsteht aus Gefühl Begierde, aus Begierde ent-steht ein Suchen, aus dem Suchen entsteht Er-werben, aus dem Erwerben entsteht das Fassen von Entschlüssen, basierend auf diesen Ent-schlüssen entsteht lustvolles Verlangen, aus dem lustvollen Verlangen entsteht Anhaftung/Begeisterung, aus dieser Begeisterung entwickelt sich Besitzdenken, aus dem Besitz-denken entsteht Geiz, aus dem Geiz entwickelt sich das Wachen über den Besitz, daraus ent-stehen das Ergreifen von Stock und Schwert, Streit, Zank, Missbrauch, Lüge."
Der Ort der Aktion liegt hier im Begehren und dem, was sich daraus entwickelt. Diese Darstellung zeigt, wie mentales Fabrizieren zu Handlungen führt und wie solche Handlungen zu sozialen Problemen werden. Auf dieselbe Weise möchte ich den Geist der Mahanidana Sutta anwenden, um die größeren Handlungen und Strukturen der Konsumgesellschaft zu un-tersuchen..
Im Begehren zu sein beziehungsweise nicht zu sein beginnt der Geist mit ersten Identifikationen. Wenn er mit sinnlichen Formen in Kontakt kommt, beginnt er Zustände zu begehren, in denen diese sinnlichen Formen kontrolliert und genossen werden können wie etwa eine Woche auf Hawaii in einem hübschen Hotel oder einfach nur ein bisschen mehr Zeit zum Einkaufen. Auf einer tieferen Ebene entspricht dieses Begehren zu sein dem Begehren nach Festigkeit, Konkretheit (atta), Stabilität.
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