Erörterungstermin zur Thermoselect-Anlage

Über sechs Tage erörterten Einwenderinnen und Einwender in der Hanauer Stadthalle den Antrag zur Errichtung einer thermischen Abfallbehandlungsanlage nach dem Thermoselect-Verfahren. Sechs Tage lang wiesen die Einwenderinnen und Einwender den Fachleuten der Antragstellerin und der Entsorgungs- und Verwertungs-GmbH als Antragstellerin eins ums andere Mal nach, dass die Antragsunterlagen schlampig erstellt, unvollständig und widersprüchlich eingereicht waren.
Werner Gottstein, profunder Kenner nicht nur der Unterlagen zur geplanten Hanauer Anlage, sondern auch mit den Unterlagen in Karlsruhe und Ansbach befasst, wies zusammen mit dem Anwalt der Bürgerinitiativen Thomas Eichhorn immer wieder auf Falschaussagen hin. Auffällig war, dass anfangs überhebliche Zurückweisungen bei Fragen und ausweichende Antworten von Antragstellerseite den Verhandlungsfortgang erschwerten. Erst nachdem der souveräne Verhandlungsleiter des Regierungspräsidiums, Herr Roth, diese darauf hinwies, dass bei allzu beharrlichem Ausweichen logischerweise primär die Argumente der Einwenderinnen und Einwender berücksichtigt werden könnten, änderten die Antragsteller die Strategie.

Als Strategie kristallisierte sich schließlich heraus, dass immer wenn die Fragen der Einwenderinnen und Einwender wunde Punkte berührten, und derer gab es unzählige, der Anwalt der Antragstellerin eingriff und sich wortreich zu den Mindestanforderungen der 17. BImschV (Bundesimmissionsschutzverordnung) zu Wort meldete. Die Folge war, dass von den vollmundigen Ankündigungen im Vorfeld nichts, aber auch gar nichts im Erörterungstermin Bestand hatte:
Wagen wir einen Rückblick: im Vorfeld wurde den Bürgerinnen und Bürgern die Thermoselect-Anlage dargestellt als quasi Luftverbesserungsanlage, jedenfalls frei von schädlichen Stoffen. Der Erörterungstermin machte deutlich, dass 75 % der Werte der 17. BImschV beantragt wurden, und damit höhere Emissionen zu erwarten sind als bei der größeren Anlage in Karlsruhe. Pipas Seifenblase geplatzt.

Häufig dargestellt wurde seitens der MKK-Verantwortlichen, dass nur Müll aus dem Main-Kinzig-Kreis verbrannt werden solle, einen Verbund mit dem Umlandverband oder der FES in Frankfurt wurde als schädlicher Mülltourismus gegeißelt. Im Erörterungstermin wurde deutlich, dass jetzt schon im Main-Kinzig-Kreis weniger als die geplanten 90.000 Tonnen Müll pro Jahr anfallen. Prof. Dr. Stahlberg gab unumwunden zu, dass ein Verbund mit weiteren Thermoselct-Anlagen-Standorten erfolge. Im Klartext heißt dies, dass Müll "mengenneutral" (also vorerst nicht mehr als 90.000 Tonnen) zwischen Karlsruhe, Ansbach, Herten, dem Bodenseekreis und wer weiß noch wo zirkulieren kann, wenn es in einzelnen Anlagen zu Störungen kommt (und die gehören wie man seit dem Probebetrieb in Karlsruhe weiß, wohl bei Thermoselect dazu). Für diesen Mülltourismus hat man ein schöneres Wort gefunden, es ist es jedoch nicht wert, zitiert zu werden, richtiger ist, dass das Versprechen Mülltourismus zu vermeiden wie eine Seifenblase geplatzt ist.
Kann sich noch jemand daran erinnern, dass die Thermoselect-Anlage angeblich Müll in Stoffe umwandelt, die problemlos zu verwerten sind? Die Behauptung stand weiter, auf konkrete Nachfrage konnte jedoch nicht ein einziger Verwertungsnachweis erbracht werden. Konkrete Aussagen seien erst möglich, wenn die Anlage laufe, die Belastungswerte ermittelt und die Produkte analysiert seien. Die Einwenderinnen und Einwender wiesen nach, dass erhebliche Belastungen bei den ach so tollen "Produkten" auftreten können und seitens Thermoselect blieb als konkrete Aussage stehen, das ggf. die "Produkte" als Versatz im Bergbau verwendet werden können. Angesichts der vollmundigen Versprechungen blieb den Einwenderinnen und Einwendern regelrecht die Luft weg, als die Verwertungsmöglichkeiten, von Pipa war im Vorfeld quasi für jedes Gramm Reststoff angeblich schon ein Abnehmer gefunden, wie Seifenblasen platzten.

