Hans C. Schneider
Die zweite Woche Friedenswache in Friedberg
Montag:
Die Siedlung, vor der ich sitze, gehört zu den »Ray Barracks«,
die sich »Army home of Elvis Presley« nennen. Ach Elvis! Diese
Woche meiner Friedenswache fängt ja gut an! Drei junge Männer
wollen auf pseudo-naive Art deutscher sein als der Kanzler.
Mahnwache in Friedberg.
Aber Deutschland, das sind auch wir, die Friedlichen und die Kritischen
und die Linken! Einem Autofahrer mit sattem Gesicht fällt bei meinem
Anblick ein, sich an die Stirn zu greifen. Das misslingt etwas, denn er
trägt im Auto einen Hut. Vor diesen Behüteten warnte mich einmal
ein Taxifahrer. Die drüben aufziehende Wachablösung sieht komisch
aus: er lang und schlank, sie klein und rund, mit übergroßem
Gewehr. Zwei junge Frauen mit Hund machen die Szene idyllisch. Die eine
flirtet mit einem dienstfreien Soldaten, die andere unterhält sich
und den Posten mit ihrem Hund. Ich muss lachen über seine Sprünge
und die Pose als Wachhund. Nur die farbige Soldatin passt dabei auf. Sie
sieht, wie mich ein Journalist fotografiert. So ausgiebig, dass der Schlanke
über die Straße kommt und meint, das sei verboten. »Wir
sind hier in Deutschland«, antwortet barsch der Fotoreporter. Ja,
in Deutschland, gibt der Soldat zu, aber er habe auch einen Teil von Amerika
fotografiert. Der Fotograf erklärt frank und frei: »Ich lasse
mir von keinem mit der Waffe in der Hand mehr etwas sagen«, steigt
in sein Auto und fährt davon. Die GI notieren das Kennzeichen. Sie
rufen die military police, die füllt ein Blatt aus, der Soldat unterschreibt.
Sollte der Journalist Ärger bekommen, werde ich bezeugen, daß
die schlanke Dunkelhaarige mit hellblauem Pullover und grauer Hose ihn
laut beschimpft hat.
Dienstag:
Ironisch ruft ein Autofahrer: »Macht Spaß, was?« Ja,
es macht viel Spaß, allein hier zu sitzen im leichten Regen. Da sind
Handzeichen zweideutig, Hupsignale missverständlich, Zurufe unklar.
Ein verächtliches Schnauben ist mir lieber als gänzlich ausbleibende
Reaktionen. Die junge Frau auf dem Rad fährt täglich vorbei und
will sich noch immer nicht entscheiden. Weit weg scheinen Afghanistan und
Amerika. Da belustigt mich noch eher der Alte, der den Posten die Pantomime
meiner Erschießung zeigt. Plötzlich kriegt er mit, dass ich
seine Vorstellung auch verfolge und hält abrupt inne. Freilich erheitert
mich mehr ein kurzes Zuwinken von dem Mann auf dem Traktor, die harmlose
Frage des neugierigen Fußgängers nach meiner Fahne. Junge Menschen
erfassen die Situation auf einen Blick und recken begeistert den Daumen
hoch. Flieg, mein Friedenstäubchen! Ich habe langen Atem und ein langes
Gedächtnis. Am Himmel formiert sich ein Schwarm Vögel. Die Schüler
kommen auch heute nicht. Und Martin wollte mit Kaffee nach mir sehen. Den
Posten bringt eine Frau Suppe, damit sie besser im Kühlen aushalten.
»Well, well, well!« Denen geht's gut! Über die Straße
bietet mir die Soldatin einen Teller an. »Nein, danke«, lehne
ich ab, »that's for you!« Ihr müsst sie auslöffeln.
Ich kenne weder die Suppe noch die Frau. Ein Autofahrer aber weiß,
wer ich bin. Er hält gegenüber und schreit durchs offene Fenster:
»Vaterlandsverräter!« So leicht also lässt sich das
Vaterland verraten. Ich lache laut und lange. Diese Beschimpfung macht
mir Spaß. Dagegen ist »Arschloch«, im Vorbeifahren hingeworfen,
nur beschissen.
Mittwoch:
Heute regnet es wenigstens nicht. Die beiden schwer bewaffneten Posten
der Amerikaner langweilen sich so, daß der eine für eine Viertelstunde
im Hintergrund verschwindet. Dort sehe ich auf dem Gelände zwei Männer
eines zivilen Sicherheitsdienstes alle Kellereingänge inspizieren.
Langsam nähert sich auf meiner Seite der Schauspieler von gestern.
