Workshop „Nachhaltige Stadtentwicklung“

aus ÖkoInfo Nr. 26, Sommer 2000
Einen Workshop „Nachhaltige Stadtentwicklung“ veranstaltet das ÖkoBüro für Daheimgebliebene am Samstag, dem 15. Juli von 10.00 – 16.00 Uhr im ÖkoBüro Hanau, Auwanneweg 72.

Vorgestellt werden zunächst am Beispiel der Städte Rotterdam, Bamberg und Heidelberg, welche Schritte unternommen werden können, um zu einer nachhaltigen und patizipativen Stadtentwicklung zu gelangen. Über Agenda-21-Aktivitäten der Stadt Bamberg wurde im ÖkoInfo bereits berichtet. Leitlinien und Überlegungen zur Stadtentwicklung in Rotterdam, einer Stadt in einer Verdichtungsregion stellen wir hier vor (Autor: Burkhard Rausch). Mit einem kurzen Rückblick über die Stadterneuerungspolitik in Rotterdam unter starker Einbeziehung der Bevölkerung und aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf Beachtung der Zielsetzungen der Agenda 21.

Im Workshop sollen die Beispiele zunächst als Anhaltspunkte dienen, nachhaltige Stadtentwicklung zu definieren. Anschließend sollen Wege und Kriterien für eine  „Nachhaltige Stadtentwicklung“ in Hanau und in der Rhein-Main-Region erarbeitet werden. Der Workshop ist kostenfrei, Anmeldung jedoch nötig bis 11. Juli 2000 unter: ÖkoBüro Hanau, Auwanneweg 72, 63457 Hanau, Tel.: 06181-53139, FAX: 06181-573975 oder OekoBuero.Hanau@T-Online.de. Über eine Nachricht aller am Thema Interessierten, die zum geplanten Termin verhindert sind, würden wir uns freuen und in die weiteren Planungen einbeziehen.
 

Rotterdam – Stadtgestaltung, Stadterneuerung und nachhaltige Stadtentwicklung

Wer sich in Rotterdam auf die Suche nach Informationen zum Thema „Stadterneuerung, nachhaltige Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung“ macht, landet sicher beim Amt für Stadtplanung und Wohnungswesen.  Joep Boute, ein Mitar-beiter des Amtes für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, stellt gern und engagiert die wesentliche Ziele der Stadtentwicklung und Stadterneuerung in Rotterdam vor:

Rotterdam, nach Amsterdam die zweitgrößte Stadt der Niederlande, hat etwa 600.000 Einwohner und liegt in einer Verdichtungsregion. 1999 gab es ungefähr 260.000 Arbeitsplätze in Stadt und Hafen. Ein sehr großer Teil des Grund und Bo-dens ist Eigentum der Stadt (ca. 60 %), die traditionsgemäß schon immer „Großgrundbesitzer“ war. Die Kommune verkauft Grundstücke im allgemeinen nicht, sondern vergibt sie in Erbpacht. So behält sie das juristische Eigentum und damit auch einen entscheidenden Trumpf für zukünftige Erneuerungsprozesse.

Seit Beginn der Rotterdamer Stadterneuerungsstrategie 1974 entstanden in den innerstädtischen Altbauquartieren ca. 60.000 Wohnungen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus, größtenteils durch Renovierung von ehemaligen privaten Mietwohnungen und Neubau in Baulücken, vor allem auf ehemaligen Industrie- und Hafenstandorten (Feijenoord, Noordereiland), weitgehend unter Beteiligung der Bevölkerung in den Quartieren. Obwohl die aktive Stadterneuerung nun schon 25 Jahre andauert und auch weil sich die Verwaltungsstruktur und die Ziele der Stadterneuerung in den letzten Jah-ren verändert haben,  kann von einem Abschluß der Erneuerungsmaßnahmen keine Rede sein. In Rotterdam wird bewusst von „Abrundung“ der Planungen und nicht von „Abschluss“ gesprochen, um die Kontinuität des Erneuerungsprozesses deutlich zu machen.