Waren laut Aussagen der Experten der Antragstellerin die "Produkte" erst bestimmbar, wenn die Müllfracht genau spezifiziert worden ist, so erschien dies weniger nötig, bei der Ermittlung von In-put und Output-Rechnungen. Einseitig wurde die Zusammensetzung der glasartigen Schlacke präsentiert, Aussagen, wo denn die gefährlichen Reststoffe abgelagert oder ausgetragen werden, blieben die Experten schuldig. Konkret wurde von dem Experten der Einwenderinnen und Einwender, Herrn Dr. Ketelhut, der Nachweis erbracht, dass das Verfahren zu einer Aufkonzentration von Schwermetallen führen könne. Die dünne Replik der Antragstellerin war, dass man genügend Erfahrung habe, dies ausschließen zu können. Den Nachweis, woher die Erfahrung kommen sollte, blieb Prof. Dr. Stahlberg jedoch schuldig, denn während der geringen Laufzeit der Anlage in Verbania konnten solche "Erfahrungen" kaum gewonnen werden. Bei diesem Punkt unterlief dem Anwalt der Antragstellerin der Fehler, dass er darstellte, bei einer Aufkonzentrierung von Schadstoffen würden diese dann ausgeschleust. Er konnte die Ausführungen logisch nachvollziehen und hat sicher auch den richtigen Schluss gezogen, leider sieht das die Anlagenbetreiberin und das Verfahren nicht vor, so dass die Befürchtung nicht ausgeräumt werden konnte, dass nach einer gewissen Laufzeit hohe Schadstofffrachten die Umwelt belasten werden. Die Seifenblase, mit Thermoselect könnten die physikal-schen Gesetze außer Kraft gesetzt werden: geplatzt.

Den Nachweis schuldig blieben die Experten auch angesichts den Fragen von Herrn Dipl. Ing. Fischer, welche Mengen an Blausäure in der Anlage entstehen und wo sie die Anlage verlassen. Weder konnten die Modellrechnungen widerlegt noch der Nachweis der Zerstörung von Blausäure erbracht werden, so dass seitens der Genehmigungsbehörde hier - wie schon an anderen Stellen - akuter Nachbesserungsbedarf gesehen wurde. Der Nachweis der Ungefährlichkeit konnte im Verfahren nicht erbracht werden - die nächste Seifenblase ist geplatzt. Im Vorfeld wurden solche Bedenken als "Panikmache" bezeichnet und in den Bereich der Fabel verwiesen, dankenswerterweise werden sie von der Genehmigungsbehörde ernst genommen.
Laut Gutachten und Darstellungen in den Antragsunterlagen können sich die Hanauer glücklich schätzen, fast in einem Kurort zu wohnen. Die Experten der Antragstellerin konnten feststellen, dass die Vorbelastung in Hanau sehr gering und mit einem Reinluftgebiet vergleichbar sei. Dr. Büchen, von der Hessischen Landesanstalt für Umwelt bestätigte zwar, dass Hanau im lufthygienisch belasteten Raum liege, laut HLfU werden in Hanau auch immer wieder hessische Spitzenbelastungen für Schwefeldioxid gemessen, die Stickoxidbelastung ist ebenfalls hoch, doch dies ficht die Antragstellerin nicht an. Die Reduzierung der Schadstoffe, die z. B. von Bürgerinitiativen in mühevoller Arbeit erreicht wurde (Forderung nach Entstickung und Entschwefelung beim Kraftwerk Staudinger, Reduzierung der Dioxinbelastung in Hanau, Reduzierung der Belastungen durch die Atomfabriken etc.) wurden zum Anlass genommen, einen neuen Emittenten als akzeptabel anzusehen. Zusatzbelastungen wurden zwar nicht negiert, jedoch als hinzunehmen bezeichnet. Das Märchen, dass es keine Zusatzbelastungen gäbe, platzte ebenfalls wie eine Seifenblase, denn nicht die Versprechungen im Vorfeld, sondern die Grenzwerte der 17. BImschV, der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und die MAK-Werte (Maximale Arbeitsplatzkonzentration) diktieren, welche Belastungen die HanauerInnen ertragen sollen, die Vorbelastungen können nur grob erfasst werden, auf Allergien, Unverträglichkeiten, Krankheitsbilder kann keine Rück-sicht genommen werden, wer krank wird, obwohl die Emissionen unter den Grenzwerten liegen, der ist selber schuld.
Hinzunehmen weil irrelevant sind auch Geruchsbelästigung in 2 % der Jah-resstunden, also an 90 Stunden im Jahr, die Menschen im Gewerbegebiet haben gar an 15 % der Jahresstunden Gerüche zu ertragen. Unberücksichtigt blieb dabei, ob andere Geruchsbelästigungen z. B. durch andere Betriebe zusätzlich auftreten. Dabei wurde nur vom Normalbetrieb ausgegangen, Störereignisse blieben weitgehend unberücksichtigt. Vielen dürfte die Anlage im wahrsten Sinne des Wortes bald "stinken", der Nachweis, dass dies ausgeschlossen wird, konnte nicht erbracht werden, im Gegenteil der Gutachter wies unumwunden darauf hin: "Das hat man zu ertragen". Die Seifenblase, dass keine Belästigungen von der Anlage ausgehen können: geplatzt!

