In den Metropolen habe ich jede Fahrt mit Rikscha, "Babytaxi" (Dreirad) oder "popular bus" als Tortur erlebt: von ohrenbetäuben-dem Lärm und Gehupe eingedröhnt, einer verpesteten Luft ausgesetzt (der gegenüber ich deutschen Smog als Heilklima empfinde), und in ein Stauchaos eingekeilt, das deutschen Großstadtstau wie erholsamen Landausflug erscheinen läßt. Wie gefährlich dieses Chaos ist, erlebte ich u.a. als Zeuge von zwei Verkehrsunfällen, davon einem mit mehreren Toten unweit des Parlamentsgebäudes in Dhaka. In den ersten Tagen meines (erstmaligen) Aufenthalts im Lande fühlte ich mich fast erschlagen von der Flut der auf mich einstürzenden Eindrücke und Gegensätze: vom tropischen Grün einer friedlichen anmutigen Landschaft, vom Lärm und Schmutz der Städte, vom ekelhaften Gestank aus den offenen, total verdreckten Kanalisationsgewässern, von bunt schreienden Far-ben allüberall und noch schreienderem Elend der Massen. In Dhaka sollen es drei Millio-nen Menschen sein, die zerlumpt oder nackt auf den Straßen oder in fürchterlichen Elendshütten leben müssen, wo in der Regen-zeit, wie es so zynisch heißt, der "royal flush" umhergespült wird.
Dass Bangladesch zu den benachteiligsten Ländern der Welt gehört, war mir schon vor Reisebeginn bewußt. Aber mit einer solchen Konzentration negativer Faktoren hatte ich doch nicht gerechnet, denn außer von der Bevölkerungsexplosion und den verheerenden Wirbelstürmen und Flutkatastrophen wird das gequälte Land von scharfen sozia-len Konflikten und gewalttätigen Auseinan-dersetzungen heimgesucht.
Zur Motivation von Streikenden bedarf es nur eines Handgeldes von je etwa 40 Pfenni-gen, ein (in der Regel rauschgiftsüchtiger) "gunda" (bezahlter Killer) verlangt meist ein wenig mehr. Zu Nachtzeiten und nach der Ausrufung eines Streiks - und im Streiken sind die Bengali Weltmeister - kann es auf den Straßen lebensgefährlich sein. Als ich einmal morgens um fünf Uhr, nach zwölf-stündiger Dampferfahrt in Dhaka eintraf, wurde ich von erfahrenen Mitreisenden am Aussteigen gehindert; sie machten mir klar, daß vor Verkehrsbeginn gegen sechs Uhr, die Gefahr eines Straßenüberfalls zu groß sei.
An Tagen des "hartal" (Streiks) habe ich nicht nur mehrfach Zusammenstöße bewaffneter Kräfte mit Demonstranten beobachtet, sondern auch eine brennende Tanksäule und ein halbausgebranntes Bankgebäude.
Als sich kurz vor dem Wahltermin am 15.
Februar die Spannungen steigerten und Gerüchte von Militärputsch
und Bürgerkrieg umliefen, sahen sich die Mönche, die mich beherbergten,
zu einer Art Krisenmanagement veranlaßt. Nach einigen Anläufen
ge-lang es ihnen, mir einen dreiköpfigen Begleitschutz zu besorgen,
der mich in der Nacht vor meiner Abreise durch die von Soldaten und Streikposten
gleichermaßen abgeriegelte Stadt zum 20 km entfernten Flughafen brachte.
Auch wenn mich ein Heckenschütze nur von hinten hätte treffen
können, weil ich von vorne und von beiden Seiten von Leibwächtern
geschützt war, so konnte ich doch meine Angst spüren, als der
Fahrer (um seine friedliche Absicht zu beweisen) Schneckentempo fuhr, seine
Lichter löschte (sobald es durch dunkle Straßen ging) und wir
alle angestrengt nach Gefahrenquellen Ausschau hielten.