Als ich ihn prüfend ansehe, grüßt er schuldbewusst. Vor
allem Autofahrer mit auswärtigem Kennzeichen nehmen noch die Soldaten
zur Kenntnis oder wenden den Kopf nach meiner Fahne und mir. Heute habe
ich mehr Reaktionen erwartet, positive und auch negative. Im Lokalteil
der Frankfurter Rundschau sind meine Erfahrungen der letzten Woche abgedruckt.
Doch nur Volker kommt für die letzten 25 Minuten. Dabei hat er die
Zeitung gar nicht gelesen. Mit Volker hielt ich täglich Mahnwache
gegen den Kosovokrieg. Auf der »Kleinen Freiheit«, eine große
gibt es in Friedberg nicht. Gemeinsam standen wir auch gegen den Krieg
in Tschetschenien und sammelten in der Adventszeit mühsam Geld Für
die Opfer. Dort ist noch immer Krieg. Damals waren wir Sechs. Doch auch
allein bin ich gegen jeden Krieg und will es auch morgen zeigen. Ich nicke
dem frühen, bleichen Mond zu und umarme Volker beim Abschied: Dank
dir, dass du gekommen bist! Unser Gespräch hat die Wache kurzweilig
gemacht. Ein schnelles Auto zischelt: Rschl!
Donnerstag:
Die vermissten Schüler lassen sich neben mir nieder. Während
Pascal vom diesjährigen Grenzcamp nahe beim Flughafen Frankfurt berichtet,
lehnt Bela sich an seinen Rücken. Auch dieses Mädchen ist fit.
Sören erzählt vom unterschiedlichen Verhalten der Bullen, als
nicht weit von uns ein Auto stoppt. Die junge Fahrerin nähert sich,
und ich denke: eine Journalistin. Müssen die denn so schön sein?!
Sie stellt sich vor mich, ich erwarte professionelle Fragen, doch ihr offenes
Geständnis wischt alle Beleidigungen der letzten Tage weg: »Ich
möchte Ihnen nur sagen, dass ich Sie grenzenlos bewundere.«
Dafür könnte ich sie küssen. Das wärmt mein altes Herz,
und der müde Löwe in mir schüttelt die Mähne. Sie richtet
Grüße von Martin aus. Der habe mir Kaffee bringen wollen, meine
ich gefasst. Der sitze im »Kaktus«, ihre Antwort, und trinke
Bier. Aus dem Auto holt sie die mitgebrachte Schokolade und fragt, ob sie
den Amerikanern auch eine Tafel geben solle. Ja, denn die müssen hier
stehen. Meine Tafel teile ich mit den Jugendlichen. Ein Mann im weißen
Bart schaut lange nach uns. Er geht, kehrt um. Meine Fahne hat ihn an Karlchen
Wassmann erinnert, der anfangs der dreißiger Jahre in Frankfurt seine
Zeitschrift »Liebe« verteilte. Karlchen, meist belächelt,
propagierte noch im Alter die freie Liebe. Der freundliche Weißbart
wünscht uns Ausdauer und Glück. Ich breche mit den Jungen auf
und fühle mich jung. Meinen möglichen Tod gibt es gar nicht.
Freitag:
Die Posten sind auffällig desinteressiert an mir, die Ablösung
auch. Ein Vorgesetzter macht die Runde, blickt rüber, zuckt die Schultern
und stiefelt weiter. Wie eine Marionette. No fraternization! Ich denke
an den Telefonanruf von vorhin. Ein Paar aus Bad Vilbel wollte mir ein
Telegramm an diesen Platz schicken. Die Post war dazu bereit, nur sei es
für 17 Uhr zum Ausliefern zu spät. Justus und Tobias, zwei ältere
Schüler, fragen nach Reaktionen auf den Anblick meiner Fahne. Die
kann ich nach Automarke inzwischen prophezeien. Die Fahrer von Mercedes,
und BMW lehnen sie ab, die Fahrer kleinerer Autos finden sie eher gut.
Die Mehrheit fährt in Augenhöhe an mir vorüber, ohne mich
auch nur eines mitleidigen Blickes zu würdigen. Bevor die beiden gehen,
gebe ich jedem ein Exemplar der »Feldpostausgabe« über
das Schicksal meines Onkels. Der marschierte »auf Bewährung«
in den Krieg mit Russland und liegt noch dort. Es ist dämmrig um 6
Uhr nachmittags. Markus hat die zugesagte Stelle nicht bekommen, er wurde
bei der Demo am letzten Samstag gesehen. Am Montag um diese Zeit wird es
dunkler sein in Friedberg und Deutschland.
Zurück zur Homepage
Zurück zur Übersicht
weitere Stellungnahmen
Zurück zu Übersicht
Terror