Ich wurde gebeten, etwas zur neuen Situation in der Welt zu sagen; den grausamen Terroranschlaegen in New York und Washington und den grausam klingenden Racheplänen der USA und Grossbritanniens.
Unzähliges - weises und weniger weises - wurde bereits darüber gedacht, gesagt, gedruckt und gesendet. Einiges von dem was ich gelesen habe, war auch wirklich weise, was mich sehr freut. So fühle ich mich ein wenig eigenartig, nun meinen eigenen Senf auch noch dazu geben zu müssen. Da ich aber mehrfach darum gebeten wurde, scheint es doch meine Aufgabe zu sein... Warum also nicht.
Ich nehme an, dass allen hier klar ist, wo das Problem in dieser Welt liegt, sei es im Zusammenhang mit der momentanen Krise oder mit anderen schwierigen Situationen.
Buddha brachte es auf den Punkt als er sagte: "Hass kann nie durch Hass besiegt werden. Durch Liebe allein wird Hass besiegt."
Das ist sicher offensichtlich für uns alle hier. Ganz klar ist
auch, dass diese Aussage einfach klingt, es aber gar nicht leicht ist,
sie in die Praxis und ins Leben umzusetzen. Nicht leicht, auch mit viel
einfacheren Dingen als Terrorangriffen. Weil die Umsetzung
dieser Aussage so schwierig ist, brauchen wir so viel Praxis!
Was in New York und in Washington geschehen ist letzte Woche, ist ein
Akt von blindem religiösem und politischem Fanatismus - mit all den
tragischen Folgen für Tausende von Menschen in Amerika. Und tragischerweise
gibt es so viel von dieser Art von Mentalität in dieser Welt. Hier
bei uns in Europa, genau wie in Amerika oder im Osten wurden seit Menschengedenken
- und werden auch heute - im Namen der Religionen, der Ideologien, der
Nation oder der Rasse
grenzenlos grausame, unmenschliche Taten begangen, Kriege geführt
und Menschen geqäelt und vernichtet. Nicht nur damals, während
der Kreuzzüge oder der Inquisition, auch heute werden die gleichen
Gräuel veruebt; sei es in Kaschmir, in Israel und Palästina,
in Jugoslawien oder anderswo - sei es im Namen von Jahwe, Allah, Christus
oder Buddha oder im Namen der sogenannten "zivilisierten, freien Welt",
wie George Bush Amerika und den Westen nennt.
Der Angriff auf New York und Washington war ein Akt tiefsten Hasses. Eines Hasses, der (oft seit Kindheit) in diesen Menschen vorbereitet und geschürt worden ist. Man kann im Moment Biografien von Terroristen lesen und ich finde dies ausserordentlich instruktiv. Oft handelt es sich um Menschen, die ursprünglich sehr hohe Ideale hatten, aber durch schwierige Umstände und Weltgeschehnisse dort gelandet sind, wo sie jedes Maß und jedes Gefühl für Menschlichkeit verloren haben. Meist kam es soweit dank der Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch die politischen Systeme, denen sie oder ihr Land ausgesetzt waren. Meist sind sie nicht einfach schlechte Menschen, obschon es diese wohl auch gibt. Vielmehr ist in ihnen ein Hass entstanden, der seine Ursachen hat und nicht einfach von Anfang an dar war. Es ist hier, wo wir unbedingt näher hinsehen sollten.
Die Weiseren unter denen, welche die Geschehnisse kommentieren, sehen ganz klar, dass mehr Gewalt keine hilfreiche Lösung sein kann. Allerdings wird kaum jemand von denen, die an der Macht sind, so etwas hören wollen. Einige können es vielleicht gar hören, können sich's aber nicht leisten entsprechend zu reagieren. 71 % aller Amerikaner sind nämlich für einen Militäranschlag, selbst wenn dabei zahlreiche zivile Opfer in Kauf genommen werden müssen. 71 % aus eben dieser sogenannten "zivilisierten" Welt !
Dabei ist das Problem, dessen schreckliche Auswirkungen wir jetzt sehen - doch so viel älter.
