Zur Verdeutlichung mag ein Beispiel dienen: als ich ungefähr zehn Jahre alt war kam in einem Kinderbuch der Satz vor: "´Nein, da war ich nicht,´ log er." Dieser Satz erschien mir so ungeheuerlich fremd und erregend, dass ich ihn heimlich mehrmals las. Wie konnte ein Autor eine so ungemein schreckliche Aussage machen wie "log er", und wie konnte der Verlagslektor einen so furchtbaren Regelverstoß durchgehen lassen: Man lügt nicht, man schreibt nicht einmal, dass jemand lüge!
Und so orientierte ich mich auf Jahrzehnte an dem, was ich für
Wahrheit hielt, beeinflusst von dem christlichen Imperativ: "Du sollst
kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten!" Und hätte
ich den Begriff der Rechten Rede damals bereits gekannt, ich hätte
ihn für
gleichbedeutend damit gehalten.
Obwohl ich jeder Unwahrheit abhold war, pflegte ich jedoch keine Rechte Rede, wie ich heute weiß. Ich benutzte vielmehr die Rede, die Sprache als Herrschaftsmittel: mit dem Versuch der überlegenen Argumentation, mit schwindelnder (!) Logik, wie ein Sophist. Natürlich machte ich mir damit nicht unbedingt Freunde, und das fand ich ungerecht. "Die können alle die Wahrheit nicht vertragen," dachte ich mir in meiner Verblendung.
Mein Engagement (denn es gab für mich auch ethisches Engagement vor dem Buddhismus) führte mich auch in die Politik, mich den Kämpfer für Gerechtigkeit und Wahrheit. Alsbald war ich Kreistagsabgeordneter, konsequenterweise machte man mich bald zum Fraktionsvorsitzenden, galt ich doch als scharfzüngigster Redner meiner Fraktion. Dort, wo andere logen, sagte ich die Wahrheit, die unerbittliche Wahrheit, um sie dem politischen Gegner wie Salz in die Wunden zu reiben. Auch in die Regionalsversammlung Südhessen (der erweiterten Rhein-Main-Region) wurde ich gewählt, auch dort bekleitete ich das Amt des Fraktionsvorsitzenden, des Oppositionsführers - für 10 Jahre: ein wütender Engel der Wahrheit. *)
Erst sehr spät, das 40. Lebensjahr lag be-reits hinter mir, kam ich zum Buddhismus. Die Vier Edlen Wahrheiten und der Achtfältige Pfad überzeugten mich auf Anhieb, ich erkannte meine eigene, in langer Zeit entwickelte Lebenseinstellung darin. Jedenfalls in 6 1/2 Pfadgliedern. Meditation war bis dahin nicht mein Thema; "das musst du probieren", sagte ich mir. Viel entscheidender und ernüchternder war jedoch das Pfadglied für mich, das ich bis-her nur halb beachtet hatte: die Rechte Rede. Dass Rechte Rede wahr sein muss, war klar, das hatte ich mein Leben lang praktiziert. Doch plötzlich wurden weitere, höhere Ansprüche an das Reden gestellt als die vergleichsweise simple Aufforderung: Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten. Die Rechte Rede sollte sein
Der Tag an dem ich das erkannte, war der Tag an dem ich meinen politischen Freunden mitteilte, dass ich mitten in der Legislaturperiode alle politischen Ämter abgeben würde. Es war der Tag, an dem ich wirklich zum Buddhisten wurde, zum ernsthaft Übenden auf dem Edlen Achtfältigen Pfad. Und noch heute muss ich üben: im privaten Bereich und im beruflichen Bereich: Meine Kinder und meine Schüler finden meine Rede häufig noch immer nicht genügend harmoniefördernd, aber ich bin ja auch noch ein Übender.
Als ich vor einem Jahr von verschiedenen Seiten gefragt wurde, ob ich
- ein parteiloser Buddhist - nicht wieder in die Regionalversammlung Südhessen
einziehen wollte, sagte ich nach einiger Bedenkzeit zu. Mich reizte der
Gedanke, nachdem ich Rechte Rede erkannt hatte und begonnen hatte, sie
zu üben, dorthin zurückzukehren und es erneut zu versuchen, diesmal
ganz anders.
Mein erster Kontakt mit dem Rednerpult war ein Desaster, noch auf dem
Weg ans Pult empfingen mich die wütenden Schreie der früheren
politischen Gegner. Verunglimpfende, intolerante Zwischenrufe begleiteten
meine Rede. Schließlich erwartete das Auditorium das, was sie von
mir gewohnt waren. Das selbstgeschaffene Karma, mein Handeln in der Vergangenheit
hatte Folgen. Doch diejenigen, die neu in diesem Parlament waren, hatten
kein Verständnis für die unwirsche Reaktion ihrer Fraktionskollegen
und stellten diese zur Rede, man solle mir doch erst einmal zuhören,
Zwi-schenrufe könne man immer noch machen, aber bitte erst dann wenn
sich ein Anlaß dazu böte.
Ein völlig anderes Bild bot sich bei meiner Rede in der nächsten
Plenarsitzung. Wieder hatte ich eine Rede vorbereitet, die Brücken
baut, hinter der sich eigentlich jeder Abgeordnete wiederfinden können
müsste. Und in der Tat: man lauschte aufmerksam, vielleicht habe ich
diesmal sogar Denkprozesse inganggesetzt, die in die erwünschte Richtung
gehen, dann wäre diese Rede nicht nur wahr und harmoniefördernd
sondern auch noch angemessen gewesen.
Und was mich am meisten überraschte: meine (Rechte) Rede gefiel
sogar meinen früheren (linken) Parteifreunden.
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