In Stadtteilen wie dem „Oude Westen“ oder „Feijenoord“ finden immer noch Veränderungen statt, obwohl diese Stadtteile bereits als Vorzeigeobjekte für eine gelungene Stadterneuerung dienen. Die Or-ganisations- und Entscheidungsstrukturen der Stadterneuerung begünstigen Bürgerbeteiligung und integrierte Planung. Bis Mitte der 80er Jahre wurde in den Stadterneuerungsgebieten Projektgruppen eingesetzt, in denen Beamte aller am integralen Prozeß der Stadterneuerung beteiligten Ämter der Stadtverwaltung und Bewohnerorganisation gleichberechtigt vertreten waren. Mitte der 80er Jahre wurden die stadtteilgebundenen Wohnungsbaugesellschaften als dritter Part-ner in die Projektgruppe aufgenommen, wodurch eine Zusammenarbeit von drei „Parteien“ auf Stadtteilebene entstand: Stadtverwaltung, Bewohnerorganisation und - soziale Vermieter.

Die in Rotterdam tätigen Wohnungsbaugesellschaften haben die Verpflichtung, die ihnen übertragenen Wohnungen mit staatlichen Subventionen zu verbessern oder durch neue Sozialwohnungen zu ersetzen, sie verwalteten Ende 1999 ca. 140.000 Wohnungen in Abstimmung mit den BewohnerInnen.

Seit 1988 besteht auch auf gesamtstädti-scher Ebene eine Zusammenarbeit zwischen den eben erwähnten drei Parteien. In diesem Gremium, dem „Coalitie Overleg Rotterdamse Stadsvernieuwing“ (CORS), wird über allgemeine Ziele, Problemlösungen und unterschiedliche Interessen beraten. Außerdem werden ge-meinsame Konzepte entwickelt. Das CORS berät zudem den Stadtsenat.

Die gesamtstädtischen Planungen sind Aufgabe des Amtes für Stadtplanung und Wohnungswesen, das alle Planungen der Projektgruppen erfasst, an denen auch die Bürgerinnen und Bürger beteiligt sind.

Ende der 80er Jahre entschied sich der Rotterdamer Senat zu einer Neuorientierung in der Stadterneuerungspolitik, die in engem Kontext mit den Anstrengungen zur Revitalisierung der Gesamtstadt stand. Die Ziele sind in einem politischen Rahmenplan, der sogenannten nota „Erneuerung der Stadterneuerung“, festgelegt und lautet „Bauen für die Stadt“. Damit soll dem teueren Wohnungsbau und der Zusammenarbeit mit privaten Investoren mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die Stadt auch wieder für die mittleren und höheren Einkommensgrup-pen attraktiv zu machen. Die Stadt strebt  einen kontinuierlichen Erneuerungsprozess an, der von allen gesellschaftlichen Gruppen finanziell und mitverantwortlich getragen wird, da sie immer mehr kommunale Geldmittel für die Bewältigung der hohen Arbeitslosigkeit und vielfältiger sozialer Probleme einer stark multikulturell geprägten Bewohnerstruktur aufzubringen sind.
Pflege und Verwaltung des öffentlichen Raumes vor, während und nach den Stadterneuerungsmaßnahmen hat eine große Bedeutung. Dies ist nicht zuletzt auf die Kritik der Bevölkerung am Vandalismus, der unzureichenden Pflege und der sozialen Unsicherheit im öffentlichen Raum zurückzuführen.

