Vom Tag meiner Geburt an wurde ich trainiert, Soldat zu werden. Durch meine Erziehung und auch durch die Ermutigungen, die ich erhielt, bestimmte Dinge zu tun wie jagen, töten, beherrschen, anführen und meine Umgebung kontrollieren. Ich habe weder gelernt, achtsam zu sein, noch mir Gedanken zu machen. Ich habe nur gelernt, Autoritäten zu gehorchen, wem auch immer.
Ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Mein Vater war Lehrer, meine Mutter absolvierte keine Schule. Mein Zuhause unterschied sich kaum von dem meiner Nachbarn. Ich steckte voller Wut, voller Gewalt, und es fehlte mir jedes Einsehen, geschweige denn, dass ich damals die Mittel gehabt hätte, meine Gefühle zu verstehen.
Ich ging zum Militär und mit 17 kam ich nach Vietnam. Ich wusste nichts Besseres zu tun, und mein Vater hatte gemeint, dass so ein richtiger Mann aus mir werde. An der Hochschule war ich ein erstklassiger Athlet. Ein Journalist der Lokalzeitung schrieb über mich, wenn jemand eine Festung zu verteidigen hätte, so müsste es Tommy Thomas sein.
Bereits am zweiten Tag habe ich gemerkt, dass das Militär keine gute Wahl war, aber ich wusste nicht, wie ich hätte wegkommen können. So tat ich das nächstbeste: Ich lernte, ein erstklassiger Soldat zu sein. Ich wurde zum Kommandanten, was bedeutet, dass ich im Töten besser war als die andern. Im Militär geht es um nichts anderes. Im Militär geht es nicht um Verteidigung, es geht um Angriff. Im Militär geht es nicht um Frieden, es geht ums Töten.
Ich wurde geschult, den Feind zu entmenschlichen, und im Prozess der Entmenschlichung des Feindes wurde ich selbst entmenschlicht. Mit 17 hat mich das amerikanische Militär gebrochen und neu strukturiert. Ich erinnere mich, wie hünenhafte Drill-Feldwebel in mein Gesicht traten, obszöne Schimpfworte schrieen, ihren Penis herausnahmen und auf mich urinierten. Da war nichts, was ich dagegen hätte tun können. Damals war mir nicht bewusst, wie tief sich solche Handlungen auf einen Menschen auswirken. Solche Erfahrungen können nie mehr ausgemerzt werden.
Meine Arbeit in Vietnam war, Helikopterbesatzungen für Kampfeinsätze zu rekrutieren. Unsere Aufgabe bestand darin, menschliches Leben tagtäglich zu vernichten. Ich war verantwortlich für den Tod von Hunderten von Menschen.
Aber der Krieg begrenzte sich nicht nur auf meine Dienstzeit in Vietnam. Da war der Krieg vor dem Krieg, der Krieg nach dem Krieg, und da ist der alltäglich weltweit wütende Krieg. Schon mein Leben an der Hochschule war eine Art Krieg, und meine Familie war eine andere Art von Krieg.
So war ich kriegsbereit, schon bevor ich in den Krieg zog. Ich war bereit zu töten, bevor ich tötete, denn ich war voller Wut, Unwille, Verletzung, Verzweiflung und Leiden. Meine Geschichte ist nicht einzigartig. Sie spielt sich täglich in Häusern im ganzen Lande ab, auf der ganzen Welt, mehr oder weniger brutal, immer wieder. Wir können auf der Erde keinen Frieden haben, solange wir keinen Frieden in uns selber finden. Wir müssen lernen, tief in die Natur unseres Leidens hineinzuschauen, das Leiden zu berühren, es zu umarmen, es anzunehmen, bevor wir den Ort des Friedens finden.
1967 wurde ich in Vietnam zum fünften Mal abgeschossen. Der Pilot und der Kommandant starben, der Bordschütze wurde schwer verletzt. Als ich eingeklemmt im umgekehrten Helikopter lag, konnte ich das herauslaufende Benzin riechen, und ich hörte, wie der Helikopter beschossen wurde. Ich war überzeugt, dass ich sterben würde, und ich glaubte auch, dass ich sterben sollte. Ich wollte nicht überleben, weil ich mich und das, was ich getan hatte, hasste. Aber aus irgendwelchen Gründen starb ich nicht. Ich blieb neun Monate im Spital und wurde als 20-jähriger vom Militär freigestellt.
