Es sind jedoch einige Gruppen, die überdurchschnittlich häufig zu Fuß gehen. So gehen alte Menschen und Kinder häufiger zu Fuß, entscheiden sich seltener fürs Auto, als die 18 - 60-jährigen. Wobei auffällt, daß einige von diesen sich eben nicht "entscheiden", sondern ihnen keine Wahl bleibt. Weitere Gruppen, die überdurchschnittlich viel zu Fuß gehen sind SchülerInnen, Menschen, die mit Kindern unterwegs sind, Behinderte und ausländische Frauen.
Da es bereits seit Jahrzehnten diese Gruppen sind, die besonders häufig
zu Fuß gehen, sollte man meinen, daß die VerkehrsplanerInnen
sich der spezifischen Bedürfnisse dieses KundInnenkreises besonders
angenommen haben. Weit gefehlt, die Abschnitte 1.2 und 1.3 werden Sie eines
Schlechteren belehren.
Doch damit nicht genug: in jedem von uns wiederholt sich diese geniale Evolution aufs Neue. Als Fötus leben wir im (Frucht-)Wasser, kaum geboren gehen wir auf allen Vieren. Bald, im Alter von ein bis zwei Jahren, erlernen wir auf zwei Beinen zu gehen (wir der im Aussterben begriffene homo sapiens sapiens). Als Vorstufe zum krönenden Abschluß als HOPP (homo plumbum pedes) erwachsen dem Grundschüler kleine Räder (erst zwei und sie müssen auch noch muskulär angetrieben werden) nunmehr lernt er, sich in der automobilen Gesellschaft zurecht zu finden, erlernt die wichtigsten Verkehrsregeln (z.B. Recht ist eine Funktion der Motorstärke). Im Alter von etwa 15 Jahren stellt sich als Ergebnis der Puberträt die Motorisierung der beiden Räder ein. Kaum erwachsen, erblüht er in voller Schönheit: er hat vier Räder und einen Motor. Nunmehr ist der HOPP der Welt gewachsen und er geht so mit ihr um, wie man es erwartet: Ex und HOPP."
Nur so läßt es sich erklären, daß unsere Verkehrsräume sich dem Diktat der AutofahrerInnen beugen, daß die übrigen VerkehrsteilnehmerInnen bestenfalls noch als Restverkehr vorkommen.
In dieser Minute trete ich ans Fenster und sehe unsere Wohnstraße
entlang: ich sehe 0 Menschen im Auto, 1 Frau auf einem Fahrrad und fünf
FußgängerInnen. Von den acht Meter Straßenbreite sind
2 * 1,20 m für FußgängerInnen, aber 5,50 m für AutofahrerInnen.
Fahrradgerecht ist die Straße nämlich auch nicht.
Aber diese 5,50 m werden zu noch etwas genutzt: nämlich als Abstellraum,
wo die AutofahrerInnen ihr Blech unaufgeräumt 'rumliegen lassen. Man
stelle sich vor, ich als Fußgänger würde meinen Schuhschrank
auf der Straße parken! JedeR würde zu recht sagen, der gehört
dort nicht hin, wenn Du Deine Schuhe nicht trägst, parke sie gefälligst
auf Deinem Grund und Boden. Nicht so die AutofahrerInnen. Und das obwohl
mein Schuhschrank viel weniger Platz wegnimmt als ein Auto.
Aber auch bevor die Straße asphaltiert wurde, war sie unser Spielraum: die Mädchen spielten an den langen Sommerabenden Federball auf der Straße, auf ihrer Straße. Wir Jungs besorgten uns eine leere Konservenbüchse, spielten Fußball und fühlten uns wie Uwe Seeler. Heute? Mit Konservendosen auf der Straße? Um Gottes Willen - früher oder später würde das Heiligtum des praktizierende Benzol-Theisten getroffen. Kratzspuren auf Metallic-Lack! Grober Unfug! Gerichte würden bemüht, Lackierereien würden es wieder richten und schnell ist ein vierstelliger Betrag zu "blechen".
Ja, früher lebten auf der Straße noch Menschen, lebten dort wir Kinder. Heute wohnt dort das Auto, die Kinder lassen wir besser nur noch in der Garage spielen.
Aber es sind nicht nur die Mülltonnen. In unserer Straße
stehen 57 Verkehrszeichen. Sie zeigen an wo Autos parken sollen und wo
nicht, sie zeigen an wo Autos Vorfahrt haben, sie zeigen an, welche Geschwindigkeit
Autos fahren sollen. Alle 57 Verkehrszeichen beziehen sich auf Autos. Und
wo stehen diese Zeichen? Auf der Autostraße? Oder wenigstens an deren
Rand? Nein - sie stehen natürlich auf dem Gehweg., 1/3 vom Rand entfernt.