Es hat mit den alten Ursache-und-Wirkungs-Gesetzen unseres Handelns zu tun. In der buddhistischen Lehre spricht man hier von Karma: Es ist die Tatsache, dass alles was wir tun entsprechend der Absicht und der Motivation, aus der heraus es getan wird, nicht nur nach aussen wirkt, sondern immer auch auf uns zurück. Taten die aus Hass entstehen oder aus Motiven der Ausbeutung führen unweigerlich zu Leiden im Täter, in der Täterin.
"Rede und handle mit unheilsamem Geist und Leiden wird dir folgen - wie das Rad dem Ochsen folgt, der den Wagen zieht." heisst es im Dhammapada, einer Sammlung von Buddhas Aussprüchen.
Bevor wir uns also fragen, was zu tun wäre als Antwort auf Terror, lohnt es sich sicher, den laufenden Prozess des Weltgeschehens zu betrachten und sich zu fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Frage, die ich in den amerikanischen Medien kaum - und auch bei uns viel zu selten - gehört habe lautet:"Wieso ist Amerika Zielscheibe von so viel Hass? So viel, Hass wie sonst kaum ein Land auf dieser Welt ?"
Es ist nicht nur wegen seiner Größe und Macht, dass die USA dermaßen angefeindet werden. Der Zyklus des Hasses ist sehr viel älter als ein paar Monate.
Die Art und Weise wie die arabischen und die muslimischen Völker seit über einem Jahrhundert behandelt worden sind - erst durch die Briten, (wohl auch durch die Franzosen) und später durch die USA, zeitigt Wirkung. Besetzt, unterdrückt, ausgebeutet, ausgehungert, zerstört - oft nicht direkt besetzt, sondern immer wieder mittels Regimes, die Marionetten-Regierungen der sogenannten "zivilisierten Welt" waren.
Das Regime des Schah in Iran wurde Jahrzehnte lang durch die USA, durch die CIA, massiv unterstützt. Bei meinen ersten Reisen nach Indien, als ich noch über Land reiste, da war Iran das gelobte Land. Es war ganz toll westlich aufgemacht und vieles funktionierte auch sehr gut und "westlich". Bis ich einigen Menschen zugehört hatte, die mir sagten, wie die Dinge im Land wirklich standen. Dabei war es schon ein enormes Risiko, einem Ausländer so etwas anzuvertrauen, ein absolutes Risiko für ihr Leben. Es war eines der grausamsten, ausbeuterischsten, menschenverachtendsten Regimes, das die primitivsten Rechte seines Volkes mit Füßen trat. Niemand hat damals für die gefolterten und getoöteten Massen protestiert oder gebetet - und wir sind erstaunt über den tiefen Hass der Iraner auf die USA und den Westen.
Ich erwische mich selber immer wieder dabei zu denken, die islamischen
Fanatiker in Afghanistan und anderswo seien einfach
verrückt und verblendet. Sie sind es auch wirklich. Aber allzu
leicht vergessen wir dabei, dass auch dies eine Vorgeschichte hat.
Die CIA hat - absurderweise - jahrelang die Taliban unterstützt,
da der USA jedes Mittel recht war, ihren Rivalen und Gegner, die Sowjetunion,
zu besiegen. Ob Afghanistan nun kriegerisch angegriffen wird oder nicht;
auf den Winter hin sind viele
Millionen Afghanen vom Hunger bedroht. Dass jetzt neben Bomben endlich
auch etwas an Nahrungsmitteln abgeworfen wird, um die muslimische Stimmung
in der Welt zu beschwichtigen, ist nicht vor allem als humanitäre
Leistung einzuschätzen, sondern eher als weiterer zynischer Ausdruck
der politischen Interessen Amerikas.
Durch diese Art von Machtintrigen und Machenschaften entsteht Hass!
Im Irak wollte man uns glauben machen, dass Krieg die Lösung sei, um das grausame Regime von Saddam Hussein zu vernichten. Dabei sollen durch die Militärschläge der USA und ihrer Alliierten und durch die Auswirkungen des von ihnen erzwungenen Embargos etwa 1,5 Millionen Menschen umgekommen sein - durch Unterernährung, Mangel an Medikamenten, etc. Möglicherweise ist die genannte Zahl übertrieben, aber selbst wenn es nur ein Drittel davon wäre, ist das verursachte Leid immer noch immens.
