Gewaltlosigkeit, oder Ahimsa, ist einer der Pfeiler buddhistischer Sozialethik, dem der Buddhismus seinen Ruf als eine Religion des Friedens, der Freundlichkeit und der Toleranz verdankt. Dennoch wird im frühen Buddhismus die Gewaltlosigkeit nicht nur als Aufgabe zur Selbstentwicklung angesehen. Der Buddha und die frühen buddhistischen Schüler richteten ihre Aufmerksamkeit auf die grauenvollen Auswirkungen von Gewalt in der Gesellschaft, die zur der Zeit, als der Buddhismus entstand, deutlich sichtbar wurden. Aufgrund seiner tiefen Einsicht in das Wesen des menschlichen Geistes, entwickelte der Buddha seine Lehren unter anderem auch als Hilfsmittel, um damit die spaltenden Konsequenzen, die Gewalt und Konflikte in der Gesellschaft verursacht hatten, beheben zu können.
Im Attadanda Sutta des Sutta Nipata spricht die Stimme eines Menschen,
der, ob der Gewalt, die er mit ansehen muss, in
Verzweiflung geraten ist: "Wenn man sich auf die Gewalt stützt,
entsteht Angst - seht nur wie die Menschen streiten und sich bekämpfen.
Aber lasst euch nun die Art des Schreckens und Entsetzens schildern, die
ich erfahren musste. Als ich die Menschen wie Fische im Wasser zappeln
sah, sich in trüben Wasser krümmen sah, sich in Feindschaft gegenüber
stehend, bekam ich Angst. Irgendwann wollte ich einen Ort aufsuchen, an
dem ich davor Schutz finden konnte, aber es gab keinen solchen Ort. Es
gibt nichts auf der Welt, das beständig fest und nichts, das ohne
Wandlung wäre. Ich habe sie alle
in ihren gegenseitigen Streitigkeiten gefangen gesehen und deshalb
fühlte ich mich davon so abgestossen. Aber dann bemerkte ich plötzlich
etwas, das tief in ihren Herzen begraben war. Es war, ich konnte es endlich
erkennen, ein Pfeil." (47)
Der obige Text stammt aus einer Übersetzung des Sutta Nipata, die
den Geist des Textes bewahren wollte, nicht den genauen Wortlaut. Hier
sind es der Geist der Bestürzung und der Angst, die zu einer Entdeckung
führen, die von grundlegender Wichtigkeit ist. Der Sprecher entdeckt
eine gemeinsame Wurzel - den Pfeil der Begierde (tanha) und Gier (lobha)
- eine Sichtweise, die in direktem Zusammenhang mit den Vier Edlen Wahrheiten
steht. Gewalt entsteht, weil ihr der Boden bereitet wird. Dennoch, es wurde
bereits darauf hingewiesen, dass es Unterschiede in der Art und Weise geben
kann, wie "tanha" Situationen der Gewalt verursachen kann. Betrachtet man
dies genauer, so sind zwei weitgreifende und gegenseitig voneinander
abhängige Bereiche zu erkennen: 1.Gewalt, der eine mangelnde Anpassungsfaehigkeit
des Individuums zugrunde liegt und 2.Begierde und Gewalt, die auf unbefriedigenden
sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen beruht, welche wiederum durch
die Begierden anderer verursacht werden.
Letzteres findet sich in folgenden Texten wieder: im Kuetadanta Sutta;
im Cakkavatti Sihanada Sutta und in gewissen Passagen des Anguttara Nikaya.
Der erste Text erzählt einen Mythos im Mythos. Er beschreibt die Geschichte
eines Königs, König Weites-Königreich, dessen Land von Unzufriedenheit
und Kriminalität heimgesucht wird, in solchem Masse, dass sich die
Leute aus Angst vor Gewalt nicht mehr auf die Straße trauen: "Der
König beschließt, seinem Land eine Opferhandlung darzubringen
und er geht zu einem Heiligen, um ihn um Rat zu fragen. Aber der König
bekommt nicht, was er erwartet. Der
Weise sagt dem König, dass sich Bestrafungen, Kerker und Tod für
die Gesetzesbrecher nur gegen die Situation selbst richten würden.
