Leseprobe aus BuddhaNetz-Info 8, Herbst 1999
für BuddhaNetz-Info von Hans-Günter
Wagner, Shanghai:
China: Fa-Lun-Gong-Bewegung kriminalisiert
Die Behörden waren ratlos. Mit solchen Demonstranten hatte niemand
gerechnet. Alte Frauen mit abgewetzten Wollstrickjacken, Rentner mit blauer
Mao-Mütze, Familien mit Kindern - keiner wusste woher so viele so
unvermittelt gekommen waren. Chinesen aus fast allen Teilen des Landes
belagerten urplötzlich zu Zehntausenden das Pekinger Regierungsviertel
Zhongnanhai, wo die Partei- und Staatsgrößen ihren Wohn- und
Arbeitssitz haben. Einfach sitzend und schweigend, ohne Transparente zu
schwenken oder Parolen zu skandieren harrten sie bis in die Nacht aus.
Am 27. April erlebte China die größte Demonstrati-on seit dem
Tiananmen-Massaker vor 10 Jahren.
Die Fa-Lun-Gong-Bewegung
Doch diesmal waren es weder revoltierende Studenten noch unzufriedene Bauern,
die ihren Protest vortrugen. Es waren Anhänger der von Li Hongzhi
gegründeten Fa-Lun-Gong-Bewegung, die sich versammelt hatten, um stillen
Protest gegen Behördenschikane zu erheben und um Religionsfreiheit
einzufordern. Das Fa-Lun-Gong ist eine der so zahlreichen chinesischen
Qi-Gong-Schulen und kann seit der Gründung vor einigen Jahren auf
einen beachtliche Schar von Anhängern zurück-blicken, die selbst
nach Behördenschätzung bei mindestens zwei Millionen Menschen
liegt. Li Hongzhi vermischt in seiner Übungslehre buddhistische, taoistische
und konfuzianische Elemente miteinander. Ziel der Übungen des Großen
Rades der Lehre (Falun Dafa) ist die Kultivierung des Selbst durch Wahrhaftigkeit,
Gutherzigkeit und Nachsicht sowie durch eine Reihe von Meditations- und
Bewegungsübungen, die den Praktizierenden zum Heilen von Krankheiten
befähigen sollen. Li Hongzhi stellt den Übenden auch das Erlangen
paranormaler Fähigkeiten wie das Sehen in andere Zeiten und Welträume
sowie die Öffnung des Himmelsauges in Aussicht. In seinem auch auf
Deutsch erschienenem Buch Der chinesische Fa-Lun-Gong rechnet Li sein Qi-Gong
der buddhistischen Qi-Gong-Schule zu, unterscheidet seine Übungslehre
jedoch vom Buddhismus als religiöser Praxis. Die Verwendung buddhisti-scher
Symbole und die vielen in der Öffent-lichkeit zirkulierenden Bilder,
die Li Hongzhi in einem gelben Glitzergewand auf einer Lo-tusblüte
sitzend zeigen, sollen offensichtlich Nähe zum Dharma demonstrieren.
Der wachsende Strom von Anhänger, zu dem auch viele Mitglieder der
kommunistischen Partei und auch hohe Funktionäre zählten, rührte
schon seit längerem das Missbehagen der Machthaber auf. Als dann Anfang
des Jahres Artikel in Shandonger Zeitungen erschienen, die Fa-Lun-Gong
als primitiven Aberglauben geißelten und seine Praxis als unvereinbar
mit Parteimitgliedschaft und der Tätigkeit in staatlichen Institu-tionen
erklärten, setzte eine Diskriminierungskampagne ein, die im Verprügeln
von Übenden durch Sicherheitsorgane gipfelte. Organisiert über
das informelle Netz Tausender lokaler Übungsgruppen und -stützpunkte
waren die Menschen - normal wie Normalbürger nur sein können
- in die Hauptstadt gekommen, um Schutz vor Übergriffen und staatliche
Schutz-garantien zu verlangen. Während Zehntausende in jener kalten
Pekinger Aprilnacht ausharrten, verhandelten ihre Führer drinnen mit
hohen Politikern, dem Vernehmen nach sogar mit Ministerpräsident Zhu
Rongji. Nachts um zehn hieß es, man habe die geforderten Garantien
bekommen und die Menschenmasse löste sich vor den Augen der ratlosen
Polizei- und Sicherheitskräfte so reibungslos und unmerklich auf,
wie sie sich gebildet hatte.
Die Staatsmacht schlägt zurück
Der vermeintliche Friede hielt nicht lange vor. Schockiert und verunsichert
durch den un-heimlichen Aufmarsch schmiedeten die Staatsorgane ihre Gegenstrategie.
Anfang Juni wurden alle Anhänger Li Hongzhis in einer öffent-lichen
Erklärung verwarnt, jede Provokation und Störung der öffentlichen
Ordnung zu unterlassen und die restriktiven staatlichen Vorschriften zur
Religionsausübung bedingungslos zu akzeptieren. Am 23. Juli schließlich
folgte das staatliche Verbot des Prakizierens von Fa-Lun-Gong, am 29. Juli
der Haftbefehl gegen Li Hongzhi, der sich inzwischen in die USA abgesetzt
hatte. Fa-Lun-Gong - so hieß es in der überall verbreiteten
Verbotserklärung - sei primitiver Aberglaube, unwissenschaftlich,
untergrabe die öffentliche Ordnung und gefährde die Gesundheit
der Bürger. (In dieser Reihenfolge). Jeder der es öffentlich
praktiziere oder zu seiner Verbreitung in Wort oder Schrift beitrage, mache
sich strafbar und werde erbar-mungslos zur Rechenschaft gezogen. Dem Verbot
folgt eine beispiellose Medienkampa-gne im Stile einstiger, längst
vergessener, lärmender Kampagnen zur Kritik an Beethoven und Konfuzius.