Niemand hat für diese Menschen die Staatsflaggen auf Halbmast gesenkt! So wird Hass geschürt!
1982, als die Israelis nach dem Okay des US State Secretary Alexander
Haig in Libanon einmarschierten, ließ der damalige
israelische Verteidigungsminister Ariel Sharon die Phalangisten-Miliz
drei Tage lang in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra
und Shatila die Menschen vergewaltigen und ermorden, bis 1800 hilflose
Flüchtlinge tot waren. Das waren nicht alles Verbrecher mit Kalaschnikows,
Raketen und Bomben, sondern vor allem Frauen und Kinder. Die ganze Invasion
- geführt mit
amerikanischen Waffen - kostete letztlich 17500 Libanesen und Palästinensern
das Leben, fast alles Zivilisten. Unter den Milizen hat der Krieg viel
weniger Leben gekostet als unter den Zivilisten.
Wir hielten keine Schweigeminuten ab, damals.
Der gleiche Sharon sagte kürzlich, er werde sich der "Schlacht gegen den Welt-Terror" anschließen. Grenzenloser Zynismus!
Und auf der palästinischen Seite wird mit Hass und Terror geantwortet; die genau gleiche Geschichte in umgekehrter Richtung.
So stellt sich die Frage, ob man von den betroffenen Völkern und Menschen erwarten kann, dass sie den USA und dem Westen liebevoll um den Hals fallen? Oder ob es menschlich verständlicher ist, dass sie ihnen (und uns) an die Gurgel springen moechten?
Es ist tatsächlich nachvollziehbar, wenn sie es tun. Keinesfalls
ist es gerechtfertigt, aber doch irgendwie zwingend, in diesem Netz des
abhängigen Entstehens, welches dieses Dasein ist. Terrorangriffe sind
nicht irgendwelche isolierten Geschehnisse, die
aus dem blauen Himmel auf uns zukommen. Vielmehr ist es so, dass alle
Dinge und Geschehnisse zusammenhängen, in gegenseitigem, abhängigem
Entstehen.
Genau das ist es, was wir durch die Praxis verstehen lernen, tiefer und tiefer sehen und erkennen. Dabei bezieht sich die gegenseitige Wirkung der Dinge auch auf unser Denken, auf unser Reden und auf unser Handeln. Unser Tun wirkt auf uns zurück. Manchmal im Kollektiv. Dann werden viele Unschuldige getroffen.
Eine dramatische Meldung vom September, über Barbarei anderer Art, ging im Schock über die Terror-Anschläge völlig unter: Die Welt-Ernaehrungs-Organisation meldete aus Rom, dass 826 Millionen Menschen an Hunger leiden. Das hat die Presse, das haben wir schon gar nicht mal mitgekriegt. Nicht mehr aktuell! 826 Millionen, das sind ungefaehr 10 mal alle Menschen aus ganz Deutschland. Viele der Betroffenen leben in Afrika - und viele eben in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Und täglich sterben 24 000 von ihnen! Ein grosser Teil von ihnen sind Kinder. Das heisst: 5 mal die World-Trade-Center-Opfer. Jeden Tag! Jeden Tag! Und das schon seit Jahren. Jeden Tag 5 mal so viele Opfer wie am 11. September.
Auch das ist keiner Fernsehsendung würdig. Dafür halten wir keine Schweigeminuten. Die Flaggen gehen nicht auf Halbmast.
Dabei gäbe es genügend Nahrungsmittel auf der Welt.
Kürzlich hatte jemand die Idee, die USA sollten mit ihren Kriegsflugzeugen
ueber Afghanistan, Irak, Palästina und all den
anderen verarmten Ländern Nahrungsmittel abwerfen, anstatt Bomben.
Hunderte, Tausende von Tonnen von Nahrungsmitteln. Das wäre auch noch
unendlich viel billiger, als die horrenden Kosten von Bomben und modernem
Kriegsgerät. Und der Effekt wäre unglaublich. Stellt euch vor.
