Die Anschläge auf Zentren des Imperiums haben eine ungeheure Dimension. Seit die kapitalistische Epoche mit der Jagd nach Bodenschätzen und Sklaven eingeläutet wurde, gingen Hunderte Millionen Menschen für ihren Aufschwung drauf. Dass mit dem Massaker an 5000 Zivilisten ein neues Zeitalter beginnen soll, sagt unverfroren, welches Leben Wert und welches keinen Wert hat. Genauso vernünftig ist die Feststellung, daß man sich eine Gesellschaft nicht vorstellen möchte, in der Radikale das Sagen haben, die nur einen Feind kennen: alle Amerikaner, alle Juden, alle Frauen mit Gesichtern, alle gottlosen Kommunisten und alle, die sich ihrem Joch nicht unterwerfen.
Wer nicht beides scheußlich findet, sondern Parteinahme verlangt, soll sich mit seinen neuen Partnern liieren und sich nicht hinter Zivilisation, die alles ist, oder »das ham se davon« verstecken. Das eine erinnert an linke Debatten im Golfkrieg. Da war Zivilisation eine Errungenschaft, »in der viel Mühe und Zeit steckt«, ein Deutscher hatte »kein moralisches Recht, die USA zu kritisieren«, und Hitler wurde in den Irak exportiert, damit man Zivilisation denken konnte ohne ihn, der ihr entsprungen war. Wer den USA das Massaker gönnt, soll sich zu den Explosionen auf dem Bologneser Bahnhof oder dem Oktoberfest bekennen. Die Vereinigten Staaten haben schon deshalb ihre Toten nicht zu verantworten, weil der Führungsanspruch der Weltmacht das Symbol der Verwundbarkeit nicht gut erträgt und ihre Kriege auf die Tötung anderer bei höchstmöglicher Rettung der Eigenen zielen. Wegen der Moral sieht man die anderen nicht sterben. TV-Bombardierungen von Bagdad, Tripolis, Belgrad, Afghanistan oder Sudan kennen nur punktgenaue Treffer, na gut, mit Kollateralschäden dann und wann.
Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Attentäter wohl Zivilisierte waren, und der Islam so wenig homogen ist wie das Christentum. Auch die »islamische Welt« zerfällt in Nationalstaaten, Machtkalküle und Großmachtambitionen. Wäre das steinreiche Saudi-Arabien ein »Bruder«, läge es nahe, Palästinensern ein gutes Leben aufzubauen. Das Regime richtet Frauen hin und beutet Millionen ägyptische, palästinensische und pakistanische Arbeiter aus. Klappt das besser, wenn Palästinenser in Lagern hausen, in die Israel sie trieb, und ihre Demütigung auf die Projektionsfläche »Israel« abladen? Dieser Brandherd soll nun gelöscht werden, um islamischen Kriegspartnern ein positives Signal zu geben. Viele klerikal-faschistische Regimes, deren Macht auf der »jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung« als Projektionsgefäß sowie patriarchaler Unterwerfung und religiöser Disziplinierung baut - die ohne Schläge und Hinrichtungen nicht auskommt —, sind genauso Verbündete des Westens wie Despoten in Zentralasien. Ihn interessiert überhaupt nicht, dass die Nordallianz Frauen unter Zelten versteckt. Den Aufruf, »wer die Freiheit liebt, muss jetzt an unserer Seite stehen«, werden viele Menschen aus Erfahrung mit Bomben, Pinochet, Saddam im Krieg gegen den Iran und Taliban gegen die Sowjetunion übersetzen.
Der Westen hat nicht nur draußen grässliche Freunde, sondern seine eigenen Tempelwächter. Wie Papst Urban II. beim ersten Kreuzzug rief: »Macht euch auf den Weg zum Heiligen Grab, entreißt dieses Land dem frevelnden Volk«, schrieb Ann Coulter in der National Review: »Wir sollten in ihre Länder einmarschieren, ihre Führer umbringen und sie zum Christentum bekehren.« (Die Woche, 21. September 2001) Fanatiker und Stammtisch-Rassisten zünden nun Moscheen an, bespucken Frauen wegen ihrer Kopftücher und erschießen indische Turbanträger. Am Tag danach wollte ein elfjähriges afghanisches Kind mit einer Blume in der Hand seine Trauer zeigen und sich bei Mitschülern für die Aufnahme in Deutschland bedanken. Es wurde als bin Laden beschimpft und verprügelt. So etwas mögen »unsere« Politiker nicht gem. Das Zentrum soll still sein, und der Terrorismusbegriff darf sich nicht auf den Islam verengen. Die Sicherung der Märkte, Investitionen und Transportwege richtet sich gegen alle vorhandenen und potenziellen Störenfriede, ob Staaten und Cliquen, soziale Befreiungskämpfe, Armutsaufstände oder nur militante Globalisierungsgegner.
