Wir dokumentieren diese Bemühungen durch einen in der "neuen
hanauer zeitung" 1993 erschienen Artikel von BUG-Mitglied Horst Gunkel,
damals Sprecher der Grünen-Fraktion in der Regionalen Planungsversammlung
Südhessen.
In der Planungshierarschie ganz oben steht dabei der RROP, der Regionale Raumordnungsplan, der (in Hessen) auf der Ebene der Regierungsbezirke festgelegt und (theoretisch) alle fünf Jahre fortgeschrieben wird. Nach einer Übereinkunft von CDU und SPD wird diesmal jedoch vom Planungshorizont 2010 ausgegangen, d.h. der Plan soll "genügend Gestaltungraum auch für Wirtschaftsförderungsmaßnahmen zu Beginn des neuen Jahrtausends eröffnen". Tausendjährige Planung hat in Deutschland Tradition.
Sehen wir uns diese Chance der BügerInnenbeteiligung im Detail an. Wir gehen dabei von einer wahren Begebenheit bei der Erstellung des letzten RROPS im Jahre 1985 aus. Lieschen Müller (Name geändert) entdeckt bei der Einsichtnahme in den RROP-Entwurf in ihrem Heimatort Großauheim zwei Dinge, die ihr gar nicht behagen: erstens ist die Waldwiese, dort wo ihre Kinder noch Drachen steigen lassen können, als "Siedlungsfläche Zuwachs" ausgewiesen. Zweitens soll der Bahnhof von Großauheim verlegt werden, nämlich aus der Ortslage heraus und zur Waldwiese. Also schreibt Lieschen M. zwei Einwände und sendet sie zum Regierungspräsidenten (RP). Einige Zeit später erhält sie ein Schreiben vom RP, wo der Eingang ihrer Bedenken bestätigt wird, und eine Prüfung zugesichert wird. Sie wird in dieser Sache nie wieder etwas vom Regierungspräsidenten hören.
Die Stellungnahme der Verkehrsabteilung lautet (sinngemäß gekürzt) folgendermaßen: Die Einwendung ist gegenstandslos. Die DB hat ihr Ansinnen, den Bahnhof Großauheim auf die Waldwiese zu verlegen, aufgegeben. Also bleibt der Bahnhof, wo er ist. Die Stellungnahme der Siedlungsabteilung lautet: Der Einwand wird zurückgewiesen. Siedlungsgebiete sollen im Einzugsbereich Öffentlicher Verkehrsmittel ausgewiesen werden; da der Bahnhof Großauheim auf die Waldwiese verlegt wird, eignet sich dieser Standort in besonderem Maße für eine Besiedlung. Dies ist keine Satire, dies ist so geschehen.
Aber nicht nur die beiden Einwände von Lieschen M., sondern auch noch weitere 5092 Einwände wurden vom RP bearbeitet und an die Mitglieder der RPV gesendet, auf daß sich die Planungsversammlung in Gestalt ihrer Ausschüsse damit auseinandersetze. Im November 1985 trat der Haupt- und Planungsausschuß (HPA) der RPV zusammen. Er sollte über etwa 2800 an ihn überwiesene Anträge entscheiden. Die Sitzung dauerte 15 Minuten. CDU und SPD stellten beide fest, daß die Beratungen in ihren Fraktionen noch andauern würden. Man vertagte sich auf Dezember. Die Dezembersitzung war etwas peinlich, denn beide große Fraktionen verwiesen darauf, daß die Beratungen in den Fraktionen noch andauern würden... Daraufhin einigten sich die Berufskommunalpolitiker aus SPD und CDU, sich Ende Januar zu einer Arbeitswoche "interfraktionell" zusammenzusetzen. Selbstverständlich könne dazu auch je einE VertreterIn der anderen Fraktionen kommen, die müßten sich dann eben für diese Zeit Urlaub nehmen...