Leider sind solche Ideen absolut naiv. Bush, Blair und ihre Generaele marschieren in der entgegengesetzten Richtung. Bush sagte: "Jene, die gegen die USA sind, haben ihre eigene Zerstörung gewählt". Neuer Saatboden fuer Terrorismus, für Radikalismus, für menschenunwürdige Entwicklung.
Der Zyklus ist also schon alt und wird mit tödlicher Sicherheit weiter laufen. Nichts, was wir dagegen tun koennten. Trotzdem aber dürfen wir nicht schweigen, trotzdem muessen wir unsere Stimme hörbar machen, demonstrieren, E-Mails verschicken, selbst wenn es hoffnungslos erscheint. Jede Stimme zählt! Und manchmal macht eine einzige Stimme einen riesigen Unterschied.
Thich Nhat Hanh sagte über die "boat people", die Vietnam-Flüchtlinge
in Schiffen, überfüllt mit Hunderten von Menschen, die an keiner
Küste, in keinem Land willkommen waren und ziellos auf den Meeren
trieben, ohne genügend Nahrungsmittel, mit
zu wenig Wasser: Ein einziger Mensch, der fähig war, im Chaos
der Verzweiflung die Ruhe zu bewahren, der klar bleiben konnte, der nicht
von Reaktivität und Panik vereinnahmt wurde, machte oft den Unterschied
aus, zwischen Überleben und Untergang.
Dafür müssen wir meditieren und praktizieren - im Innern. Und unsere Praxis so gut wie möglich umsetzen - im Äußeren.
Letztlich wirft uns all das auf uns selbst zurück. Hier ist es, wo wir einen Unterschied machen können, etwas bewirken können, wo wir ein bisschen Einfluss haben. Vielleicht haben wir nicht ausgesprochen viel Einfluss bei uns selber. Es gibt eine entsprechende Aussage von Mohandas (Mahatma) Gandhi, einem Menschen von dem wir wissen, dass er durch seine Praxis und ihren konsequenten Ausdruck in der Welt sehr viel Positives bewirkt hat. Er sagte, er habe die ganze britische Kolonialmacht bewegen können. Viel schwerer sei es ihm aber mit den Indern, seinen eigenen Landsleuten, gefallen. Da habe er viel weniger Einfluss gehabt. Am schwersten sei es ihm mit diesem Typen Mohandas Gandhi gegangen. Auf ihn habe er nur sehr wenig Einfluss gehabt!
Und doch müssen wir versuchen, unser Bestes zu tun. In der Meditation, im achtsamen Beobachten, sehen wir in unserem eigenen Geist ein Modell der Prozesse, wie sie im Äußern, in der Welt, ablaufen. Um diese Prozesse zu studieren, zu erkennen und zu verstehen, braucht es aber mehr, als ein bisschen herumzusitzen und achtsam den Atem zu beobachten. (Wobei auch das schon ein guter Anfang ist, ein Anfang nämlich im "Frieden schließen" mit sich selber). Wir müssen lernen, unseren eigenen Geist zu verstehen, um in unserem Inneren Frieden schließen zu können. Nur dann haben wir eine Chance, auch Frieden schließen zu können in der Welt, mit ihren Terroristen, mit ihren Generälen, Präsidenten und all dem Rest. Wir müssen deshalb unser Herz und unseren Geist erforschen. Hier ist der Ort, wo wir vielleicht den Zyklus von Hass und mehr Hass verändern koönnen. In uns selber. Und hier müssen wir's versuchen, hier müssen wir üben. Immer wieder.
"Rede und handle mit heilsamem Geist (aus guter Motivation heraus) und Glück wird dir folgen, so wie der eigene Schatten dir folgt." sagen die alten Texte.
Ein Geist, ein Herz kann einen ganz großen Unterschied ausmachen,
kann vieles bewirken. Darum ist es so wichtig, dass wir
praktizieren! Jetzt erst recht !
Ich schlage vor, dass wir einige Minuten zusammen im Schweigen verbringen:
Mit Metta, liebevoller Güte und mit Karuna, Mitgefühl.
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