Die internationale Gesellschaft für Ökologie und Kultur (ISEC):

Alternativen zum Konsumismus

Die Autorin, Helena Norberg-Hodge, ist be-kannt für ihre Arbeit in Ladakh und in Nepal, sowie für ihr informationsreiches Buch "An-cient Futures" und den gleichnamigen Film

Einleitung

Der Text und die folgenden Bilder geben einen Eindruck vom Zusammenprall zwischen der Weltwirtschaft einerseits und den Kulturen und Landschaften dieser Welt andererseits. Sie offenbaren die zerstörerische Kraft des Konsumismus auf Gemeindeleben und Umweltqualität sowohl im verstädterten und industrialisierten "Norden" als auch im ländlichen "Süden". Diese Darstellung erklärt, wie Subventionen, die die wirtschaftliche Zentralisation und Verstädterung unterstützen, Armut, Umweltsicherheit und Identitätsverlust verursacht haben.
Am treffendsten verdeutlichen die Bilder, wie die enorme und wunderbare Vielfalt von Kultu-ren rapide vertilgt wird und an ihre Stelle eine standardisierte Konsumentenmonokultur tritt.

Aber diese Entwicklung ist nicht unumkehrbar. Die sog. unumkehrlichen Trends haben sich bereits umgekehrt. Die Darstellung gibt einen Einblick in die weniger sichtbaren Kräfte posi-tiver Initiativen, die auf Regionalisierung und Lokalisierung hinarbeiten. Diese Beispiele von unterster Ebene überall auf der Welt sind eine Quelle von echter Inspiration und Hoffnung. Schließlich - und das ist besonders ermutigend - erinnern uns die Bilder daran, dass etwa die Hälfte der Weltbevölkerung noch immer auf dem Lande lebt und die spirituellen und sozia-len Vorteile eines Lebensstils genießt, der tief in der Gemeinschaft und in der natürlichen Welt verwurzelt ist.

Ländliche Gemeinschaften und kulturelle Vielfalt

Jahrtausendelang drehte sich das Überleben und Wohlergehen der Menschen darum, dass sich die Gesellschaften der jeweiligen Umwelt anpassten. Durch das Verständnis ihrer Interaktionen mit ihrer natürlichen Umwelt waren die Menschen in der Lage, einzigartige Mechanismen und Strategien zu entwickeln, um das Potential ihrer Umwelt bestmöglich zu nutzen, ohne das langfristige Gleichgewicht und die ökologische Stabilität zu gefährden. Das Wissen bezüglich des Bodens, der Tiere und Pflanzen und des Wetters in einem ganz spezifischen Gebiet war lebenswichtig für den Erfolg der Landwirtschaft und ermöglichte den Menschen, komplizierte Landwirtschafts- und Ackerbausysteme zu entwickeln, die mit der und nicht gegen die Natur arbeiteten.

Die Notwendigkeit ihren Lebenserwerb im Einklang mit der Natur zu entwickeln hat aber nicht nur den landwirtschaftlichen Verstand geschärft, sondern auch die sozialen Einrich-tungen, die das Leben in Familie und Dorfge-meinschaft regeln. Die Abhängigkeit des Men-schen von der natürlichen Ordnung war Herz-stück der meisten Gesellschaften. (...)

Globalisierung und der Siegeszug der Mo-nokultur

In den letzten Jahrzehnten gibt es einen großen Drang zu "Wirtschaftswachstum" im Norden und zu "Entwicklung" im Süden. Die treibende Kraft dieses doppelten Prozesses war die massive Expansion des internationalen Handels durch die ökonomische Globalisierung. Dieser Globalisierungsprozess zwingt die Volkswirt-schaften dazu, ihre Grenzen den multinationa-len Konzernen und internationalen Finanzmärkten zu öffnen und ermutigt sie, ihre Produktion auf eine schmale Bandbreite von Exportgütern zu spezialisieren. Die Globalisierung wurde durch verschiedene "Freihandelsabkommen" vorangetrieben, die den Konzernen zu Wachstum und Verzweigung verhalfen und hat so dazu geführt, dass auch die bislang traditionellen Wirtschaften vom Konsumismus erreicht wurden. Diese Abkommen - ASEAN, das Maastrichtabkommen der EU, NAFTA und GATT gehören dazu - haben die ehemals abgeschlossenen Märkte den Konzernen geöffnet und die Handels- und Investitionsbarrieren entfernt, die einst Kleinbauern und kleine Gewerbetreibende schützten. Das Resultat war, dass lokale Unternehmen nicht mehr konkurrenzfähig waren und sich die Finanzmacht in den Händen einer kleinen Anzahl von Konzer-nen konzentriert hat.