Permanent lernten auch die Einwenderinnen und Einwender hinzu. Sowohl seitens des Anwaltes der Bürgerinitiativen als auch seitens der Stadt Hanau, die zusätzlich mit den Experten Dr. Burdof und Frau Dr. Albrecht vertreten war, wurde auf die mangelnde Betrachtung von Störfällen hingewiesen. Auch der in vielen Erörterungsterminen gestählte Stadtverordnete Elmar Diez wies der Antragstellerin nach, das viele Szenarien fehlten. Empörung löste die Aussage eines Sachverständigen des Regierungs-präsidiums aus, es sei vernünftigerweise auszuschließen, dass zwei unabhängige Störungen auftreten könnten. Diese Einschätzung teilten die EinwenderInnen keineswegs. Die Folge dieses Vorge-hens war jedoch, dass es in der Anlage kaum zu Störfällen, sondern nur zu Stö-rungen kommen kann. Die Stadtverordnete Angelika Gunkel merkte dazu an, dass wohl weniger die größten anzunehmenden Unfälle ein Problem darstellten, weil diese immer gut beherrscht würden, als vielmehr die "größten nicht anzunehmenden Unfälle". Diese werden einfach nicht betrachtet, nicht in der Sicherheitsanalyse berücksichtigt, weil sie "vernünftigerweise" als unwahrscheinlich einzustufen sind. Offensichtlich können größere Störfälle nur deshalb nicht eintreten, weil nicht sein kann was nicht sein darf, doch auch diese Seifenblase ist noch während des Erörterungstermins geplatzt.

Eine Kostprobe der Vertrauenswürdigkeit hinsichtlich der "vernünftigerweise als unwahrscheinlich einzustufenden und daher nicht zu betrachtenden" Störungen oder Störfälle" ergab sich am sechsten Tag des Erörterungstermins beim Tagesordnungspunkt Geruchsbelästigung. Auf eine Meldung aus Karlsruhe, aus der dortigen Anlage sei gelber, übelriechender Qualm ausgetreten, machte Prof. Dr. Stahlberg ziemlich heftig deutlich, dass dies unter keinen Umständen erfolgen könne. Er wurde aufgefordert den Sachverhalt zu klären und musste nach einem Anruf - wohl in Karlsruhe - zugeben, dass die Meldung zuträfe, die Sauerstoffleitung urplötzlich Stickstoff in den Hochtemperaturreaktor geleitet habe und daher über einen Kamin Stickstoffdioxid ausgetreten sei. Natürlich sei dies eigentlich nicht möglich, warum in der Leitung das falsche Gas war, werde erst ermittelt. Da es sich hierbei augenscheinlich um eine "vernünftigerweise nicht anzunehmende Störung" (ob Störfall ist noch nicht ganz klar) handelte, erneuerten die EinwenderInnen ihre Forderung, Störfälle und Szenarien genauer zu analysieren und zu betrachten. Die Annahme, nur wenige, gut beherrschbare Störungen könnten auftreten, erwies sich als irrig - Seifenblase geplatzt.

Diese Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Während des Erörterungstermins platzte eine Seifenblase nach der anderen, stellten sich die vollmundigen Versprechungen als leere Worthülsen heraus. Als hätte er es geahnt, ließ sich der politisch Verantwortliche, Dezernent Pipa, nur zu Beginn des Termins kurz blicken und ablichten, unbequemen Fragen, die während des Termins immer wieder gestellt wurden, stellte er sich nicht. Dies galt übrigens für alle 80 Kreistagsabgeordneten, die sich angeblich nicht irren konnten. Der Termin hätte Gelegenheit geboten, sich sachkundig zu machen, dies geschah wohlweislich nicht - die Verantwortlichen waren wohl nicht gewillt, sich in ihrer Meinung durch Fakten beeinflussen zu lassen - schade.

Die Einwenderinnen und Einwender wurden in ihren Befürchtungen bestärkt, Zweifel wurden keineswegs ausgeräumt, so dass nur der Schluss bleibt, dass vernünftigerweise eine Müllverbrennungsanlage nach dem Thermoselect-Verfahren in Hanau nicht gebaut werden sollte - geht nach Karlsruhe und übt erst mal. 



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