So habe ich im BNI 4 vor genau zwei Jahren dargelegt, wie ich versucht habe Stück für Stück mehr 8samkeit in mein berufliches Leben zu bringen. Der Beitrag hieß damals bezeichnenderweise „Rechter Wandel“. Ich habe darin beschrieben, dass es mir in meinem Beruf als Diplom-Handelslehrer „verstärkt gelingt der gierwirtschaftlichen Logik eine ethikwirtschaftliche Logik gegenüber zu stellen“.
Ich habe seitdem nicht aufgehört,
die 8samkeit auf mein Tun – und natürlich auch auf meinen Unterricht
zu lenken. Und wieder musste ich feststellen, dass es noch eine ganze Reihe
Un8samkeiten gab.
Das begann schon, wenn man mich fragte,
was ich denn berufliche mache. „Ich arbeite im ÖkoBüro Hanau“,
war meine Antwort und normalerweise ergänzte ich: „Da das ÖkoBüro
Hanau aber keine Gehälter zahlt, bin ich gezwungen noch drei Tage
pro Woche in die Schule zu gehen und zu unterrichten.“ So sagte ich, so
dachte ich und so empfand ich.
Welch maßlose Arroganz gegenüber meinen Schüler/innen! Ich reduzierte meine schulische Tätigkeit auf die eines normalen Arbeitnehmers und damit die Haltung gegenüber Schüler/innen auf die gegenüber irgendwelchen zu bearbeitenden Werkstücken! Hat nicht jeder Schüler, jede Schülerin Anspruch auf volle Zuwendung des Lehrers. Verlangt nicht sogar das Beamtenrecht, dass der Beamte jederzeit den vollen Einsatz zu leisten habe. Und was tat ich: ich degradierte die vornehmste Aufgabe, die man sich vorstellen kann zu einer puren Erwerbsarbeit, zu einem Job.
„Tu, was immer du tust, voll und ganz“, „Sei ganz im gegenwärtigen Moment“, „Es gibt nichts Wichtigeres als das was du gerade tust; wenn du Geschirr abwäschst, dann wasch das Geschirr so ab, als sei dies die wichtigste Tätigkeit die es gibt, übe sie voll konzentriert aus!“ So oder so ähnlich lauten die Ratschläge, die buddhistische Lehrer in aller Welt ihren Schülern mitgeben. Und was tat ich? Ich hatte eine viel noblere Tätigkeit auszufüllen, als Geschirr zu waschen, ich hatte junge Menschen für das Leben vorzubereiten. Ich hatte sie einzuführen in Wissensfelder, von denen sie noch keine Ahnung hatten und was tat ich? Machte meinen Job, wartete darauf, dass die drei Tage unterricht vorbei waren, um mich dann im ÖkoBüro Hanau an meinen PC zu setzen und irgendetwas zu tun, was ich trotz aller Entfremdung für irgendwie ökologisch hielt. Wie konnte ich nur so verblendet sein?
Natürlich hatte ich auch in der Vergangenheit versucht, ethische Grundsätze in den Unterricht einzuflechten, wenn es sich gerade ergab. Aber das war natürlich etwas völlig anderes als die volle Konzentration auf den Rechten Wandel.
Natürlich war mir längst aufgefallen, dass es zu dem Bereich, den ich studiert hatte, Wirtschaftswissenschaften, fast gar kein Material aus dem Buddhismus existierte und dass das Material, das es gab, aus betriebswirtschaftlicher Sicht mehr als oberflächlich war. Auch hatte ich mir vorgenommen, auf diesem Gebiet etwas zu tun. Genauer gesagt es war das einzige, was ich mir am „Jahrtausendwechsel“ vorgenommen hatte (vgl. Un8samkeitskolumne in BNI 9): ich wollte eine buddhistische (also einer ethisch-wirtschaftlichen, nicht einer gierwirtschaftlichen) Betriebswirtschaftslehre schreiben. Aber was das mit dem zu tun hatte, was ich montags bis mittwochs in der Schule tue, war mir noch reichlich unklar. So begann ich im Januar mit dem Versuch der Verwirklichung meines privaten „Jahrtausendprojektes“: dem Schreiben einer buddhistischen Wirtschaftslehre. Es waren Schulferien und also – so meine verblendete Einstellung, hatte ich jetzt Zeit, mich den eigentlich wichtigen Dingen zu widmen.
