ich lebe in Wien und gehöre der Schule einer koreanischen Meisterin an. Weltfrieden spielt in unserer Sangha eine große Rolle; so machen wir alle schon seit längerem als Teil unserer täglichen Mantrapraxis 1.000 Extramantras für dieses Anliegen. Im August wurde die "world-peace-bell" vor unserem Haupttempel in Hawaii eingeweiht, die jeden Tag einmal ertönt.
Als Beitrag zur genannten Rubrik habe ich keine offiziellen Stellungnahme anzubieten, sondern die Beobachtungen und Reflexionen eines Bekannten von mir (Österreicher), der als Chemiker schon seit einigen Jahren in Connecticut lebt. Gestern schrieb er mir eine E-mail, aus der ich folgenden Teil herauskopiert habe:
Mich erinnert die derzeitige Stimmung in den USA sehr an Österreich-Ungarn
im Frühsommer 1914. Es gab ein schlimmes Attentat, die lokalen Behörden
können bzw. wollen nicht entschieden gegen die Attentäter vorgehen,
die angegriffene Großmacht plant einen Rachefeldzug, der offiziell
als eine Art Polizeiaktion dargestellt wird, die Regierung ist kriegsgeil,
die
Bevölkerung auch oder wird von den Zeitungen dazu gebracht, der
"Patriotismus" wird auf die Spitze getrieben, es gibt Kriegsanleihen zu
zeichnen (soll bald kommen) usw. Andere haben die Reaktion der US-Regierung
auf die Attentate schon mit der Reaktion des Deutschen Reichs auf den Brand
des Reichstagsgebäudes verglichen. Nun, dass die Amerikaner die Attentate
selber gemacht hätten, glaubt hoffentlich keiner, ich ganz sicher
nicht, aber dass Bush und seine Kumpanen die Chance beim Schopf ergreifen
werden, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, das werden wir leider
alle erleben müssen.
Mehr Geld fürs Militär, mehr Überwachung und Polizeistaat,
noch mehr arrogante Großmachtpolitik ? la Elefant im Porzellanladen
usw. Die Kriegsgeilheit der Amerikaner und die Hetze der Medien in diese
Richtung sind erschreckend. Ein Kollege von mir, ein christlicher gebürtiger
Pakistani, der jetzt die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, hat
gestern beim Mittagessen eine interessante rhetorische Frage gestellt.
"Nehmen wir mal an, rein hypothetisch, Osama bin Laden und sein Führungsstab
würden in einen Polizeiposten in Kabul marschieren, sich verhaften
lassen und um ihre Auslieferung in die USA ersuchen, um hier vor Gericht
zu stehen. Wäret ihr Amerikaner nicht enttäuscht darüber,
dass euch dann kein guter Grund mehr
für einen Revanchebombenangriff zur Verfügung steht?" Betretenes
Schweigen, dann böse Angriffe auf den Fragesteller, aber im Prinzip
haben dann einer nach dem anderen alle zugegeben, dass sie eigentlich "Rache"
wollen, auch wenn sie von "Justiz und Gerechtigkeit" reden. Und das war
eine Gruppe von Juristen. Die weniger gebildeten Durchschnittsbürger,
vor allem die jüngeren, die den Vietnamkrieg nicht bewusst erlebt
haben, sind noch viel kriegsbegeisterter.
Jetzt reden amerikanische Militärexperten im Fernsehen davon, die
Regierungen, die Terroristen unterstützen, auslöschen zu wollen.
Afghanistan, Iran, Irak, Sudan, Libyen. Diese Liste erfinde nicht ich hier,
das wurde am CNN oder CNBC Nachrichtensender jetzt gerade so gebracht.
Ich möchte nur an drei Tatsachen erinnern. Erstens, die letzte Supermacht,
die
versucht hat, in Afghanistan einzumarschieren und dort eine ihnen genehme
Regierung an die Macht zu bringen, hat sich dabei nicht leicht getan. Zweitens,
Osama bin Laden wurde von den Amerikanern kräftig unterstützt,
solange er gegen die Sowjets gekämpft hat. Drittens, in Vietnam haben
die Amerikaner 10 mal so viele Vietnamesen getötet als sie eigene
Verluste gehabt haben. Wer hat den Krieg verloren? Das Rachebedürfnis
der Amis ist verständlich, was mich und viele andere Europäer
in der Firma aufregt, ist der Heiligenschein, den die Amerikaner ihrer
Rache aufsetzen wollen. Wenn jetzt manche Moslems Freudenfeste feiern,
weil die WTO-Türme eingestürzt sind, so ist das moralisch genauso
viel oder genauso wenig verständlich wie die Feiern der Amerikaner,
als damals zivile Ziele in Bagdad von amerikanischen Bomben zerstört
wurden. Wir Ausländer in der Firma waren uns ziemlich einig, dass
man religiöse Fanatiker nicht dadurch abschrecken kann, dass man einige
von ihnen tötet, das macht nur alle anderen noch radikaler. Das sieht
man doch am Beispiel Israel gegen die Palästinenser. "Wenn man Sicherheit
dadurch erreichen könnte, dass man Terroristen tötet, dann wäre
Israel das sicherste Land der Welt." (national public radio, 15. September)
Heute zu Mittag hat CNN begonnen, ein Interview mit General Clark, dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber, zu senden. Er hatte gerade begonnen, darüber zu reden, dass die Russen zwar Kabul unter ihre Kontrolle bringen konnten, aber damit noch lange nicht das ganze Afghanistan, als ihm das Wort abgeschnitten wurde, um auf ein relativ unwichtiges und vor allem nicht dringendes Detail bei den Aufräumungsarbeiten in New York umzuschalten. Ich hoffe, das war Zufall. Oder wird hier systematisch jeder zensuriert, der vor den Gefahren eines Krieges warnt, der so einfach nicht zu gewinnen sein wird, wie es sich viele vorstellen?
Ich fürchte ehrlich, dass die US-Gesellschaft als Konsequenz der
Attentate viel an zivilen Freiheiten verlieren wird, dass Überwachung
in allen Arten und Formen dramatisch zunehmen wird und wir alle hier bald
in einem Polizeistaat leben werden.
Und ich habe inmitten all der mir unverständlichen Sehnsucht nach
einem Krieg erstmals das Gefühl, hier wirklich ein Fremdkörper
zu sein, der vielleicht besser das Land verlassen sollte.
Kurt ist kein Buddhist, aber was er denkt, denken viele, vor allem allerdings außerhalb der USA. Wie er auch schreibt, ist eben auch nicht alles nur Schwarz-Weiß, aber gerade das scheinen die Amerikaner zu glauben. Irgendein karmischer Hintergrund muss zu diesen Attentaten geführt haben, und Dinge wie die Todesstrafe zeigen, dass das auch ein Land der unbegrenzten Ungerechtigkeiten sein kann (ohne dass ich irgendjemandem so eine Katastrophe vergönnen würde). Wenn den US-Bürgern diese Dinge mehr bewusst wären, würden sie nicht so laut nach Vergeltung schreien.
Unwissenheit ist so ein furchtbares Gift und die Wurzel vieler Leiden. Hoffentlich findet die Situation zu einer Lösung, bei der möglichst wenig Schaden angerichtet wird.
Liebe Grüße im Dharma
Judith Moser
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Terror