Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern
Zu lebendiger Zeit
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
Die Sheriff-Gesinnung, die in den USA nun einmal Trumpf ist, hat sie siegreich durch zwei Weltkriege geführt. Der Erste wurde durch die geistige Trägheit und den Größenwahn des Kaisers Wilhelm II. ausgelöst, für den Zweiten ist Adolf Hitler mit seiner Mischung aus deutscher Überheblichkeit und seiner eigenen Untergangssucht allein verantwortlich. „A la guerre comme ä la guerre" - „der Krieg ist nun mal so, wie er ist", trösteten sich die als erste betroffenen Franzosen.
Beide Male forderte das Weltinteresse (und, wohlverstanden, auch das Eigeninteresse Washingtons) die Einmischung der Vereinigten Staaten. Beide Male war klar, dass sie England nicht im Stich lassen konnten. Beide Kriege waren Materialschlachten, in denen das Deutsche Reich unterliegen musste.
Nun aber geht es gegen Terroristen. Täter, die man kennt, kann man womöglich aufspüren und unschädlich machen. Den Terror als solchen zu bekämpfen ist hin
gegen eine Verlegenheit, eine Unmöglichkeit. Auf welche Weise soll man denn den weltweiten Terrorismus ausrotten, der in so vielen Erscheinungsformen daherkommt, der so viele unterschiedliche Wurzeln hat?
Nur eines ist sicher: Wer so vorgeht wie jetzt die Amerikaner in Afghanistan, der sorgt nicht für eine Eindämmung von Terror - sondern fördert seine Ausbreitung. Wer ein bitterarmes Land in Schutt und Asche legt, ohne große Rücksicht auf eine Zivilbevölkerung, die Hunger leidet und schutzlos dem harten Winter ausgesetzt sein wird, der darf sich nicht wundem, wenn sich die Stimmung gegen ihn zu kehren beginnt. Schon ist klammheimliche Freude zu spüren über jeden Fehlschlag der Amerikaner, über jede politische Fehleinschätzung.
Und deren gibt es viele. Wieder haben CIA und Pentagon, wie in Washington inzwischen zugegeben wird, einen Gegner weit unterschätzt. Schon spricht man von einer langen Kriegsdauer und der Notwendigkeit, einen festen Stützpunkt in Afghanistan zu errichten. Präsident George W. Bush gerät unter Druck, massiv Bodentruppen einzusetzen. Sein Außenminister Colin Powell, General im Golfkrieg, könnte ihm sagen, was das bedeutet. Auch die Sowjets kämpften in Afghanistan nach dem Einmarsch 1979 mit Bodentruppen: Sie wurden von der Guerrilla, dem „kleinen Krieg", systematisch zermürbt. Bereits Alexander der Große (und der wusste von Erdöl noch nichts) hat erkannt, dass man dieses Gebiet wohl durchqueren kann. Aber nicht erobern.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 haben sich amerikanische Politiker in den Wahn hineingesteigert, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Keine Regierung hat diesen Hochmut so vorexerziert wie die von George W. Bush. Da in den USA offensichtlich wertvollere Menschen leben als anderswo, brauchen sie auch einen eigenen Schutzschild gegen Atomraketen. Mit dem weltweiten Kohlendioxid-Ausstoß mögen sich andere Staaten beschäftigen, signalisierte das Großkapitalisten-Kabinett des Texaners - für Amerika ist die Klimaveränderung noch nicht bedrohlich genug. Und man achte bei jedem Schachzug Bushs auf die Ölinteressen seiner Leute.
Nein, Amerika hat es nicht mehr besser, wie der Geheime Rat Johann Wolfgang von Goethe meinte. Goethes und der beiden Roosevelts Amerika existiert nicht mehr. Gottes eigenes Land ist verwundbar geworden, und der Schrecken darüber brennt tiefer als die Wunde des schrecklichen Terrors selbst. Vielleicht wäre es besser gewesen, nach den Attentaten vom 11. September länger als einen Augenblick innezuhalten und über die Ursachen dieser Verwundbarkeit nachzudenken, sich zu besinnen, statt loszuschlagen und ein wehrloses Land in Grund und Boden zu bombardieren.
Anfangs tat man in Washington ja noch so, als genüge es, dem Terror
nur den Kopf abzuschlagen, und der ganze Spuk würde ein Ende haben.
Der Kopf hieß Osama Bin Laden, für die CIA ein alter Bekannter.