Als ich, ein mit Orden behängter Soldat in Uniform, auf dem Heimweg durch den Flughafen ging, kam mir eine sehr attraktive junge Frau entgegen. Ich dachte, sie sei an mir interessiert oder wolle mit mir reden. Doch sie trat nahe an mich heran und spie mir ins Gesicht. Ich wollte sie umbringen. Ich fühlte mich bedroht, verletzt, überwältigt, und ich hatte gelernt, in solchen Situationen zu töten. Ich tat es nicht. Ich ging in eine Bar und ließ mich volllaufen. Während der nächsten fünfzehn Jahre blieb ich betäubt und betrunken.
Ich benötigte Betäubungsmittel, weil ich die Fähigkeit nicht hatte, an mein unendlich tiefes Leiden heranzukommen. Betäubung war der einzige Weg, der mir blieb. Und wenn es nicht gelingt, an dieses Leiden heranzukommen, es wirklich anzunehmen - das habe ich inzwischen gelernt - kann es nicht transformiert werden. Es sucht sich dann indirekte Ausdrucksweisen. Im Krieg nach dem Krieg steckte ich oft im Gefängnis. Mein Leben war angefüllt mit Wut, Zorn und Gewalt; denn nur so konnte ich mich lebendig fühlen.
Ab 1970 verließ ich die USA regelmäßig. Ich schämte mich, Amerikaner zu sein, und hielt es nicht mehr aus, den Fernseher anzudrehen und mir anzuhören, wie über den Krieg gesprochen wurde. 1974 kaufte ich mir eine einfache Fahrkarte von London nach Teheran. Persisch verstand ich nicht und ich hatte keine Ahnung, was im Iran vor sich ging. Ich wusste lediglich, dass Persien weit weg war.
Ich hatte das Gefühl, das Krankhafte meines Lebens liege außerhalb meiner selbst. Am richtigen Ort, oder wenn ich die richtige Person treffen würde, den richtigen Lehrer, müsste eine Heilung möglich sein. Wonach ich auch suchte, alles lag außerhalb von mir, denn ich besaß weder die Fähigkeit, noch wurde ich ermutigt, in mir drinnen zu suchen.
Im Iran wurde es immer schwieriger, den Deckel über den unverarbeiteten Themen des Krieges und der Gewalt in mir geschlossen zu halten. Die persische Geheimpolizei konnte in eine Familie eindringen und jede männliche Person über sechzehn abführen und ohne Verurteilung für zehn Jahre ins Gefängnis stecken. Ich sah, wie dies alltäglich geschah. Und ich reagierte auf die einzige Art, mit der ich vertraut war: mit Wut und Gewalt. Wenn ein Taxifahrer 15 Cent zuviel verlangte, war meine Reaktion, sein Taxi mit bloßen Händen zu traktieren. Ich lieferte mich weiterhin Risiken aus. Das tat ich in der Hoffnung zu sterben, denn ich hielt es nicht mehr aus, mit all dem, was in mir vor sich ging, weiterzuleben.
Eines Nachts tauchte die persische Polizei bei mir auf und nahm mich mit. Sie befragten mich zehn Tage lang und versuchten mich dazu zu bringen, ein Geständnis als Spion zu unterzeichnen. Während dem Verhör brachen sie mir vier Rippen auf der einen Seite, fünf Rippen auf der anderen. Sie brachen meine beiden Wangenknochen, verletzten meine Milz, und so wurde ich auf die Strasse geworfen. Ich überlebte, obwohl ich nicht wollte. Als Resultat wurde ich noch gewalttätiger und landete zwei weitere Male im Gefängnis.