Die Ursachen können keiner Religion zugeordnet werden. Auch Christen tun sich schwer mit der Liebe zum Imperium. Nach einer Umfrage der Zeitung Noticias halten 72 Prozent der Argentinier die USA für mitverantwortlich an den Anschlägen. In Mexiko, Ecuador, Chile und Peru gab es ähnliche Ergebnisse. Aus Furcht vor der Bevölkerung baten Mexiko und Chile darum, den militärischen Beistandspakt mit den USA aussetzen zu dürfen. Die Frage war falsch gestellt, und Antisemitismus wird bei einigen im Spiel gewesen sein. Dort ist aber vor allem die Erinnerung an ClA-gestützte Jun tas noch wach, die kaum eine arme Familie ohne ermordete Verwandte ließ.
Wenn solche Menschen »Solidarität mit den USA« hören, denken sie eher an das, was Noam Chomsky in seinem Buch »War against people« (2) schreibt: Durch die Welthandelsorganisation WTO sterben »Millionen Menschen ... weltweit an heilbaren Krankheiten«, weil die von ihr »eingeschriebenen protektionistischen Elemente« den Konzernen »das Recht auf monopolisierte Preisbildung zugestehen« und billige pharmazeutische Mittel aus der Eigenproduktion als Handelshemmnis verbieten. Davon profitiert die Pharmaindustrie weltweit, nicht nur in den USA.
Außen und Innen wachsen zusammen. Ob Ronald Schill Hamburg säubert oder Otto Schily sich gebärdet wie kurz vor der Machtergreifung, beide repräsentieren die Verwandlung der Zentren in nationalpatriotische Notstandsgesellschaften, die keine Parteien mehr kennen. Nur weil einige diskutieren wollen, geraten die Grünen unter Generalverdacht. Kriege, Bestechungen und Protektorate zur strategischen Herstellung der Bedingungen für Profitimporte verursachen Kosten, die dem Sozialen abgepresst werden sollen. Zum anderen, sagt der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann (Welt am Sonntag, 16. September 2001), benötige die neue Zeit wieder mehr Soldaten, die »fern der Heimat« kämpfen, und eine Heimat, die wieder Leichensäcke erträgt. Der US-Republikaner William Bennett will »killen« und ist sich sicher: »Es wird nicht mehr zu Protesten führen, sollten Leichensäcke heimgebracht werden«, in denen eben keine Selbstmordattentäter liegen, sondern Soldaten, die nur für die Sache sterben mussten. In den USA gibt es den Fahneneid der Straße. Hier wollen 82 Prozent der Bevölkerung »eine Einschränkung der persönlichen Freiheit durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen hinnehmen«. Dass es diesmal »uns« treffen könnte, erzeugt eine Angst, die für beides gut ist: Notstandsgesetze und Friedensbewegung.
Die Konzentration auf Zentralasien ist ebenfalls nicht neu. Bill Clinton hatte schon angekündigt: Der Krieg gegen Jugoslawien werde »kein Einzelfall« sein, »ein Großteil der früheren SU steht vor ähnlichen Herausforderungen, darunter Südrussland, die Kaukasusnationen sowie die neuen Nationen Zentralasiens« (Jungle World, Nr. 29/99). Deutsche Experten schrieben 1998: »Das Regionalkommando Süd der Nato« bereite sich auf »ein frühzeitiges Engagement« im kaspischen Raum vor. Deutschland habe ein vitales Interesse, weil deutsche Konzerne dort in »Bergbau, Energie, Telekommunikation, Luftverkehr, Landtechnik, Textilindustrie und Infrastruktur-Entwicklung« engagiert seien. Das war ernst gemeint. Am l. Oktober erläuterte Außenminister Fischer seinem türkischen Amtskollegen und dem kasachischen Präsidenten, man werde »regionale Konflikte lösen« im »Kaukasus, in Zentralasien und im Nahen Osten«. Wenn gesagt wird, der Gürtel um Afghanistan habe sich enger gezogen, meint man vor allem den Gürtel, der von den Taliban und anderen heiligen Kriegern destabilisiert wird.