Dieser kulturelle Bruch hat auch zu einer tiefgreifenden Veränderung traditioneller Werte geführt: was bodenständig ist wird als minderwertig angesehen, was einzigartig ist gilt nun als hinterwäldlerisch. Der Modernisierungsdruck und der Zwang auf dem Weltmarkt aufzutreten, ist der Zwang mit dem westlichen Konsumismus konform zu gehen. Anders als die traditionellen Wirtschaftsweisen zollt die Weltwirtschaft dazu den lokalen Zusammenhängen keinerlei Aufmerksamkeit. Alles ist standardisiert: Geschmack, Kleidung, Architektur und selbst das Wissen. Angepasste Fähigkeiten, Produktionsverfahren und Wertesyste-me werden von der einförmigen Konsumentenmonokultur beiseite gewischt.

Subventionierte Infrastruktur und Verstädterung

Um weitere Regionen in das globale System zu integrieren ist eine hochentwickelte Infrastruktur großen Maßstabes nötig. Regierungen und supranationale Entwicklungsbanken haben Milliarden von Dollar aufgewendet, um Transport-, Energie- und Kommunikationslücken zwischen den nationalen Ökonomien und dem Weltmarkt zu schließen. Diese Infrastruktur ist das Rückgrat der Weltwirtschaft: sie erlaubt, Güter billig von einem Ende der Welt zum anderen zu transportieren und Geld und Infor-mationen immer leichter von Land zu Land zu transferieren.

Paradoxerweise ist es jedoch genau dieser Prozess des globalen Schließens von Lücken, der die Menschen mehr und mehr von ihren Bezugsquellen für Nahrung, Kleidung, Bauma-terialien und Energie abschneidet. Die Men-schen verlieren den Bezug zu ihrer Gemeinschaft und ihrer heimischen Umgebung um so mehr, je stärker Energieversorgung, Güterver-teilung, Gesundheits- und Schulwesen zentralisiert werden.

Der Aufbau von Infrastruktur immer größeren Maßstabes - vom Energiebereich bis zu Schulwesen - führt zu einer weltweiten Landflucht in die Städte. Diese Wanderungsbewegung redu-ziert die Überlebensfähigkeit der landwirtschaftlich geprägten Gemeinwesen und löst so die sozialen Bindungen und die Strukturen, die ländliches Leben seit unzähligen Generationen möglich machten. Hinzu kommt, dass die Urbanisierung Millionen von Menschen in die Abhängigkeit von importierten Nahrungsmitteln gebracht hat. Selbst die ärmsten Menschen in den Städten und Metropolen, die Hunger leiden, tragen auf diese Weise zum Wachstum des CO2-Problems bei, denn sie sind nunmehr abhängig von Gütern, die Hunderte und Tausende von Meilen durch die Welt transportiert werden müssen. Da die Entfernung zwischen Produzenten und Konsumenten steigt, steigt im gleichen Maße die Verbrennung fossiler Energieträger in der Maschinerie des weltweiten Transportsystems.

In den weniger industrialisierten Ländern ent-stehen riesige Slums an den Rändern der Städte. Diese Siedlungen zeichnen sich durch starke Überbevölkerung, Umweltverschmutzung und sanitäre Probleme aus. Leblose Betonblocks, die Gemeinschaften eher trennen als verbinden und die Natur eher begraben, als auf ihr auf-bauen, haben die traditionellen Architekturty-pen, die sich über Jahrhunderte entwickelten, verdrängt.
Die Konsumentenmonokultur und der Zusammenbruch der Ökosysteme

Das Konsumwachstum, das aus der Globalisierung erwächst, ist - ökologisch betrachtet - das genaue Gegenteil von nachhaltiger Entwicklung. Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, um den Konsumismus anzuheizen, führt auf direktem Wege in die ökologische Katastrophe.