Bestrafung ist nicht der richtige Weg. Im Gegenteil, sie würde das
Unglück nur vergrößern, weil die Ursachen - in diesem Fall
wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Armut - damit nicht angetastet würden.
Dem König Weites Königreich wird empfohlen, den Bauern Nahrung
und Saatgut, den Händlern Geld und den Angestellten seiner Behörden
zu essen zu geben.
"Aber vielleicht könnte der König denken: "Ich werde das Unwesen, das diese Unholde treiben, bald beenden, indem ich sie degradiere und sie mit Verbannung und Geldbußen, mit Kerker und Tod bestrafe. Nur: ihrer Zügellosigkeit wird damit kein Ende gesetzt. Die übrigen, die man nicht erwischen würde, würden weiter ihr Unwesen im gesamten Königreich treiben. Es gibt nur einen Weg, diese Unordnung im Reich ein für allemal zu beenden. Wer auch immer in diesem Königreich sich dazu verpflichtet, Land anzubauen und Tierzucht zu betreiben, der sollte von seiner Majestaet Nahrung und Saatgut erhalten. Wer auch immer in diesem Königreich sich dem Handel widmet, den sollte seine Majestät mit Kapital ausstatten. Wer auch immer in diesem Königreich im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, dem sollte seine Majestät sein Gehalt bezahlen und ihm zu essen geben. Diese Leute werden dann das Königreich nicht mehr bedrohen, weil jeder von ihnen mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt sein wird; das Ansehen des Königs wird steigen; das Land wird eine Zeit der Ruhe und des Friedens erleben; und die Bevölkerung wird sich gegenseitig mögen und glücklich sein, ihre Kinder werden sie im Arm wiegen und sie werden ihre Türen nicht mehr verriegeln müssen." (48)
Die oben erwähnte Passage geht also davon aus, dass Männer und Frauen zu Gewalt getrieben werden können, wenn die vorherrschenden Umstände es ihnen nicht ermöglichen, ohne Anwendung von Gewalt zu überleben. Dem Selbsterhaltungstrieb wird genügend Kraft zugesprochen, die Menschen zum Kaempfen zu zwingen, wenn sie denn nicht untergehen wollen. In so einer Lage versteht es sich von selbst, dass die harte Hand des Gesetzes keine Abhilfe schaffen kann. In der Tat würde sie nur einen Anstieg schlimmerer Gewalttaten begünstigen.
Genau das passiert im Cakkavatti Sihanada Sutta, einem weiteren Mythos,
der sich mit dem Zerfall der Gesellschaft befasst. Er wurde oben bereits
in Zusammenhang mit der Pflicht ein Monarch zu sein, erwähnt. Aber
es gibt einen Absatz diese Pflichten betreffend, der hier noch nicht erwähnt
worden ist: "Lass während deiner Regierungszeit kein Unrecht aufkommen.
Und wer auch immer in deinem Königreich arm ist, den lass am Reichtum
teilhaben."(49) Die Könige, die sich an diese Pflicht halten, werden
in diesem Mythos mit Friedenszeiten gesegnet. Dann taucht plötzlich
ein König auf, der die Pflicht vernachlässigt, die Armen am Reichtum
teilhaben zu lassen. Er wird kurz darauf mit einer Situation konfrontiert,
die außer Kontrolle gerät. Die Armut greift um sich und dies
führt zu Diebstahl, da die Menschen eher bereit sind zu stehlen als
zu sterben. Sobald der König die Ursache erkennt, beginnt er den Gesetzesbrecher
schonend zu behandeln, indem er ihm die fehlenden nötigen Mittel zur
Verfügung stellt. Diese zu spät entwickelte Freundlichkeit des
Königs hat die Folge, dass die anderen glauben, sie müssten erst
zu Dieben werden, um die Gunst des Königs zu erlangen. Der König
hat nachsichtig gehandelt, aber nicht gerecht, daher nimmt die Kriminalität
zu, die ihrerseits wiederum brutale staatliche Repressalien nach sich zieht.
Die Brutalität der Strafen
aber ermutigt die Menschen in ihren eigenen kriminellen Handlungen
stets noch weiter zu gehen, zumal sie nichts mehr zu verlieren haben und
sie nach wie vor versuchen werden zu überleben. Strafen versagen in
so einem Fall, weil die Menschen zu verzweifelt sind."