Dem Geostrategen und ehemaligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, der regelmäßig analysiert, was Präsidenten in Stimmungen übersetzen müssen, ging es 1997 um die Macht der USA auf der »eurasischen Landmasse«, die »den Ausschlag geben« werde über Amerikas globale Führungsrolle« im 21. Jahrhundert. 1999 schrieb er in seinem Buch »Die einzige Weltmacht« (3): Wer die Region Zentralasien »unter Kontrolle oder unter seiner Herrschaft hat«, wird den »geopolitischen und ökonomischen Gewinn einheimsen«. Kein Konkurrent dürfe die Fähigkeit erlangen, »die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen«. Afghanistan und Pakistan spielten eine wichtige Rolle in seinen Überlegungen. Turkmenistan favorisiere »die Möglichkeiten einer neuen Pipeline durch Afghanistan und Pakistan zum Arabischen Meer«. Die USA sollten »pakistanisch-afghanische Beziehungen« herstellen, weil die »den internationalen Zugang zu Turkmenistan erleichtern« und seine Leitungen durch den Iran überflüssig machten.
Bei der Ordnung dieser Länder ging es Brzezinski ebenfalls um China »mit seiner Unterstützung für Pakistan«. Auch »in Kasachstan hat Peking seinen Fuß ganz weit in der Tür«, schreibt die Welt. »Die Beziehungen zu Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan wurden dramatisch ausgeweitet. China hat Grenzverträge mit zentral-asiatischen Staaten gesichert, Handels- und Investitionsbeziehungen ausgebaut.« (Welt, 28. Dezember 1999) China sitzt auch an den Ölquellen im Sudan. Die Republikaner gehen in einem Strategiepapier davon aus, daß die USA und China im 21. Jahrhundert »politisch und militärisch zwangsläufig Konkurrenten« sind (Le Monde Diplomatique, Mai 1999), weil China sich zur Großmacht entfaltet, die aus den Nähten platzen könnte. Zu den Leitlinien der Bush-Administration meinte Regierungsberater Robert Zoellik: »Russland und China« seien nicht »strategische Partner, sondern Wettbewerber, vor allem im sicherheitspolitischen Bereich«. Im Verhältnis zu Europa werde Bush »Amerikas Führungsanspruch hochhalten«. (Financial Times Deutschland, 20, März 2000)
Brzezinski nennt die Taliban eine Herausforderung, die »die Krise im früheren Jugoslawien weit in den Schatten stellen wird«. Die USA müssten den Raum schnell stabilisieren, denn noch sei Russland politisch zu schwach und zu arm, »um das Gebiet ... zu erschließen«. Außerdem könnten »ethnische und religiöse Konflikte« und »Pakistans Destabilisierung« zusammen mit den »politischen Spannungen in der Türkei ... auch die bisher vor allem von den USA gewährleistete , Sicherheit der Golfregion nachhaltig beeinträchtigen« und Amerikas »Status als Weltmacht bedrohen«. Das bedeutet Krieg. Amerikas Öl-Interessen liegen existenziell in Saudi-Arabien und seinen Anrainern. Das Regime des Königs Fahd verfolgt die Devise »saudisches Öl gegen amerikanischen Schutz«. 6000 amerikanische Soldaten sind im Land, die USA bekommen Wirtschaftsaufträge, und es wird ein stabiler Ölpreis garantiert. Öl ist nicht knapp. Aber wer die Verfügungsgewalt besitzt, erwirbt Preis- und Marktmacht über die Konkurrenzstaaten, kann Lieferländer gegeneinander ausspielen und ist weniger durch Krisenzonen beeinträchtigt. Der Saud-Clan ist gleichzeitig Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina, und er finanzierte bisher islamistische Gruppen im Sudan, in Algerien und auch in Afghanistan, angeblich zur Befriedung innerer Bedrohungen. Mal ruft Ussama bin Laden zum Sturz des »unislamischen« Königs auf, mal mobilisiert der Iran die Pilger in Mekka. Solche Befriedungsschecks wird der König wohl ab sofort unterlassen müssen.
