Hans-Günter Wagner, Shanghai
China: Fa-Lun-Gong-Bewegung
kriminalisiert
Die Behörden waren ratlos. Mit solchen
Demonstranten hatte niemand gerechnet. Alte Frauen mit abgewetzten Wollstrickjacken,
Rentner mit blauer Mao-Mütze, Familien mit Kindern - keiner wusste
woher so viele so unvermittelt gekommen waren. Chinesen aus fast allen
Teilen des Landes belagerten urplötz-lich zu Zehntausenden das Pekinger
Regie-rungsviertel Zhongnanhai, wo die Partei- und Staatsgrößen
ihren Wohn- und Arbeitssitz haben. Einfach sitzend und schweigend, ohne
Transparente zu schwenken oder Parolen zu skandieren harrten sie bis in
die Nacht aus. Am 27. April erlebte China die größte Demonstrati-on
seit dem Tiananmen-Massaker vor 10 Jahren.
Die Fa-Lun-Gong-Bewegung
Doch diesmal waren es weder revoltierende
Studenten noch unzufriedene Bauern, die ihren Protest vortrugen. Es waren
Anhänger der von Li Hongzhi gegründeten Fa-Lun-Gong-Bewegung,
die sich versammelt hatten, um stillen Protest gegen Behördenschikane
zu erheben und um Religionsfreiheit einzufordern. Das Fa-Lun-Gong ist eine
der so zahlreichen chinesischen Qi-Gong-Schulen und kann seit der Gründung
vor einigen Jahren auf einen beachtliche Schar von Anhängern zurückbli-cken,
die selbst nach Behördenschätzung bei mindestens zwei Millionen
Menschen liegt. Li Hongzhi vermischt in seiner Übungslehre buddhistische,
taoistische und konfuzianische Elemente miteinander. Ziel der Übungen
des Großen Rades der Lehre (Falun Dafa) ist die Kultivierung des
Selbst durch Wahrhaftigkeit, Gutherzigkeit und Nachsicht sowie durch eine
Reihe von Meditations- und Bewegungsübungen, die den Praktizierenden
zum Heilen von Krankheiten befähigen sollen. Li Hongzhi stellt den
Übenden auch das Erlangen paranormaler Fähigkeiten wie das Sehen
in andere Zeiten und Welträume sowie die Öffnung des Himmelsauges
in Aussicht. In seinem auch auf Deutsch erschienenem Buch Der chinesische
Fa-Lun-Gong rechnet Li sein Qi-Gong der buddhistischen Qi-Gong-Schule zu,
unterscheidet seine Übungslehre jedoch vom Buddhismus als religiöser
Praxis. Die Verwendung buddhistischer Symbole und die vielen in der Öffentlichkeit
zirkulierenden Bilder, die Li Hongzhi in einem gelben Glitzergewand auf
einer Lotusblüte sitzend zeigen, sollen offensichtlich Nähe zum
Dharma demonstrieren. Der wachsende Strom von Anhänger, zu dem auch
viele Mitglieder der kommunistischen Partei und auch hohe Funktionäre
zählten, rührte schon seit längerem das Missbehagen der
Machthaber auf. Als dann Anfang des Jahres Artikel in Shandonger Zeitungen
erschienen, die Fa-Lun-Gong als primitiven Aberglauben geißelten
und seine Praxis als unvereinbar mit Parteimitglied-schaft und der Tätigkeit
in staatlichen Institutionen erklärten, setzte eine Diskriminierungskampagne
ein, die im Verprügeln von Übenden durch Sicherheitsorgane gipfelte.
Organisiert über das informelle Netz Tausender lokaler Übungsgruppen
und -stützpunkte waren die Menschen - normal wie Normalbürger
nur sein können - in die Hauptstadt gekommen, um Schutz vor Übergriffen
und staatliche Schutz-garantien zu verlangen. Während Zehntausende
in jener kalten Pekinger Aprilnacht ausharrten, verhandelten ihre Führer
drinnen mit hohen Politikern, dem Vernehmen nach sogar mit Ministerpräsident
Zhu Rongji. Nachts um zehn hieß es, man habe die geforderten Garantien
bekommen und die Menschenmasse löste sich vor den Augen der ratlosen
Polizei- und Sicherheitskräfte so reibungslos und unmerklich auf,
wie sie sich gebildet hatte.
Die Staatsmacht schlägt zurück
Der vermeintliche Friede hielt nicht lange
vor. Schockiert und verunsichert durch den unheim-lichen Aufmarsch schmiedeten
die Staatsorgane ihre Gegenstrategie. Anfang Juni wurden alle Anhänger
Li Hongzhis in einer öffentli-chen Erklärung verwarnt, jede Provokation
und Störung der öffentlichen Ordnung zu unterlas-sen und die
restriktiven staatlichen Vorschriften zur Religionsausübung bedingungslos
zu akzeptieren. Am 23. Juli schließlich folgte das staatliche Verbot
des Prakizierens von Fa-Lun-Gong, am 29. Juli der Haftbefehl gegen Li Hongzhi,
der sich inzwischen in die USA abge-setzt hatte. Fa-Lun-Gong - so hieß
es in der überall verbreiteten Verbotserklärung - sei primitiver
Aberglaube, unwissenschaftlich, untergrabe die öffentliche Ordnung
und gefährde die Gesundheit der Bürger. (In dieser Reihenfolge).