Im Februar kam es zu einer neuen Ausschußrunde. So trat auch der HPA zusammen, an den ja 2800 Drucksachen überwiesen worden waren. Ich hatte eine Liste mit den Drucksachennummern erstellt, zu denen wir noch Diskussionsbedarf hätten, und hatte diese dem Ausschußvorsitzenden, dem Spezialdemokrat Dr. Keller, übergeben. Keller stellte fest, daß diese Liste recht umfangreich sei, und er schlug vor, nicht über diese Themen zu diskutieren, sondern nur das Einigungspapier der interfraktionellen Runde abzustimmen. Im übrigen könne zu den einzelnen Drucksachen ja noch im Plenum diskutiert werden. Die Sitzung, die sich u.a. mit den 2800 Drucksachen zu befassen hatte, dauerte so ganze 12 Minuten.
Da traf der Parlamentsvorsitzende, der Spezialdemokrat Thomin genau den richtigen Ton, als er folgenden Antrag (wörtlich) stellte: "Alle hier heute seitens der GRÜNEN vorgelegten Anträge, und alle Anträge, die die GRÜNEN heute hier vielleicht noch vorlegen werden, sind abgelehnt." Der Antrag wurde mit über 80% Ja-Stimmen angenommen.
Ich wollte ob dieses spezialdemokratischen Verfahrens eine persönliche Erklärung abgeben, kam jedoch über die Anrede nicht heraus. Bereits nach dem achten Wort verwies mich der Präsident des Hauses. Ich hatte meine Rede begonnen mit "Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Volkskammerpräsident!"
Die Entscheidung des Gerichtes war jedoch von äußerster Weisheit. Unser Sieg hätte bedeutet, daß der RROPS, da rechtsfehlerhaft zustande gekommen, ungültig ist. Also lag für das Gericht nichts näher, als seinerseits ein deutlich rechtsfehlerhaftes Urteil zu fällen, die Berufung vor dem OVG ausdrücklich zuzulassen und damit den Schwarzen Peter ans OVG weiterzugeben. Das Urteil hatte - verkürzt dargestellt - folgenden Inhalt: 1. die Beratungen im Parlament wurden versagt, 2. interfraktionelle Absprachen sind erlaubt, dürfen aber parlamentarische Absprachen nicht ersetzen, 3. da das Parlament hätte diskutieren können, war alles in Ordnung, 4. wir empfehlen den Klägern, in die Berufung zu gehen.
Von ähnlicher Weisheit getragen ist das Verhalten des OVG in Kassel. Es hat in der seit 1986 anhängigen Sache bis heute nicht entschieden, ja noch nicht einmal einen Termin angesetzt.
Erst wenn eines Tages, in vielen Jahren, ein Antrag bezüglich einer Raumnutzung kommt, wird auf den RROPS verwiesen. Sollte es sich beim Antragsteller beispielsweise um einen Konzern wie RWE handeln, der einen neuen Kraftwerksstandort sucht, läßt sich dies über ein sog. Abweichungsverfahren machen. Sollte hingegen eine Gruppe junger Leute es vorziehen, in Bauwägen zu wohnen, statt der Obdachlosigkeit anheimzufallen, dann wird sich jede Obrigkeit auf den "normativen Charakter des RROPS" berufen können. Das ist bekanntlich die Sache mit der Gleichheit und den etwas Gleicheren.
Daneben ist der RROP jedoch auch der Plan, an dem sich formal höhere Instanzen, also z.B. eine Bundesplanung orientieren muß. So hat sich z.B. der Bundesverkehrswegeplan an die einzelnen RROPs zu halten. Natürlich fragt daher der RP, bevor er einen Planentwurf fertigt, bei allen in Frage kommenden Bundes- und Landesbehörden sowie bei den Gemeinden und Kreisen an, was man sich dort planerisch so vorstellt, um dies in einen Interessenausgleich aufzunehmen, und ggfs. im Planentwurf zu berücksichtigen. Das nennt man das Gegenstromprinzip.
