Goswin Baumhögger

Gedanken zum Krieg der USA gegen den Terrorismus

Die Ereignisse vom 11. 09. 2001 sind von beispielloser Unmenschlichkeit geprägt.

Dennoch : die sofortige Ankündigung eines militärischen Gegenschlags erschien mir kopflos und wenig überlegt. Ich meine immer noch, daß man ermitteln sollte, wer die Täter und welches ihre Motive waren. Dann erst wird sich herausarbeiten lassen, welche Maßnahmen "erforderlich" sind und wann sie eingeleitet werden können.

Ich habe auch nach der Rede George W. Bushs vor dem US-Kongreß am 20. 09. 2001 nicht den Eindruck, daß man wirklich weiß, wer die Täter sind. Die Argumentation der Taliban, die ben Laden nur dann ausliefern wollen, wenn der Beweis erbracht wird, daß er für die Katastrophe in New York als Täter oder Anstifter verantwortlich ist, ist keineswegs abwegig. Sie entspricht sogar rechtsstaatlichen Prinzipien, gegen die die USA, die sich als Vorkämpfer von Freiheit, Demokratie und Recht verstehen, nicht verstoßen sollten.

Man kann die Auslieferung ben Ladens vielleicht aufgrund früherer Verbrechen verlangen, muß dabei aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren.

Ich fürchte, daß hier ein schwacher Präsident nun genau das tut, was die Mehrheit seines Volkes aufgrund der traumatischen Ereignisse fordert, um sich als starker Mann zu profilieren. Den Beifall des Hauses hat er gefunden. Bush scheint die Auffassung zu vertreten, es müsse letzten Endes - auch - die Richtigen treffen, wenn man nur 10, 20 oder 30 Jahre lang den Terrorismus insgesamt bekämpft. Seine Behauptung, Gott könne hier nicht unparteiisch sein, zeugt weniger von grenzenloser Gerechtigkeit als von grenzenloser Überheblichkeit.

Wir haben eine Reihe schrecklicher Kriege erlebt, zuletzt den Golfkrieg und den Krieg im ehemaligen Jugoslawien (ungenau als Kossovo-Krieg bezeichnet). Der politische Erfolg dieser Kriege darf bezweifelt werden. Sie haben nicht dazu beigetragen, Haß und Gewalt in unserer Welt abzubauen. Es bedarf keiner weiteren Vertiefung, daß Gewalt immer Gegengewalt hervorruft; diese Logik ist ein Erfahrungssatz der gesamten Weltgeschichte. Der Buddha hat dies betont, und der Dalai Lama hat erneut darauf hingewiesen. Auch die von den USA immer wieder betonte christliche Einstellung müßte, wenn sie wirklich ernst genommen würde, Zurückhaltung gebieten.

Die Frage ist für mich immer noch, gegen wen die USA überhaupt Krieg führen wollen. Terroristen gibt es überall. Ein Vielfrontenkrieg ist problematisch, auch für eine Weltmacht. Wenn sich der Krieg gegen alle Staaten richtet, in denen der islamische Fundamentalismus das Sagen hat (und das wären praktisch alle Staaten von Marokko bis Indien und Indonesien), wird er unvorstellbare Ausmaße erreichen.

Der Terrorismus, dem der Krieg angesagt worden ist, besteht aus vielen, sehr unterschiedlichen Gruppen, die man - ich wiederhole das - erst einmal genau kennen und beobachten muß, bevor man zuschlägt. Es hat sich gezeigt, daß die vorliegenden Erkenntnisse nicht ausreichen, und daß die Fahndungsmethoden verbessert werden müssen. (Wenn das deutsche Strafgesetzbuch in diesem Zusammenhang um einen Paragraphen erweitert werden soll, darf man auf die konkrete Definition des Terrorismus-Tatbestandes gespannt sein.)

Umgekehrt muß man davon ausgehen, daß die Aktionen vom 11. 09. 2001 sehr genau geplant waren und nur das erste Glied in eine Reihe von Aktionen sein werden. Die Mentalität der Aktivisten dürfte uns weitgehend  fremd sein. Ihre Intelligenz sollte nicht unterschätzt werden. Vielleicht war genau diese Reaktion der USA ein Teil des Konzepts der Gegenseite.