Manchmal träume ich von einer Straße an der es nur
Wegweiser für FußgängerInnen gibt und alle diese Zeichen
stehen auf der Straße, 1/3 des Weges vom Straßenrand entfernt.
Aber ich erzähle niemandem von meinem Traum. Vielleicht landen ja
Dissidenten auch außerhalb der Sowjetunion in der Psychiatrie.
Unsere Straßen sind aber auch noch in anderer Weise möbliert, um hübscher zu sein. So hat man z.B. die Großauheimer Hauptstraße "verkehrsberuhigt" Überall kamen hübsche Laternen hin. An den Laternen rankt Grünzeug aus einem kleinen Beet. Zur Logik dieser Verkehrsberuhigung gehört, daß man diese Maßnahmen auf dem Gehweg durchführte, so behindert die Verkehrsberuhigung wenigstens keine Autos. Nur die FußgängerInnen, denn der verbleibende Raum zwischen Laternen und Häusern ist zu schmal, als daß FußgängerInnen einen Schirm benutzen können. Vor jeder Laterne steht übrigens ein steinerner Rammblock, damit die Laternen nicht von Autos getroffen werden. Zwar stehen die Laternen auf dem Gehweg, aber die Gehwege wurden deutlich abgesenkt, die Bordsteinkante entschärft, damit schon mal die Autos auf den Gehweg ausweichen können. Keine Angst, passieren kann nix, die Laternen sind ja durch Rammblöcke geschützt.
Immer wieder von genialer Einfachheit geprägt sind die Baustellenbeschilderungen. "Fußgänger bitte Gehweg oder Straßenseite gegenüber benutzen" heißt es da lapidar. Ich bin ja gar nicht so vermessen, eine ähnlich geniale Lösung für Autobahnbaustellen zu verlangen: "Autofahrer bitte Gegenfahrbahn oder andere Straße benutzen - wie Ihr zu der kommt, müßt Ihr schon selber rausfinden", aber die Ungleichbehandlung springt doch ins Auge. Während bei Baustellen, die die Fahrbahn einengen, auf Sicherheit Wert gelegt wird, z.B. durch vorfahrtsregelnde Zeichen, müssen sich GreisInnen und Kleinkinder selbst einen Weg suchen, die Baustellen auf dem Gehweg einigermaßen sicher zu passieren.
Ähnlich stiefmütterlich geht man übrigens auch mit RadfahrerInnen bei Umleitungen um. Die jahrelange Umleitung des Radweges wegen des S-Bahnbaus im Bereich Hanau und Steinheim wurde keineswegs angezeigt. Aber vielleicht setzt man einfach bei RadfahrerInnen und FußgängerInnen das Maß an Flexibiltät und Intelligenz voraus, das bei AutofahrerInnen niemand unterstellen würde.
Fall 1: Es soll ein innerstädtischer Radweg angelegt werden, weil die Wahlen vor der Tür stehen, und da macht es sich gut, wenn man bekannt geben kann: in den letzten vier Jahren wurden in Hanau 10 km neue Radwege gebaut. Das Problem: es fehlt der Platz. Die Lösung: Man streicht die Hälfte des Gehweges rot an, schon hat man einen Radweg und produziert gleichzeitig Konflikte zwischen RadfahrerInnen und FußgängerInnen, denn das kann den automobilen VerkehrsplanerInnen nur recht sein: divide et impera. ("Die Radfahrer sind die chaotischsten Verkehrsteilnehmer" O-Ton Verkehrsplaner Stadtbaurat Dressler.)
Fall 2: Es fehlt an Parkplätzen (die umgekehrte Aussage:" Es gibt zu viele Autos" wäre völlig unangepaßt). Nichts leichter als das: wir malen einen weißen Streifen auf den Bür-gersteig und hängen ein Verkehrsschild auf, das besagt, man solle zur Hälfte auf dem Bürgersteig parken. So gewinnt man Parkraum der auch kaum zu Lasten des Autorau-mes geht. Angenehmer Nebeneffekt: die AutofahrerInnen lernen und parken bald überall halb auf dem Gehweg, das spart weitere Schilder (Merke: Die AutofahrerInnen sind rasch lernfähig und längst nicht so chaotisch wie die RadfahrerInnen.)
