Tod und Trauer

von horst gunkel

Bei keinem anderen Thema wird Vergänglichkeit uns so deutlich wie beim Tod. Am bedrohlichsten ist der eigene Tod, aber auch der Tod einer Person, die einem nahe steht, zu der man Zuneigung, vielleicht sogar Liebe empfindet, ist angstauslösend.

Meist verdrängen wir dieses Thema, weil es uns auf die unerfreulichste Art an die Unbe-ständigkeit, gerade auch an die Unbeständigkeit des eigenen Selbst - oder dessen, was wir dafür halten - erinnert. Eine Beschäftigung mit dem Tod geschieht, wenn überhaupt, häufig sehr oberflächlich. Obwohl der Tod täglich in unserem Wohnzimmer stattfindet, sei es im Fernsehkrimi, sei es in Nachrichtensendungen, lassen wir diese Tatsache meist nicht wirklich an uns heran. Bis dann der Tod plötzlich real in unser Leben eingreift. Dies geschieht meist dadurch, dass eine Person, mit der wir im en-gen Kontakt stehen, stirbt. Manchmal bringt uns auch einfach ein Traum den ins Unterbewusste verdrängten Tod so real nahe, dass wir uns damit auseinandersetzen. In Zeiten, in denen Krieg herrscht, geschieht dies häufiger. So erging es auch mir auf meinem letzten Retreat im Mai. Da war einerseits der Traum vom Tod eines geliebten Menschen und da war auch die Zeit für Reflexion.
Der Tod eines anderen, eines mir nahestehenden Menschen bedeutet für mich selbst in erster Linie Trauer. Aber was ist das eigentlich für ein Gefühl, diese Trauer? Ich meine, es gibt in dem, was wir Trauer nennen, (mindestens) drei verschiedene Aspekte, nämlich einen egoistischen, einen altruistischen und einen sozialen.

Beim egoistischen Aspekt steht nicht der/die Verstorbene im Mittelpunkt der Trauer, sondern ich selbst. Es geht nicht darum, dass der/die andere etwas verloren hat (das Leben), sondern dass ich etwas verloren habe. Dies kann soziale Sicherheit sein, etwa der Tod der Eltern (besonders bei jungen Menschen) oder des Lebensgefährten. Es kann sein, dass ich diese Person nicht verlieren wollte, weil ich mir von ihr Hilfe erwartete, wenn ich Probleme habe. Vielleicht hatten wir auch nur viel Spaß miteinander und ich wollte noch mehr davon haben. In all diesen Fällen handelt es sich eigentlich um unechte Trauer, denn ich betrauere nicht die verstorbene Person, sondern mich selbst.
Demgegenüber steht die echte oder altruistische Form der Trauer. Hier geht es nicht um mich selbst, sondern um die verstorbene Person. Ich bedauere hier z. B., dass ein Mensch noch so jung hat sterben müssen, ohne die Chance an der Verwirklichung seines Lebensentwurfes zu arbeiten.
Der dritte Aspekt - und das ist der einzige, wieso es Sinn macht sich diesem Thema in der Un8samkeitskolumne zu widmen - ist der soziale Aspekt. Es ist die Frage: "Bin ich meiner sozialen Verantwortung im Umgang mit diesem Menschen im vollen Maße gerecht geworden?" Oder so ausgedrückt, wie sich mir das Problem - vor allem angesichts des plötzlichen Todes eines geliebten Menschen stellt: "Ich hätte ihm/ihr noch so viel Gutes tun wollen". An dieser Stelle besteht die Gefahr in Tagträumereien zu verfallen und sich auszu-malen, was man noch alles Gutes hätte tun wollen. Dabei vermischt sich Trauer mit Selbstzufriedenheit. Doch nicht das "Hätte" zählt, sondern das Handeln. Also stellt sich die Frage, warum bin ich bisher meiner sozialen Verantwortung für diese Person, die ich mag, nur unzureichend gerecht geworden.
Beim "Nach"denken hierüber ertappe ich mich immer, wie ich Sachzwänge als Ausrede vor mir selbst aufzubauen versuche ("Es ging nicht, weil..."). Das bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass mir bestimmte Sachzwänge in diesem Moment wichtiger waren als dieser Mensch. Das Gefühl der Trauer über mein falsches (ungeschicktes, unheilsames) soziales Verhalten setzt erst in dem Moment ein, wo sich - angesichts des Todes dieses Menschen - Irreversibilität einstellt. So bleibt die (rhetori-sche) Frage: "Soll ich mein mangelhaftes soziales Verhalten immer erst dann bemerken, wenn es zu spät ist?"
Statt der Trauer über Fehlverhalten bei vergangenen Gelegenheiten muss es meine Aufgabe sein, künftig dieses Fehlverhalten immer seltener an den Tag zu legen und das bedeutet Han-deln im Hier und Jetzt. Es zählt nur der gegenwärtige Augenblick. Da jede Person in jedem Augenblick sterben kann, möchte ich jedem so begegnen, als wäre er morgen tot. Dies soll natürlich kein Plädoyer sein für wilden Aktionismus. Vielmehr geht es darum, eine innere Haltung aufzubauen, die sich in meinem äußeren Handeln widerspiegelt, eine Haltung, die getragen ist von warmherziger Metta. Es geht um nichts anderes als Metta - liebende Güte, positive Zuneigung, aktives Mitgefühl - in unser tägliches Leben zu bringen. Die Metta-Meditation darf nicht auf meinem Meditationskissen sitzen bleiben, sondern muss immer in mir sein und tatsächlich in meinem Handeln auf andere ausstrahlen. Ich weiß, dass ich dies bislang nur sehr unvollkommen tue, aber ich arbeite daran. Besser täglich mit Metta, mit liebevoller Zuneigung, handeln, als in der sozialen Trauer verpassten Gelegenheiten nachzutrauern.



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