Jeder der es öffentlich praktiziere oder zu seiner Verbreitung in
Wort oder Schrift beitrage, mache sich strafbar und werde erbarmungslos
zur Rechenschaft gezogen. Dem Verbot folgt eine beispiellose Medienkampagne
im Stile einstiger, längst vergessener, lär-mender Kampagnen
zur Kritik an Beethoven und Konfuzius. Bilder weinender Mütter und
klagender Väter, deren Kinder durch die Praxis des Großen Rades
in den Selbstmord getrieben worden seien, flimmerten täglich über
den Bildschirm. Die Polizei öffnete ihre Archive und heraus kamen
Berichte von Fa-Lun-Anhängern, die Mord und Selbstmord auf dem Gewissen
hatten. So der Fall eines jungen Mannes aus Chengde (Provinz Hebei), der
sich nach einigen Übungskursen im Fa-Lun-Qi-Gong als ein Buddha wähnte
und seine eigenen Eltern mit einer Axt erschlug, weil er in ihnen finstere
Dämonen sah. Berichte erschütterter Familienangehöriger
füllten die Zeitungsspalten, die von schwer erkrankten Eltern, Kindern
und Geschwistern berichtet, die im Vertrauen auf Fa-Lun-Gong und den erleuchteten
Meister Li jede ärztliche Behandlung ablehnten und starben. Untermauert
wurden solche Berichte und Enthüllungen durch Reuebekenntnisse ehemaliger
Anhänger und Stützpunktleiter, für die quasi über Nacht
aus weiß schwarz gewor-den war. Vertreter naturwissenschaftlicher
und philosophischer Fakultäten skandierten mit Analysen über
die schändliche Metaphysik sowie die antimaterialistischen Grundlagen
des Fa-Lun-Gong. Rechtsvertreter begründeten die Rechtmäßigkeit
des Verbots mit dem schlichten Verweis, dass die Religionsfreiheit die
Verbreitung von Aberglauben nicht ein-schlösse. Außerdem sei
die Fa-Lun-Gong-Bewegung keine zugelassene Religionsgemein-schaft, sondern
eine Organisation zur Aus-übung der “Körperertüchtigungslehre”
Qigong und unterstehe damit dem allchinesischen Sportverband. Und dieser
sei den Grundsätzen der modernen Wissenschaft verpflichtet. Mit einigen
Tagen Verzögerung stimmte am 2. August schließlich auch die
offizielle Buddhis-tische Gesellschaft China in den Chor der offiziellen
Verdammer mit ein. Die Vereini-gung habe schon lange vor den Irrlehren
Li Hongzhis gewarnt und sich mehrfach den Zorn von Fa-Lun-Gong-Anhängern
zugezogen, so der Vorsitzende Zhao Puchu.
Aus Funken können Steppenbrände
entstehen
Überzogene Heilsversprechungen, das
Kokettieren mit übernatürlichen Kräften, die traditio-nelle
Gläubigkeit vieler Chinesen in Heilsbringer und Verehrungsgottheiten
sowie die Verbreitung tantrischer Praktiken als Massen-ware, die sonst
nur an einen kleinen Kreis gut vorbereiteter Adepten weitergegeben werden,
dürften dabei einiges Unheil angerichtet und eine Menge Missverständnisse
verursacht haben. So etwa der tödliche Irrtum jenes Mannes, von dem
die Zeitungen berichteten, dass er in einem Akt von Besessenheit seinen
Bauch aufschlitzte, um das Fa-Lun-Rad mit sich drehenden Hakenkreuzen und
Taiji-Zeichen zu suchen, dass Meister Li in seinen Körper einzupflanzen
versprochen hatte, damit es ihn auch dann schütze, wenn er nicht praktiziere.
Solche Auswüchse sind aber kaum die treibende Kraft des nun verhängten
Verbots. Was die Machthaber erschreckte, war vielmehr der friedliche Graswurzel-Protest
so vieler Men-schen. Aus solchen Funken, können Steppen-brände
entstehen, so die unausgesprochene Furcht. Es wäre auch nicht das
erste Mal in China, dass eine religiöse Bewegung in eine Massenbewegung
umschlägt, die dann auch politische Forderungen stellt. Den Machthabern
hat das Bild der Taiping-Rebellen des letzten Jahrhunderts vielleicht ebenso
vor Augen gestanden wie die Rolle der Kirche im Wider-stand gegen das einstige
DDR-Regime. Trotz hoher Wachstumsraten gärt in der chinesischen Gesellschaft
die Unzufriedenheit. Es ist nicht nur die immer größere Schere
zwischen Arm und Reich sowie Armut und hohe Arbeitslosigkeit, welche die
Menschen bedrücken. Es ist ebenso die Orientierungslosigkeit eines
Lebens zwischen utopischer Ernüchterung, gewaltsamen Bruch mit der
Tradition und einem westli-chen Yuppie-Lebensstil als aktuell gepriesenem
Modernisierungsideal. Wer heute nach Lebensorientierungen jenseits des
staatlich Reglemen-tierten sucht, macht sich in dieser Gesellschaft verdächtig,
denn er stellt damit die brüchige Legitimationsbasis des Regimes in
Frage. Jede religiöse Bewegung, die sich dem allgegenwärtigen
Konformitätsdruck nicht beugt, wird so zum Opfer staatlicher Repression.
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