Deutschland hat den Südgürtel der ehemaligen Sowjetunion ebenso im Blick. Im März dieses Jahres wollte Volker Ruhe sich in einer Expertise Georgien vorknöpfen (Frankfurter Rundschau, 7. März 2001). Zentralasien sei wegen der versiegenden Nordseequellen für Deutschland lebenswichtig. Deshalb müssten »wir« die »strategische Achse quer durch den Kaukasus« stabilisieren. »Hier ist der Krieg zum Greifen nahe«, schreibt Ruhe. Sollte der Tschetschenien-Konflikt auf den Kaukasus übergreifen und Georgien wieder an Russland fallen, wäre »unser Ost-West-Korridor ... über Aserbaidschan nach Europa« durch die Nord-Süd-Achse von Russland über Georgien nach Teheran »unterbrochen«. Russland kooperiert im Kaspischen Raum mit dem Iran und beliefert ihn mit Waffen. Europa müsse »den Kaukasus nachhaltig stabilisieren und in ... die europäische Staatenfamilie einbinden«, fordert Ruhe.
Das deutsche Außenamt nahm Afghanistan seit Mai 2001 ins Visier. Fischer reiste durch Zentralasien, und sein Leiter im Planungsstab, Achim Schmillen, veröffentlichte dazu in der FAZ ein Szenario für das Jahr 2015 (FAZ, 15. Mai 2001). Nehmen wir an, schreibt er, die Taliban wären in diesem Jahr »ihrem strategischen Ziel einen guten Schritt näher gekommen«, das »Ferganatal, das in Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan liegt« zu kontrollieren. Europa wäre aber »von den Energiereserven dieser Region« und den Pipelines, »die vor wenigen Jahren fertiggestellt wurden«, abhängig. »Das Taliban-Regime in Afghanistan«, das seine heiligen Krieger in den »zentralasiatischen Republiken, Tschetschenien, Xinjiang (China) und im indischen Teil Kaschmirs« einsetze, sei eine Gefahr für den Handelspartner Kasachstan und bedrohe alle »Verbindungs- und Handelswege«. Wenn man sie ließe, wäre Europa 2015 »vom indischen Subkontinent, von China und Ostasien« abgetrennt.
Fazit: Zur »Eindämmung des internationalen Terrorismus« müssten Akteure, »vor allem Russland, China und die Vereinigten Staaten«, für »einen breiten Lösungsansatz« gewonnen werden. Die Aussichten seien günstig, denn »als wachsender Importeur von Erdöl ... hat Peking« ebenso »Interesse«. Auch »die Vereinigten Staaten« wollten, schreibt Schmillen »neben der Rohstoffsicherung und Erschließung neuer Vorkommen ... Zentralasien stabilisieren und die Entwicklung einer Ost-West-Energie- und -Transportverbindung voranbringen. Der russische Einfluss soll verringert, die dortigen Staaten sollen gestärkt werden.«
Die Rosinenbomberphase war deshalb nur von kurzer Dauer. Zu groß war die Angst, man werde bei der Neuordnung der Welt außen vor gelassen. Nach Solidaritätsbekundungen sah CDU-Fraktionschef Merz unsere Sicherheit durch »die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen« bedroht, und Angela Merkel sprach von der Rolle in der Welt, die Deutschland selbständig wahrnehmen müsse, sonst werden »die Dinge ohne uns geregelt«. Deutschland muss dabei sein, weiß Karl Lamers von der CDU, denn »das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens«. (FAZ, 27. August 2001) Für die EU forderte deren Ratspräsident: Mit »der Solidarität unsereins« ist zugleich »eine Verantwortung der USA uns gegenüber« verbunden. Die Töne werden schärfer. »Ein Ablasshandel mit Amerika« käme nicht in Frage, sagte Kanzler Schröder. Rudolf Scharping sagte kategorisch: Es werde keine Tauschgeschäfte geben »nach dem Motto: Scheckbuch statt Soldaten« und schon gar nicht: »Wir Mazedonien, und die anderen« erobern die Welt. Eine Anspielung darauf, dass Deutschland zum ersten Mal eine militärische Aktion rühren darf, weil US-Amerikaner und Briten etwas Besseres vorhaben.