Bilder weinender Mütter und klagender Väter, deren Kinder durch
die Praxis des Großen Rades in den Selbstmord getrieben worden seien,
flimmerten täglich über den Bildschirm. Die Polizei öffnete
ihre Archive und heraus kamen Berichte von Fa-Lun-Anhängern, die Mord
und Selbstmord auf dem Gewissen hatten. So der Fall eines jungen Mannes
aus Chengde (Provinz Hebei), der sich nach einigen Übungskursen im
Fa-Lun-Qi-Gong als ein Buddha wähnte und seine eigenen Eltern mit
einer Axt erschlug, weil er in ihnen finstere Dämonen sah. Berichte
erschütterter Familienangehöriger füllten die Zeitungsspalten,
die von schwer erkrankten Eltern, Kindern und Geschwistern berichtet, die
im Vertrauen auf Fa-Lun-Gong und den erleuchteten Meister Li jede ärztliche
Behandlung ablehnten und starben. Untermauert wurden solche Berichte und
Enthüllungen durch Reuebekenntnisse ehemaliger Anhänger und Stützpunktleiter,
für die quasi über Nacht aus weiß schwarz geworden war.
Vertreter naturwissenschaftlicher und philosophischer Fakultäten skandierten
mit Analysen über die schändliche Metaphysik sowie die anti-materialistischen
Grundlagen des Fa-Lun-Gong. Rechtsvertreter begründeten die Rechtmäßigkeit
des Verbots mit dem schlichten Verweis, dass die Religionsfreiheit die
Verbreitung von Aberglauben nicht ein-schlösse. Außerdem sei
die Fa-Lun-Gong-Bewegung keine zugelassene Religionsgemein-schaft, sondern
eine Organisation zur Ausübung der “Körperertüchtigungslehre”
Qigong und unterstehe damit dem allchinesischen Sportverband. Und dieser
sei den Grundsätzen der modernen Wissenschaft verpflichtet. Mit einigen
Tagen Verzögerung stimmte am 2. August schließlich auch die
offizielle Buddhistische Gesellschaft China in den Chor der offiziellen
Verdammer mit ein. Die Vereinigung habe schon lange vor den Irrlehren Li
Hongzhis gewarnt und sich mehrfach den Zorn von Fa-Lun-Gong-Anhängern
zugezogen, so der Vorsitzende Zhao Puchu.
Aus Funken können Steppenbrände entstehen
Überzogene Heilsversprechungen, das Koket-tieren mit übernatürlichen
Kräften, die traditio-nelle Gläubigkeit vieler Chinesen in Heilsbrin-ger
und Verehrungsgottheiten sowie die Verbreitung tantrischer Praktiken als
Massenware, die sonst nur an einen kleinen Kreis gut vorbereiteter Adepten
weitergegeben werden, dürften dabei einiges Unheil angerichtet und
eine Menge Missverständnisse verursacht haben. So etwa der tödliche
Irrtum jenes Mannes, von dem die Zeitungen berichteten, dass er in einem
Akt von Besessenheit seinen Bauch aufschlitz-te, um das Fa-Lun-Rad mit
sich drehenden Hakenkreuzen und Taiji-Zeichen zu suchen, dass Meister Li
in seinen Körper einzupflanzen versprochen hatte, damit es ihn auch
dann schütze, wenn er nicht praktiziere. Solche Auswüchse sind
aber kaum die treibende Kraft des nun verhängten Verbots. Was die
Machtha-ber erschreckte, war vielmehr der friedliche Graswurzel-Protest
so vieler Menschen. Aus solchen Funken, können Steppenbrände
entste-hen, so die unausgesprochene Furcht. Es wäre auch nicht das
erste Mal in China, dass eine religiöse Bewegung in eine Massenbewegung
umschlägt, die dann auch politische Forderun-gen stellt. Den Machthabern
hat das Bild der Taiping-Rebellen des letzten Jahrhunderts vielleicht ebenso
vor Augen gestanden wie die Rolle der Kirche im Widerstand gegen das einstige
DDR-Regime. Trotz hoher Wachstumsraten gärt in der chinesischen Gesellschaft
die Unzufriedenheit. Es ist nicht nur die immer größere Schere
zwischen Arm und Reich sowie Armut und hohe Arbeitslosigkeit, welche die
Menschen bedrücken. Es ist ebenso die Orientierungslosigkeit eines
Lebens zwischen utopischer Ernüchterung, gewaltsamen Bruch mit der
Tradition und einem westlichen Yuppie-Lebensstil als aktuell gepriesenem
Modernisierungsideal. Wer heute nach Lebensorientierungen jenseits des
staatlich Reglementierten sucht, macht sich in dieser Gesellschaft verdächtig,
denn er stellt damit die brüchige Legitimationsbasis des Regimes in
Frage. Jede religiöse Bewegung, die sich dem allgegenwärtigen
Konformitätsdruck nicht beugt, wird so zum Opfer staatlicher Repression.
für BuddhaNetz-Info von Hans-Günter
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