Ein Krieg gegen die mit Hilfe der USA an die Macht gelangten Taliban und damit gegen  den Staat Afghanistan könnte für die USA ein neues Vietnam werden. Afghanistan ist eine kaum niederzuzwingende Bergfeste. Im übrigen ist der mittlere Osten ein Pulverfaß, so daß dieser Krieg unübersehbare Folgen haben kann. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß Indien und China versuchen werden, ihre nationalen Interessen bei dieser Gelegenheit durchzusetzen, und daß die weitere Existenz des Staates Pakistan ernsthaft gefährdet ist.

Die Völker Afghanistans haben unsäglich gelitten, unter dem westlichen Kolonialismus, unter einem mörderischen Bürgerkrieg, unter Dürre und Hungersnot und jetzt unter einer fundamentalistischen Regierung, die von den meisten nicht gewollt ist. Sie werden vor allem die Leidtragenden sein, nicht Usâma ben Laden und seine Anhänger, falls man ihrer überhaupt "habhaft" wird. Die Regeln des Kriegsvölkerrechts (das u. a. das Töten von Zivilisten verbietet) werden sich zweifellos nicht einhalten lassen.

Die menschliche Existenz kann im übrigen kein Kampf des Guten gegen das Böse sein. Es gibt nicht das Gute schlechthin als etwas Absolutes. Das Böse ist kein Faktor, der isoliert werden könnte. Ein Kreuzzug gegen das Böse wäre ein Kampf gegen Windmühlen. Die Existenz des Bösen ist eine Grundtatsache des Lebens und der Schöpfung. Wir müssen uns immer auch des Bösen in uns selbst, der Schatten bewußt bleiben, die für unser eigenes Verhalten mitbestimmend sind, und im Sinne einer Verantwortungsethik handeln. Der Maßstab dieses Handelns wird aber immer subjektiv sein. Meine Vorstellungen vom Guten kann ich nicht ungestraft auf andere übertragen ('Zwangsbeglückung'). Wir können nur hoffen, die Tendenz zum Bösen in uns selbst, in anderen Menschen und Völkern eindämmen zu können.
Der (m. E. untaugliche) Versuch, Gewalt und Terror durch den Einsatz von Soldaten und modernsten Kriegswaffen zu vernichten, wird zu einer Eskalation des Unfriedens führen - soviel ist klar. Er läßt wenig Hoffnung für die nächste Generation der Menschheit, für die Erde und für unsere gesamte Mitwelt aufkommen.

Aktionen gegen den Terrorismus, mit vertretbaren (polizeilichen und geheimdienstlichen) Mitteln, haben etwas für sich. Die  Staaten, die sich an derartigen Aktionen beteiligen, sollten aber auch die Ursachen für Haß, Rachsucht und Fanatisierung der anderen erkennen und dieser Erkenntnis gemäß verantwortlich handeln. Es wird eine wichtige Aufgabe der westlichen Länder, der USA und ihrer Hauptverbündeten, sein, etwas gegen die Ausbeutung der Dritten Welt, Armut, Hunger und Krankheit zu unternehmen, und zu beginnen, die aus dem Gefälle zwischen arm und reich hervorgehende Ungerechtigkeit zu beseitigen. Dies ist nicht nur ein Ausfluß der ohnehin nicht ernst genommenen (religiös oder philosophisch begründeten) Ethik, sondern bittere Notwendigkeit. Es wäre nämlich heute ohne weiteres eine Weltrevolution der Habenichtse möglich, die gegenüber ihren relativ wohlhabenden Mitmenschen immerhin zahlenmäßig die Mehrheit repräsentieren. Diese Menschen könnten sich mit Gewalt holen wollen, was ihnen als natürlicher bzw. gerechter Anteil an den Ressourcen dieser Welt "zusteht".

All dies können aber nur vorläufige Gedanken sein.

Goswin Baumhögger
21. 09. 2001



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