Ich habe keine Ahnung, wie es in meinem Leben zur Wende kam. 1990 saß ich eingeschlossen in meinem Haus und war voller Angst, das Haus zu verlassen. Menschliche Gesellschaft ertrug ich nicht mehr. Wenn ich draußen spazierte und ein Flugzeug vorbeiflog, duckte ich mich und sah ganze Baumreihen in die Luft fliegen, junge Vietnamesen von ihren Dörfern wegrennen, mit brennender Haut und unfähig, die Flammen an ihren Körpern zu ersticken. Ich betrat ein Lebensmittelgeschäft, doch ich war unfähig, eine Gemüsebüchse aus dem Regal zu nehmen, denn ich befürchtete, es sei eine Mine. Ich wusste, dass es nicht so war, doch plötzlich waren diese Gefühle da, und diesmal rannte ich nicht weg. Um diese Gefühle zu transformieren, musste ich ihre Realität aushalten lernen.
Durch eine Frau, die mir sehr geholfen hat, eine Sozialarbeiterin aus Cambridge, Massachusetts, hörte ich erstmals vom Zen-Lehrer Thich Nhat Hanh. In ihrer Feinfühligkeit erwähnte sie diesen Zen-Mönch, der mit einigem Erfolg Vietnamveteranen hatte helfen können. Sie sagte nicht, dass er selber Vietnamese war. Und ich sagte ja ja ja, war aber nicht bereit, etwas zu tun.
Sechs Monate später hörte ich von einem Retreat für Vietnamveteranen, das von demselben Mann abgehalten würde. Diesmal rief ich an. Nicht weil ich wollte, sondern weil in meinem Leben nichts mehr funktionierte. Ich wusste nicht, was mir hätte helfen können, doch ich suchte eine Veränderung. So ging ich zu diesem Retreat. Mir graute davor, doch ich ging hin.
Ich war geübt, Schrecken zu durchleben, ohne etwas davon zu spüren. Ein Teil meiner militärischen Schulung bestand darin, in kleinen Gruppen von vier bis fünf Personen zu operieren. Wir wurden abgeworfen, um Informationen zu sammeln, Leute umzubringen und zu zerstören. Wenn während einer solchen Aktion einer von uns verletzt wurde, mussten wir ihn selber umbringen, denn er hätte alles verlangsamt. Ich wusste mich gegen den Eindruck des Schreckens abzuschirmen. Im Helikopter sitzend, sah ich Leuchtgeschosse auf mich zukommen, glühend und groß, und ich wusste, dass auf ein solches Geschoss sicher noch fünf weitere unterwegs waren. Ich habe gelernt, die Angst zu verleugnen und einfach vorwärts zu gehen.
So kam ich zu diesem Retreat. Ich setzte mich in die vorderste Reihe, da ich es nicht aushielt zu wissen, dass noch andere Leute da waren. Der vietnamesische Mönch kam herein, setzte sich, und ich begann zu weinen. Als er sich setzte, realisierte ich, dass ich Vietnamesen nur als Feinde kannte. Sie waren der Feind, und solange sie es waren, wusste ich nicht, wie ich irgendwem sonst in der Welt anders als feindlich hätte begegnen können. Jeder war mein Feind.
Eines der ersten Dinge, die dieser Mönch sagte, war: "Ihr Veteranen seid das Licht am oberen Ende der Kerze. Ihr brennt heiß. Durch eure Erfahrung tragt ihr die Fähigkeit in euch, die Welt zu transformieren. Ihr könnt die Gewalt transformieren, den Hass transformieren und die Verzweiflung. Ihr müsst sprechen." Und er sagte: "Ihr Nichtveteranen müsst zuhören, denn die Veteranen verdienen es, von euch verstanden zu werden. Um jemanden zu verstehen, müsst ihr euch in seine Haut versetzen."
Wann immer ich in meinem Leben versucht hatte, darüber zu reden, gingen die Leute weg. Sie sagten stets: "In meiner Beziehung zu dir werde ich mit Teilen von mir konfrontiert, die ich nicht sehen möchte. Und ich mag nicht, dass du mich an das erinnerst, was ich an mir nicht sehen will."
Thich Nhat Hanh sagte, dass die Nichtveteranen für den Krieg mehr Verantwortung tragen als die Veteranen. Ich weiß um die Wahrheit dieser Aussage. Er hat Dinge ausgesprochen, die ich schon immer wusste. Seit Kriegsende haben sich über 50.000 Veteranen, junge Männer und Frauen, das Leben genommen. Im Krieg fielen 57.693 Amerikaner im Kampf. Ich bin mir sicher, dass in jeder Gruppe Obdachloser, die einem auf der Strasse begegnet, ein oder zwei Veteranen sind. Und viele endeten im Gefängnis. Wir Veteranen wurden zu Randfiguren.