Schließlich hatte sich der amerikanische Geheimdienst im Kampf gegen
die Sowjetunion seiner bedient. Höchst erfolgreich bedient, denn Moskaus
Armee musste sich,
von den Mudschahidin schmählich geschlagen, 1989 wieder zurückziehen.
Mit Bin Laden kann George W. jedenfalls nicht mehr so umgehen wie sein Vater 1991 mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein. Unmöglich, ihn nur in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken, ihn unter Kontrolle zu halten - dafür haben die Amerikaner jetzt diesen Teufel zu bengalisch aufgebaut.
Noch fehlen die letzten Beweise, dass Bin Laden der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September war (und dass er Amerika jetzt durch Versenden weißer Pülverchen in Panik versetzt, glaubt nicht einmal das FBI). Doch sie wollen ihn - lebendig oder auch tot. Der US-Geheimdienst könnte ihn beispielsweise an einer Gangway auf dem JFK-Flughafen von New York erschießen, hätten sie ihn erst - die CIA erhielt mit einem Befehl des Präsidenten gerade vor wenigen Wochen erst wieder die Lizenz zum Töten.
Allerdings bezweifeln die Amerikaner selbst, dass sie ihn kriegen. Alles spricht dafür, dass sich Osama Bin Laden im Kreise der schattenhaften Taliban befindet, gut geschützt von diesen unappetitlichen Gotteskriegern, von denen wir so wenig wissen. Von denen nur sicher ist: Einen Märtyrer können sie jetzt gut gebrauchen.
Die arabische Welt wird in Aufruhr geraten, sollten die Amerikaner noch im heiligen Fastenmonat Ramadan - nach dem 17. November - bombardieren. Biedern sich Kanzler Schröder und sein Scharping weiter derart in Washington an, dürfen sie sich nicht wundem, wenn sie in den Sog des weltweiten Zorns geraten. Und wenn eines Tages auch noch deutsche Soldaten für Kaschmir angefordert werden, um „zur Befriedung" des dortigen 50-jährigen Krieges zu kämpfen, was sollen wir dann antworten? Die Atommacht Pakistan möchte in Kabul eine ihr genehme Regierung durchsetzen.
Welch trügerisches Spiel zwischen Washington und Berlin vor sich geht, scheinen Schröder und Scharping nicht zu merken. Die Kanzlerpolitik erschöpft sich derzeit in der Zusicherung an die Chinesen, dass wir ihr anderes „Demokratieverständnis" akzeptieren, wenn nur die Auftragsbücher gefüllt werden.
Sein Außenminister sammelt zu Hause Beliebtheitspunkte mit einem nahöstlichen Friedensaktivismus, der weder von Israels Premier Scharon noch den seit 1967 gedemütigten Palästinensern gewollt wird. Da zählt Jassir Arafat kaum noch als politische Figur. Die Forderung Bin Ladens kann zwar nicht erfüllt werden, klingt aber in arabischen Ohren verführerisch: Abzug des amerikanischen Militärs von muslimischem Boden. Es hilft nicht mehr, dass jetzt - aus Rücksicht auf seine arabischen Koalitionspartner - plötzlich auch Präsident Bush vom Recht auf einen palästinensischen Staat spricht.
Man muss keinen Hauch von Sympathie für einen Hamas-Selbstmörder oder für einen al-Qaida-Attentäter empfinden, wenn man feststellt: Die ganze Weltgeschichte wäre ohne Terror nicht denkbar, sie lässt sich schreiben als eine Abfolge solch ruchloser Taten.
Aus Terroristen werden Herrscher, manchmal ganz respektable wie Jomo
Kenyatta in Kenia; manchmal immer-
hin demokratisch gewählte wie Menachem Begin in Israel, der im
Juli 1946 das Jerusalemer Hotel King David in die Luft gesprengt hatte
(91 Tote). Andere „Terroristen" bleiben im Dunkel der Geschichte, im Zwielicht
unseres Urteils: der Ordensbruder Francois Ravaillac, der dem König
Heinrich IV. im Jahr 1610 auflauerte und ihn erdolchte; die Verschwörer
gegen den Zaren Peter III. im Jahr 1762.
Wer hat die USA in die afghanische Falle gelockt? Ihr Hochmut? Ihr Rachedurst?
Beneidenswert, wer frei davon.
Zurück zur Übersicht weitere Stellungnahmen
Zurück zu Übersicht
Terror