Der ökologische Zusammenbruch ist auch in den ländlichen Bezirken augenscheinlich. Kleinbäuerliche Betriebe werden zerstört, da das Agrarbusiness von Subventionen und Regularien profitiert, die sich genau an deren Interessen ausrichten. Dies hat eine Menge Probleme ausgelöst, so z. B. die Abnahme der Bodenfruchtbarkeit, Erosion, Gesundheitsprobleme für Mensch und Tier infolge des Pestizideinsatzes, Wasserverseuchung und der Verlust der biologischen Vielfalt.

Die Konsumentenmonokultur und die Armut

Wenn ländliche Regionen in den Weltmarkt einbezogen werden, werden sie systematisch verarmt, denn sie erhalten niedrige Preise für ihre Produkte, müssen aber andererseits hohe Preise für entwickelte Produkte zahlen. Doch damit nicht genug: der Weltmarkt für Gebrauchsgegenstände verwertet nur eine ganz schmale Palette von Feldfrüchten. Dies hat zur Folge, dass Millionen von Kleinbauern weltweit gezwungen werden, zueinander und zum Agrarbusiness in Konkurrenz zu treten, um völlig identische Produkte zu kaufen. Diese Standardisierung der Märkte ist augenfällig in allen Bereichen der Wirtschaft und schafft künstliche Knappheit durch die Beschränkung der Vielfalt der Produkte, mit denen Produzenten auf dem Markt auftreten können.
Während in traditionellen Gesellschaften die Menschen ihre Bedürfnisse gegenseitig durch die Vielfalt lokaler Produkte, mit denen sie der Handel versorgt, befriedigen können, müssen die Leute in der globalen Monokultur ihre Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen, um eine weltweit identische Anzahl von Konsumartikel kaufen zu können. Auf diese Weise enden die Menschen weltweit im Kampf um die gleichen Ressourcen und die gleichen Konsumartikel.

Die Regierungssubventionen haben auch im Norden kleine bäuerliche Landwirtschaften und Handelsbetriebe zerstört, die Märkte verzerrt und den Großunternehmen Vorteile verschafft. Filialen von Supermarktketten umringen jetzt die meisten Städte des industrialisierten Nordens; sie liegen direkt an den Autobahnen, von wo aus sie mit Billigartikeln aufgefüllt werden - und mit autoabhängigen Konsumenten. Das Ergebnis sind verfallende Innenstädte, denn die kleinen Handelsbetriebe in den Stadtzentren verlieren ihre Kunden an die Einkaufszentren außerhalb der Städte. Auch bäuerliche Familienbetriebe sind die Leidtragenden, denn ihre Kosten steigen im Verhältnis zu denen des Agrarbusiness an. Die Kombination beider Effekte, dem Absterben der städtischen Zentren und der Aufgabe ländlicher Gemeinwesen ist verheerend: hohe Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch der Institution Familie, Verlust des Hei-matgefühls, Verbrechen, Gewalt, Umweltverschmutzung und die Zerstörung sowohl der städtischen Strukturen als auch der bäuerlich geprägten Landschaften.

Die Konsumentenmonokultur und der Ver-lust von Identität

Die Zerstörung der lokalen Kultur und der sozialen Strukturen trifft die Menschen auf der psychischen Ebene besonders stark. Im Süden verherrlichen Werbung, Medien und Tourismus einen unerreichbaren Lebensstil. Das Bombardement von Bildwerk vom Schlage "Test the West" kombiniert mit der Landflucht zerstört die Identität und das Selbstvertrauen der Menschen in ländlichen Regionen. Diese Gefühle wiederum beeinflussen die Jugend, die nunmehr glaubt, ihr Lebensstil sei dem des Westens unterlegen. Aufgrund dieser Verunsicherung brechen nun ethnische, religiöse und soziale Konflikte innerhalb und zwischen den Gemeinwesen in diesem sog. "global village" (vielleicht die größte Fehlbezeichnung aller Zeiten) auf, denn die Leute, ihrer eigenen Identität beraubt, flippen aus gegenüber denjenigen, die anders sind.