Ich wusste nicht was tun. Nach dem Retreat ging ich zu Schwester Chân Không, Thich Nhat Hanhs Assistentin. Ich wollte einiges wieder gutmachen für das Töten. Aber ich hatte den Mut nicht, es anzusprechen. Alles, was ich hervorbrachte, war: "Ich möchte wieder zurück nach Vietnam gehen." Sie lächelte und erwiderte: "Komm zuerst nach Plum Village, lass es zu, dass wir dir helfen." Ich sagte, dass ich mir eine solche Reise nicht leisten könne, und sie meinte: "Wir besorgen dein Ticket." Und das sollte mein Feind sein? Nie hat mir jemand in meinem Land diese Möglichkeit gegeben.
Plum Village ist Thich Nhat Hanhs Retreat-Zentrum in Frankreich. Vietnamesische Buddhisten aus der ganzen Welt wie auch westliche Studenten gehen dorthin. Plum Village ist in einen oberen und einen unteren Bereich aufgeteilt. Die meisten Vietnamesen leben im unteren Teil. Als ich ankam, eröffnete mir Schwester Chân Không, dass ich dort leben werde.
Da war ich nun, völlig fassungslos, in einer Gemeinschaft von 400 Vietnamesen. Wo immer ich mich hinwandte, stets kam eine neue Erinnerung an den Krieg in mir hoch. Ich konnte nicht hart genug arbeiten, mich nicht genug ablenken, um diesen Erinnerungen zu entfliehen. Ich wollte mit jemandem sprechen, ging auf einen Mönch oder eine Nonne zu, versuchte zu erklären, was vor sich ging, und sagte, "Ich sehe eine junge Vietnamesin in traditioneller Kleidung und das erinnert mich, wie ich schießend in ein Dorf renne und verantwortlich werde für den Tod von dreißig, vierzig Menschen." So begann ich zu reden, und diese Mönche und Nonnen antworteten: "Die Vergangenheit liegt in der Vergangenheit. Es gibt nur den gegenwärtigen Moment."
Durch meine Schuldgefühle angetrieben wusste ich nicht, wie damit umgehen. Lange sagte ich nichts, bis ich eines Tages wieder über den Krieg sprach und ein Mönch mir dieselbe Antwort gab. Da drehte ich mich wütend um und sagte: "Die Vergangenheit ist für mich nicht Vergangenheit. Sie ist im jetzigen Moment und sie ist hässlich. Ich hasse sie." Ich sprach darüber mit Schwester Chân Không und sie sagte, dass die Information, die mir gegeben wurde, zwar korrekt, aber nicht vollständig sei. Sie sagte: "Ja, die Vergangenheit ist in der Vergangenheit, aber wenn du intensiv im gegenwärtigen Moment lebst, sind Vergangenheit und Zukunft mit enthalten. Du brauchst lediglich mit ihnen zu leben wie mit einem stillen Gewässer." Tatsächlich war das alles, was ich benötigte. Ich ging weg und lebte mein Leben.
Letzten Frühling kehrte ich nach Plum Village zurück. Der Prozess wurde nicht einfacher, nur subtiler. Noch und noch wurde ich mit mir selber konfrontiert. Ich wurde zum Opfer, doch ich kann nicht in der Position des Opfers weiterleben. Ich brauche Heilung, Transformation. Ich weiß nicht, wie dieser Prozess vor sich geht. Ich weis nur, dass ich den Ideen, denen ich mein Leben lang unterworfen war, gegenübertreten muss.
Als Teil seiner Lehre stellt Thich Nhat Hanh einige Regeln auf. Ich möchte mit einer dieser fünf Regeln enden: Im Bewusstsein des Leidens, das durch die Zerstörung von Leben entsteht, verspreche ich, mitfühlend zu sein und zu lernen, das Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen zu schützen. Ich bin entschlossen, nicht zu töten und es nicht zuzulassen, dass andere töten. Kein Akt der Zerstörung soll meiner Aufmerksamkeit entgehen, sei es in meinen Gedanken oder meiner Lebensweise.