Jahrzehntelang wurde Deutschland attestiert, im Schutz der USA Wirtschaftsaufschwung zu machen. Nun bietet es sein Militär an wie Sauerbier, weiß aber nicht, ob die USA abgeben wollen. Eine Friedensbewegung, die vor allem deutsche Soldatenopfer beklagt, sollte sich mit den USA verbünden. Das Jammern über die eigene militärische Schwäche läutet das schnelle Aufrüsten ein. Wenn es losgeht, »haben wir allefalls ein Lazarettschiff« zu bieten, sagte ein Staatssekretär. Klaus Naumann klingt mitleiderregend: »Deutschland könnte ... kaum einen Beitrag leisten, der Einfluss sichert.« Die FAZ fürchtet um die Reproduktionsfähigkeit des Stammes. Deutschland werde erst dann wieder eine große Nation, wenn man von den USA gelernt habe, sich »ernst zu nehmen« (FAZ, 24. September 2001). Eine »Freizeitgesellschaft«, die, »wenn sie Öl hört, kollektiv an die Kilometerpauschale denkt« statt an Krieg, hat der Nation ihre Wehrhaftigkeit geraubt. Es wird der Spaßgesellschaft an den Kragen gehen, es sei denn, sie integriert den Krieg in ihre Events. Ein Imperium, das nicht kriegsfähig ist, bleibt nur ein halbes. Die Lücke zu den USA wird sich nicht schließen lassen. Die Hauptmächte Europas, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, kommen zusammen auf ein Drittel des US-amerikanischen Militärhaushalts.
»Kurzum«, schreibt Brzezinski, »Amerika als die führende Weltmacht hat nur eine kurze historische Chance«, den Raum zu besetzen und dabei »den verloren gegangenen Optimismus des Westens wieder zu beleben«. Bei der militärischen Neuordnung Zentralasiens würden die USA sich allerdings nicht dauerhaft in »schwierige, aufreibende und kostspielige Aufgaben« verwickeln und ihre militärischen Ressourcen binden. Man müsse »planvoll« zu einer möglichst »friedlichen Hegemonie der USA« überleiten, die »andere auch weiterhin davon abhält, diese in Frage zu stellen, weil ... der Preis, den sie dafür bezahlen müssten, zu hoch ist«. Mit anderen Worten: Amerikanische Protektorate und befreundete Regimes unter permanenter militärischer Bedrohung, damit sie sich gut benehmen.
Diese Botschaft hat der Iran verstanden. Außenminister Kamal Charrazi
bezeichnete die Taliban als Bedrohung der »Staaten überall in
Zentralasien«, (Spiegel, 39/01), befürchtet aber »eine
langfristige amerikanische Militärpräsenz in Afghanistan und
Zentralasien«, die gleichzeitig deutsche Interessen bedroht. Mehr
als 400 deutsche Unternehmen treiben trotz der
Boykottforderung der USA Handel mit dem Iran oder haben sich dort als
Investoren festgesetzt: im Maschinen- und Anlagenbau, im Motoren- und Großschiffbau,
in der Telekommunikation, der Grund- und Spezialchemie, der Medizin- und
Umwelttechnik, in der Ölfördertechnik und im Bergbau. Der Iran
und mit ihm deutsche Investitionen wären durch einen Angriff auf diesen
»Schurkenstaat« gefährdet. Die Dauerbombardierung des
Iraks ist auch eine ständige Warnung für deutsche und französische
Konzerne, sich dort nicht zu engagieren. Der Iran erwägt plötzlich,
mit den USA wieder »diplomatische Beziehungen aufzunehmen«.
Militärischer Druck und das Eigeninteresse, mit der ökonomischen
Hauptmacht ins Geschäft zu kommen, mögen da zusammenwirken.
Diese Blockbildung hat nicht nur eine ideelle, obwohl Kant kaum zu überbieten ist, sondern eine sehr materielle Basis. Russland nimmt die Hälfte seiner Devisen aus 01- und Gaslieferungen ein, und der Staat ist mit 185 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Deutschland ist Hauptgläubiger und bezieht ein Drittel seines Öl- und Gasbedarfs aus Russland. Russland siecht ökonomisch dahin und ist ständig bedroht. Die USA wollen Russland aus dem Südgürtel hinauswerfen und hatten bisher nichts dagegen, dass die für Russland lebenswichtigen Pipelines in Tschetschenien und Dagestan von Taliban-Freunden ständig in die Luft gejagt werden. Mit Unterstützung aus Pakistan, wo man die russisch-indischen Verbindungen stören will. Die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres wollen ihre Stoffe lieber zu Weltmarktpreisen an die USA oder Europa verkaufen. Die USA sind aber nicht das, was Cowboy-Hut-Witzbolde ihnen andichten. Sie reagieren angemessen auf die Nervosität ihrer befreundeten Konkurrenten. Man kann Deutschland mit seinem großen Markt nicht vor den Kopfstoßen und möchte die Gegenblockbildung eindämmen. Also hat die Nato jetzt »eine neue Ära der Zusammenarbeit mit Moskau« angeboten, und der begehrte Einsatz deutscher Soldaten wird wohl in Form der Awacs-Besatzungen kommen.