Sehr weit bin ich damit nicht gekommen. Ich hatte zwar Freunden von meinem Projekt erzählt und auch einige Seiten zu lesen gegeben, aber es schien wohl nicht allzu überzeugend. „Zu missionarisch, zu abgehoben, zu kämpferisch“ waren Kommentare, die ich erhielt. Aber auch eine Anregung: warum schreibst du nicht einfach ein Schulbuch für deine Schüler/innen? Natürlich fiel mir eine Antwort darauf leicht: „Das geht doch nicht, ich kann doch niemandem im Unterricht Buddhismus lehren." Und wer sollte schon ein Schulbuch lesen, dass keinerlei Chance hat jemals in einer Schule zugelassen zu werden.
Doch aus diesen beiden Ansätzen, dem
Willen eine buddhistische Wirtschaftslehre zu schreiben und der Erkenntnis,
dass ich meinen Unterricht häufig unterhalb der Selbstverpflichtung
zum Vollkommenen Lebenserwerb mache, formte sich der Gedanke, den Dharma
zu lehren, wann immer ich lehre.
Manifestiert sich der Dharma nicht in
allen Phänomenen? War es nicht der Buddha, der jenseits des Anspruchs
irgendwelche Theorien zu produzieren interessierte Menschen an die Wirklichkeit
heranführte indem er sie mit den Worten „Komm und sieh“ in
die Gemeinschaft der Übenden aufnahm. Wie wenn ich dies genau so versuchen
würde? Wenn ich, der sich bemüht, den Dharma in allen Phänomenen
zu erkennen, junge Menschen mit den Worten „Komm und sieh: Wirtschaft“
in das einführen würde, worein ich sie einzuführen habe,
in die Grundlagen der Volks- und Betriebswirtschaftslehre? Ich begann eine
große Chance zu sehen und begann, das Projekt „Komm und sieh:
Wirtschaft“ zu planen.
Seit April wusste ich, dass ich im kommenden
Schuljahr Klassenlehrer einer Fachoberschulklasse sein würde. Innerhalb
von zwei Jahren soll ich junge Menschen in den Jahrgangsstufen 11 und 12
zur allgemeinen Fachhochschulreife führen, wobei Wirtschaft als Schwerpunktfach
mit sechs Wochenstunden vorgesehen ist.
Selbstverständlich kann ich dort
nicht buddhistische Religionslehre geben. Und auch die Ankündigung:
„Ich unterrichte buddhistische Wirtschaftslehre“, würde mit Sicherheit
zu Unverständnis führen. Aber der Dharma (der sog. Buddhismus)
ist letztendlich nichts anderes als „Sehen wie die Dinge sind“. Der
Dharma ist kein Dogmengebäude, keine Theorie und keine Philosophie,
sondern nichts anderes als die wirklichkeitsgemäße Beschreibung
der Wirklichkeit.Selbstverständlich existiert in der Wirtschaft immer
ein Spannungsfeld zwischen Rechtem Handeln und Rechtem Lebenserwerb einerseits
und Gier und Verblendung andererseits. All die Phänomene, die der
Dharma richtigerweise erklärt, all die Phänomene begegnen uns
auch in der Wirtschaft. Was also spricht dagegen, sie jungen Menschen mit
den Worten. „Komm und sieh: Wirtschaft“ zu zeigen.
Der hessische Lehrplan für die Fachoberschule sagt im grundlegenden Paragrafen 1, der Unterricht solle der „Persönlichkeitsentwicklung des Schülers und seine Bereitschaft zu verantwortlichen Handeln“ dienen. Was ist das anders als die Erklärung mit der ein hoher tibetischer Rinpoche einen Reporter erläuterte, was das besondere an einer neu gegründeten buddhistischen Schule im indischen Exil ist. Er sagte, wenn die Schüler am Ende ihrer Schulzeit begriffen hätten, das Handeln Folgen habe, sei das Ziel der buddhistischen Schule erreicht.
Zum ersten Mal in meiner Lehrertätigkeit
(und ich übe den Beruf bereits seit mehr als einem Vierteljahrhundert
aus), bin ich voll davon überzeugt, was ich dort eigentliche mache.
