Dieser Krieg ist ein Zustand.
Und dieser Zustand hat mittlerweile auf das Denken der meisten Menschen übergegriffen.
Den ganzen Tag werden wir mit Kriegsbildern aufgewühlt und durcheinander gebracht. Den ganzen Tag werden wir mit Kriegspropaganda bombardiert.
Und Kriegspropaganda hat nur die Ziele
Wenn ich sage, ich bin gegen die Angriffe der Nato, werde ich automatisch gefragt, ob ich wirklich für Milosevic sei. Wenn ich sage, nein! ich meinte, ich bin gegen Krieg, so werde ich gefragt, ob ich wirklich zusehen wolle, wie Menschen vertrieben werden.
Als ob Friedensarbeit mit Zusehen gleichzusetzen ist.
Ich will keinesfalls die Vertreibungen leugnen, aber ich sage: Es ist der Krieg, der die Menschen dort zum Vertreiben und Flüchten bringt, es ist die Kriegslogik, es ist diese Logik. Denn diese Logik kennt nur Freund und Feind.
Es ist der Krieg, der die Menschen zu Verbün-deten gegen einen gemeinsamen Feind oder hin zum Feind einteilt. Und Freund und Feind bleiben nicht unter einem Dach.
Erst durch den Krieg gab es für die Albaner keine andere Möglichkeit mehr als die, sich außerhalb des Kosovo in Sicherheit zu bringen. Und für die Menschen in Jugoslawien gab es keine andere Möglichkeit als die, sich zu verbünden, egal wie heterogen sie sind, egal ob Milosevic-Anhänger oder zur Opposition gehörend.
Und die Opposition sagt selbst: Wenn jetzt Wahlen wären, würden wir Null Prozent der Stimmen kriegen. Und sie bittet in einem offenen Brief darum, dass der Krieg gestoppt werden soll, sowohl die Vertreibungen als auch die Bombenangriffe.
Und wie sollten die Kosovo-Albaner im Land bleiben, wenn sie dort dem Feind zugeordnet werden und sich nicht mit Milosevic verbünden können. Und das Ganze wird noch schlimmer, weil ja die sogenannte "humanitäre Katastro-phe" der Albaner die offizielle Begründung für die Bombenangriffe der Nato ist, auch wenn in diesem Zuge halb Kosovo in Schutt und Asche gelegt wird, die Felder brachliegen, die Men-schen hungern.
Sobald ich mich auf diese Ebene einlasse bin ich wieder in der Kriegslogik gefangen und somit wieder im Krieg.
Wenn ich der Nato glaube, muss ich auf dieser Ebene die Bombenangriffe akzeptieren.
Glaube ich Bunell, wird hierzulande herumgeschrien, ich würde Ursache mit Wirkung verwechseln und Milosevic rehabilitieren.
Diese Kriegslogik, dieses absolute Greuel-Vergeltungs-Denken
ist so selbstverständlich geworden, dass ich, wenn ich sage "Schluss
mit dem Krieg", ernsthaft gefragt werde, ob ich eine bessere Lösung
kennen würde.
Denn innerhalb der Kriegslogik ist kein
Platz für Frieden und Verständnis. Innerhalb der Kriegslogik
muss der Feind zum bekämpfens-wertesten aller Feinde gehören.
Sei es durch Greueltaten, die er angeordnet hat oder haben soll, sei es
durch seinen miesen Charakter. Oder indem Verbrecher, die ganz eindeutig
schrecklich waren, und die absolut beweisbare Greueltaten veranlasst haben,
auf ihn projiziert werden. Je verabscheuungswürdiger der Feind ist,
um so weniger verabscheuungswürdig erscheinen die Methoden seiner
Bekämpfung.
Dabei ist die Würde der Menschen, die als Begründung für Gewalt, Hass, Mord, für Ver-geltung herhalten müssen, ganz egal. Sind die Kosovo-Albaner an der mazedonischen Grenze noch "Deportierte" oder Menschen, die einem "Massaker" gerade noch entkommen konnten, so werden sie, sobald sie Ihre Rolle als Beweis für die Unmenschlichkeit des Milosevic-Regimes gespielt haben, zu "Lasten", über deren Kosten sich Bund und Länder streiten, zu Quoten, um die gefeilscht wird, und die nicht einmal außerhalb der Quote zu Verwandten hierher reisen dürfen, sondern "vor Ort" in Lagern "Zuflucht" finden müssen. Nichts und niemand bleibt davon verschont, als Begrün-dung für Gewalt, Hass, Mord herhalten zu müssen. Ob vergewaltigte Frau oder gestorbenes Baby. Ein jeder innerhalb des Kriegsgebie-tes ist Statist für dieses Bühnenbild, das keinen Frieden in sich birgt.
Und damit niemand so recht sieht, dass Vergel-tung auch Gewalt ist, werden Geschehnisse einfach umbenannt, verleugnet, verfremdet. Aus Angriff wird Verteidigung. Tote Soldaten gibt es nicht. Und ermordete Zivilisten werden zu bedauerlichen Unfällen oder noch schlimmer zu "Kollateralschäden". Und die, die so verleugnet werden, deren Leid verharmlost wird, deren Leben und Sterben mit den unmöglichsten Begriffen entwürdigt wird, verfallen auch wieder leicht in die Sprache der Kriegslogik und entwürdigen andere Menschen, die gelitten haben, um ihr Leid zu verdeutlichen, auch sie reden von Vergasung und KZs.
Durch den Krieg und seine Logik, durch
seine Sprache, durch seine Kriegspropaganda werden uns Grundwerte gestohlen,
werden wir des Ausdrucks beraubt und des gesunden Men-schenverstandes.
Krieg führt nicht zu Frieden.
Und damit wir das wirklich vergessen, wird Krieg zu Frieden, werden Kriegstruppen des Militärbündnisses der Nato Friedenstruppen genannt.
Jeder Krieg mit seiner Kriegspropaganda
hat unweigerlich große Schäden in der humanisti-schen und ethischen
Haltung einer Bevölkerung zur Konsequenz. In Deutschland, einem Land
das schon immer Gefahr läuft, die humane Orientierung für abstrakte
und ökonomische Ziele zu opfern, ist dies um so verhängnisvol-ler.
Selbst die Politiker sind in ihrer Inszenierung
schon so gefangen, dass z.B. Volker Schlotmann (SPD) der PDS vorwarf, sie
würde fälschlicherweise von einem Angriffskrieg der Nato sprechen,
und Joseph Fischer sagte: "Es ist jetzt an einem Punkt gekommen, wo wir
nicht mehr zurückkommen - auch moralisch nicht."
Aber wir, wir können zurück, können uns von dieser Kriegslogik befreien, können wieder einen klaren Kopf bekommen, und das fordern, was jetzt als ersten Schritt notwendig ist:
Aber wenn überhaupt sich Menschen von der Kriegslogik befreien können, dann sind es die, die nicht im Kriegsgebiet leben müssen, die die nicht unmittelbar um Freunde, Verwandte, Bekannte trauern oder bangen, die die den nötigen Abstand haben, um nicht der Ohnmacht und dem Hass zu verfallen. Dann sind das wir. Wir alle müssen diese Verantwortung übernehmen. Jeder! Jede! Vom schreibenden Jour-nalisten bis zum plaudernden Bäcker!
Redebeitrag von Meike Schröder
auf der Kundgebung des
Bündnisses gegen den Nato-Krieg am 17.4.1999 in Hannover.
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