Wir sehen: Kapitalismus ist nicht nur ein Chaos der Finanzen und bei aller Globalität kein geschlossenes System. Sein Hunger auf Profit macht ihn zum expandierenden Vielfraß, der das gemeinsame Interesse hat, die Welt für ihre bessere Ausbeutung zu präparieren. Doch wer wie viel Profit aus anderen Regionen der Welt importiert, wird über die Konkurrenz ermittelt. Das macht die nationale Verschmelzung von Kapital und Regierungen aus. Der Konkurrenzvorteil steigert sich immens mit der Verfügungsgewalt über Stoffe, Staaten und Transportlinien.
Wenn die USA Zentralasien militärisch besetzen, sind deutsche Geschäfte akut gefährdet, weil die USA ihre Ölkontrakte an Aufträge für nationale Konzerne koppeln. Weltdominanz ist ohne schlagkräftiges Militär nicht zu haben. Der Zwang zur Kapitalexpansion realisiert sich strategisch besser, wenn nicht nur Rohstoffe günstig zu bekommen sind, sondern größere Teile der Welt durchkapitalisiert werden. Mit der Kapitalbildung wächst der abschöpfbare Mehrwert, der in die Metropolen zurückfließen oder neue Regionen erschließen kann. Investiert wird nur in profitable und sichere Zonen.
Deshalb zieht China Kapital an, während Russland nur so viel bekommt,
wie für die Erhaltung seiner Exportbasis nötig ist.
Man sollte nicht spekulieren, wann es wo weitergeht, zumal völlig
unklar ist, ob in Afghanistan ein Dauerkrieg entsteht oder ein schneller
Erfolg möglich ist. Das hängt auch davon ab, wie schnell die
Taliban sich in Clans auflösen. Ein Ziel, das durch pakistanischen
Boykott und Einfluss erreicht werden könnte. Auch die Al Qaida soll
zerschlagen werden. (...)
Aber die Kriegskarawane für das Ganze zieht ebenso weiter, und einige warten noch auf ihre Chance. Auch Japan hat beschlossen, wieder an Kriegen teilzunehmen. Der Irak soll bereinigt werden. Libyen wäre ebenfalls ein mögliches Ziel, um »zu einer militärischen Besetzung ... der dortigen Öl-Felder überzugehen«, vermutet Peter Scholl-Latour. Sudans Präsident Omar al-Bashir, der den Islam-Führer Hassan al-Turabi entmachtet und den USA sein Mitgefühl ausgedrückt hatte, fürchtet um sein Leben. »Die suchen nach ... einem schwachen Angriffsziel«, steht in der Regierungszeitung Alwan. Zahlreiche neue Ölquellen sind entdeckt worden, und ein dauerhafter Krieg mit den Südrebellen ist zu beenden. Die SPML, eine Organisation der Südrebellen, berichtet über Gold-, Platin-, Chrom- und Uranfunde. Der FAZ zufolge kämen »vor allem der Irak, Libyen, Syrien, auch Iran« in Frage, und selbst Russland, gab die CIA von sich, sei »Teil des Problems des internationalen Terrorismus, nicht Teil seiner Lösung«. In der Feme sind imperialistische Entscheidungsschlachten gegen Russland oder China nicht ausgeschlossen.
Auf irgendeiner Wirtschaftsseite stand, der Krieg gegen den Terrorismus
könne Jahre dauern. Erst wenn er als normale Erscheinung empfunden
wird, werden die Amerikaner, Europäer und Asiaten wieder mehr konsumieren.
Mag sein, dass es so kommt. Mag sein, dass die Menschen in den Metropolen
mit den Anschlägen zu leben lernen, wie Israel es schon lange muss.
Mag auch sein, es kommt ein neues Vietnam - und in den Zentren verbrennen
junge Leute wieder ihre Einberufungsbescheide.
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Terror