Fall 3: Es gibt noch so einen ungeliebten Restverkehr für Alte und Asoziale (Neudeutsch für Nichtautobesitzer): den Bus. Dummerweise hält dieser hin und wieder an Haltestellen und behindert dadurch die, die sich ein Auto leisten können (und es in der Stadt benut-zen). Lösung: wir schaffen Busbuchten - dann kann der Autoverkehr ungehindert pas-sieren und wir verknappen statt dessen den Gehweg. Dadurch ist auch kein Platz für ein Fahrgastwarteräumchen, was nur gut ist, denn dann hätte ja noch 'mal Geld ausgegeben werden müssen (für die Asozialen).
Da es umgekehrt Fußgänger weniger eilig haben müssen, kann eine wegweisende Be-schilderung ("Zum Bahnhof") für diese auch ganz entfallen. So werden die AutofahrerIn-nen in Steinheim zu Parkplätzen durch Schilder mit einem Apfelweinglas gelockt, wer je-doch mit Bus oder Bahn in die Steinheimer Altstadt will, dem winkt kein Wegweiser. Wozu auch: nur Asoziale fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Saufen.
Vereinzelt aber gibt es sie noch, die großen breiten Flanierstraßen und Boulevards von früher, als der Mensch noch im Mittelpunkt stand und nicht das Blech. Heute ist der Gehweg nur noch ddR (der doofe Rest), das was übrig bleibt, wenn dem Autoverkehr Rechnung getragen wurde. Selbst vor Reduzierung auf weniger als 1 m Gehwegbreite schrecken die PlanerInnen nicht zurück.
Platten oder Verbundsteine dominieren heute, pflegeleichte Bestandteile; Grün kommt selten vor - allenfalls als Bestandteile des modischen Straßen-Mobilars. Werden wieder mehr Bäume an den Straßen gepflanzt, wie derzeit in Hanau, so geschieht dies fast immer durch Reduzierung der Gehwege.
Unsere Straßen sind beleuchtet, jedoch nur autofahrerInnenfreundlich - und das, obwohl die Autos im Gegensatz zu FußgängerInnen Scheinwerfer haben. Es kommt den PlanerInnen augenscheinlich darauf an, von hohen Peitschenmasten aus die Straßen so opti-mal auszuleuchten, daß bei Dunkelheit hohe Autogeschwindigkeiten ermöglicht werden. Die Ausleuchtung der Gehwege hingegen ist ungenügend. Parkende Autos und Hindernisse aller Art sorgen für unübersichtliche Wege, defekter Gehwegbelag ist kaum erkennbar und immer weniger Menschen sind auf diesen Wegen anzutreffen: o produziert man Angsträume, insbesondere für Frauen und ältere Menschen.
Entsprechend ist die Rechtsprechung der AutodfahrerInnen-RichterInnen. Der Schreiber dieser Zeilen ist selber einmal Opfer der AutofahrerInnen-Justiz gewesen: Ich ging vor einigen Jahren vom Bahnhof nach Hause. Eine Autofahrerin wollte parken, sie kam mir entgegen und fuhr unmittelbar vor mir auf den Gehweg. Offensichtlich erwartete sie, daß ich mich nun an die Häuserwand preßte, dies tat ich jedoch in Anbetracht meines frische gereinigten Mantels nicht, also stieß das Fahrzeug an meine Aktentasche, wodurch ihr Verschluß einen Kratzer am höchsten Gut der deutschen Frau hinterließ: am Lack ihres Blechs.
Da ich nicht bereit war, ihr eine neue Lackierung zu bezahlen, klagte die Dame vor einem Disziplinierungsgericht für nichtmotorisierte VerkehrsteilnehmerIn-nen, dem Amtsgericht Hanau. Der Richter (BMW-Fahrer) gab ihr Recht: ich hatte einen Schadensersatz von DM 650,-- an die Autofahrerin zu zahlen.
Aber auch die Polizei vollzieht die Aha-sO mit schöner Konsequenz.
So wurde ich un-längst von der uniformierten Staatmacht aufgesucht,
Begründung: Behinderung des FußgängerInnenverkehrs: eine
Pflanze rankt an meinem Haus. Sie wurzelt 7 cm vom Haus entfernt in einer
kleinen Pflasterlücke (sieht dort ganz unordentlich aus: völlig
grün). Die Polizei machte mich darauf aufmerksam, daß diese
Pflanze Passanten behindern würde. Das Verkehrszeichen (Vorfahrtsrecht)
10 m weiter vor dem Nachbarhaus, das 35 cm vom Haus entfernt steht, behindert
natürlich nicht. Aber der Polizist hatte Recht: an meinem Haus war
tatsächlich weniger Platz für FußgängerInnen übrig,
denn nicht nur knapp 10 cm vom Gehweg wurde von der Pflanzen weggenommen,
sondern auch noch 40 weitere cm: dort parkte der Polizist sein Einsatzfahrzeug.
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