Die Straßenkonflikte sind Teil einer
allge-meinen, durch den erbitterten Machtkampf zwischen Regierung und Opposition
verur-sachten Staatskrise. Dieser feindselige Machtkampf wird von zwei
Hauptkontrahenten geführt: von Premierministerin Khaleda Zia und Oppositionsführerin
Sheik Hasina. (Daß in einem muslemischen Land ausgerechnet zwei Frauen
diese staatlichen Spitzenpositionen einnehmen. liegt darin begründet,
daß sie ihre Ämter von Männern "ererbt" haben: Khaleda
Zia ist die Witwe des ermordeten Staatsführers Zia und Sheik Hasina
ist die Tochter des legendären Staats-gründers Sheik Mujibur
Rahman. Dennoch mutet die "Weiberherrschaft" - so der Volksmund- eigenartig
an in einem Staat, in dem nach Feststellungen von Bürgerrechtlern
Frauen Bürger 2. Klasse sind und auf dem Lande meist ein elendiges
Dasein einer "auf Küche und Bett beschränkten Sklavin" des Ehemanns
fristen. Ein perfides Beispiel reli-giöser Doppelmoral sind, so die
Menschen-rechtler, die Vergewaltigungen junger Mädchen, bei denen
die Täter stets straffrei blei-ben, weil die nach islamischem Recht
erforderliche Bedingung einer Verurteilung - vier männliche muslimische
Zeugen der Tat - nie erfüllt werden kann. Die Mädchen hingegen
wurden, wenn sie schwanger wurden, wegen Unzucht gesteinigt oder mit 100
Stockhieben gequält, wonach sich manche aus Scham das Leben nehmen.)
Die Opposition löst neben Wahl- und Parlamentsboykott immer wieder
Streiks aus (1995 waren es nicht weniger als 144) und die Regierung agiert
oder reagiert mit den Mitteln eines durchweg korrupten Polizei- und Behördenapparates.
Als Lichtblick empfand ich die Vielzahl sozialer Initiativen und Projekte von Seiten der Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO, engl. NGO, non governmental organisations). Ich hatte die Gelegenheit von Buddhisten bzw. Christen geführte Schulen, Waisenhäuser, Hospize, Ambulanzen und Rehabili-tationszentren zu besichtigen. Die Rehabilita-tionszentren für Drogensüchtige in Dhaka, "Baraca" und "Apon", haben mich besonders beeindruckt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie in kurzer Zeit Gruppen von 15 bis 30 Drogensüchtigen (deren "Kriminalregister" von Diebstahl, Falschspielerei, Raub und Zuhälterei bis zu bezahlten Mord reichte) zu Einsicht, Reue und Umkehr gebracht werden können - vorausgesetzt sie halten die rigiden Anforderungen eines Sechs- Monate-Programm radikaler Wahrhaftigkeit und spartanischer Lebensführung aus, wie sie auf der Basis der 12-Stufen-Methode der Ano-nymen Alkoholiker praktiziert werden. Nach Abschluß der sechs Monate liegt die Quote der dauerhaft "Sauberen", wie mir die leiten-den Mönche und Therapeuten erklärten, zwischen 25 und 50%. Zugleich wurde ich jedoch darauf hingewiesen, daß diese Erfolgszahlen wie Tropfen im Ozean seien: allein in Dhaka sei die Mehrzahl aller männlichen Jugendlichen und jungen Männer drogensüchtig. P. Klaus Beurle, seit 25 Jahren einer der Pioniere deutsch-bengalischer Zusam-menarbeit und Entwicklungshilfe, kommt in seinem "Jahresrückblick 1995" zu dem Schluß: "Es müßte schon fast ein Wunder geschehen, sollte ein konstruktiver Ausweg aus der deprimierenden Staatskrise gefunden werden." Und dennoch (oder gerade wegen der hoffnungslosen Lage?) setzen er und viele andere ihre Hilfsbemühungen fort.
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