Und mit den neu akzentuierten Inhalten ist auch mein ganzes Engagement
für die Schule und insbesondere für die Schüler/innen gestiegen.
Für jede Unterrichtsstunde bereite
ich mich mehrere Stunden vor. Da die Schüler das, was formal vollkommenen
erscheint auch für inhaltlich gut halten, bedeutet dies, dass ich
mich bemühe, den Unterricht technisch so gut vorzubereiten, wie es
eben geht: saubere Arbeitsblätter sind ebenso unerlässlich wie
farbige Power-Point-Präsentationen. Für meine Schüler/innen
habe ich eine Hausaufgaben Hotline eingerichtet, bei der wöchentlich
15 Stunden um Hilfe nachgesucht werden kann. Da ich Marketing unterrichte
und sich die Inhalte auch im handeln wiederspiegeln müssen, wird diese
Hotline natürlich beworben, dem dienen Handzettel und Plakate im Unterrichtsraum
außerdem sog. give-aways: die Schüler/innen bekamen gleich zu
Beginn einen Bleistift geschenkt, auf dem die Hotline aufgedruckt ist.
Um den Schüler/innen die Möglichkeit
der Nachbereitung des Unterrichts zu ermöglichen, erscheinen die Unterrichtsinhalte
außerdem (nach dem Unterricht) im Internet: Unterrichtszusammenfassungen,
Beispiele, Arbeitsblätter und Folien sind hier einsehbar und ausdruckbar.
Die Schüler können auch interaktiv tätig werden: von jeder
Seite aus gibt es ein E-Mail-Link um sich an den Lehrer zu wenden. Es besteht
auch die Möglichkeit Übungen per Fax an den Lehrer zu schicken
oder z.B. Tabellenkalkulationen an ein E-Mail anzuhängen.
Auch die Leser/innen des BuddhaNetz-Info
können sich jederzeit über den Stand des Projektes „Komm
und sieh: Wirtschaft“ unterrichten.
Natürlich ist es nicht so, dass man dort "lupenreinen Wirtschaftsbuddhismus" erhält und sonst nichts. Was ich unterrichte ist keine Sache des Glaubens, sondern des Wissens, ist etwas, was jeder durch genaues Beobachten nachprüfen kann, daher der Titel: "Komm und sieh!" Alle Inhalte müssen auch für einen bekennenden Christen oder Moslem akzeptierbar sein. Da es sich um ein echtes Unterrichtsprojekt an eine öffentlichen Schule handelt, ist die Grundvoraussetzung, dass der Lehrplan komplett abgehandelt wird. Und selbstverständlich finden sich auch Versatzstücke des normalen konventionellen Unterrichts dort, denn nicht alles, was ich bis dato gemacht habe war schlecht oder unbrauchbar. Was allerdings wichtig ist, ist dass alle wichtigen Weisheitslehren des Dharma, das wirlichkeitsgemäße Erkennen der Wirklichkeit, die den Buddhismus so reich machen, Stück für Stück eingeflochten werden und mit dem Inhalt von Wirtschaft kompatibel dargestellt werden. So erscheint der Edle Achtfache Pfad z.B. als die „Acht Optimierungen“. Ein Bereich, der für Menschen aus dem jüdisch-christlich-islamischen Kulturkreis fremd ist, lasse ich weg: Die Lehre von der Wiedergeburt, denn sie ist nicht ohne weiteres erkennbar und beweisbar. Glauben aber hat im Schulunterricht nichts verloren, sondern nur beweisbares Wissen, allenfalls noch Modelle und Theorien.
Und was ist aus meinem Projekt geworden,
eine buddhistische Wirtschaftslehre zu schreiben? Nun das Gerüst dafür
ist das, was hierzu im Unterricht gemacht wird und was auf den genannten
Internetseiten erscheint. Mit einigen Ergänzungen (und zahlreichen
Streichungen, denn es gibt sicher noch viele Un8samkeiten zu eliminieren),
so plane ich, möchte ich das dann erprobte Projekt veröffentlichen.
Es gibt noch viele Menschen, denen ich zeigen möchte „Komm
und sieh: Wirtschaft“.
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