Umweltpolitische Ziele finden seit den Gesprächen zur Agenda 21 im Jahre 1992 in hohem Maße Eingang in die Stadterneuerungspolitik. Hohe Normen für Schallschutz und Wärmeisolierungen bestimmten schon länger den Qualitätsstandard der Wohnungen. Recycling von Baumaterialien, Nichtverwendung von tropischen Hölzern und eine sorgfältige Bodensanierung kamen hinzu. Heute ent-stehen viele Wohnungen in der Stadt aus diesem Bewußtsein heraus unter dem Begriff „nachhaltiges Bauen“. Wer nachhaltig im Sinne der Agenda 21 baut, erhält dafür Prämien.
Seit 1992 wandelt sich die Form der Verwaltung in Rotterdam und damit auch die Struktur der Bürgerbeteiligung. 1994 wurde die Stadt nach dem Dezentralisierungskonzept des Senats in elf neue Bezirke untergliedert, welche Teilaufgaben der Kommunalpolitik und der Stadtverwaltung übernommen haben. An die stelle von Projektgruppen traten Quartiersgruppen für „beheer“, die den politischen Gremien der Stadtbezirke unterstellt sind. „Beheer“ bedeutet soviel wie die Instandhaltung eines Gebietes im weitesten Sinne. „Beheer“ wird nicht so sehr von materiellen Maßnahmen bestimmt, sondern vor allem als sozialer Prozeß gesehen, der die Mitverantwortlichkeit der Bewohner für ihren Stadtteil stimulieren soll. In diesen Quartiersgruppen „Beheer“ arbeiten unter Vorsitz eines Koordinators der Stadtverwaltung verschiedene Institutionen auf Quartiersebe-ne zusammen: Bewohnerorganisation, Vereinigungen von Ladenbesitzern und Gewerbebetrieben, Wohnungsbaugesellschaften, Schulen und Sozialeinrichtungen, Polizei, Müllabfuhr sowie Straßen- und Gartenamt, außerdem werden die Projektleitung für Stadterneuerungsprojekte sowie Vertreter des Stadt-, Verkehrsplanungs- und Bauaufsichtsamtes nach Bedarf hinzugezogen.

Oberste Priorität der Stadtpolitik ist die Pflege und Erhaltung der Wohn- und Lebensbedingungen im Quartier (Stadtteilbeheer). Dafür sorgen die Quartiersgruppen.
Angestrebt wird, dass in der Stadt alle Facetten des städtischen Lebens zur Entfaltung kommen: eine Stadt mit ungeteiltem Stadtzentrum, infrastrukturelle Anbindung von Konversionsflächen (hier alte Hafengebiete) an das alte Stadtzentrum; qualitativ hochwertige Wohnungen für mittlere und obere Einkommensgruppen. In der Stadtmitte entsteht ein funktionales Mischgebiet hinsichtlich einkaufen, woh-nen und arbeiten, Jobs und Einkaufsmöglichkeiten für alle gesellschaftlichen Gruppen, die in und um dieses Gebiet herum leben werden geschaffen. Ziel der städtebaulichen und sozialen Entwicklung ist  eine Gesamtstadt, in der man wohnt, arbeitet, konsumiert und sich erholt. Die Stadt soll für alle Bevölkerungsgruppen Lebensqualität durch Verbesserungs-maßnahmen bezüglich der materiellen, baulich-räumlichen Struktur, der Gebäude sowie des öffentlichen Raumes bieten. Und nicht zuletzt soll jeder - unabhängig von Einkommen, Herkunft und Lebensstil oder Nationalität - in der Stadt willkommen sein.

Unter diesem Tenor haben Stadtverwaltung und BürgerInnen in Rotterdam sieben Zielbegriffe formuliert, welche die neue Stadterneuerungspolitik charakterisieren:

  1. 1. Verbindung von Stadt und Hafen (alte Hafenflächen werden neu genutzt)
  2. 2. Lebenswertes Stadtviertel (Begrünung, kulturelle Einrichtungen, soziale Integration etc.),
  3. 3. Grüngebiete erweitern (Parks),
  4. 4. Büroviertel (steigende Anzahl von Arbeitsplätzen im tertiären Sektor ),
  5. 5. Infrastruktur ausbauen ( Brücken, Straßen, öffentlicher Nahverkehr, damit alle neuen Stadtgebiete zügig erreichbar sind ),
  6. 6. Wirtschaftliche Entwicklung,
  7. 7. neue attraktive Wohngebiete von hohem Wohnwert schaffen.
Stadt und Bevölkerung treten in einen ständigen Dialog und setzen sich über Ziele und Wege der Stadtentwicklung auseinander. Ideenpool, frühzeitige Einbeziehung in Planungen mittels der vielen „Buurtwinkel“ (Bürgerladen – nicht zu verwechseln mit Stadtladen, denn Bürgerläden dienen zum Informationsaustausch der Bewohnerinnen und Bewohner in den einzelnen Stadtteilen und sind feste Einrichtungen), Orientierung an der Charta von Ahlborg und Einbeziehung der Ziele und Empfehlungen der Agenda 21 sind fester Bestandteil der Politik in Rotterdam.
Burkhard Rausch
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