Dieses Sutta zeigt ein schauerliches Bild davon auf, wie eine Gesellschaft
in Unordnung zerfallen kann, wenn es dem System an
wirtschaftlicher Gerechtigkeit mangelt. Die dabei erreichten Extremsituationen
gehen viel weiter als dies im Kutadanta Sutta
aufgezeigt wird und sie verweisen auf die Blindheit des Staats gegenüber
den Auswüchsen der Armut. So also stellt dieses Sutta nach jeder Verschlechterung
mit folgendem Refrain fest: "So also, nachdem die Güter nicht gerecht
verteilt wurden, wuchsen Armut, Diebstahl, Gewalt, Mord, Lügen, schlechte
Rede, und fehlendes Moralverhalten zu Auswüchsen heran."
Diebstahl und Mord führen solange zu falscher Rede, Eifersucht, Ehebruch, Inzenst und Perversion bis: "Zwischen diesen Menschen, Brüder, wird eine Zeit des Schwertes (satthantarakappa) heranreifen, die sieben Tage dauern wird, während derer sie sich gegenseitig als wilde Tiere betrachten werden; scharfe Schwerter werden ihnen in die Hände fallen und während sie denken werden: " Das ist ein wildes Tier, das ist ein wildes Tier!", werden sie sich gegenseitig mit ihren Schwertern das Leben nehmen."(50)
Im Cakkavatti Sihanada Sutta, liegt der Nährboden der Gewalt in
der Missachtung der Armen von seiten des Staates. Der ganze Mythos beschreibt
das Prinzip von paticca samupadda. Jeder Verschlechterungszustand beruht
auf seinem vorhergehenden Zustand. Dort ist ein Entwicklungsprozess zu
erkennen. Dabei scheint es zu etwas Unvermeidbarem zu kommen, zu einer
unvermeidbaren Eskalation, die hin zur Bestialität fuehrt. Es ist
bezeichnend, dass sich das Sutta nicht mit der psychologischen Verfassung
der Menschen befasst. Die obsessiven Begierden, denen sie erliegen, werden
auf das Versagen des Staates zurückgefuehrt nicht aber auf ihr eigenes
Versagen, die Wirklichkeit nicht annehmen zu koennen. Die Wurzel ist
hier die Beschmutzung der Menschen durch den Staat - raga, dosa und
moha im König selbst sind es, die ihn daran hindern, seiner Königspflicht
nachzukommen.
Eine Passage im Anguttara Nikaya beschreibt dieses Phänomen einfach und direkt. Wenn sich der König gerecht verhält, werden seine Minister gerecht sein, das Land wird gerecht sein und die Welt wird sich als Freund, nicht als Feind zeigen. Das Gegenteil ist natürlich auch wahr und steht im Sutta an erster Stelle: "In diesen Zeiten, Mönche, wenn sich Regierende ungerecht verhalten (adhammika), werden sich auch ihre Minister ungerecht verhalten, Brahmanen und einfache Menschen werden sich ebenso ungerecht verhalten..."
Die oben zitierten Passagen zeigen uns auf, dass es einer Wandlung des Herzens bedarf, wenn Gewalt aufkommt, aber diese Wandlung muss in denjenigen vorgehen, die in der Gesellschaft die Macht innehaben. Wenn der Staat korrupt ist, wird die Bevölkerung zum Opfer des Staates und zum Opfer ihres eigenen Überlebenswillens und dann werden sie sich zu Taten hinreissen lassen, die ihnen nicht mal in Gedanken kommen würden, wenn sie nicht in dieser Notsituation wären. Es besteht also ein Konsens dahingehend, dass es neben denjenigen, die Unrecht tun auch eine Gruppe von Leuten gibt, denen Unrecht getan wird und deren Taten wiederum durch das ursprüngliche Unrecht bedingt sind.
(Uebersetzt aus dem Englischen von Dr. Annette Rehrl)
Anm.
47 Sutta Nipata, vv 935-38 (Uebersetz. von H. Saddhatissa)
48 Digha Nikaya 5/i, 135
49 Digha Nikaya 26/iii, 85
50 Digha Nikaya iii, 73
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