Meist verdrängen wir dieses Thema, weil es uns auf die unerfreulichste
Art an die Unbe-ständigkeit, gerade auch an die Unbeständigkeit
des eigenen Selbst - oder dessen, was wir dafür halten - erinnert.
Eine Beschäftigung mit dem Tod geschieht, wenn überhaupt, häufig
sehr oberflächlich. Obwohl der Tod täglich in unserem Wohnzimmer
stattfindet, sei es im Fernsehkrimi, sei es in Nachrichtensendungen, lassen
wir diese Tatsache meist nicht wirklich an uns heran. Bis dann der Tod
plötzlich real in unser Leben eingreift. Dies geschieht meist dadurch,
dass eine Person, mit der wir im en-gen Kontakt stehen, stirbt. Manchmal
bringt uns auch einfach ein Traum den ins Unterbewusste verdrängten
Tod so real nahe, dass wir uns damit auseinandersetzen. In Zeiten, in denen
Krieg herrscht, geschieht dies häufiger. So erging es auch mir auf
meinem letzten Retreat im Mai. Da war einerseits der Traum vom Tod eines
geliebten Menschen und da war auch die Zeit für Reflexion.
Der Tod eines anderen, eines mir nahestehenden Menschen bedeutet für
mich selbst in erster Linie Trauer. Aber was ist das eigentlich für
ein Gefühl, diese Trauer? Ich meine, es gibt in dem, was wir Trauer
nennen, (mindestens) drei verschiedene Aspekte, nämlich einen egoistischen,
einen altruistischen und einen sozialen.
Beim egoistischen Aspekt steht nicht der/die Verstorbene im Mittelpunkt
der Trauer, sondern ich selbst. Es geht nicht darum, dass der/die andere
etwas verloren hat (das Leben), sondern dass ich etwas verloren habe. Dies
kann soziale Sicherheit sein, etwa der Tod der Eltern (besonders bei jungen
Menschen) oder des Lebensgefährten. Es kann sein, dass ich diese Person
nicht verlieren wollte, weil ich mir von ihr Hilfe erwartete, wenn ich
Probleme habe. Vielleicht hatten wir auch nur viel Spaß miteinander
und ich wollte noch mehr davon haben. In all diesen Fällen handelt
es sich eigentlich um unechte Trauer, denn ich betrauere nicht die verstorbene
Person, sondern mich selbst.
Demgegenüber steht die echte oder altruistische Form der Trauer.
Hier geht es nicht um mich selbst, sondern um die verstorbene Person. Ich
bedauere hier z. B., dass ein Mensch noch so jung hat sterben müssen,
ohne die Chance an der Verwirklichung seines Lebensentwurfes zu arbeiten.
Der dritte Aspekt - und das ist der einzige, wieso es Sinn macht sich
diesem Thema in der Un8samkeitskolumne zu widmen - ist der soziale Aspekt.
Es ist die Frage: "Bin ich meiner sozialen Verantwortung im Umgang mit
diesem Menschen im vollen Maße gerecht geworden?" Oder so ausgedrückt,
wie sich mir das Problem - vor allem angesichts des plötzlichen Todes
eines geliebten Menschen stellt: "Ich hätte ihm/ihr noch so viel Gutes
tun wollen". An dieser Stelle besteht die Gefahr in Tagträumereien
zu verfallen und sich auszu-malen, was man noch alles Gutes hätte
tun wollen. Dabei vermischt sich Trauer mit Selbstzufriedenheit. Doch nicht
das "Hätte" zählt, sondern das Handeln. Also stellt sich die
Frage, warum bin ich bisher meiner sozialen Verantwortung für diese
Person, die ich mag, nur unzureichend gerecht geworden.
Beim "Nach"denken hierüber ertappe ich mich immer, wie ich Sachzwänge
als Ausrede vor mir selbst aufzubauen versuche ("Es ging nicht, weil...").
Das bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass mir bestimmte Sachzwänge
in diesem Moment wichtiger waren als dieser Mensch. Das Gefühl der
Trauer über mein falsches (ungeschicktes, unheilsames) soziales Verhalten
setzt erst in dem Moment ein, wo sich - angesichts des Todes dieses Menschen
- Irreversibilität einstellt. So bleibt die (rhetori-sche) Frage:
"Soll ich mein mangelhaftes soziales Verhalten immer erst dann bemerken,
wenn es zu spät ist?"
Statt der Trauer über Fehlverhalten bei vergangenen Gelegenheiten
muss es meine Aufgabe sein, künftig dieses Fehlverhalten immer seltener
an den Tag zu legen und das bedeutet Han-deln im Hier und Jetzt. Es zählt
nur der gegenwärtige Augenblick. Da jede Person in jedem Augenblick
sterben kann, möchte ich jedem so begegnen, als wäre er morgen
tot. Dies soll natürlich kein Plädoyer sein für wilden Aktionismus.
Vielmehr geht es darum, eine innere Haltung aufzubauen, die sich in meinem
äußeren Handeln widerspiegelt, eine Haltung, die getragen ist
von warmherziger Metta. Es geht um nichts anderes als Metta - liebende
Güte, positive Zuneigung, aktives Mitgefühl - in unser tägliches
Leben zu bringen. Die Metta-Meditation darf nicht auf meinem Meditationskissen
sitzen bleiben, sondern muss immer in mir sein und tatsächlich in
meinem Handeln auf andere ausstrahlen. Ich weiß, dass ich dies bislang
nur sehr unvollkommen tue, aber ich arbeite daran. Besser täglich
mit Metta, mit liebevoller Zuneigung, handeln, als in der sozialen Trauer
verpassten Gelegenheiten nachzutrauern.
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