Widerstand und Erneuerung

Andererseits gibt es wirklich hoffnungsvolle Entwicklungen. Am augenscheinlichsten ist das bei den Bewegungen, die die Ausbreitung der globalen Monokultur bekämpfen.  Menschen an allen Enden dieser Welt kämpfen für den Erhalt ihrer kulturellen Identität und ihres angestammten Lebenserwerbs. Millionen de-monstrieren gegen "Freihandelsabkommen" und die Konzentration von Reichtum und poli-tischer Macht in den Händen weniger Konzer-ne, Investoren und Währungsspekulanten.

Im Süden erheben Bauern, Entwicklungsorga-nisationen und Bürgerbewegungen ihre Stimme gegen das, was sie als moderne Manifestation kolonialer Ausbeutung ansehen. Auch im Norden beginnen neue Bündnisse (das traditionelle rechts-links-Schema überwindend) die Öffentlichkeit vor der Bedrohung zu warnen. In vie-len Städten sind kommunale Kreditinstitute gegründet oder umorganisiert worden, um den einheimischen Unternehmen Kapital zur Verfügung zu stellen, das es ermöglicht, am Ort zu investieren, anstatt in einer gesichtslosen Weltwirtschaft. In anderen Kommunen gibt es "buy local"-Kampagnen, örtliche Tauschringe und lokale Währungen, die den ortsansässigen Betrieben zu überleben helfen, selbst wenn sie gegen hochsubventionierte Konzerne ausgespielt werden sollen. Diese Kampagnen helfen nicht nur zu vermeiden, dass Geld aus der Wirtschaft der Kommune abfließt, sondern helfen auch die, Bevölkerung über die versteckten Kosten bei billiger aber entfernt produzierter Ware zu informieren.

Stellt man sie vor die Wahl, so geben die Menschen generell der heimischen Nahrung den Vorzug und genießen die Tatsache, dass die Produkte vor Ort gewachsen sind. Dadurch, dass die Nahrung frischer ist, ist sie auch schmackhafter und nahrhafter. Die Erzeuger andererseits sparen die Kosten für Transport und Transportverpackung. Regionale Nahrungsmittelerzeugung und -verteilung reduziert die Umweltverschmutzung durch die verminderten Transportwege (mit all den Effekten wie der Minderung der CO2-Erzeugung, der Reduk-tion der globalen Erwärmung etc.). Konsumentennachfrage für eine ganze Bandbreite von Produkten ermutigt außerdem die Landwirte, die monokulturelle Anbauweise aufzugeben, die in ganz erheblichem Maße auf dem Eintrag von Chemikalien beruht, die die Umwelt schädigen. Ein wieder wachsenden Artenreichtum auf dem Feldern geht dann einher mit einem größeren Artenreichtum im Umfeld der Höfe, was den Wert der Landschaft erhöht und die Böden schützt.

Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass der wichtigste Schritt auf dem Weg zu einer gesunden Gesellschaft und stabilen Ökosystemen die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Bauern und dem Gemeinwesen ist.

Die kulturelle und biologische Vielfalt auf-bauen

Vielleicht am inspirierendsten von allem ist die Tatsache, dass etwa die Hälfte der Weltbevöl-kerung noch immer die Beziehung zu Familie, dörflichem Gemeinwesen und dem Land be-wahrt haben. Diese Menschen, und die meisten von ihnen wohnen im Süden, haben es geschafft, ihre kulturellen und spirituellen Tradi-tionen aufrechtzuerhalten. Es ist von größter Wichtigkeit festzustellen, dass für diese Leute Verstädterung und Globalisierung nicht unver-meidlich sind, Konsumismus keine unentrinn-bare Falle darstellt und die Herausforderungen der Zukunft nicht gleichbedeutend sind mit jenem Pfad der Modernisierung, der bereits jetzt für viele Millionen Menschen anderswo zum Desaster geworden ist.

Es ist nötig zu erkennen, dass die biologische Vielfalt - das Leben selbst - unauflöslich ver-bunden ist mit der kulturellen Vielfalt.

Helena Norberg-Hodge
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