Im einzelnen regelt der RROP die raumordnerische Konzeption (Entwicklung der Siedlungsstruktur, Zentrale Orte, Wohnsiedlungsentwicklung, Standorte für Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen), Landschaftspflege und Naturschutz (incl. Regionale Grünzüge, freizuhaltende Flächen, Erholungsgebiete, Bodenschutz), Gewässerschutz (incl. Grundwasserschutz, Wasserversorgung, Abwasserbehandlung und Abflußregelung), Immissionsschutz, Abfallwirtschaft, Verkehr, Energieversorgung, Fremdenverkehr, Land- und Forstwirtschaft, Nachrichtenverkehr und Militärflächen - mithin alles, was eine nennenswerte räumliche Dimension hat.
Der RP zeigte demgegenüber auf, daß die besagten Städte weit mehr Zuwachsflächen zur Verfügung gestellt bekämen, als diese erfahrungsgemäß überhaupt beplanen können. Dennoch verweigerten SPCDFDU die Zustimmung zum Planentwurf, so daß sich der (SPD-)RP kurioserweise nur noch auf die GRÜNEN-Stimmen und die DGB-Stellungnahme stützen konnte. Im Mai schließlich beschloß die SPCDFPU-Mehrheit die Offenlegung eines um gut 30% Beton vermehrten RROPS. Regierungspräsident Dr. Daum: "Dies ist nicht mehr mein Plan."
Damit ist der Plan aber noch nicht rechtskräftig. Vielmehr fehlen noch genau vier Schritte bis zur Rechtskraft:
Wer Einwände macht und sicherstellen will, daß es ihm/ihr nicht geht wie Lieschen M., sendet eine Kopie ans ÖkoBüro (Stichwort: RROP).
Neben diesem Weg besteht natürlich auch die Möglichkeit, Gemeindevertreter bzw. Stadtverordnete anzusprechen und zu überzeugen, damit die Chance besteht, daß die eigene Vorstellung in den Willen des Kommunalparlaments Eingang findet.
Ebenfalls aufgrund einer Intervention des Hess. Ministers für Landesentwicklung, Jordan, werden die Zahlen "Fläche Gewerbe" von vier Kommunen um insgesamt 196 Hektar nach oben verändert. Hiervon entfallen allein 80 ha auf eine Gemeinde im Main-Kinzig-Kreis: Schlüchtern. Die Vorlage des RP (Az: VII 52a-93d 38/03 - 3 G) führt hierzu wörtlich aus: "Schlüchtern + 80 ha - zur Deckung an GI-Flächen für Betriebe, die aufgrund ihrer Emissionen im Verdichtungsraum keinen Standort finden bzw. deshalb verlagert werden müssen."
Werden dadurch wenigstens im strukturschwachen Raum Arbeitsplätze geschaffen, die gut mit dem ÖPNV zu erreichen sind, Industrieanlagen mit Schienenanschluß, wie steht doch auf S. 46 der Begründung des RROPS: "Hierdurch soll dem drohenden Verkehrsinfarkt begegnet und darüber hinaus ein Beitrag zur Einsparung von Energie und zur Verbesserung der Umweltbilanz geleistet werden." Denkste! Der Industriestandort liegt genau an der im Bau befindlichen Autobahnabfahrt Schlüchtern und konterkariert damit die offizielle hessische Verkehrspolitik. Aber vielleicht ist ja der Begründungsteil des RROPS doch eher Makulatur und hessische Realpolitik sieht so aus:
Ende 1992 treffen sich Jordan und ranghohe SPD-Funktionäre aus Wiesbaden, Hanau und Schlüchtern (darunter sollen sich Minister Jordan und der damalige Schlüchterner SPD-Bürgermeister Schott sowie der Birsteiner Unternehmer Bien) befunden haben. Nach einer Besichtigung des Geländes, das sich zum großen Teil im Besitz Biens befindet, habe Jordan die Zusage gemacht, hier ein großes Industriegebiet auszuweisen, woraufhin sich eine Vermarktungs-GmbH gegründet haben soll: Gesellschafter seien Bien und Schott. Über Beraterverträge und Provisionen ist nichts bekannt geworden.
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